BFH Beschluss v. - IX B 88/10

Festsetzungsfrist bzw. Feststellungsfrist keine wiedereinsetzungsfähige Fristen gemäß § 110 AO; Feststellungslast für den rechtzeitigen Zugang eines Änderungsantrags trägt der Steuerpflichtige

Gesetze: AO § 110, AO § 169 Abs. 1, AO § 181 Abs. 1, AO § 181 Abs. 5, EStG § 10d Abs. 3, FGO § 76, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg; die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht gegeben.

2 1. a) Die aufgeworfene Rechtsfrage nach der Wiedereinsetzungsfähigkeit von Feststellungsfristen i.S. von § 169 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO); denn sie ist durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt. Danach gehört die (gesetzliche) Festsetzungsfrist i.S. des § 169 AO nicht zu den wiedereinsetzungsfähigen Fristen gemäß § 110 AO (vgl. , BFHE 191, 198, BStBl II 2000, 330; vom VII R 3/07, BFHE 220, 214, BStBl II 2008, 462, unter II.2.a, die Verfassungsbeschwerde Az. 1 BvR 1692/08 wurde nicht zur Entscheidung angenommen; vom VII R 5/08, BFH/NV 2009, 1602, unter II.2.a, und die h.M.: Klein/Rätke, AO, 10. Aufl., § 110 Rz 2; Kuczynski in Beermann/Gosch, § 110 AO Rz 7; Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 110 Rz 9, 12; Schwarz bzw. Frotscher in Schwarz, AO, § 110 Rz 5, 7 bzw. § 171 Rz 9a; Söhn in Hübschmann/Hepp/ Spitaler —HHSp—, § 110 AO Rz 25; Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 110 AO Rz 5; a.A. ohne Begründung: Ruban in HHSp, § 171 AO Rz 19; Hartmann in Beermann/ Gosch, AO § 171 Rz 17). Gleiches gilt für die (gesetzliche) Feststellungsfrist (s.a. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO).

3 b) Ferner ist eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO) nicht erforderlich. Denn im Streitfall ist die gerügte Divergenz nicht gegeben. Vielmehr hat das Finanzgericht (FG) auf der Basis der auch vom Kläger zitierten BFH-Rechtsprechung entschieden, dass § 181 Abs. 5 Satz 1 AO keine eigenständige Änderungsvorschrift, sondern nur anwendbar ist, wenn zusätzlich die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift erfüllt sind (vgl. , BFHE 193, 392, BStBl II 2001, 156, unter II.1.b; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 181 AO Rz 19; Klein/ Ratschow, AO, 10. Aufl., § 181 Rz 28; Söhn in HHSp, § 181 AO Rz 113). Zwar reicht eine nur mittelbare Bedeutung des Feststellungsbescheids für spätere Veranlagungen und Feststellungen aus (vgl. , BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681; zuletzt , BFH/NV 2010, 1449, m.w.N.). Aber die Voraussetzungen einer Änderungsnorm, insbesondere des § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG, liegen im Streitfall nicht vor. Denn nach den —nicht mit begründeten Verfahrensrügen (nachstehend unter 2.) angegriffenen— tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) haben sich die zu berücksichtigenden Beträge i.S. von § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG mangels Verwirklichung eines Auflösungsverlustes nicht geändert. Auch hinsichtlich des Zeitpunkts der Verlustrealisierung ist keine Abweichung gegeben, zumal weder eine Divergenz in der Würdigung von Tatsachen noch die (angeblich) fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalls noch schlichte Subsumtionsfehler des FG ausreichen (vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII B 70/07, BFH/NV 2008, 380; vom VIII B 160/05, BFH/NV 2006, 1477, m.w.N.). Denn das FG ist vorliegend unter Beachtung der einschlägigen BFH-Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangt, dass der geltend gemachte Auflösungsverlust jedenfalls „nicht im (Streit-)Jahr 1997” entstanden ist; dies wäre auch revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Für § 10d Abs. 3 EStG wäre danach im Streitjahr kein Raum.

4 c) Entsprechend ist auch eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 2  1. Alt. FGO nicht erforderlich.

5 2. Die geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

6 a) Soweit der Kläger jeweils eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) als (verzichtbaren) Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) in Gestalt des erneuten Übergehens der —auch in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gestellten— Beweisanträge (Vernehmung einer Zeugin, Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens bzw. Vernehmung eines sachverständigen Zeugen) rügt, sind diese Verstöße nicht gegeben. Denn nach der für die Prüfung des Verfahrensverstoßes maßgebenden materiell-rechtlichen Auffassung des FG (z.B. BFH-Beschlüsse vom III B 82/10, BFH/NV 2011, 38; vom IX B 153/04, BFH/NV 2005, 1356, m.w.N.) zur fehlenden Wiedereinsetzungsfähigkeit von Feststellungsfristen (s. oben unter 1.a) sowie zum Zeitpunkt der Realisierung des Auflösungsverlustes war eine weitere Aufklärung des Sachverhalts mangels Beweiserheblichkeit nicht erforderlich (s. FG-Urteil S. 10 unten, S. 14 Mitte). Nichts anderes ergibt sich aus dem Zurückverweisungsbeschluss des Senats (IX B 156/09).

7 b) Soweit eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) als (verzichtbaren) Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) in Gestalt der unterlassenen Nachforschung nach einer bestimmten Steuerakte im Original bzw. nach einem darin ggf. enthaltenen maßgebenden Änderungsantrag gerügt wird, liegt dieser Verstoß nicht vor. Das FG hat insoweit Nachforschungen angestellt und Auskünfte beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt) eingeholt, beides ohne den vom Kläger gewünschten Erfolg. Danach ist das FG davon ausgegangen, dass der Kläger den rechtzeitigen Zugang seines Änderungsantrags nicht hat nachweisen können (zur Feststellungslast s. , BFH/NV 2001, 611; , BFH/NV 2008, 22, m.w.N.). Im Übrigen hat der in der mündlichen Verhandlung rechtskundig vertretene Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls (zu dessen Beweiskraft: § 94 FGO i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung) keinen entsprechenden Nachforschungsantrag gestellt noch hat er gerügt, dies sei nicht möglich gewesen. Ein diesbezüglicher evtl. Verfahrensmangel kann daher im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr geltend gemacht werden. Die Grundlagen der Beweiswürdigung sind insoweit nicht tangiert.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 1295 Nr. 8
SAAAD-85766