Verlust der wirtschaftlichen Identität einer GmbH
Leitsatz
Die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft kann nicht deswegen gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. verloren gehen, weil nach einer Anteilsveräußerung (oder davor) irgendwann und ohne einen dazu bestehenden Zusammenhang eine Veränderung im Betriebsvermögen der Körperschaft eintritt, wenn also die einzelnen Teilschritte des Tatbestands des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. unverbunden und zufällig nebeneinander stehen.
Erforderlich ist vielmehr sowohl ein sachlicher als auch ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Übertragung der Gesellschaftsanteile und der Zuführung neuen Betriebsvermögens. Das Bestehen eines sachlichen Zusammenhangs ist dabei im Fall eines offenkundigen zeitlichen Zusammenhangs (widerleglich) zu vermuten, wenn der Zeitraum ein Jahr nicht übersteigt.
Da § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. keine bestimmte zeitliche Abfolge vorsieht, kann ein Verlust der wirtschaftlichen Identität der Kapitalgesellschaft auch eintreten, wenn die Betriebsvermögenszuführung vor der Anteilsübertragung erfolgt.
Geht mit dem Anteilseignerwechsel ein Branchenwechsel (als Anzeichen eines Verlusts der wirtschaftlichen Identität) einher, ist der sachliche Zusammenhang gegeben, wenn der neue Anteilseigner im Zeitpunkt seines Anteilserwerbs den objektiv vorhandenen sachlichen Zusammenhang zwischen seinem Anteilserwerb und einer vorangegangenen Zuführung neuen Betriebsvermögens erkennt, billigt und sich in dem Sinne zu eigen macht, dass er mit der erworbenen Gesellschaft in dem neu begonnenen Geschäftsbereich (im Streitfall: als Holdinggesellschaft) zu arbeiten beginnt.
Gesetze: KStG § 8 Abs. 2 Satz 2
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Streitig ist, ob ein zum festgestellter verbleibender Verlustabzug im Streitjahr 1998 nach einer geschäftlichen Umstrukturierung und einer Übertragung der Anteile wegen eines Verlusts der wirtschaftlichen Identität zu Recht von einer Verlustfeststellung ausgeschlossen wurde.
2 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, entstand 1990 durch Umwandlung eines ehemaligen VEB. Das Stammkapital von 1 Mio. DM übernahm zunächst die Treuhandanstalt; diese veräußerte die Anteile im September 1992 an die X-AG, heute firmierend als X-GmbH, die ihrerseits im Juni 1992 von der Treuhandanstalt privatisiert worden war.
3 Die hinter der X-AG stehenden Investoren führten in den Folgejahren umfassende Umstrukturierungen durch, in deren Rahmen sie u.a. Geschäftsbereiche der X-AG auf bestehende bzw. neu gegründete Gesellschaften der Unternehmensgruppe übertrugen. Anfang 1996 war die Unternehmensgruppe in zwei Unternehmensbereiche gegliedert; sie beschäftigte ca. 1.700 Mitarbeiter und erzielte einen Jahresumsatz von ca. 250 bis 300 Mio. DM.
4 Im Frühjahr 1996 geriet die Unternehmensgruppe in Ertrags- und Liquiditätsprobleme. Im Sommer 1996 erarbeiteten deshalb die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), der Bund, das Land Berlin sowie diverse Gläubigerbanken in einer konzertierten Aktion ein Sanierungskonzept, mit dem sie in erster Linie das Ziel verfolgten, möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern; zudem stellten sie der Unternehmensgruppe eine notwendige Überbrückungsfinanzierung zur Verfügung. Zunächst war vorgesehen, einen Geschäftsbereich zu schließen und den anderen Geschäftsbereich an einen Investor zu veräußern. Nachdem die Verkaufsbemühungen nicht zum Erfolg geführt hatten, änderten die Beteiligten im Laufe des Jahres 1997 ihren Plan: Ziel war es nun, bestimmte Fortführungsbereiche zu definieren, diese Bereiche betriebswirtschaftlich zu stabilisieren und wirtschaftliche Risiken von ihnen abzuwenden, insbesondere das Übergreifen einer etwaigen Insolvenz im Bereich der stillzulegenden und abzuwickelnden Aktivitäten auf die Fortführungsbereiche („Insolvenzkaskade”) zu verhindern. Bei der Definition der zu erhaltenden Bereiche folgten die Beteiligten maßgeblich einem vom damaligen Mitglied des Vorstands der X-AG, Y, erarbeiteten Konzept. Der bisherige Geschäftsbereich der Klägerin gehörte dabei zu den Bereichen, die als nicht überlebensfähig und deshalb als abzuwickeln eingestuft wurden. Allerdings sollte die Klägerin als Gesellschaft nicht liquidiert werden, sondern zukünftig in geänderter Funktion als Holding- und Dienstleistungsgesellschaft für die definierten Fortführungsbereiche fungieren.
5 Bis zum Ende des Jahres 1997 hatte die Klägerin sämtliche laufenden Geschäfte, die den bisherigen Geschäftsbereich betrafen, abgearbeitet. Sie führte in der Folgezeit kein operatives Geschäft mehr. Aufgrund Gesellschafterbeschlusses vom erhielt die Klägerin eine neue Firma. Gleichzeitig wurde ihr Gesellschaftszweck neu gefasst.
6 In ihrer Handelsbilanz zum wies die Klägerin ein Aktivvermögen von rund 1.778.000 DM aus; hierin enthalten war Anlagevermögen im Bilanzwert von rund 440.000 DM. Das Anlagevermögen entfiel größtenteils (mit rund 370.000 DM) auf „andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung” sowie (mit rund 44.000 DM) auf technische Anlagen und Maschinen.
7 Dem Konzept zur Neuausrichtung der Unternehmensgruppe folgend übertrug die X-AG mit wirtschaftlicher Wirkung zum (bzw. zum ) sämtliche Geschäftsanteile an verschiedenen GmbHs, auf die Klägerin. Als Kaufpreis für die vier Gesellschaften vereinbarten die Vertragsparteien Beträge von insgesamt 1,6 Mio. DM; diese Beträge führte die X-AG sodann der Klägerin als Kapitalrücklage zu. Außerdem erhöhte die X-AG mit Gesellschafterbeschluss vom das Stammkapital der Klägerin um 2 Mio. DM auf insgesamt 3 Mio. DM und verpflichtete sich ferner, ein Agio in Höhe von weiteren 5 Mio. DM in die Kapitalrücklage der Klägerin einzuzahlen. Schließlich verzichtete die X-AG aufgrund eines Erlassvertrags vom auf eine ihr gegenüber der Klägerin zustehende Darlehensforderung in Höhe von 7,2 Mio. DM. Der Erlass stand unter der auflösenden Bedingung eines zu einem späteren Zeitpunkt ausreichenden, das Stammkapital deckenden Aktivvermögens („Besserungsschein”).
8 Im Herbst 1998 stimmten die BvS, der Bund und das Land Berlin einem von Y (ebenfalls im Herbst 1998) vorgelegten Konzept für ein auf ihn bezogenes Management-buy-out („MBO”) für die fortzuführenden Geschäftsbereiche der Unternehmensgruppe zu, das die Übertragung sämtlicher Geschäftsanteile der Klägerin sowie sämtlicher Gewinnbezugsrechte ab von der X-AG auf Y vorsah (Übertragung der Anteile mit Vertrag vom ). Die Geschäftsanteile der Klägerin sowie die Geschäftsanteile der zuvor auf die Klägerin übertragenen Beteiligungsgesellschaften waren verpfändet; sie hafteten den Gläubigerbanken für Verbindlichkeiten der X-AG und weiterer Unternehmen der Unternehmensgruppe. In ihrer Bilanz zum wies die Klägerin ein Aktivvermögen von insgesamt rund 36,04 Mio. DM aus, darunter Anteile an verbundenen Unternehmen (1,85 Mio. DM), Forderungen gegen verbundene Unternehmen (rund 3,68 Mio. DM), sonstige Vermögensgegenstände (rund 13,3 Mio. DM) sowie liquide Mittel (rund 16,25 Mio. DM).
9 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) stellte u.a. den verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer der Klägerin auf den auf 34.184.483 DM (Bescheid vom ) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Später gelangte das FA zu der Auffassung, dass die Klägerin im Laufe des Streitjahres ihre wirtschaftliche Identität i.S. des § 8 Abs. 4 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928) —KStG 1996 n.F.— verloren habe. In dem Änderungsbescheid vom blieb der zum festgestellte verbleibende Verlustabzug unberücksichtigt (Feststellung zum auf 0 DM). Die Klage war erfolglos (Finanzgericht —FG— Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12 K 8023/06 B, Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1162).
10 Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung materiellen und formellen Rechts und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer auf den (in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ) dahingehend zu ändern, dass der auf den in Höhe von 17.576.081 € (34.375.828 DM) festgestellte verbleibende Verlustabzug bei der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer auf den Berücksichtigung findet, hilfsweise, den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.
11 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
12 II. Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der zum festgestellte verbleibende Verlustabzug im Streitjahr gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. vom (weiteren) Verlustabzug ausgeschlossen wurde und daher in der entsprechenden Feststellung zum nicht mehr zu berücksichtigen war.
13 1. Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1996 n.F., von dessen Rechtsgültigkeit das FG ohne Rechtsfehler ausgegangen ist (s. Senatsurteil vom I R 91/05, BFHE 222, 240), setzt der Verlustabzug nach § 10d des Einkommensteuergesetzes 1997 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1996 n.F. bei einer Körperschaft voraus, dass diese nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1996 n.F. definiert die sog. wirtschaftliche Identität einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft („insbesondere”), wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist. Nach diesem Satz 2 des § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. als Regelbeispiel bzw. als Hauptanwendungsfall (so das , BStBl I 1999, 455, Tz. 01) fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn —erstens— bezogen auf das gezeichnete Kapital mehr als die Hälfte der Geschäftsanteile übertragen werden, —zweitens— überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und —drittens— der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen Betriebsvermögen fortgeführt oder wieder aufgenommen wird. Die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft als Rechtsperson bestimmt sich damit durch ihren Unternehmensgegenstand und ihr verfügbares Betriebsvermögen (Senatsurteil vom I R 87/07, BFHE 222, 245, m.w.N.).
14 2. Die Voraussetzungen für den Ausschluss des Verlustabzugs gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. liegen im Streitfall vor. Es wurden —mit einem rückwirkenden Gewinnbezugsrecht auf den — mehr als 50 % der Anteile der Klägerin auf Y übertragen. Bis zum hat die Klägerin auch „überwiegend neues Betriebsvermögen” erworben und ihren Geschäftsbetrieb fortgeführt.
15 a) Zur Auslegung des Begriffs des „neuen Betriebsvermögens” in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. hat der Senat in seinem Urteil vom I R 106/05 (BFHE 218, 195, BStBl II 2008, 986) entschieden, dass dieses Tatbestandsmerkmal nicht darauf abzielt, einer Verlagerung zusätzlichen Ertrags- und damit Verlustverrechnungspotentials in die Gesellschaft zu begegnen. Vielmehr sind jegliche Änderungen der Struktur, Zusammensetzung und wirtschaftlichen Bedeutung des Betriebsvermögens zu erfassen. Denn diese Änderungen lassen typischerweise darauf schließen, dass bei der Anteilsübertragung letztlich nicht der Geschäftsbetrieb in seiner bisherigen Form erworben werden sollte. Entscheidend ist damit die Nämlichkeit des Betriebsvermögens. Das rechtfertigt es, auf die einzelnen im Betrieb verwendeten Vermögensgegenstände abzustellen (so nun auch BStBl I 2008, 1033, unter I.) und den Begriff des Betriebsvermögens in entsprechender Weise normspezifisch zu verengen. Insoweit ist nach der Rechtsprechung des Senats unter Betriebsvermögen i.S. des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. ausschließlich das Aktivvermögen zu verstehen. Überwiegend neues Betriebsvermögen liegt vor, wenn das zugegangene Aktivvermögen den Bestand des vorher vorhandenen Restaktivvermögens übersteigt (Senatsurteil vom I R 89/96, BFHE 183, 556, BStBl II 1997, 829). Dies ist anhand einer gegenständlichen Betrachtungsweise zu ermitteln; eine Verrechnung von Zu- und Abgängen zu einem betragsmäßigen Saldo ist nicht vorzunehmen (ständige Rechtsprechung, s.a. , BFHE 196, 178, BStBl II 2002, 392; in BFHE 218, 195, BStBl II 2008, 986; vom I R 9/06, BFHE 218, 207, BStBl II 2008, 988,).
16 In Anbetracht des (typisierten) Missbrauchsverhinderungszwecks der Regelung (vgl. z.B. Senatsurteil in BFHE 222, 245) ist überdies ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der Anteilsübertragung und der Betriebsvermögenszuführung erforderlich (z.B. , BFHE 212, 517, BStBl II 2007, 602; in BFHE 222, 240). Daraus ist die —durch die quantitative Grenze des „Überwiegens” nicht abgeschnittene— Notwendigkeit abzuleiten, einzelne Betriebsvermögensmehrungen daraufhin zu untersuchen, ob sie die wirtschaftliche Identität der Kapitalgesellschaft berühren. Dies ist bei Anlagevermögen in aller Regel erfüllt (s. z.B. Senatsurteil in BFHE 218, 195, BStBl II 2008, 986). Das Umlaufvermögen ist jedenfalls dann einzubeziehen, wenn entweder die Branche gewechselt oder der bisherige Geschäftsgegenstand erheblich erweitert wird (Senatsurteile in BFHE 218, 207, BStBl II 2008, 988; vom I R 101/08, BFH/NV 2009, 1838).
17 b) Nach den zwischen den Beteiligten nicht streitigen und im Revisionsverfahren bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG ist das „Aktivvermögen” der Klägerin zum —alleine bezogen auf das Anlagevermögen— gemessen an dem bilanziellen Bestand zum auf mehr als das Doppelte angestiegen. Diesem Umstand liegt eine Zuführung neuen Betriebsvermögens i.S. des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. zugrunde.
18 aa) Das FG hat ohne Rechtsfehler entschieden, dass die in das Vermögen der Klägerin übergegangenen Geschäftsanteile (Anteilskauf von der damaligen Alleingesellschafterin unter Zuführung der Kaufpreisforderung in die Kapitalrücklage bei der Klägerin) ungeachtet des Umstandes als „Betriebsvermögen” i.S. des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. anzusehen sind, dass die Anteile verpfändet waren. Dem steht das Senatsurteil in BFHE 196, 178, BStBl II 2002, 392 nicht entgegen. Zwar können danach die Übernahme einer Bürgschaft oder die Einräumung von Sicherheiten für Bankkredite als dem Zuführen neuen Aktivvermögens wirtschaftlich vergleichbare Vorgänge gewertet werden. Doch schließt das nicht aus, auch den Übergang zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Eigentums von solchen Wirtschaftsgütern einzubeziehen, welche mit Sicherungsrechten Dritter belastet sind. Denn die auf die Klägerin übergegangenen Anteile waren trotz der bestehenden Pfandrechte dazu geeignet und bestimmt, ihrem Geschäftsbetrieb als Holdinggesellschaft dauerhaft zu dienen. Die Anteile waren auch nicht etwa aufgrund der bestehenden Pfandrechte „wertlos”. Denn die Klägerin konnte über die ihr zustehenden Stimmrechte ihren Einfluss als Alleingesellschafterin und damit ihre Funktion als Holdinggesellschaft ausüben; zudem standen ihr die ausgeschütteten Gewinne aus den Beteiligungsgesellschaften zu.
19 bb) Eine Belastung von Wirtschaftsgütern mit Sicherungsrechten Dritter beeinflusst aber den Wert des zugegangenen Vermögens. Dabei ist —wie der Senat im Urteil vom I R 64/09 (BFHE 231, 522, m.w.N.) entschieden hat— für die Vergleichsrechnung auf den jeweiligen Teilwert des Aktivvermögens abzustellen. Das FG hat dazu keine weiteren Ermittlungen vorgenommen, vielmehr den Kaufpreis der Anteile (1,6 Mio. DM) in die Vergleichsberechnung einbezogen. Diese Vorgehensweise ist schon deshalb ohne Rechtsfehler, weil nach ständiger Rechtsprechung für den Zeitpunkt der Anschaffung vermutet wird, dass der Teilwert des Wirtschaftsguts den Anschaffungskosten entspricht (z.B. , BFHE 197, 550, BStBl II 2002, 294; vom IV R 71/04, BFH/NV 2008, 347) oder jedenfalls nicht unter den Anschaffungskosten liegt (, BFHE 171, 422, BStBl II 1994, 224). Darüber hinaus hat das FG unter Hinweis auf einen Branchenwechsel, der die Einbeziehung des Umlaufvermögens rechtfertigt, eine Steigerung des Aktivvermögens vom (ca. 1,8 Mio. DM) bis zum (ca. 36 Mio. DM) von ca. 34,2 Mio. DM festgestellt. Dass auch „das Umlaufvermögen”, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen hat, sicherungsübereignet gewesen sein soll, hat das FG nicht festgestellt. Ungeachtet der Frage, ob dieser Vortrag revisionsrechtlich beachtlich sein könnte, konnte das FG auf der Grundlage der Feststellung liquider Mittel von rund 16,25 Mio. DM rechtsfehlerfrei eine „Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens” im Streitjahr zugrunde legen.
20 c) Das FG konnte auch ohne Rechtsfehler auf einen ausreichend engen sachlichen Zusammenhang zwischen der im Streitjahr kumuliert erfolgten Anteilsübertragung auf Y und der Betriebsvermögenszuführung schließen.
21 aa) Nach der Senatsrechtsprechung kann die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft nicht deswegen verloren gehen, weil nach einer Anteilsveräußerung (oder davor) irgendwann und ohne einen dazu bestehenden Zusammenhang eine Veränderung im Betriebsvermögen der Körperschaft eintritt (Urteil vom I R 112/03, BFHE 206, 533, BStBl II 2004, 1085; Beschluss vom I B 115/04, BFHE 209, 53, BStBl II 2005, 528), wenn also die einzelnen Teilschritte des Tatbestands des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. unverbunden und zufällig nebeneinander stehen (Urteil in BFHE 212, 517, BStBl II 2007, 602; Beschluss vom I B 168/09, BFH/NV 2011, 66). Erforderlich ist vielmehr sowohl ein sachlicher als auch ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Übertragung der Gesellschaftsanteile und der Zuführung neuen Betriebsvermögens. Das Bestehen eines sachlichen Zusammenhangs ist dabei im Fall eines offenkundigen zeitlichen Zusammenhangs (widerleglich) zu vermuten, wenn der Zeitraum ein Jahr nicht übersteigt (Urteil in BFHE 222, 240).
22 bb) Das FG hat insoweit nicht von einem zeitlichen auf einen sachlichen Zusammenhang geschlossen. Es hat vielmehr den sachlichen Zusammenhang unter Hinweis auf das im Laufe des Jahres 1997 erarbeitete Restrukturierungskonzept als feststehend erachtet. Das Konzept habe vorgesehen, bestimmte Bereiche der bisherigen Unternehmensgruppe („Fortführungsbereiche”) abzusondern, diese Bereiche unter dem einheitlichen Dach einer Holdinggesellschaft (der Klägerin in neuer Funktion) zu sammeln und sodann vom Rest der Unternehmensgruppe, insbesondere von der X-AG selbst, zu trennen, um so das Übergreifen einer etwaigen Insolvenz der verbleibenden Glieder der Unternehmensgruppe auf diese Fortführungsbereiche („Insolvenzkaskade”) zu verhindern. Das Konzept habe damit im Rahmen eines einheitlichen Plans sämtliche Maßnahmen umfasst, die zum Regelbeispiel gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. zählen würden, nämlich das Einbringen der Beteiligungsgesellschaften, verbunden mit dem Funktionswechsel der Klägerin von einer operativ am Markt tätigen hin zu einer Holdinggesellschaft, sowie den Übergang der Klägerin auf neue, außerhalb der Unternehrungsgruppe stehende Gesellschafter. Nur in ihrer Gesamtheit seien diese Einzelschritte geeignet gewesen, das angestrebte Ziel eines dauerhaften erfolgreichen Erhalts der Fortführungsbereiche zu erreichen; denn insbesondere ohne den letzten Schritt, die Übertragung der Klägerin auf neue, außen stehende Anteilseigner, wären die vorangegangenen Maßnahmen aus Sicht der hinter dem Konzept stehenden Stellen im Insolvenzfall wertlos gewesen. Dieses Konzept aus aufeinander aufbauenden Maßnahmen sei sodann innerhalb weniger Monate, nämlich zwischen März und Dezember des Streitjahres, umgesetzt worden.
23 cc) Das FG hat ohne Rechtsfehler darauf hingewiesen, dass der sachliche Zusammenhang im Rahmen der Prüfung, ob die wirtschaftliche Identität der Kapitalgesellschaft im Zuge der Umstrukturierung gewahrt wurde, auf die Kapitalgesellschaft zu beziehen und von einem Einfluss des neuen Anteilseigners (entsprechend dem im Herbst 1998 gefassten Beschluss der Beteiligten: Y) auf die Geschäftsabläufe vor dem Anteilserwerb unabhängig ist. Dabei ist auch anerkannt, dass § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. keine bestimmte zeitliche Abfolge vorsieht und damit ein Verlust der wirtschaftlichen Identität der Kapitalgesellschaft auch eintreten kann, wenn die Betriebsvermögenszuführung vor der Anteilsübertragung erfolgt (Senatsbeschluss vom I R 25/06, BFHE 214, 424, BStBl II 2007, 793, unter II.2.b aa der Gründe [zum mit § 8 Abs. 4 Satz 2 1996 n.F. gleichlautenden § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999]; s.a. BMF-Schreiben in BStBl I 1999, 455, Tz. 31). Insoweit ist dem FG darin beizupflichten, dass es jedenfalls dann, wenn mit dem Anteilseignerwechsel ein Branchenwechsel (als Anzeichen eines Verlusts der wirtschaftlichen Identität) einhergeht, ausreicht, wenn der neue Anteilseigner im Zeitpunkt seines Anteilserwerbs den objektiv vorhandenen sachlichen Zusammenhang zwischen seinem Anteilserwerb und einer vorangegangenen Zuführung neuen Betriebsvermögens erkennt, billigt und sich in dem Sinne zu eigen macht, dass er mit der erworbenen Gesellschaft in dem neu begonnenen Geschäftsbereich (im Streitfall: als Holdinggesellschaft) zu arbeiten beginnt. Insoweit ist es nicht tatbestandsausschließend, wenn die Kapitalgesellschaft ihren „Geschäftsbetrieb in der bisherigen Form” unmittelbar vor dem Anteilseignerwechsel aufgegeben und stattdessen neues, für einen anders gearteten Geschäftsbetrieb taugliches Vermögen erworben hat und der neue (künftige) Anteilsinhaber die zu erwerbende Gesellschaft bereits in dieser Form vorfindet. Dies gilt jedenfalls dann, wenn —wie hier— die Zuführung neuen Betriebsvermögens nach einem geschlossenen Umstrukturierungskonzept mit Blick auf die geplante Anteilsveräußerung erfolgt.
24 dd) Soweit es im Senatsurteil in BFHE 212, 517, BStBl II 2007, 602 heißt, ein sachgerechtes Normverständnis des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. verlange eine Beherrschung des Geschehensablaufs durch die beteiligten (alten und neuen) Anteilseigner nach Maßgabe eines Gesamtplans, kann daraus nicht auf ein Zusammenwirkungs-Erfordernis geschlossen werden. Der Senat hatte insoweit —bezogen auf die im damaligen Streitfall konkret vorliegende Sachverhaltskonstellation einer Anteilsübertragung mehr als ein Jahr bzw. drei Jahre vor dem Branchenwechsel und der Zuführung neuen Betriebsvermögens— das im Gesetzeswortlaut nicht erwähnte Erfordernis des sachlichen Zusammenhangs umschrieben und dabei auch eine typische Konstellation (Verwertung des verkauften „Verlustmantels”) im Blick. Eine abschließende Umschreibung kann damit schon deshalb nicht verbunden gewesen sein, weil der Gesetzestatbestand ein planvolles Handeln zur Verlustverwertung nicht erfordert. § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. bezweckt zwar in erster Linie, missbräuchlichen Gestaltungen vorzubeugen und in diesem Zusammenhang vor allem den „Handel” mit vortragsfähigen Verlusten zu unterbinden, was zugleich den rechtfertigenden Grund für die Restriktion der „Verlustnutzung” beschreibt (Senatsbeschluss vom I R 57/09, BFH/NV 2010, 1859). Die Vorschrift ist jedoch auch dann anzuwenden, wenn im Einzelfall eine missbräuchliche Gestaltung nicht vorliegt (Senatsurteil vom I R 56/09, BFH/NV 2010, 1123). Auch wenn das Umstrukturierungskonzept daher nicht von einem Steuervermeidungsziel getragen gewesen sein sollte, vielmehr, wie die Klägerin vorträgt, gerade aus der Sicht der beteiligten Behörden und Banken der Sicherung der Arbeitsplätze gedient habe, ändert dies an der Tatbestandsmäßigkeit des Vorgangs nichts. Auf dieser Grundlage liegt auch keine Verletzung formellen Rechts darin, dass das FG nicht aufgeklärt hat, ob die beteiligten Institutionen ein Steuervermeidungsziel verfolgt haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 1188 Nr. 7
EStB 2011 S. 215 Nr. 6
GmbHR 2011 S. 658 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 23/2011 S. 1938
StuB-Bilanzreport Nr. 11/2011 S. 433
BAAAD-83190