NWB Nr. 19 vom Seite 1585

„Krisen und Chancen”

Heinrich Steinfeld | Verantw. Redakteur | nwb-redaktion@nwb.de

Prekär

Die von Max Frisch überlieferte und trefflich formulierte Beschreibung der Krise als produktiver Zustand passt so gut zu dem von der Bundesjustizministerin für die Insolvenzrechtsreform ausgerufenen Motto „Retten statt Ruinieren”, dass sie an dieser Stelle noch einmal bemüht werden soll. Zumal die wegen ihrer ausgewogenen Sanierungsmechanismen und Schutzschirmverfahren allseits willkommene Reform etwas ins Stocken gerät. Der Bundesrat sperrt sich gegen ein kleines Detail, die Konzentration der Insolvenzgerichte auf 116 Standorte in der Republik. Schwerer als diese „Föderalismusposse” wiegt für die geplante Novelle das in dem Umsatzsteuerverbindlichkeiten insolventer Unternehmen künftig ausnahmslos als sog. Masseverbindlichkeiten gelten sollen; sie müssten dann vorrangig in vollem Umfang an den Fiskus gezahlt werden. Eine „Katastrophe”, rufen Insolvenzverwalter hierzulande (S. 1603). Enttäuscht wäre auch Max Frisch: Ein produktiver Zustand, so sinngemäß das vollständige Zitat, ist die Krise eben dann, wenn man ihr den Beigeschmack der Katastrophe nimmt, und nicht, wenn man ihn ihr gibt.

Ob die Arbeitsmarktbelebung als Folge einer produktiven Krisenüberwindung gelten kann, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Die Bundesarbeitsministerin sieht den Arbeitsmarkt als „aufnahmefähigen Schwamm”. 132.000 Erwerbslose hat er im April wieder aufgesogen. Gewerkschaften und Opposition hingegen beklagen die Spaltung des Arbeitsmarktes und die Zunahme sog. prekärer Arbeitsverhältnisse. Für geschätzt 300.000 Leiharbeiter dürfte dieses Attribut indes bald nicht mehr gelten: Sie profitieren von der aktuellen Rechtsprechung des BAG, das mit Urteil vom der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice-Agenturen (CGZP) die Tariffähigkeit abgesprochen hat, und kommen so in den Genuss des „Equal-Pay-Gebots”. Prekär wird die Lage eher für Zeitarbeitsunternehmen, die sich mit den Nachforderungen der Leiharbeiter auseinandersetzen müssen, sowie für die Entleihfirmen, die nach § 28e Abs. 2 SGB IV subsidiär für die Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge haften. Das ArbG Krefeld hat in diesen Tagen den Reigen eröffnet und auf Grundlage des auf S. 1628 von Koberski besprochenen Urteils einer Leiharbeiterin 13.200 € an Nachzahlungen zugesprochen.

Prekär ist auch die Situation vieler Unternehmer, die besonders in Großstädten schon heute einen Fachkräftemangel beklagen. Dies sollte andererseits den Bewerbungsbemühungen der Ausbildungssuchenden rasch zum Erfolg verhelfen. Solche wiederum verlangt § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG zur Erfüllung des Kindergeldanspruchs für volljährige Kinder. Wer immer strebend sich bemüht, den (oder dessen Eltern) erlöst hin und wieder auch das deutsche Steuerrecht; zumindest dann, wenn die Bemühungen ausreichend dokumentiert sind (Hollatz auf S. 1604).

Beste Grüße

Heinrich Steinfeld

Fundstelle(n):
NWB 2011 Seite 1585
AAAAD-82217