BAG Urteil v. - 5 AZR 143/10

Auszahlung der "weiteren Strukturkomponente" bei verspäteter ERA-Einführung - Tarifauslegung

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: Az: 12 Ca 3638/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln Az: 9 Sa 1109/09 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die ERA-Strukturkomponente für das Jahr 2008.

2Die Beklagte ist ein bundesweit tätiges Unternehmen und kraft Verbandsmitgliedschaft an die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie gebunden. Der Kläger, Mitglied der Industriegewerkschaft Metall, ist seit Jahren bei der Beklagten beschäftigt.

In einem zwischen den Landesverbänden der Metall- und Elektroindustrie und den IG-Metall-Bezirksleitungen für alle Standorte der Beklagten abgeschlossenen Ergänzungstarifvertrag vom wurde ua. geregelt:

Dieselben Tarifvertragsparteien vereinbarten am in einem zweiten Ergänzungstarifvertrag (im Folgenden: ErgTV) ua.:

Im Flächentarifvertrag ERA-Anpassungsfonds vom // (im Folgenden: TV ERA-APF) für das Tarifgebiet Hessen heißt es ua.:

In einem dritten Ergänzungstarifvertrag vom wurde ua. vereinbart:

7Die Beklagte führte das Entgeltrahmenabkommen (im Folgenden: ERA) mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien zum ein.

8Der Kläger begehrt für 2008 die Zahlung der weiteren ERA-Strukturkomponente nach § 4c TV ERA-APF.

Der Kläger hat beantragt,

10Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Zurückweisung der Berufung.

Gründe

12Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht die klageabweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeändert. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung der weiteren ERA-Strukturkomponente für 2008.

13I. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie für das Tarifgebiet Hessen und damit auch der TV ERA-APF Anwendung, soweit sich aus den drei Ergänzungstarifverträgen als unternehmensbezogenen Verbandstarifverträgen nichts anderes ergibt.

14II. Die Voraussetzungen des § 4c TV ERA-APF sind nicht erfüllt.

151. Ein auf diese Tarifnorm gestützter Zahlungsanspruch setzt voraus, dass das Entgeltrahmenabkommen im Betrieb nach Ablauf der Tarifperiode, in der die letzte ERA-Strukturkomponente wirksam wurde (zur Auszahlung kam), noch nicht eingeführt ist. § 4c TV ERA-APF knüpft an den Ablauf der Tarifperiode an, in der die letzte ERA-Strukturkomponente wirksam wurde (zur Auszahlung kam). Damit wird Bezug genommen auf die in den Tarifverträgen vom und vereinbarten ERA-Strukturkomponenten, wie sich aus dem jeweiligen Eingangssatz der §§ 3 und 4 TV ERA-APF ergibt. § 4c TV ERA-APF setzt voraus, dass die letzte dieser ERA-Strukturkomponenten wirksam wurde. Durch den Klammerzusatz wird deutlich, dass unter Wirksamwerden der letzten ERA-Strukturkomponente die Auszahlung der letzten ERA-Strukturkomponente zu verstehen ist. Damit knüpft die Tarifbestimmung nicht an einen bestimmten Auszahlungszeitpunkt, sondern an den Ablauf einer Tarifperiode an, in der die letzte ERA-Strukturkomponente wirksam wurde (zur Auszahlung kam).

162. Im TV ERA-APF werden als ERA-Strukturkomponenten sowohl die Beträge des restlichen Erhöhungsvolumens bezeichnet, die in der ersten Tarifperiode zu bestimmten Stichtagen als Einmalzahlung an die Arbeitnehmer ausgezahlt wurden, als auch die Beträge, die in den folgenden Tarifperioden noch nicht fällig, aber rechnerisch ermittelt, nicht ausgezahlt, zunächst einbehalten und bis Februar 2006 dem ERA-Anpassungsfonds zugeführt wurden. Durch den Klammerzusatz in § 4c TV ERA-APF wird verdeutlicht, dass auf die letzte auszuzahlende und nicht die letzte dem ERA-Anpassungsfonds zuzuführende ERA-Strukturkomponente abzustellen ist.

173. Die letzte der in den Tarifverträgen vom und vereinbarten Strukturkomponenten war an die Arbeitnehmer der Beklagten nicht auszuzahlen. Dies folgt aus § 3 Abs. 2 Unterabs. 3 des ErgTV vom . Denn nach dieser Bestimmung entfielen die Strukturkomponenten 2003 sowie alle zukünftigen als Strukturkomponenten (im Volumen von 1,39%) auszuzahlenden Einmalbeträge in vollem Umfang. Folglich konnten im Betrieb der Beklagten die Voraussetzungen des § 4c TV ERA-APF nicht erfüllt werden. Die letzte ERA-Strukturkomponente wurde bei der Beklagten kraft der Regelung im zweiten Ergänzungstarifvertrag nicht „wirksam“.

184. Abzustellen ist nicht auf den tatsächlichen Zufluss der letzten auszuzahlenden ERA-Strukturkomponente, sondern entsprechend dem Sprachgebrauch des TV ERA-APF auf die tariflich vorgegebenen Zahlungspflichten des Arbeitgebers.

195. Für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen ist es ohne Bedeutung, ob die Beklagte verpflichtet war, Teile des restlichen Erhöhungsvolumens dem ERA-Anpassungsfonds als ERA-Strukturkomponenten zuzuführen. Der Kläger begehrt nicht Auszahlung eines Teilbetrags aus dem ERA-Anpassungsfonds nach § 4e TV ERA-APF, sondern Zahlung eines Einmalbetrags nach § 4c TV ERA-APF.

206. Der systematische Zusammenhang zwischen dem ErgTV und dem TV ERA-APF spricht ebenfalls dafür, dass die sog. Wartezahlung nach § 4c TV ERA-APF nur von den Unternehmen zu erbringen ist, die auch tarifvertraglich verpflichtet sind, die letzte ERA-Strukturkomponente als Einmalzahlung auszuzahlen.

217. Sinn und Zweck der tarifvertraglichen Regelungen entsprechen der sich aus dem Wortlaut ergebenden Auslegung. Die Ergänzungstarifverträge bezweckten nicht nur eine zeitliche Verzögerung der tabellenwirksamen linearen Tariferhöhungen, sondern zielten auf eine Personalkostenentlastung gegenüber dem Niveau des Tarifgebiets Hessen. Denn die zum vereinbarte Tariferhöhung wurde nicht nur zeitlich verzögert, sondern überhaupt nicht weitergegeben. Damit galten bei der Beklagten ab dem niedrigere Tabellenwerte als im Verbandsgebiet. Diese niedrigeren Tabellenwerte wurden anlässlich der - zeitlich verzögert - weitergegebenen Tariferhöhungen in 2004 und 2005 fortgeschrieben, so dass unterschiedliche Entgeltlinien begründet wurden. Dies wurde von den Tarifvertragsparteien berücksichtigt, wie die Protokollnotiz Nr. 1 zum ErgTV belegt. Danach gingen die Tarifvertragsparteien davon aus, zurzeit der Einführung des ERA würden bei der Beklagten noch eigene Tabellen gelten. Bestätigend kommt der dritte Ergänzungstarifvertrag hinzu, der zum eine Erhöhung des tariflichen Grundentgelts um ein Drittel der Differenz zwischen der Tabelle des Verbandsgebiets und der für die Beklagte geltenden Tabelle vorsah. Also waren auch für die Zeit nach 2006 unterschiedliche Tabellenwerte vorgesehen. Darüber hinaus enthielt der ErgTV weitere der wirtschaftlichen Entlastung der Beklagten dienende Regelungen. Dieses Regelungsziel der Kostenentlastung wäre beeinträchtigt worden, hätte § 4c TV ERA-APF die Beklagte zur Leistung der sog. Wartezahlung verpflichtet.

22Zudem macht es Sinn, auch ab März 2006 bis zur ERA-Einführung den als ERA-Strukturkomponente vereinbarten Tariferhöhungsanteil („restliches Erhöhungsvolumen“) nicht zur Auszahlung zu bringen. § 4c TV ERA-APF diente nicht nur dem Druck, das ERA einzuführen, sondern auch dem Zweck, die tatsächliche Auszahlung des erhöhten, aber wegen der angestrebten Kostenneutralität nicht tabellenwirksam gewordenen Tarifvolumens an die Arbeitnehmer sicherzustellen. Das tatsächliche Tarifvolumen für den Bereich der Beklagten wurde aber nicht in dem Umfang erhöht wie allgemein im Tarifgebiet Hessen. Im Übrigen sind die Tarifvertragsparteien noch für 2008 von keiner nachhaltigen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Beklagten ausgegangen und haben keine vollständige Angleichung der für die Beklagte geltenden Entgeltlinien an die des Verbandsgebiets herbeigeführt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
DB 2011 S. 1058 Nr. 18
GAAAD-81846