„Probleme mit der Abgeltungsteuer”
Vergessen und zu weit geschossen
Schon vor Inkrafttreten der Abgeltungsteuer hatten Schmidt/Wänger in NWB 6/2008 (NWB F. 3 S. 14939) auf ein Problem hingewiesen, das in der Steuerfachliteratur bisher kaum beachtet worden war: die überschießende Gesetzesregelung in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. a EStG. Danach fallen sämtliche Kapitalerträge, welche bei Darlehensbeziehungen mit nahen Angehörigen erzielt werden, aus der Abgeltungsteuer heraus, ohne dass es auf unangemessene und nicht marktübliche Zinskonditionen ankommt. Diese, eigentlich der Missbrauchsvermeidung dienende Regelung hat weitreichende Konsequenzen. Denn die von der Abgeltungsteuer ausgenommenen Kapitalerträge unterfallen dem allgemeinen Einkommensteuertarif, was im Einzelfall zu erheblichen Steuernachteilen führen kann (vgl. hierzu Löbe auf Seite 176). Daher forderten Schmidt/Wänger schon 2008, die Ausnahmeregelung des § 32d Abs. 2 EStG einschränkender und klarer zu fassen, damit nicht jegliche und insbesondere marktgerechte Kredite zwischen nahe stehenden Personen aus der Abgeltungsteuer herausfallen. Dem ist der Gesetzgeber jetzt mit dem Jahressteuergesetz 2010 gefolgt. Durch eine konkretisierende Ergänzung ist die Ausnahmeregelung nunmehr auf solche Fälle beschränkt worden, in denen durch Abzug der gezahlten Entgelte als Werbungskosten oder Betriebsausgaben beim Schuldner (mit Wirkung des individuellen Steuersatzes) einerseits und der Besteuerung der vereinnahmten Erträge mit dem Abgeltungsteuersatz beim Gläubiger andererseits eine Steuersatzspreizung gestaltet werden könnte. Allerdings ist diese Konkretisierung erst ab dem Veranlagungszeitraum 2011 anzuwenden. Für frühere Veranlagungszeiträume sollten Betroffene daher die zu dieser Frage beim FG Niedersachsen anhängigen Verfahren 15 K 417/10 und 14 K 335/10 im Auge behalten. Das erste Verfahren betrifft § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. a EStG, das zweite § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG, d. h. Fälle, in denen Kapitalerträge von einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft an einen Anteilseigner, der zu mindestens 10 % an diesen Gesellschaften beteiligt ist, oder eine dem Anteilseigner nahe stehende Person gezahlt werden. In diesem Zusammenhang wird das Finanzgericht auch die umstrittene Frage zu klären haben, ob unter Vereinbarungen zwischen „nahe stehenden Personen” Beherrschungsverhältnisse i. S. des § 1 Abs. 2 AStG zu verstehen sind, womit nahe Angehörige nicht von der Missbrauchsregelung betroffen wären, oder – wie die Finanzverwaltung in ihrem Anwendungsschreiben zur Abgeltungsteuer ausführt – ob auch nahe Angehörige i. S. des § 15 AO unter die Vorschrift fallen. – Gänzlich vergessen zu haben scheint der Gesetzgeber bei Einführung der Abgeltungsteuer die Anpassung der Regelungen zum Progressionsvorbehalt. Kühling/Gühne zeigen auf Seite 226 auf, wann eine solche Regelungslücke auftaucht und wie damit in der Praxis umzugehen ist.
Beste Grüße
Reinhild Foitzik
Fundstelle(n):
NWB 2011 Seite 169
WAAAD-63704