BGH Beschluss v. - 3 StR 402/10

Beweisaufnahme: Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit bei Verlesung von Arztberichten zum Nachweis der Unglaubwürdigkeit des Angeklagten sowie der Tatfolgen bei der Geschädigten

Gesetze: § 250 StPO, § 256 Abs 1 Nr 2 StPO, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: Az: 14 KLs 2/10 Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Beleidigung, Hausfriedensbruch und vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen versuchter Erpressung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

2Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

31. Der Schuldspruch weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

4Zwar beanstandet die Revision in verfahrensrechtlicher Hinsicht zu Recht, dass die Verlesung des Berichts des evangelischen Krankenhauses Düsseldorf vom gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO unzulässig war. Denn die Strafkammer hat den Inhalt des verlesenen Attests nicht zum Nachweis einer nicht schweren Körperverletzung herangezogen, sondern die in dem Attest niedergelegten Äußerungen des Angeklagten gegenüber der behandelnden Ärztin über die Ursache seiner Handverletzung als Indiztatsache zur Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit und damit unter Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in unzulässiger Weise für die Beurteilung der Schuldfrage verwertet (, MDR 1955, 397).

5Der Senat kann aber ausschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht. Allerdings scheidet entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ein Beruhen nicht bereits deshalb aus, weil ausweislich der nachträglich eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der Richter der erkennenden Strafkammer der Inhalt des Arztberichts dem Angeklagten in der Hauptverhandlung auch vorgehalten und von diesem bestätigt worden ist. Denn die Strafkammer hat die Feststellungen zu den Äußerungen des Angeklagten gegenüber der Ärztin ausschließlich auf den Inhalt des verlesenen Attests gestützt. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte diese Tatsache möglicherweise auf einen entsprechenden Vorhalt nicht in Abrede genommen hat, sind dem Urteil nicht zu entnehmen (vgl. ). Eine Berücksichtigung der dienstlichen Erklärungen der erkennenden Richter bei der Beurteilung der Beruhensfrage liefe daher darauf hinaus, in revisionsrechtlich unzulässiger Weise die Beweisaufnahme zu rekonstruieren und unter Heranziehung urteilsfremden Vorbringens die dem Tatrichter obliegende Würdigung der Beweise durch eine eigene zu ersetzen.

6Indes kann der Senat ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß deshalb ausschließen, weil sich der Rechtsfehler lediglich auf ein nebensächliches und für die Überzeugungsbildung des Tatrichters ersichtlich nicht maßgebliches Indiz bezieht. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts Bezug.

72. Hingegen hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die ebenfalls auf die Verletzung der § 256 Abs. 1 Nr. 2, § 250 StPO gestützte Verfahrensrüge, mit der sich die Revision gegen die Feststellung der bei der Geschädigten eingetretenen Tatfolgen wendet, hat Erfolg.

8Die Strafkammer hat bei Bemessung beider Einzelstrafen zum Nachteil des Angeklagten gewertet, dass das Opfer durch die Taten ein schweres posttraumatisches Belastungssyndrom erlitt. Diese Feststellung beruht nach den Urteilsgründen allein auf dem Inhalt des in der Hauptverhandlung ebenfalls gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesenen ärztlichen Attests des Hausarztes der Geschädigten vom . Zutreffend weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass auch die Verlesung dieses Attests nicht dem Nachweis einer (nicht schweren) Körperverletzung, sondern ausschließlich der Tatfolgen und damit der Feststellung einer für den Strafausspruch wesentlichen Tatsache diente. Zu diesem Zweck durfte der Arztbericht nicht nach § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen werden; seine Verwertung war deshalb unzulässig (, StV 1999, 195).

9Zwar hat sich ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls die Geschädigte in der Hauptverhandlung zu diesem Attest "erklärt". Auf ihre Angaben hat sich das Landgericht zum Nachweis der Tatfolgen aber nicht gestützt. Daher ist es aus den bereits oben dargelegten Gründen unbeachtlich, dass die erkennenden Richter und der Staatsanwalt in ihren dienstlichen Stellungnahmen übereinstimmend erklärt haben, die Geschädigte habe den festgestellten Befund im Rahmen ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung bestätigt. In Anbetracht der eindeutigen Darlegungen zur Beweisführung hinsichtlich der erlittenen Tatfolgen ist vielmehr nicht auszuschließen, dass die Bemessung der Einzelstrafen auf der unzulässigen Verwertung des Inhalts des verlesenen Arztberichts beruht.

10Der Strafausspruch hat deshalb keinen Bestand. Da sich der Rechtsfehler nur auf die Feststellungen zu den Tatfolgen ausgewirkt hat, unterliegen nur diese der Aufhebung.

Becker                             Pfister                             Sost-Scheible

                   Hubert                            Mayer

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Fundstelle(n):
MAAAD-59702