Heimunterbringung eines geistig behinderten Betreuten: Verpflichtung des Heimträgers zur Verwaltung im Rahmen der Sozialhilfe bewilligter Geldbeträge für den Betroffenen
Leitsatz
1. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Heimträger verpflichtet ist, die seinem geistig behinderten Bewohner bewilligten Barbeträge zur persönlichen Verfügung (§ 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) zu verwalten, wenn dieser neben dem Lebensunterhalt in Einrichtungen Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Form der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft oder Hilfe zur Pflege erhält .
2. Die für den Aufgabenbereich der Vermögenssorge eingerichtete Betreuung verpflichtet den Betreuer nicht zu tatsächlichen Hilfeleistungen für den Betroffenen, sondern nur zu deren Organisation. Sie erübrigt daher in Ansehung der Verwaltung der Barbeträge entsprechende Leistungen der Sozialhilfe nicht .
Gesetze: § 1896 Abs 2 S 2 BGB, § 1901 Abs 1 BGB, § 5 Abs 6 HeimG, § 13 Abs 1 Nr 10 HeimG, § 15 Abs 2 WBVG, § 35 Abs 2 S 1 SGB 12, § 53 SGB 12, § 54 SGB 12, § 61 SGB 12, § 75 Abs 3 SGB 12, § 79 SGB 12
Instanzenzug: LG Magdeburg Az: 2 S 136/09 (019) Urteilvorgehend AG Quedlinburg Az: 3 C 395/08 (V)
Tatbestand
1Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, einer Heimträgerin, die den geistig behinderten Klägern durch den Träger der Sozialhilfe bewilligten monatlichen Barbeträge zur persönlichen Verfügung (§ 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) entgegenzunehmen, zu verwalten und die Rücküberweisung an den Sozialhilfeträger zu unterlassen.
2Die Beklagte unterhält in Q. ein Wohnheim für Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen sowie ein Altenpflegeheim und in N. ein Wohnheim an der Werkstatt für behinderte Menschen. Der für die Kläger bestellte Berufsbetreuer schloss mit der Beklagten im Februar 2007 für die Kläger zu 1 und 2 einen Heimvertrag für das Wohnheim in Q. und für die Kläger zu 3 bis 5 im September 2006 einen solchen für das Wohnheim in N. Seit April 2009 lebt der Kläger zu 1 im Altenpflegeheim der Beklagten.
3Die Kläger erhalten Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen und Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Form der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach den §§ 53, 54 SGB XII, mit der die Kosten des Heimaufenthalts gedeckt werden; seit seinem Umzug in das Altenpflegeheim erhält der Kläger zu 1 neben der Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen statt der Eingliederungshilfe Hilfe zur Pflege nach § 61 SGB XII nach der Pflegestufe 2. Zwischen der Beklagten und dem Land als überörtlichem Träger der Sozialhilfe sind hinsichtlich der genannten Wohnheime am Vereinbarungen gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII über das Leistungsangebot und die Vergütung getroffen worden, in denen die Regelungen des Rahmenvertrags gemäß § 79 SGB XII vom zwischen dem Land Sachsen-Anhalt, den kommunalen Spitzenverbänden und den Vereinigungen der Träger der Einrichtungen als verbindlicher Bestandteil dieser Vereinbarung bezeichnet worden sind.
4Das Amtsgericht hat der im Schwerpunkt auf die Verwaltung der Barbeträge durch die Beklagte gerichteten Klage stattgegeben. Im Berufungsverfahren hat die Beklagte im Hinblick auf die Aufnahme des Klägers zu 1 in ihr Altenpflegeheim und die Gewährung von Hilfe zur Pflege die Auffassung vertreten, der Fall habe dadurch seine Erledigung gefunden. Im Übrigen ist sie einer Verpflichtung, die zur persönlichen Verfügung der Kläger bestimmten Barbeträge zu verwalten, entgegen getreten. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Gründe
5Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
A.
6Das Berufungsgericht hat die Erklärung der Beklagten, der Fall habe in Bezug auf den Kläger zu 1 seine Erledigung gefunden, als Anerkenntnis ausgelegt und deren Berufung aufgrund des Anerkenntnisses zurückgewiesen. Im Übrigen hat es § 3 der Heimverträge entnommen, dass die nach § 35 SGB XII bewilligten Barbeträge der Kläger zu 2 bis 5 durch die Beklagte unentgeltlich zu verwalten seien. Die Leistungen der Eingliederungshilfe sollten den Klägern nach § 3 der Heimverträge eine größtmögliche Selbstbestimmung und Teilhabe ermöglichen. In Abhängigkeit von der jeweiligen individuellen Hilfebedarfsgruppe gehörten zu den durch die Beklagte geschuldeten Leistungen solche der Teilhabe, der Beratung, der Bildung, der Erziehung, der Förderung, der Grundpflege und der sonstigen Betreuung. Die Verwaltung der gewährten Barbeträge sei eine Leistung der sonstigen Betreuung. Da die Kläger zu 2 bis 5 wegen ihrer geistigen Behinderung die Barbeträge nicht selbst verwalten könnten, bestehe - ähnlich wie bei Menschen, die in einem Pflegeheim lebten und Leistungen der Pflegeversicherung erhielten - ein vergleichbarer Unterstützungsbedarf, den die Beklagte als Trägerin der Wohnheime, in welchem die Kläger ihren Lebensmittelpunkt unterhielten, im Rahmen geschuldeter sozialer Betreuungsarbeit zu befriedigen habe. Als eine Leistung der sonstigen Betreuung im Sinne von § 3 der Heimverträge werde die Verwaltung der Barbeträge mit dem nach § 5 der Heimverträge geschuldeten Entgelt abgegolten.
B.
7Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen im Verhältnis zu den Klägern zu 2 bis 5 genügen für die Annahme einer Pflicht der Beklagten, die Barbeträge zu verwalten, nicht. Darüber hinaus ist die Annahme eines Anerkenntnisses der Beklagten in Bezug auf den Kläger zu 1 rechtsfehlerhaft.
I. Ansprüche der Kläger zu 2 bis 5
81. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass als Anspruchsgrundlage für die begehrte Verwaltung der Barbeträge nach der Systematik der jeweils geschlossenen Heimverträge nur deren § 3 (individuelle Maßnahmen/Betreuungsleistungen) Nr. 1 (Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe) in Betracht kommt. Unangefochten geht es auch davon aus, dass die Kläger wegen ihrer geistigen Behinderung nicht in der Lage sind, die ihnen gewährten Barbeträge selbst zu verwalten. Indem das Berufungsgericht aus dem Umstand eines solchen Betreuungsbedarfs jedoch schließt, die Verwaltung sei als Leistung der Eingliederungshilfe vertraglich geschuldet, nimmt es den einschränkenden Wortlaut des § 3 Nr. 1 Satz 3 der Heimverträge nicht hinreichend in den Blick und verletzt damit anerkannte Auslegungsgrundsätze.
9Nach § 3 Nr. 1 Satz 3 der Heimverträge bietet die Einrichtung dem Bewohner die Maßnahmen an, die durch den überörtlichen Sozialhilfeträger individuell als erforderlich festgestellt worden sind. Es genügt daher nicht, wenn sich das Berufungsgericht allein auf die allgemeine Zielbeschreibung der Eingliederungshilfe, wie sie zu Beginn des Abschnitts II (Leistungen der Einrichtungen) und in § 3 Nr. 1 Sätze 1 und 2 der Heimverträge gewissermaßen programmatisch wiedergegeben wird, stützt und hieraus einen tatsächlichen Betreuungsbedarf der Kläger ableitet. Entscheidend ist vielmehr, dass der Anspruch eines Berechtigten auf Leistungen, die sich nach der Besonderheit des Einzelfalls richten (vgl. § 9 SGB XII), seinem Umfang nach gegenüber dem Leistungsberechtigten festgestellt wird. Hierdurch wird die im Allgemeinen bleibende Zielbeschreibung, nach der dem Bewohner im Sinne der Normalisierung eine größtmögliche Selbstbestimmung und Teilhabe ermöglicht werden und sich die Lebensgestaltung an seiner aktuellen Lebenssituation und an seinen Bedürfnissen orientieren soll, auf die im Einzelfall geschuldeten Leistungen konkretisiert und eine Grundlage für den Vergütungsanspruch des Heimträgers geschaffen, hinsichtlich dessen der Sozialleistungsträger ein Kostenanerkenntnis erklärt (vgl. Nr. 3 Abs. 2 der Vereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII). Da das Berufungsgericht in dieser Hinsicht keine Feststellungen getroffen hat, kann das angefochtene Urteil hinsichtlich der Kläger zu 2 bis 5 nicht bestehen bleiben.
102. Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand kann die Klage aber auch nicht - dem Anliegen der Revision entsprechend - abgewiesen werden. Denn mit Rücksicht auf die Regelungen des Rahmenvertrags, der in den Vorinstanzen nur am Rande Gegenstand der rechtlichen Überlegungen gewesen ist, spricht einiges dafür, dass die Beklagte die den Klägern zustehenden Barbeträge zu verwalten hat.
11a) Der Rahmenvertrag gemäß § 79 SGB XII ist für die hier vorliegenden Vertragsverhältnisse deshalb von Bedeutung, da er zur Grundlage der Vereinbarungen gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII zwischen der Beklagten und dem Land als überörtlichem Sozialhilfeträger gemacht worden ist und diese wiederum die Vertragsgrundlage der Heimverträge bilden und deren Bestandteil sind. Dies entspricht auch der Regelung des § 5 Abs. 6 HeimG in der bis zum geltenden Fassung, nach der in Verträgen mit Personen, denen - wie hier - Hilfe in Einrichtungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch gewährt wird, Art, Inhalt und Umfang der Leistungen des Trägers sowie die jeweiligen Entgelte den aufgrund des Zehnten Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch getroffenen Vereinbarungen entsprechen müssen (vgl. zur Rechtslage ab dem § 15 Abs. 2, § 17 Abs. 1 des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes, Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung der zivilrechtlichen Vorschriften des Heimgesetzes nach der Föderalismusreform vom , BGBl. I S. 2319).
12b) Der Rahmenvertrag sieht in § 4 Abs. 1 vor, dass jeder Leistungsberechtigte einem Leistungstyp zugeordnet wird. Diese Zuordnung wird nach § 4 Abs. 2 durch den überörtlichen Träger der Sozialhilfe auf der Grundlage fachlicher Stellungnahmen und des "Fragebogens zur Bildung von Gruppen für Hilfeempfänger" (Anlage A), der in den Leistungstypen (Anlage B) genannten Kriterien zu "Zielgruppe und Hilfebedarf", der "Zuordnung von Leistungstypen zu Gruppen für Hilfeempfänger" (Anlage C) und des "Fragebogens zur Zuordnung zum Leistungstyp" (Anlage D) vorgenommen. Die Leistungstypen erfassen nach § 5 Abs. 1 die wesentlichen Leistungsmerkmale der Einrichtungen und Dienste, wobei in einem Leistungstyp die Bedarfe einer Gruppe von Leistungsberechtigten mit vergleichbaren Bedarfen zusammengefasst werden. Dabei werden diese Bedarfe durch den Leistungstyp abgedeckt. Nach § 5 Abs. 3 haben die Leistungstypen eine zentrale Bedeutung für die Beschreibung des konkreten Leistungsangebots einer Einrichtung und für die Kalkulation der Maßnahmepauschalen nach Gruppen für Leistungsberechtigte mit vergleichbarem Bedarf. Der Rahmenvertrag sieht in § 10 Abs. 1 weiter vor, dass die vereinbarten Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Nach § 10 Abs. 2 sind Leistungen dann ausreichend, wenn der sozialhilferechtlich zuerkannte Bedarf in der Maßnahme vollständig gedeckt werden kann. Nach § 17 Abs. 1 ist die Maßnahmepauschale die Vergütung für die vereinbarte Leistung der Maßnahmen. Die direkten maßnahmebedingten Leistungen werden nach § 17 Abs. 3 je Leistungstyp kalkuliert. Dazu gehören die aktive Erbringung und passive Bereitstellung von Beratung, Begleitung, Betreuung, Förderung und pflegerische Hilfen sowie die Sicherung der Qualität.
13c) Gemessen an diesen Bestimmungen ist eine Pflicht der Beklagten, die Barbeträge der Kläger zu verwalten, in Betracht zu ziehen.
14aa) Der für die Bildung von Gruppen für Hilfeempfänger vorgesehene Fragebogen (Anlage A zu § 4 Abs. 2 des Rahmenvertrags) fragt für den Bereich der lebenspraktischen Anleitung einen möglichen Bedarf für "Geld/privates Eigentum verwalten" ab. Den Heimverträgen und den Vereinbarungen gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII ist zu entnehmen, dass die Beklagte mit ihren Leistungsangeboten, die sie in ihren - nicht zu den Gerichtsakten gereichten - Leistungsbeschreibungen vom und dargestellt hat, Leistungsberechtigte entsprechend den Leistungstypen "Wohnheim an der Werkstatt für behinderte Menschen" und "Wohnheim für geistig behinderte Menschen" betreut. In der Anlage B zu § 4 Abs. 2 des Rahmenvertrags wird für den Leistungstyp 2a (Wohnheim für Erwachsene mit wesentlichen geistigen und geistigen und mehrfachen Behinderungen), dem der Kläger zu 2 angehören dürfte, im Zusammenhang mit der lebenspraktischen Anleitung ausgeführt, die Selbständigkeit in der individuellen Lebensführung sei bei diesen Leistungsberechtigten nicht vorhanden. Anleitung, Assistenz und Beratung würden im Sinne einer Vollversorgung benötigt. Insoweit wird für diesen Bereich der Bedarf mit der Stufe 4 angenommen, die ausweislich des Fragebogens gemäß Anlage A den höchsten denkbaren Bedarf im Sinne von "Anleitung und umfassender Hilfestellung" bezeichnet. Für den Leistungstyp 5a (Wohnheim an der Werkstatt für behinderte Menschen mit wesentlichen geistigen und geistigen und mehrfachen Behinderungen), denen die Kläger zu 3 bis 5 angehören dürften, wird die Selbständigkeit in der individuellen Lebensführung bei den Leistungsberechtigten als nur gering entwickelt bezeichnet und die Anleitung, Assistenz und Beratung nach der Stufe 3 in erheblichem Umfang für erforderlich erachtet.
15bb) Nach den vorstehend wiedergegebenen Bestimmungen des Rahmenvertrags ist die Verwaltung der Barbeträge eine mögliche Leistung der Eingliederungshilfe, auch wenn sie nicht in dem exemplarischen Leistungskatalog des § 54 SGB XII aufgenommen ist. Der nach § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII zu gewährende Barbetrag dient der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse und dabei insbesondere der Erhaltung der Beziehungen zur Umwelt, der Teilnahme am kulturellen und gesellschaftlichen Leben und der Befriedigung allgemeiner Informationsbedürfnisse (vgl. Falterbaum in: Hauck/Noftz, SGB XII Sozialhilfe, § 35 Rn. 9 <Stand Mai 2007>). Seine Verwaltung ist für Personen, die wegen ihrer geistigen Behinderung hiervon nicht selbstverantwortlich Gebrauch machen können, eine Maßnahme, die im Sinn des § 53 Abs. 3 SGB XII die Folgen der Behinderung mildern sowie die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder erleichtern kann.
16cc) Ob die Annahme und Verwaltung von Barbeträgen - wie die Revision meint - nicht zum bislang nicht vorgelegten Leistungsangebot der Beklagten vom gehört, das zum Bestandteil der Vereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII gemacht worden ist, bleibt im weiteren Verfahren zu klären. Dabei wird allerdings zu erwägen sein, dass nicht jede einzelne Betreuungsmaßnahme, die mit der Zuordnung zu einem bestimmten Leistungstyp verbunden ist, eigens in dem Leistungsangebot aufgeführt sein muss, um für die Beklagte verbindlich zu sein. Vielmehr genügt es, dass der Hilfebedarf individuell als erforderlich festgestellt worden ist.
17dd) Dass der "sachgerechte Umgang mit Geld" bei den Leistungstypen des betreuten Wohnens (LT 8a bis 8e und LT 9a bis 9e der Anlage B) eigens angesprochen wird, ist für sich genommen kein Hinweis, dass ein Hilfebedarf für die Verwaltung der Barbeträge bei den beiden hier vorliegenden Leistungstypen, wie die Revision meint, zu verneinen wäre. Denn für die Leistungstypen des betreuten Wohnens wird eine höhere Grundselbständigkeit vorausgesetzt. Sie betrifft Menschen, die eine intensivere Betreuung nach den Leistungstypen 2 bis 7 beziehungsweise 2 bis 8 nicht benötigen. Dem entspricht es, dass für Menschen der Leistungstypen 2a und 5a in den einzelnen Leistungssegmenten fast durchgängig eine höhere Stufe des Unterstützungsbedarfs zugrunde gelegt ist.
18d) Der Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe steht der Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Verwaltung des Barbetrags nicht entgegen. Sozialhilfe wird nach § 2 Abs. 1 SGB XII zwar nur nachrangig gegenüber den Leistungen Dritter gewährt. Dies wirkt sich hier jedoch nicht aus, weil die für die Kläger auch für den Aufgabenbereich der Vermögenssorge eingerichtete Betreuung den Betreuer nicht zur tatsächlichen Verwaltung der Barbeträge verpflichtet und daher entsprechende Leistungen der Sozialhilfe nicht erübrigt.
19Ein Betreuer darf nach § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht für Angelegenheiten bestellt werden, die durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Die Betreuung umfasst nach § 1901 Abs. 1 BGB nur Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen. Insbesondere unter Berücksichtigung der Wertungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vom (BGBl. I S. 1580), die in der Änderung der §§ 1897, 1901 ihren Niederschlag gefunden haben, sind solche Tätigkeiten hiervon nicht umfasst, die sich in der tatsächlichen Hilfeleistung für den Betroffenen erschöpfen, ohne zu dessen Rechtsfürsorge erforderlich zu sein. Der Betreuer hat solche tatsächlichen Hilfen in erster Linie zu organisieren, nicht jedoch selbst zu leisten (vgl. BT-Drucks. 13/7158, S. 15 f, 33; MünchKomm-BGB/Schwab, 5. Aufl., § 1896 Rn. 47, § 1901 Rn. 6; Bieg/Jaschinski in: juris PK-BGB, 4. Aufl., § 1901 Rn. 5; Wagenitz/Engers, FamRZ 1998, 1273 f). Tätigkeiten außerhalb der Besorgung rechtlicher Angelegenheiten gehören insbesondere dann nicht zum Aufgabenbereich eines Betreuers, wenn deren Vergütung durch andere Kostenträger - etwa die Sozialhilfe - geregelt ist (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 69. Aufl., § 1901 Rn. 1). Die faktische Führung des Betroffenen durch Heimpersonal stellt eine "andere Hilfe" im Sinne des § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB dar, für die ein gesetzlicher Vertreter nicht notwendig ist (vgl. BayObLG NJW-RR 1997, 967). Für die hier in Rede stehende Verwaltung der Barbeträge durch das Heim gilt nichts anderes (vgl. Erman/A. Roth, BGB, 12. Aufl., § 1896 Rn. 39).
20e) Schließlich ist die Verwaltung des Barbetrags durch Dritte, insbesondere durch Mitarbeiter des Heims, grundsätzlich zulässig.
21Zwar gehört der Barbetrag zur persönlichen Verfügung zu den Leistungen, die in besonderem Maße der Persönlichkeitsentfaltung und damit dem Ziel des § 1 SGB XII dienen (vgl. H. Schellhorn in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII - Sozialhilfe, 18. Aufl., § 35 Rn. 26; Schoch, ZfF 2000, 145 und br 2008, 71, 72). Vereinzelt wird daher die Auffassung vertreten, die Auszahlung des Barbetrags an den Einrichtungsträger sei unzulässig (vgl. Schoch, br 2008, 71, 72). Diese Auffassung greift jedoch über das Ziel hinaus. Unzulässig dürfte es zwar sein, den Barbetrag gegen oder ohne den Willen des Hilfeempfängers oder dessen Betreuers an den Heimträger zu zahlen (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom - 5 O 52/92, juris Rn. 3; Falterbaum in: Hauck/Noftz, § 35 Rn. 11 <Stand Mai 2007>). Der Verwaltung im Auftrag des Leistungsempfängers oder dessen Betreuers, von dem nach dem Klagebegehren hier auszugehen ist, stehen jedoch keine rechtlichen Bedenken entgegen (vgl. Falterbaum aaO). Ihre generelle Zulässigkeit liegt auch der Regelung in § 13 Abs. 1 Nr. 10 HeimG zugrunde. Der Gesetzgeber hat dort die Problematik gesehen, dass Bewohner nicht in allen Fällen in der Lage sind, ihr Bargeld selbst zu verwalten, und deshalb die Verwaltung durch das Heim erforderlich sein kann (vgl. BT-Drucks. 14/5399, S. 29). Auch sonst wird die Barbetragsverwaltung durch das Heim im Auftrag des Betroffenen weitgehend als zulässig angesehen (vgl. Kunz in: Kunz/Butz/Wiedemann, Heimgesetz, 10. Aufl., § 13 Rn. 16, § 15 Rn. 14; Plantholz in: LPK-HeimG, 2. Aufl., § 13 Rn. 17; Erman/A. Roth aaO § 1896 Rn. 39; Thüsing in: Graf v. Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB Klauselwerke, Heimvertrag <Stand Oktober 2005> Rn. 39; wohl auch Schoch, Handbuch Barbetrag im Sozialhilferecht, 2. Aufl., Rn. 116 f).
223. Das Berufungsgericht wird daher im weiteren Verfahren zu klären haben, ob die Annahme und Verwaltung der Barbeträge durch die Beklagte vom überörtlichen Sozialhilfeträger individuell als erforderlich festgestellt worden ist (§ 3 Nr. 1 Satz 3 der Heimverträge). Soweit im bisherigen Verfahren Sozialhilfebescheide vorgelegt worden sind, fällt auf, dass anfänglich die Auszahlung der bewilligten Leistungen an die Einrichtung mit dem Bemerken verfügt worden ist, der Barbetrag werde von der Einrichtung ausgezahlt, während später - möglicherweise unter dem Eindruck dieses Verfahrens - die Auszahlung des Barbetrags an den Leistungsempfänger verfügt worden ist. Da wenig dafür spricht, dass dem veränderten Auszahlungsweg eine entsprechende veränderte materielle Entscheidung über die Hilfegewährung in Ansehung der Verwaltung dieser Barbeträge zugrunde liegt, und weil die fragliche Annahme und Verwaltung der Barbeträge vor dem Hintergrund der Regelungen des Rahmenvertrags auch dann von den als erforderlich festgestellten Maßnahmen umfasst sein kann, wenn sie in den Bescheiden nicht ausdrücklich erwähnt ist, wird es zweckmäßig sein, eine amtliche Auskunft des Sozialhilfeträgers einzuholen.
II. Ansprüche des Klägers zu 1
231. Die Beklagte hat den Klageanspruch des Klägers zu 1 nicht dadurch anerkannt, dass sie angeregt hat, das Verfahren insoweit in der Hauptsache für erledigt zu erklären.
24a) Zwar sind auch prozessuale Erklärungen der Auslegung zugänglich. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Revisionsgericht dabei die Würdigung prozessualer Erklärungen einer Partei uneingeschränkt nachprüfen und Erklärungen selbst auslegen. Die Auslegung darf auch im Prozessrecht nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Parteien zu erforschen. Maßgeblich ist, welcher Sinn der Erklärung aus objektiver Sicht beizumessen ist (vgl. , NJW 1991, 2630, 2631 f; Beschluss vom - VII ZB 24/93, NJW-RR 1994, 568; Beschluss vom - IV ZB 38/05, NJW-RR 2006, 862 Rn. 13).
25b) Hier hat das Berufungsgericht aber bei der Auslegung der Erklärung der Beklagten deren offensichtlichen Sinngehalt auch in ihrem systematischen Zusammenhang mit den weiteren Ausführungen in der Berufungsbegründung missachtet. Denn der Erklärung der Beklagten lässt sich nicht ihr Wille entnehmen, sich dem Klageanspruch zu unterwerfen und das Gericht von einer weiteren Sachprüfung zu entbinden. Zwar mag die Anregung eines Beklagten, einen Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, in Einzelfällen als Anerkenntnis auszulegen sein (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 91a Rn. 52; Hk-ZPO/Gierl, 3. Aufl., § 91a Rn. 100). Dies kann insbesondere dann in Betracht kommen, wenn er zuvor die streitgegenständliche Forderung beglichen und damit konkludent ihre Berechtigung zum Ausdruck gebracht hat. Vorliegend hat die Beklagte im Anschluss an die Erklärung, sie gehe davon aus, dass der Fall betreffend den Kläger zu 1 seine Erledigung gefunden habe, jedoch dezidiert ausgeführt, dass die streitgegenständlichen Ansprüche auch ansonsten in der Sache nicht bestehen. Die Annahme eines Anerkenntnisses war hiernach fern liegend. Auch das Schweigen der Beklagten auf die nachfolgende Vermutung der Kläger in ihrer Berufungserwiderung, die Anregung sei mutmaßlich als Anerkenntnis gemeint, hat nicht den objektiven Erklärungswert eines Anerkenntnisses. Vielmehr hat die Beklagte mit ihrem umfassenden Antrag, die Klagen abzuweisen, verhandelt.
262. Hat die Beklagte danach den Klageantrag des Klägers zu 1 nicht anerkannt, muss in der Sache geprüft werden, ob er berechtigt ist.
27Dabei geht der Senat davon aus, dass die unveränderte Antragstellung des Klägers zu 1, der trotz seines Aufenthaltswechsels keine Erledigungserklärung abgegeben hat, darauf abzielt, auch unter den veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen (neuer Heimvertrag, Gewährung von Hilfe zur Pflege gemäß § 61 SGB XII und Maßgeblichkeit eines anderen Rahmenvertrags) die Verwaltung des ihm bewilligten Barbetrags zu erreichen. Soweit die Revision die Auffassung vertritt, in Wirklichkeit habe sich die Klage dadurch erledigt, dass dem Kläger nach seiner Aufnahme in die Altenpflegeeinrichtung keine Barbeträge nach § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII mehr zustünden, verkennt sie die Rechtslage. Denn der Kläger erhält weiterhin Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen (§ 35 SGB XII), jetzt allerdings flankierend zur Hilfe zur Pflege (§ 61 SGB XII).
28Hiernach wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob der gestellte Antrag nach dem neuen Heimvertrag und den Bestimmungen des § 61 Abs. 2 Satz 2 SGB XII i.V.m. § 28 Abs. 1 Nr. 8, § 43 SGB XI unter dem Gesichtspunkt der sozialen Betreuung (§ 43 Abs. 2 SGB XI) begründet ist (vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung unter der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes OVG Bautzen, PflR 2006, 337, 341 f).
Schlick Dörr Herrmann
Seiters Tombrink
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
SAAAD-58835