BGH Beschluss v. - VII ZB 15/10

Leitsatz

1. Auch in Altfällen ist eine Geschäftsgebühr nur unter den Voraussetzungen des § 15a Abs. 2 RVG auf die Verfahrensgebühr anzurechnen (im Anschluss an , FamRZ 2010, 456) .

2. Die Rechtskraft einer Entscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren über einen Antrag, mit dem eine Verfahrensgebühr unter hälftiger Anrechnung der Geschäftsgebühr geltend gemacht worden ist, steht einer Nachfestsetzung der restlichen Verfahrensgebühr nicht entgegen .

Gesetze: § 15a Abs 2 RVG, § 104 ZPO, Nr 2300 RVG-VV, Nr 3100 RVG-VV

Instanzenzug: OLG Dresden Az: 3 W 0170/10 Beschlussvorgehend LG Chemnitz Az: 2 O 2043/06 Beschluss

Gründe

I.

1Der Kläger hat den Beklagten auf Zahlung von Kostenvorschuss in Anspruch genommen. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 7.691,49 € nebst Zinsen verurteilt und ihm die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Kläger lediglich eine um die 0,65-fache Geschäftsgebühr ermäßigte Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht. Das Landgericht hat entsprechend entschieden. Am hat der Kläger einen Nachfestsetzungsantrag gestellt und darin die Festsetzung der restlichen Verfahrensgebühr von 318,68 € geltend gemacht, weil die Anrechnung der Geschäftsgebühr zu Unrecht erfolgt sei. Das Landgericht hat den Antrag abgelehnt. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die von ihm zugelassene Rechtsbeschwerde des Klägers, der seinen Antrag weiterverfolgt.

II.

2Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

31. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Nachfestsetzung sei unzulässig, da ihr die materielle Rechtskraft des Festsetzungsbeschlusses vom entgegenstehe. Das Landgericht habe über die Verfahrensgebühr rechtskräftig entschieden. Daran ändere nichts, dass der Kläger seinerzeit nur die Kosten der ermäßigten Verfahrensgebühr geltend gemacht habe. Mehr habe ihm nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zugestanden. Das Landgericht habe also nicht nur über einen Teil der Verfahrensgebühr entschieden, sondern über den Erstattungsanspruch in voller Höhe, so wie er dem Kläger zugestanden habe. Demnach bleibe kein Rest, der von den Wirkungen der Rechtskraft ausgenommen und daher einer Nachfestsetzung zugänglich wäre.

42. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Nachfestsetzungsantrag ist begründet. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr findet nicht statt (a). Einer Nachfestsetzung steht die Rechtskraft des Beschlusses des Landgerichts Chemnitz vom nicht entgegen (b).

5a) Der Bundesgerichtshof hat bis zur Einführung des § 15a RVG durch Artikel 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom entschieden, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG VV Nr. 3100 auch im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen sei (vgl. grundlegend , NJW 2008, 1323).

6Nach Inkrafttreten des § 15a RVG vertreten alle mit der Entscheidung befassten Senate des Bundesgerichtshofs teilweise unter Aufgabe ihrer bisherigen Rechtsprechung die Auffassung, dass durch § 15a RVG lediglich eine Klarstellung der bisherigen Rechtslage erfolgt ist (, NJW 2009, 3101 Rn. 8; Beschluss vom - XII ZB 175/07, FamRZ 2010, 456 Rn. 16; Beschluss vom - IX ZB 82/08, AGS 2010, 159 Rn. 6; Beschluss vom - V ZB 38/10, AGS 2010, 263 Rn. 8; Beschluss vom - VIII ZB 15/10, bei juris). Danach findet auch für Kostenfestsetzungen vor Inkrafttreten dieser Norm eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nur unter den in § 15a Abs. 2 RVG genannten Voraussetzungen statt. Der VII. Zivilsenat schließt sich dieser Rechtsprechung an und nimmt zur Begründung Bezug auf die Entscheidung des XII. Zivilsenats vom (XII ZB 175/07, aaO).

7b) Danach ist auf den Nachfestsetzungsantrag des Klägers eine weitere Verfahrensgebühr in Höhe von 318,68 € nebst Zinsen festzusetzen. Dieser Festsetzung steht nicht die Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses des entgegen.

8Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass Kostenfestsetzungsbeschlüsse der materiellen Rechtskraft fähig sein können (vgl. , NJW 2003, 1462). Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme, über den im Nachfestsetzungsverfahren geltend gemachten Teil der Verfahrensgebühr sei bereits entschieden. Dieser war nicht Gegenstand der Entscheidung vom .

9aa) Die Rechtskraft eines Kostenfestsetzungsbeschlusses bezieht sich nur auf die im Antrag geforderten und im Beschluss beschiedenen Beträge. Eine Nachforderung eines bislang nicht geltend gemachten Teils bezüglich desselben Postens hindert sie grundsätzlich nicht (Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 103 Rn. 12; PG/K. Schmidt, ZPO, 2. Aufl., § 103 Rn. 27; MünchKommZPO/Giebel, 3. Aufl., § 104 Rn. 128 f.; vgl. OLG Stuttgart, MDR 2009, 1136, zur Nachfestsetzung der Umsatzsteuer; BVerfG, Rpfleger 1995, 476, zur Nachfestsetzung der Erhöhungsgebühr für Mehrvertretung). Dies deckt sich auch mit dem allgemeinen Verständnis der Rechtskraftwirkung bei offenen ( IVb ZR 67/83, BGHZ 93, 330) und verdeckten Teilklagen (, BGHZ 135, 178). Danach ergreift die Rechtskraft des Urteils nur den geltend gemachten Anspruch im beantragten Umfang; eine Erklärung des Klägers, er behalte sich darüber hinausgehende Ansprüche vor, ist nicht erforderlich. Soweit ein Antrag nur beschränkt geltend gemacht worden ist, ist grundsätzlich über den überschießenden Teil nicht entschieden.

10bb) Soweit in der Rechtsprechung von diesen Grundsätzen Ausnahmen gemacht worden sind (vgl. dazu , BGHZ 135, 178, 182 m.w.N.), handelt es sich um besonders gelagerte Sachverhalte, deren Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Kläger hat insbesondere durch seinen Antrag nicht zum Ausdruck gebracht, dass er eine abschließende, eine Nachforderung ausschließende Entscheidung über die Berücksichtigung der Verfahrensgebühr nur in gekürztem Umfang haben wollte. Allein der Umstand, dass er auf der Grundlage der damals gefestigten Rechtsprechung davon ausging, ihm stünde nur eine gekürzte Gebühr zu, rechtfertigt diese Annahme nicht. Etwas anderes kann auch nicht aus der Entscheidung des V. Zivilsenats vom (V ZB 51/02, NJW 2003, 1462) hergeleitet werden. Diese Entscheidung befasst sich lediglich mit der Auslegung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses hinsichtlich des Zinsanspruchs und kann zu der hier entscheidungserheblichen Frage nichts beitragen.

11cc) Der Kläger hat von vornherein nur eine um die hälftige Geschäftsgebühr gekürzte Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht. Das Landgericht hat demgemäß auch nur darüber entschieden, dass dem Kläger eine Verfahrensgebühr in dieser Höhe zusteht. Eine Entscheidung über die Frage, ob dem Kläger eine höhere Verfahrensgebühr zusteht, hat es nicht getroffen. Demgemäß hat es auch über die höhere Verfahrensgebühr nicht rechtskräftig entschieden. Eine Nachfestsetzung des Teils der Verfahrensgebühr, über die im Kostenfestsetzungsverfahren nicht entschieden worden ist, weil eine anteilige Geschäftsgebühr von vornherein im Antrag abgezogen worden ist, ist danach möglich (vgl. auch N. Schneider, FamRZ 2009, 1823, 1824; Hansens, RVG-Report 2009, 354, 355; ders. RVG-Report 2009, 417, 418; Thiel, AGS 2010, 308).

123. Die angefochtenen Beschlüsse sind danach aufzuheben. Da die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO), entscheidet der Senat selbst und gibt dem Nachfestsetzungsantrag in beantragter Höhe statt.

134. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Kniffka                                      Bauner                                          Eick

                     Halfmeier                                  Leupertz

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BB 2010 S. 3034 Nr. 50
NJW 2010 S. 8 Nr. 51
NJW 2011 S. 1367 Nr. 19
ZIP 2011 S. 304 Nr. 6
PAAAD-56720