BGH Beschluss v. - 5 StR 263/10

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug:

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben und das Verfahren nach § 206a Abs. 1 StPO eingestellt.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil ein Verfahrenshindernis vorliegt.

1. Die Taten sind - entgegen der Auffassung des Landgerichts - verjährt.

a) Das Landgericht hat festgestellt, dass die Tat zu I.1 am , die Tat zu II.2 am und die Tat zu II.3 am beendet waren. Zu diesen Zeitpunkten waren durch die Untreuehandlungen die Gelder der W. GmbH (WBB) jeweils endgültig entzogen gewesen. Dies ist rechtsfehlerfrei.

b) Die Verjährung war jedenfalls zunächst durch den Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom nach § 78c Abs. 1 Nr. 5 StGB unterbrochen (dort Fälle 8, 9 und 11). Die Verjährung war weiterhin gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 6 StGB unterbrochen durch die Anklage vom , die am beim Landgericht Berlin eingegangen ist (dort ebenfalls Fälle 8, 9 und 11). Mit Beschluss vom wurde das Verfahren vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Berlin eröffnet. Damit ruhte die Verjährung nach § 78b Abs. 4 StGB für fünf Jahre.

c) Unter Berücksichtigung der absoluten Verjährung nach § 78c Abs. 3 StGB und der Ruhenszeit nach § 78b Abs. 4 StGB sind die Taten sämtlich verjährt; ein weiteres Ruhen der Verjährung trat auch nach § 78b Abs. 5 Satz 1 StGB nur in geringem Umfang ein.

aa) Gegen den Angeklagten wurde ein Auslieferungsverfahren durchgeführt, das mit dem Zugang des Auslieferungsersuchens an die Behörden des Vereinigten Königreichs am in Gang gesetzt wurde. Auf der Grundlage dieses Auslieferungsersuchens wurde der Angeklagte am an die deutschen Strafverfolgungsbehörden übergeben.

bb) Das Auslieferungsersuchen wurde jedoch im Sinne des § 78b Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 StGB wirksam zurückgenommen. Anders als das Landgericht hat der Senat keinen Zweifel, dass das Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom eine solche Rücknahme darstellt. Mit diesem wurde ein Europäischer Haftbefehl (im Übrigen auch mit Änderungen des Tatvorwurfs) an das britische Home Office übersandt. In demselben Schreiben wurde am Ende ausgeführt: "So teile ich mit, dass das ursprüngliche Auslieferungsersuchen in gleicher Sache aufgrund der veränderten Sachlage nicht mehr verfolgt wird."

Diese Mitteilung kann nur so verstanden werden, dass hierdurch das ursprüngliche Auslieferungsersuchen zurückgenommen werden sollte. Ersichtlich wurde das Schreiben auch vom Home Office so aufgefasst, weil dieses - nach Zurückweisung des Europäischen Haftbefehls - bei der Deutschen Botschaft in London ausdrücklich angefragt hatte, ob die deutschen Behörden ihr Auslieferungsersuchen immer noch zurücknehmen wollten ("whether they still wish to withdraw the 1989 Act request for the extradition"). Auch der Mail-Verkehr zwischen den deutschen Behörden - Justizbehörden, Auswärtiges Amt und Botschaft in London - deutet darauf hin, dass die Erklärung auch dort in dem Sinne verstanden wurde, dass mit der Übersendung des Europäischen Haftbefehls das ursprüngliche Auslieferungsverfahren nicht mehr weiter betrieben werden sollte. Andernfalls ergäbe auch die sich daran anschließende Korrespondenz, ob das ursprüngliche Auslieferungsbegehren erneut aufgegriffen werden sollte, keinen Sinn.

cc) Entgegen der Auffassung des Landgerichts war die Generalstaatsanwaltschaft Berlin auch zu einer solchen Rücknahme ermächtigt. Abgesehen davon, dass die Generalstaatsanwaltschaft ausdrücklich auf eine (auch nicht bestrittene) Absprache mit dem Bundesministerium der Justiz hingewiesen hat, konnte sie den ursprünglichen Auslieferungsantrag auch wirksam zurücknehmen. Der Bund hatte auf der Grundlage von § 74 Abs. 2 IRG in der damals geltenden Fassung durch die Zuständigkeitsvereinbarung vom die Länder ermächtigt, innerhalb der Europäischen Union "in allen Angelegenheiten des IRG" die hierfür gegebenen Befugnisse auszuüben (Nr. 1 der Vereinbarung). Jedenfalls deshalb wurde die für die Senatsverwaltung für Justiz in Berlin handelnde Generalstaatsanwaltschaft Berlin im Rahmen ihrer Zuständigkeit tätig.

dd) Das zurückgenommene Auslieferungsersuchen wurde nicht mehr rechtzeitig erneuert. Obwohl von Seiten der britischen Behörden mehrfach angefragt wurde, ist eine autorisierte und verbindliche Antwort jedenfalls bis zu dem hier maßgeblichen nicht erfolgt.

Ab diesem Zeitpunkt, zu dem Deutschland zum Kreis der "Part One" Nationen des Extradition Act 2003 zählte, also zu den Staaten, deren Europäischer Haftbefehl im Vereinigten Königreich anerkannt wurde, konnte die Verjährung nur ruhen, wenn es sich um einen Altfall handelte, also mithin zumindest noch ein wirksames Auslieferungsverfahren anhängig war. Die Anerkennung als "Part One" Nation trat am durch Amendment to Designations Order 2005 (No. 365) in Kraft. Nach der gesetzlichen Regelung des § 78b Abs. 5 Satz 2 StGB gilt die Ruhensregelung nämlich nicht für solche Auslieferungsverfahren, die dem Rahmenbeschluss des Rates vom über den Europäischen Haftbefehl (ABl. EG Nr. L 190 S. 1) unterliegen. Dies war im Verhältnis zum Vereinigten Königreich spätestens der Fall, als dieses Europäische Haftbefehle aus Deutschland anerkannte, weil es Deutschland als "Part One" Nation des Extradition Act 2003 eingestuft hatte. Ab diesem Zeitpunkt bestand die Möglichkeit über einen Europäischen Haftbefehl die Auslieferung zu erreichen, weshalb nach § 78b Abs. 5 Satz 2 StGB kein Ruhen der Verjährung mehr eintrat. Die Ruhensregelung bezog sich gegenüber dem Vereinigten Königreich nur auf anhängige Altverfahren. Ein solches lief gegenüber dem Angeklagten nicht mehr, weil der ursprüngliche Auslieferungsantrag zurückgenommen und bis zu diesem Zeitpunkt, zu dem Deutschland "Part One" Nation wurde, jedenfalls nicht erneuert wurde. Deshalb kann der Senat offenlassen, ob das Verfahren nach der zwischenzeitlich erfolgten Rücknahme überhaupt noch einen Altfall im Sinne des Rahmenbeschlusses darstellte, weil dieser bereits in Kraft war und umgesetzt werden musste.

d) Das Ruhen der Verjährung endete demnach mit der Rücknahme des Auslieferungsantrages durch das Schreiben vom . Damit lief nur noch das - bislang parallel hierzu in Gang gesetzte - Ruhen gemäß § 78b Abs. 4 StGB ab Eröffnung des Hauptverfahrens. Das Auslieferungsverfahren ist allenfalls noch für den Zeitraum von November 2000 (Eingang des Auslieferungsersuchens) bis zum , dem Tag des Eröffnungsbeschlusses, geeignet, ein selbständiges Ruhen der Verjährung herbeizuführen. Nachdem diese knapp viermonatige Frist, die Ruhensfrist nach § 78 b Abs. 4 StGB und die absolute Verjährungsfrist nach § 78c Abs. 3 StGB abgelaufen sind, ist hinsichtlich sämtlicher ausgeurteilter Taten Verjährung eingetreten. Die letzte Tat war spätestens im November 2008 verjährt.

2. Da die Taten vor Erlass des angefochtenen Urteils verjährt waren, lag ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis bereits im erstinstanzlichen Verfahren vor. Der Senat hebt deshalb das landgerichtliche Urteil auf und stellt das Verfahren nach § 206a StPO ein (BGH wistra 2007, 154; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 206a Rdn. 6).

3. Der Senat überträgt die Entscheidung über eine dem Angeklagten zu gewährende Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen dem Landgericht, weil hierzu im Hinblick auf § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG noch Feststellungen erforderlich sind (BGH aaO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
OAAAD-56716