BGH Beschluss v. - VI ZB 85/08

Wert des Beschwerdegegenstandes: Verurteilung einer Rechtsanwaltssozietät zur Auskunftserteilung; schützenswertes wirtschaftliches Interesse an einer Geheimhaltung

Gesetze: § 3 ZPO, § 511 ZPO

Instanzenzug: Az: 8 U 111/08 Beschlussvorgehend Az: 4 O 23/08 Urteil

Gründe

I.

1Die Klägerin verlangt von der beklagten Rechtsanwaltssozietät Auskunft über die ladungsfähige Anschrift des Mandanten, für den die Rechtsanwälte mittels zweier Zeitungsinserate einen "Geschäftsführer" gesucht haben. Hilfsweise begehrt sie Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Geld gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG wegen geschlechtsbezogener Benachteiligung im Bewerbungsverfahren, nachdem sie sich erfolglos auf die angebotene Stelle beworben hatte.

2Das Landgericht hat der Klage gemäß dem Hauptantrag stattgegeben. Die von der Beklagten eingelegte Berufung, mit der sie Klageabweisung hinsichtlich des Hauptantrags sowie Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht zur Entscheidung über den Hilfsantrag erstrebte, ist vom Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen worden, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes, der sich nach dem wirtschaftlichen Aufwand zur Erteilung der begehrten Auskunft bemesse, 600 Euro nicht übersteige.

3Mit der Rechtsbeschwerde macht die Beklagte geltend, der Erteilung der begehrten Auskunft stehe ihre anwaltliche Verschwiegenheitspflicht entgegen, die sich hier nicht nur aus dem Gesetz, sondern auch aus einer Vereinbarung mit dem Auftraggeber ergebe, von dem sie bei Auskunftserteilung gegebenenfalls auf Schadensersatz in Anspruch genommen werde. Dieser Umstand begründe ein werterhöhendes Geheimhaltungsinteresse, das bei der Wertbemessung zu berücksichtigen sei. Außerdem habe das Landgericht bei richtiger Rechtsanwendung nicht nur den Auskunftsantrag, sondern auch den Hilfsantrag abweisen müssen, um dessen Wert sich deshalb die Beschwer erhöhe. Die Festsetzung des Streitwerts unterhalb der Berufungssumme führe für die Beklagte zu einer Verweigerung des Zugangs zum Rechtsmittelgericht, was auch unter dem Aspekt einer erstinstanzlich erfolgten Gehörsverletzung zu korrigieren sei.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO), aber unzulässig. Zwar steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen, dass die Rechtsbeschwerdebegründung keinen förmlichen Rechtsbeschwerdeantrag (§ 575 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) enthält; denn insoweit reicht es aus, wenn sich aus dem Inhalt der Begründung das Begehren des Rechtsmittelführers ergibt (vgl. , AnwBl 1972, 22; , juris Rn. 27). Da sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfung ihrer Berufung als unzulässig wendet, besteht ihr Rechtsschutzziel erkennbar in der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, so dass es eines hierauf gerichteten Sachantrags nicht zwingend bedarf. Indessen liegen die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss erfüllt sein müssen (Senat, Beschluss vom - VI ZB 10/03, VersR 2003, 1418; , BGHZ 151, 42, 43; Beschluss vom - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 223; Beschluss vom - XII ZB 191/02, BGHZ 155, 21, 22; Beschluss vom - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 137), nicht vor.

51. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

6a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist - was die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel zieht - geklärt, dass sich der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Verurteilung zur Auskunftserteilung nach dem für die Erteilung der Auskunft erforderlichen Zeit- und Kostenaufwand bemisst, der gegebenenfalls durch ein besonderes, von der verurteilten Partei darzulegendes Geheimhaltungsinteresse erhöht sein kann (, BGHZ 128, 85, 87 f.; Beschluss vom - XII ZB 63/05, BGHZ 164, 63, 66; Beschluss vom - IV ZR 40/77, MDR 1978, 213; Urteil vom - VIII ZR 243/82, WM 1984, 180, 181; Beschluss vom - IVb ZB 121/84, FamRZ 1986, 796, 797; Urteil vom - IVb ZR 86/85, FamRZ 1987, 468, 469; Beschluss vom - IV ZB 20/94, NJW-RR 1995, 764; Beschluss vom - XII ZB 50/97, NJW-RR 1997, 1089; Beschluss vom - VIII ZB 87/06, WuM 2008, 615; Beschluss vom - II ZR 75/09, WM 2010, 998).

7b) Grundsätzliche Bedeutung misst die Rechtsbeschwerde der Sache im Hinblick auf den Umstand bei, dass die beklagte Rechtsanwaltssozietät ihrem Auftraggeber aus Gesetz (§ 43a Abs. 2 Satz 1 BRAO, § 2 Abs. 1 BORA) sowie nach ihrem Vorbringen zusätzlich aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung zur Verschwiegenheit verpflichtet ist und sich deshalb im Falle der Erteilung der Auskunft u.U. Schadensersatzansprüchen des Mandanten ausgesetzt sehen kann, was nach Auffassung der Rechtsbeschwerde ein von dem Berufungsgericht bei der Bemessung der Beschwer fehlerhaft nicht berücksichtigtes besonderes Geheimhaltungsinteresse begründe. Es handelt sich mithin um eine Fallgestaltung, bei welcher der Auskunftsverpflichtete ein Geheimhaltungsinteresse aus der Gefahr des Rückgriffs eines Dritten (hier: des Mandanten) herleiten will. Für diese Konstellation hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass bei der Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstandes nur unmittelbar aus dem angefochtenen Urteil fließende rechtliche Nachteile zu berücksichtigen, Drittbeziehungen hingegen außer Betracht zu lassen sind (, juris Rn. 5; Beschluss vom - VIII ZB 87/06, aaO S. 616; Beschluss vom - VIII ZR 248/06, WuM 2008, 681). Ein für den Fall einer Inanspruchnahme aufgrund der Auskunftserteilung geltend gemachtes Haftungsinteresse gegenüber einem nicht am Verfahren beteiligten Dritten begründet deshalb kein schützenswertes wirtschaftliches Interesse an einer Geheimhaltung gegenüber dem Kläger und erhöht die Beschwer im Auskunftsverfahren nicht (, BGHZ 164, 63, 67; Urteil vom - V ZR 208/96, NJW 1997, 3246). Ein zur Annahme eines Klärungsbedarfs führender Meinungsstreit ist insoweit nicht ersichtlich und wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht dargelegt (zum Darlegungserfordernis vgl. , aaO S. 137 f.; Beschluss vom - V ZB 159/09, juris Rn. 5 = NJW-RR 2010, 784).

82. Das Erfordernis einer Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO).

9a) Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, bei der Bemessung der Beschwer sei vorliegend der (wesentlich höhere) Wert des Hilfsantrags einzubeziehen, weil das Landgericht bei richtiger Rechtsanwendung die Klage in Bezug auf den Hauptantrag hätte abweisen und somit auch über den Hilfsantrag entscheiden müssen, ist ein Rechtsanwendungsfehler des Berufungsgerichts, der ein Eingreifen des Bundesgerichtshofs erforderlich machen würde, nicht ersichtlich.

10aa) Der Zulassungsgrund des § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO ist gegeben, wenn einem Gericht bei der Anwendung von Rechtsnormen Fehler unterlaufen sind, die die Wiederholung durch dasselbe Gericht oder die Nachahmung durch andere Gerichte erwarten lassen, und wenn dadurch so schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung zu entstehen oder fortzubestehen drohen, dass eine höchstrichterliche Leitentscheidung notwendig ist (Senat, Beschluss vom - VI ZB 26/02, DAR 2003, 64; vom - VI ZA 16/03, VersR 2004, 1197, 1198; , aaO S. 46; Beschluss vom - XI ZB 39/03, aaO S. 139; Beschluss vom - V ZB 31/02, aaO S. 133 bzw. aaO VersR 2003, 1457, 1458).

11bb) Einen solchen Fehler des Berufungsgerichts bei der Anwendung des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Entgegen der von ihr vertretenen Auffassung hat die - die Begründetheit des Rechtsmittels betreffende - Frage, ob der Hilfsantrag in erster Instanz richtigerweise nach Abweisung des Hauptantrags hätte beschieden werden müssen, bei der Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstandes außer Betracht zu bleiben. Denn die Beschwer des Rechtsmittelklägers hängt vom rechtskraftfähigen Inhalt der angefochtenen Entscheidung ab (, BGHZ 26, 295, 296; Urteil vom - II ZR 130/65, BGHZ 48, 212, 213; Beschluss vom - VIII ZR 80/71, BGHZ 57, 301, 302), für welchen nur der Umfang der tatsächlich erfolgten Verurteilung maßgebend sein kann. Soweit ein in erster Instanz wegen Zuerkennung des Hauptantrags nicht beschiedener Hilfsantrag des Klägers allein durch die Rechtsmitteleinlegung des Beklagten der Berufungsinstanz anfällt (, BGHZ 41, 38, 39; Urteil vom - II ZR 264/02, NJW-RR 2005, 220), kann sich dies zwar auf den Gebührenstreitwert des Berufungsverfahrens auswirken (§ 45 Abs. 1 Satz 2 GKG), nicht aber auf den Wert des Beschwerdegegenstandes, da über den Hilfsantrag in erster Instanz keine rechtskraftfähige Entscheidung ergangen ist. Demgemäß ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht vorliegend lediglich die mit dem Hauptantrag begehrte Verurteilung bewertet hat, ohne den an der Rechtskraftwirkung des Urteils nicht teilnehmenden Hilfsantrag in die Bewertung einzubeziehen.

12b) Soweit die Rechtsbeschwerde darüber hinaus eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) durch das Landgericht geltend macht und meint, diese habe dazu führen müssen, dass das Berufungsgericht das Vorliegen der Berufungssumme bejahe, ist eine Zulassung der Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Verweigerung wirkungsvollen Rechtsschutzes nicht geboten, nachdem für die Korrektur etwaiger Gehörsverstöße eine gesetzlich vorgesehene Rechtsschutzmöglichkeit in Form des Abhilfeverfahrens nach § 321a ZPO existiert.

Galke                                       Wellner                                    Diederichsen

                     Pauge                                        von Pentz

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
WAAAD-54431