BFH Beschluss v. - V R 10/09

Ablehnung eines Richters wegen wissenschaftlicher Äußerung einer Rechtsansicht außerhalb eines anhängigen Verfahrens

Gesetze: FGO § 51 Abs. 1, ZPO § 42 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Beim V. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) ist unter dem Az. V R 10/09 die Revision gegen das (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2009, 1060) anhängig. Gegenstand dieses Verfahrens ist die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Tätigkeiten juristischer Personen des öffentlichen Rechts.

2 Im November 2009 hielt Richter am BFH X, der Mitglied des für die Entscheidung über die Revision gegen das Urteil des FG Münster zuständigen V. Senats des BFH ist, im Rahmen einer Arbeitstagung des Vereins . einen Vortrag zum Thema „Aktuelle Rechtsprechung zur Umsatzsteuer und Auswirkungen für Hochschulen” mit den Gliederungspunkten

Das Ende des BgA als eigenständiger Rechtsbegriff

Öffentliche Hand und Organschaft

Ende des anteiligen Vorsteuerabzugs für den Hoheitsbereich.

3 In diesem Rahmen wies Richter am BFH X auch auf das Urteil des FG Münster in EFG 2009, 1060 hin. Richter am BFH X hat in seiner dienstlichen Äußerung vom erklärt, dass er im Anschluss an die Darstellung der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften —EuGH— (Urteil vom C-102/08, Salix, BFH/NV 2009, 1222) und des , BFH/NV 2009, 2077, und V R 30/06, BFH/NV 2009, 2080) und einer Reihe von Beispielsfällen aus der Rechtsprechung des EuGH und des BFH auf das Urteil des FG Münster hingewiesen und im Wortlaut u.a. Folgendes ausgeführt habe:

4 „... Und jetzt geht es um die Frage, ob die Universität in diesen beiden Bereichen unternehmerisch tätig ist. Das FG Münster hat das verneint, mit einer ganz interessanten Argumentation, und zwar sagt das FG: Wie das nach der Richtlinie ist, das ist mir eigentlich ganz egal, wahrscheinlich alles zwingend steuerpflichtig, aber gleichwohl ist die Universität in beiden Bereichen nichtunternehmerisch tätig geworden.…Ja, ob das am noch richtig war, lassen wir einmal dahingestellt sein.…Wenn Sie meinen bisherigen Ausführungen zugehört haben, wissen Sie, was davon zu halten ist. Mehr kann man dazu im Augenblick nicht sagen, das ist ein schwebendes Verfahren und ich denke nächstes Jahr wissen wir alle, was der Ausgang in diesem Verfahren sein wird.”

5 Die Klägerin beantragt mit ihrem Schriftsatz vom , Richter am BFH X wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Der im Ablehnungsantrag dargestellte Sachverhalt stimmt mit der dienstlichen Äußerung von Richter am BFH X inhaltlich überein. Die Klägerin vertritt die Auffassung, aufgrund seines Verhaltens bei der Arbeitstagung des Vereins . lasse Richter am BFH X die von einem Bundesrichter zu erwartende Neutralität und Objektivität vermissen. Die „despektierlichen Äußerungen” des abgelehnten Richters zu den Gründen des angefochtenen FG-Urteils in der Öffentlichkeit einer Fachtagung zeugten von mangelnder Sachlichkeit und Offenheit für andere Ansichten. In dem Resümee: „Nächstes Jahr werden wir mehr wissen”, komme die Absicht zum Ausdruck, ein anhängiges Revisionsverfahren im Sinne der öffentlich gemachten Meinung zu beeinflussen.

6 II. Das Ablehnungsgesuch ist unbegründet.

7 Die Äußerungen von Richter am BFH X im Rahmen der Arbeitstagung des Vereins . im November 2009 begründen nicht die Besorgnis der Befangenheit.

8 Gemäß § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), § 42 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, „... wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen”.

9 Entscheidend für die Frage der Befangenheit ist, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlass hat, die Voreingenommenheit des abgelehnten Richters zu befürchten (, BVerfGE 82, 30, 37 f.; BFH-Beschlüsse vom V S 10/07, BFH/NV 2009, 1900; vom VII B 330/02, VII S 41/02, BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422).

10 Die wissenschaftliche Äußerung einer Rechtsansicht rechtfertigt die Ablehnung im Allgemeinen nicht. Nimmt ein Richter zu einer für einen Rechtsstreit bedeutsamen Frage (z.B. in einem Kommentar, Aufsatz oder Vortrag) Stellung, ist das allein kein Grund, seiner Unparteilichkeit zu misstrauen. Ausnahmsweise kann die Äußerung einer Rechtsauffassung außerhalb des Verfahrens aber ein Ablehnungsgrund sein, wenn ihre Diktion oder das Umfeld, in dem sie gemacht wurde, bei objektiver Betrachtungsweise Zweifel an der Offenheit des Richters für Gegenargumente entstehen lässt (BFH-Beschlüsse vom XI B 51/97, BFH/NV 1998, 595; vom I R 167/94, BFH/NV 1996, 58). Das kann z.B. der Fall sein, wenn die Rechtsauffassung als vernünftigerweise einzig vertretbare bezeichnet wird, obwohl gewichtige Gegenargumente bekannt sind, wenn Gegenargumente lächerlich gemacht oder Vertreter der Gegenansicht abwertend beurteilt werden (vgl. , BVerfGE 20, 9, 16; BFH-Beschluss in BFH/NV 1996, 58) oder wenn Inhalt und Zeitpunkt oder Ort der Meinungsäußerung den Verdacht entstehen lassen, mit der Meinungsäußerung solle das Ergebnis eines bestimmten bereits anhängigen oder erwarteten Verfahrens beeinflusst werden (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 82, 30).

11 Eine solche Gefahr ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Die Äußerung von Richter am BFH X im Anschluss an die Darstellung der neueren Rechtsprechung des EuGH und des BFH zu diesem Rechtskomplex aus dem Jahr 2009, dass das Urteil des FG Münster von einer „ganz interessanten Argumentation” getragen werde, lässt in der Gesamtschau mit den Erklärungen: „Ja, ob das am noch richtig war, lassen wir einmal dahingestellt sein” und „Wenn Sie meinen bisherigen Ausführungen zugehört haben, wissen Sie, was davon zu halten ist”, zwar eine kritische Einstellung gegenüber der der Klägerin günstigen Rechtsauffassung des FG Münster erkennen. Das rechtfertigt aber nicht die Besorgnis der Befangenheit. Die Äußerung einer Rechtsauffassung begründet die Besorgnis der Befangenheit auch dann nicht, wenn sie für das Prozessziel eines Beteiligten nachteilig ist, sondern nur, wenn sie eine unsachliche oder willkürliche Einstellung des Richters erkennen lässt. Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Äußerungen von Richter am BFH X lassen erkennen, dass er eine rechtliche Meinung zu den im Revisionsverfahren einschlägigen Rechtsproblemen hat. Dafür, dass dieser Ausdruck eine unsachliche oder willkürliche Einstellung ist oder eine Bereitschaft, sich mit anderen Auffassungen auseinanderzusetzen, fehlt, bieten die Äußerungen keine Anhaltspunkte.

12 Dasselbe gilt für das Resümee: „Nächstes Jahr werden wir mehr wissen.” Diese Erklärung lässt nicht die Absicht von Richter am BFH X erkennen, ein anhängiges Revisionsverfahren solle im Sinne der öffentlich gemachten Meinung beeinflusst werden. Die Äußerung hat erkennbar keinen anderen Erklärungsinhalt, als dass Richter am BFH X mit einer Entscheidung über die Revision im Lauf des Jahres 2010 rechnet. Diese Einschätzung ist angesichts der Geschäftslage des Senats nachvollziehbar und lässt ebenfalls keine unsachliche oder willkürliche Einstellung erkennen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
AO-StB 2010 S. 300 Nr. 10
HFR 2010 S. 959 Nr. 9
StBW 2010 S. 640 Nr. 14
UAAAD-45766