Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: AG Darmstadt, 272 XIV 333/09 vom LG Darmstadt, 26 T 87/09 vom
Gründe
I.
Der Beteiligte zu 2 betreibt die Abschiebung des Betroffenen nach Algerien. Der Betroffene reiste zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt, eigenen Angaben zufolge im November 1999, in das Bundesgebiet ein. Seinen Antrag auf Asyl lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom bestandskräftig ab. Der Betroffene wurde unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert und mit bestandskräftiger Verfügung vom aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der Betroffene kam seiner Ausreisepflicht nicht nach. Er legte auch keine Identitätspapiere vor. Im Rahmen des seit 2002 laufenden Verfahrens zur Beschaffung von Passersatzpapieren machte er wiederholt unterschiedliche, falsche Angaben zu seiner I-dentität, Herkunft und Nationalität. Drei Abschiebungsversuche nach dem deutsch-algerischen Rückübernahmeabkommen scheiterten am Widerstand des Betroffenen beziehungsweise an den algerischen Behörden, nachdem der Betroffene vor Ort angegeben hatte, marokkanischer Staatsangehöriger zu sein.
Der Betroffene befand sich in der Zeit vom bis zum in Haft. Nach Entlassung aus der Haft war er für den Beteiligten zu 2 unbekannten Aufenthalts. Auf Grund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom befindet sich der Betroffene, der erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt worden ist, in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Einvernehmen mit einer Abschiebung des Betroffenen erteilt.
Auf Antrag des Beteiligten zu 2 ordnete das Amtsgericht am die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung im Anschluss an die Untersuchungshaft, längstens jedoch bis zum an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde, mit der der Betroffene geltend gemacht hat, eine Abschiebung nach Algerien dürfe nicht erfolgen, weil er dort misshandelt werden würde, hat das Beschwerdegericht nach erneuter Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom zurückgewiesen. Der Betroffene beantragt, ihm Verfahrenskostenhilfe für eine Rechtsbeschwerde zu gewähren.
II. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung auf den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG gestützt und ausgeführt, es bestehe der Verdacht, dass sich der Betroffene der Abschiebung entziehen werde. Dies folge aus den stets wechselnden Angaben zu seiner Identität und Herkunft, wodurch er die Abschiebung bislang gezielt verhindert habe. Zudem verhalte sich der Betroffene allgemein gesetzeswidrig, wie ein Diebstahlsversuch zeige, der zu einer Freiheitsstrafe geführt habe. Die Identität des Betroffenen stehe nach dem Ergebnis des Personenfeststellungsverfahrens nunmehr fest. Es sei davon auszugehen, dass innerhalb der gesetzlichen Drei-Monats-Frist das Passersatzpapier beschafft und die Abschiebung durchgeführt werden könne. Der Beteiligte zu 2 habe eine schnellstmögliche Abschiebung mit Nachdruck betrieben. Die von dem Betroffenen geltend gemachte Gefahr der Misshandlung sei als mögliches Abschiebungshindernis nicht in dem Verfahren über die Anordnung der Sicherungshaft zu prüfen.
III. Die Anträge des Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts sind zurückzuweisen, weil die Rechtsverfolgung aussichtslos erscheint (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Satz 1 ZPO, 78 Abs. 1 FamFG).
1. a) Die ohne Zulassung (§ 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG) eröffnete Rechtsbeschwerde wäre allerdings trotz zwischenzeitlichen Ablaufs der bis zum angeordneten Haft statthaft. Damit hat sich zwar die Hauptsache erledigt (vgl. Senat, BGHZ 109, 108, 109; BayObLGZ 1995, 17, 18). Das Rechtsmittel wäre aber mit dem Antrag nach § 62 Abs. 1 FamFG zulässig, die Verletzung des Betroffenen in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG durch die Anordnung der Haft festzustellen (Senat, Beschl. v. , V ZB 172/09, [...] Rdn. 9).
b) Dem Betroffenen wäre auch Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Beschwerdefrist (§ 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG) zu gewähren, obwohl er die Erklärung zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 117 ZPO) erst nach Ablauf der Rechtsbeschwerdefrist eingereicht hat (vgl. dazu , MDR 2008, 581, 582). Dies war unschädlich, weil die Rechtsbeschwerdefrist mangels wirksamer Zustellung der angefochtenen Entscheidung an den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen nicht zu laufen begann.
Ist für den Betroffenen ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt (§ 10 Abs. 2 FamFG), hat die Zustellung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO an diesen und nicht an den Betroffenen zu erfolgen (Bahrenfuss, FamFG [2009], § 15 Rdn. 6; Keidel/Sternal, FamFG, 16. Aufl., § 15 Rdn. 23 f.; Schulte-Bunert/ Weinreich/Brinkmann, FamFG [2009], § 15 Rdn. 27). Eine Zustellung an den Bevollmächtigten nach § 174 ZPO ist nicht erfolgt. Die formlose, vom Richter nicht verfügte Mitteilung des Beschlusses per Telefax zur Kenntnisnahme durch die Geschäftsstelle löst nicht die Zustellungsfiktion nach § 189 ZPO aus (, NJW 2003, 1192, 1193).
2. Die beabsichtigte Rechtsbeschwerde hat jedoch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
a) Der Betroffene, der nach dem für ihn erfolglosen Abschluss des Asylverfahrens abgeschoben werden soll, ist nach einem bestandskräftigen Bescheid vollziehbar ausreisepflichtig (vgl. §§ 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). An die dem Haftantrag zugrunde liegenden Verwaltungsakte ist der Haftrichter grundsätzlich gebunden (vgl. BGHZ 78, 145, 147; Senat, BGHZ 98, 109, 112; Beschl. v. , V ZB 148/09, FGPrax 2010, 50, 51). Die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen der Ausländerbehörde kann der Betroffene nur in einem (verwaltungsgerichtlichen) Verfahren gegenüber der Ausländerbehörde prüfen lassen.
Dasselbe gilt für sein Vorbringen, ihm drohe nach einer Abschiebung eine Misshandlung durch algerische Behörden. Das Vorbringen eines Abschiebungsverbots nach § 60 AufenthG betrifft die Rechtmäßigkeit der Zurückschiebungsverfügung, über die allein die Verwaltungsgerichte zu entscheiden haben (vgl. Senat, Beschl. v. , V ZB 148/09, aaO). Für den Haftrichter sind darauf bezogene Einwendungen erst dann zu berücksichtigen, wenn ihm bekannt wird, dass der Betroffene deswegen um Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte nachgesucht hat und sich daraus für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten ein der Abschiebung entgegenstehendes Hindernis ergibt, so dass die Anordnung oder das Fortbestehen der Haft aus dem in § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG genannten Grund unzulässig ist (Senat, Beschl. v. , V ZB 172/09, [...] Rdn. 24 und 29). Dafür ist hier jedoch nichts vorgetragen oder ersichtlich.
b) Die Annahme des Haftgrundes nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 ZPO in der anzufechtenden Entscheidung ist frei von Rechtsfehlern. Nach dieser Vorschrift ist ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung entziehen will. Dies setzt konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen des Ausländers voraus, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahe legen, dass der Ausländer beabsichtigt, unterzutauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (vgl. Senat, BGHZ 98, 109, 112 f.; OLG München OLGR 2005, 439; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 62 Rdn. 19 f.). Solche Umstände hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei festgestellt, weil der Betroffene durch wechselnde, falsche Angaben Behörden und Gerichte über seine Identität und Nationalität zu täuschen versucht hat, bei der Beschaffung der für seine Ausreise erforderlichen Ersatzpapiere nicht kooperiert und alles daran setzt, seine Abschiebung zu verhindern.
Die hierzu getroffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts sind für den Senat nach §§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG, 559 Abs. 2 ZPO bindend; Rechtsfehler sind nicht ersichtlich (§ 71 Abs. 3 Nr. 2b FamFG).
c) Die Anordnung der Haft war auch nicht deshalb unzulässig, weil in diesem Zeitpunkt nicht feststand, dass die Abschiebung aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (§ 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Der Haftrichter hat auf Grundlage einer hinreichend vollständigen Tatsachengrundlage und unter Berücksichtigung der Möglichkeiten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes eine Prognose zum Zeitpunkt der möglichen Zurückschiebung zu stellen (vgl. BVerfG NJW 2009, 2659, 2660). Dass die von dem Beschwerdegericht gestellte Prognose diesen Anforderungen nicht genügte, ist nicht aufgezeigt und ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Beschaffung der Rückführungsdokumente bei der algerischen Auslandsvertretung länger als erwartet gedauert hat.
Die von dem Beschwerdegericht für seine Prognose festgestellten Tatsachen sind für das Rechtsbeschwerdegericht nach §§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG, 559 Abs. 2 ZPO grundsätzlich bindend. Ihre Beurteilung ist nur darauf zu prüfen, ob das Beschwerdegericht die der Prognose zugrundeliegenden Wertungsmaßstäbe erkannt hat und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und vollständig gewürdigt sind (vgl. Senat, Beschl. v. , V ZA 9/10, [...] Rdn. 17). Nach dieser Maßgabe ist die Annahme des Beschwerdegerichts, man habe davon ausgehen können, dass auf Grund der nunmehr festgestellten Identität nach dem normalen Gang des Verfahrens eine Passersatzpapierbeschaffung innerhalb einer Frist von drei Monaten möglich ist, aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
d) Die Anordnung der Haft ist schließlich nicht wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot (vgl. hierzu Senat, BGHZ 133, 235, 239; Beschl. v. , V ZA 9/10, [...] Rdn. 22) unverhältnismäßig. Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass der Beteiligte zu 2 alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Abschiebung schnellstmöglich zu erreichen. Verzögerungen bei der Abschiebung, die dadurch entstanden sind, dass der Betroffene falsche Angaben zu seinen Personalien gemacht hat und weiterhin macht, so dass es zur Feststellung der Nationalität aufwendiger Recherchen bedurfte und die Beschaffung eines Passersatzpapiers durch Behörden seines Heimatstaates länger gedauert hat, sind dem Betroffenen zuzurechnen (vgl. Senat, BGHZ 133, 235, 238 f.; Beschl. v. , V ZA 9/10, [...] Rdn. 22).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DAAAD-45630