BAG Beschluss v. - 6 AZN 163/10

Nichtzulassungsbeschwerde - Einlegung vor Zustellung des Berufungsurteils

Gesetze: § 72a Abs 2 S 1 ArbGG

Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 17 Ca 7155/08 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 3/15 Sa 493/09 Urteil

Gründe

1I. Die Parteien haben über eine Gutschrift von 318 Stunden auf einem tariflichen Langzeitkonto gestritten. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat in seinem dem Kläger am zugestellten Urteil die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am eingelegten und am Montag, dem , begründeten Grundsatzbeschwerde.

2II. Die Beschwerde ist unzulässig.

31. Die Unzulässigkeit der Beschwerde könnte sich schon daraus ergeben, dass sie vor Zustellung des Urteils des Landesarbeitsgerichts eingelegt worden ist(GK-ArbGG/Mikosch Stand April 2010 § 72a Rn. 38; aA Kummer Die Nichtzulassungsbeschwerde 2. Aufl. Rn. 185; MünchKommZPO/Wenzel 3. Aufl. § 544 Rn. 7; Gräber/Ruban FGO 6. Aufl. § 116 Rn. 15; aA auch zu inzwischen nicht mehr geltenden Verfahrensordnungen  - NJW 1953, 1568; - II B 172/53 - Leitsatz in NJW 1954, 854 zu § 53 des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht [BVerwGG] vom [BGBl. I S. 625] sowie  - zu § 115 FGO idF des Art. 6 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das [BGBl. I S. 1442]; alle ohne nähere Begründung).

4a) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gem. § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG beim Bundesarbeitsgericht innerhalb einer Notfrist von einem Monat „nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils“ schriftlich einzulegen. Demgegenüber setzen § 66 Abs. 1 Satz 1 sowie § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG die Berufungs- bzw. Revisionsfrist auf einen Monat, die Begründungsfrist auf zwei Monate fest. § 66 Abs. 1 Satz 2 sowie § 74 Abs. 1 Satz 2 ArbGG bestimmen, dass beide Fristen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung beginnen. Anders als in § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG verlangen also diese Bestimmungen nicht die Zustellung des anzufechtenden Urteils als Voraussetzung für die Einlegung des Rechtsmittels.

5b) Der Gesetzgeber hat mit der von den für Rechtsmittel geltenden Vorschriften abweichenden Bestimmung des § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG den Besonderheiten der Nichtzulassungsbeschwerde als speziellem, an die Voraussetzungen des § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG geknüpften und damit eng begrenztem Rechtsbehelf Rechnung getragen. Bei der Nichtzulassungsbeschwerde des § 72a ArbGG geht es nicht um die Überprüfung der Sachentscheidung des Landesarbeitsgerichts, sondern um die Frage, ob das Rechtsmittel gegen diese Sachentscheidung überhaupt erst zugelassen werden kann( - AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 49 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 96). Im Unterschied zu Rechtsmitteln, bei denen seit langem anerkannt ist, dass sie vor dem gesetzlich festgelegten Fristbeginn eingelegt und begründet werden können, sofern die Entscheidung bereits existent ist (zuletzt  - Rn. 10 mwN, AP ZPO § 189 Nr. 1 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 116), ist eine den Anforderungen des § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG genügende Begründung jedenfalls für die Zulassungsgründe Grundsatz, Divergenz und Gehörsverletzung nur in Kenntnis der schriftlichen Urteilsgründe möglich. Ohne diese kann das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, einer Divergenz oder eines Gehörsverstoßes sowie deren Entscheidungserheblichkeit weder vom Beschwerdeführer noch vom Bundesarbeitsgericht festgestellt werden. Die etwaige Kenntnis der tragenden Urteilsgründe reicht also in diesen Fällen für eine erfolgreiche Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens nicht aus. Dies spricht dafür, § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG dahin zu verstehen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Nichtzulassungsbeschwerde vor Zustellung der anzufechtenden Entscheidung, auch im Kosteninteresse der Beschwerdeführer zur Vermeidung der bei Rücknahme einer eingelegten Beschwerde entstehenden Gebühr nach KV GKG Nr. 8613, nicht zulässig eingelegt werden kann.

6c) Die am Montag, dem , eingegangene Beschwerdebegründung ist zwar als erneute Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zu behandeln (GK-ArbGG/Mikosch Stand April 2010 § 72a Rn. 38). Sie ist jedoch erst nach Ablauf der Einlegungsfrist des § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG eingegangen und könnte deshalb nicht zur Zulässigkeit der Beschwerde führen.

72. Letztlich kann die Zulässigkeit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde vor Zustellung der anzufechtenden Entscheidung jedoch dahinstehen. Die Beschwerde genügt den nach § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG an eine zulässige Begründung zu stellenden Anforderungen nicht.

8a) Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtsfrage nur zuzulassen, wenn die Beschwerde darlegt, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt(Senat - 6 AZN 648/07 - AP KSchG 1969 § 4 Nr. 66 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 85).

b) Der Kläger hat nicht dargelegt, dass die von ihm auf S. 2 unten/S. 3 oben der Beschwerdebegründung formulierte Rechtsfrage

entscheidungserheblich ist. Tatsächlich hat das Landesarbeitsgericht die aufgeworfene Rechtsfrage nicht abstrakt beantwortet. Es hat darauf abgestellt, dass der Widerspruch, auf dessen Auflösung die formulierte Frage zielt, tatsächlich nicht vorliegt (S. 7 des anzufechtenden Urteils unter II 1 a der Gründe). Außerdem hat es ausgeführt, dass ein Widerspruch zur Ratio des § 613a BGB nicht vorliege (S. 8 des anzufechtenden Urteils unter II 1 b der Urteilsgründe). Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts war das Verschlechterungsverbot des § 613a BGB nicht betroffen. Es hat damit zu der von der Beschwerde formulierten Frage keinen allgemeinen Rechtssatz aufgestellt, so dass das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Handhabung des Rechts nicht berührt ist.

10c) Darüber hinaus hat der Kläger die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage nicht im Einzelnen aufgezeigt. Es fehlen jegliche Ausführungen darüber, aus welchen Gründen, in welchem Umfang und von welcher Seite die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist(vgl.  - FamRZ 2003, 440).

11III. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG abgesehen.

12IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

V. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 GKG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
DB 2010 S. 1652 Nr. 30
NJW 2010 S. 2603 Nr. 35
NAAAD-45618