EuGH Urteil v. - C-352/08

Richtlinie 90/434/EWG Art. 11 Abs. 1 Buchst. a - Anwendbarkeit auf Verkehrsteuern

Leitsatz

Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ist dahin auszulegen, dass die in dieser Richtlinie vorgesehenen Vergünstigungen einem Steuerpflichtigen, der geplant hat, mittels einer eine Betriebsfusion umfassenden rechtlichen Konstruktion die Erhebung einer Steuer wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, nämlich der Verkehrsteuer, zu vermeiden, nicht versagt werden kann, da diese Steuer nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt.

Instanzenzug:

Gründe

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen (ABl. L 225, S. 1).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Modehuis A. Zwijnenburg BV (im Folgenden: Zwijnenburg) und dem Staatssecretaris van Financiën wegen eines Antrags auf Rückerstattung von Verkehrsteuer, der auf eine für Betriebsfusionen gesetzlich vorgesehene Befreiung gestützt wird.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Nach ihrem ersten Erwägungsgrund soll die Richtlinie 90/434 sicherstellen, dass Umstrukturierungsvorgänge wie Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und der Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, nicht durch besondere Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten behindert werden.

Nach dem vierten Erwägungsgrund der Richtlinie muss die gemeinsame steuerliche Regelung unter Wahrung der finanziellen Interessen des Staates der einbringenden oder erworbenen Gesellschaft eine Besteuerung anlässlich einer Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder eines Austauschs von Anteilen vermeiden.

Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie darf die "Fusion oder die Spaltung ... keine Besteuerung des Unterschieds zwischen dem tatsächlichen Wert und dem steuerlichen Wert des übertragenen Aktiv- und Passivvermögens auslösen".

Nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 90/434 darf die "Zuteilung von Anteilen am Gesellschaftskapital der übernehmenden oder erwerbenden Gesellschaft an die Gesellschafter der einbringenden oder erworbenen Gesellschaft gegen Anteile an deren Gesellschaftskapital aufgrund der Fusion, der Spaltung oder des Austausches von Anteilen ... für sich allein keine Besteuerung des Veräußerungsgewinns auslösen".

Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 lautet:

"(1) Ein Mitgliedstaat kann die Anwendung der Titel II, III und IV ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen, wenn eine Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder ein Austausch von Anteilen

a) als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat. Vom Vorliegen eines solchen Beweggrundes kann ausgegangen werden, wenn die Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder der Austausch von Anteilen nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen - insbesondere der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften - beruht; ..."

Nationales Recht

Art. 14 des Körperschaftsteuergesetzes von 1969 (Wet op de vennootschapsbelasting 1969) in der im Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung bestimmt:

"Ein Steuerpflichtiger (Übertragender), der sein gesamtes Unternehmen oder einen selbständigen Teil eines Unternehmens auf eine andere Körperschaft (Übernehmender), die bereits steuerpflichtig ist oder durch die Übernahme wird, gegen Ausgabe von Anteilen am Übernehmenden überträgt (Betriebsfusion), braucht den durch die oder bei der Übertragung erzielten Gewinn nicht in Ansatz zu bringen ... Wird der Gewinn nicht in Ansatz gebracht, tritt der Übernehmende hinsichtlich sämtlicher im Rahmen der Betriebsfusion erlangter Vermögensbestandteile an die Stelle des Übertragenden.

...

4. Abweichend von den Abs. 1 und 2 ist der Gewinn in Ansatz zu bringen, wenn die Betriebsfusion vorrangig darauf gerichtet ist, die Besteuerung zu vermeiden oder aufzuschieben. Sofern nicht das Gegenteil glaubhaft gemacht wird, gilt die Betriebsfusion als vorrangig auf Vermeidung oder Aufschub der Besteuerung gerichtet, wenn sie nicht aus vernünftigen wirtschaftlichen Gründen wie der Umstrukturierung oder Rationalisierung der Tätigkeiten des Übertragenden und des Übernehmenden beruht. Werden die Anteile am Übertragenden oder am Übernehmenden innerhalb von drei Jahren nach der Übertragung ganz oder teilweise unmittelbar oder mittelbar an eine Körperschaft veräußert, die nicht mit dem Übertragenden und dem Übernehmenden verbunden ist, gelten die vernünftigen wirtschaftlichen Gründe als nicht bestehend, sofern nicht das Gegenteil glaubhaft gemacht wird.

...

8. Möchte sich der Übertragende sicher sein, dass die Betriebsfusion nicht als vorrangig auf Vermeidung oder Aufschub der Besteuerung gerichtet gilt, kann er vor der Übertragung einen Antrag beim Inspektor einreichen, der darüber durch mit Einspruch anfechtbaren Bescheid entscheidet."

Nach Art. 2 des Verkehrsteuergesetzes von 1970 (Wet op belastingen van rechtsverkeer 1970) in der im Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung ist die Verkehrsteuer "eine Steuer auf den Erwerb von in den Niederlanden belegenen Immobilien oder von Rechten daran".

Art. 4 dieses Gesetzes sieht vor:

"'Immobilien' im Sinne von Art. 2 sind insbesondere (fiktive Immobilien)

a) Anteile an Körperschaften, deren Kapital in Anteile aufgeteilt ist und deren Vermögen zum Zeitpunkt des Erwerbs oder zu einem beliebigen Zeitpunkt während des dem Erwerb vorangegangenen Jahres hauptsächlich aus in den Niederlanden belegenen Immobilien besteht oder bestanden hat, sofern diese Immobilien als Ganzes zu diesem Zeitpunkt vollständig oder hauptsächlich dem Erwerb, der Veräußerung oder der Nutzung jener Immobilien dienen oder gedient haben ..."

Nach Art. 14 dieses Gesetzes "[beträgt d]ie Steuer ... 6 %".

Art. 15 Abs. 1 Buchst. h des Gesetzes lautet:

"Von der Steuer befreit ist unter den durch eine Verordnung festzulegenden Voraussetzungen der Erwerb

h. im Fall der Fusion, der Spaltung und der internen Umstrukturierung".

Art. 5a der Verordnung zur Durchführung des Verkehrsteuergesetzes (Uitvoeringsbesluit wet op belastingen van rechtsverkeer) in der im Ausgangsverfahren geltenden Fassung bestimmt:

"1. Die in Art. 15 Abs. 1 Buchst. h des Gesetzes vorgesehene Befreiung wegen Fusion ist anwendbar, wenn eine Gesellschaft das gesamte Unternehmen oder einen selbständigen Teil davon von einer anderen Gesellschaft gegen Zuteilung von Anteilen erwirbt.

2. Eine Zuteilung von Anteilen liegt vor, wenn zusammen mit der Zuteilung von Anteilen ein Geldbetrag von höchstens 10 % des Wertes des für die Anteile Geleisteten gezahlt wird.

...

7. Im Rahmen dieses Artikels ist eine Gesellschaft eine Aktiengesellschaft, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, eine Kommanditgesellschaft oder eine andere Gesellschaft, deren Kapital ganz oder teilweise in Anteile aufgeteilt ist. ..."

Sachverhalt und Vorlagefragen

Zwijnenburg betrieb in zwei Gebäuden in der Tolstraat 17 und 19 in Meerbeek (Niederlande) ein Bekleidungsgeschäft. Sie war Eigentümerin des Gebäudes in der Tolstraat 19 und mietete das Gebäude in der Tolstraat 17 von der A. Zwijnenburg Beheer BV (im Folgenden: Beheer), die Eigentümerin des Gebäudes war und deren einzige Geschäftstätigkeit in der Verwaltung von Immobilien bestand.

Die Anteile an Beheer wurden von A. J. Zwijnenburg und seiner Frau (im Folgenden: Eltern) gehalten.

Die Anteile an Zwijnenburg wurden über eine Holding von L. E. Zwijnenburg (im Folgenden: Sohn) und seiner Frau gehalten.

Um die Übernahme des elterlichen Geschäfts durch den Sohn abzuschließen, die bereits im Dezember 1990 begonnen hatte, war vorgesehen, dass Zwijnenburg ihr Bekleidungsgeschäft und das Gebäude in der Tolstraat 19 gegen Anteile an Beheer überträgt. Diese Betriebsfusion sollte nach Art. 14 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes von 1969 steuerfrei erfolgen.

Später sollte Zwijnenburg die restlichen Anteile der Eltern an Beheer erwerben, auf die eine Kaufoption bestand. Dieser Vorgang sollte nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. h des Verkehrsteuergesetzes von 1970 in Verbindung mit Art. 5a Abs. 1 der Durchführungsverordnung zu diesem Gesetz von Verkehrsteuer befreit erfolgen.

Mit Schreiben vom beantragte Zwijnenburg bei der Steuerverwaltung, zu bestätigen, dass die geplante Betriebsfusion von Zwijnenburg und Beheer sowie der spätere Erwerb der Anteile an Beheer durch Zwijnenburg steuerfrei - insbesondere ohne Verpflichtung zur Zahlung von Verkehrsteuer - durchgeführt werden könnten.

Mit Bescheid vom lehnte der Inspektor der Steuerverwaltung den Antrag mit der Begründung ab, dass die geplante Betriebsfusion in den Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes von 1969 falle, weil sie vorrangig dazu diene, die Steuer zu vermeiden oder aufzuschieben.

Auf einen Einspruch hin erhielt der Inspektor seinen Bescheid aufrecht. Die Klage von Zwijnenburg gegen diesen Bescheid wurde vom Gerechtshof te 's-Gravenhage als unbegründet abgewiesen.

Nach den Ausführungen dieses Gerichts beruhte zwar der Wunsch, die Gebäude in der Tolstraat 17 und 19 in ein einziges Unternehmen zusammenzuführen, dessen Vorteile schließlich dem Sohn zufallen sollten, auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen. Nicht durch wirtschaftliche Gründe motiviert sei jedoch der für die Zusammenführung der beiden Gebäude gewählte Weg einer Betriebsfusion, bei der Zwijnenburg ihr Unternehmen in Beheer einbringen und später die Anteile an dieser erwerben solle.

Zwijnenburg habe nicht glaubhaft gemacht, dass eine Steuerhinterziehung oder -umgehung nicht der hauptsächliche Beweggrund oder einer der hauptsächlichen Beweggründe für die geplante Betriebsfusion gewesen sei. Der einzige Beweggrund für die Wahl dieses Fusionsvorgangs sei die Vermeidung der Verkehrsteuer gewesen, die bei einer unmittelbaren Übertragung des Gebäudes Tolstraat 17 auf Zwijnenburg angefallen wäre, sowie der Aufschub der Erhebung von Körperschaftsteuer auf die Differenz zwischen dem Buchwert dieses Gebäudes und dem Marktwert bei Übertragung.

Im Ergebnis sei mit dem Vorgang zwar ein wirtschaftliches Ziel verfolgt worden, doch sei die gewählte finanzielle Konstruktion nur ein Trick gewesen, um Steuervergünstigungen zu erlangen, die Betriebsfusionen vorbehalten seien.

Zwijnenburg erhob daraufhin Kassationsbeschwerde beim Hoge Raad der Nederlanden.

Dieses Gericht hat festgestellt, dass die Eltern aufgrund der fraglichen Vorgangs erneut ein Interesse an dem Betrieb hätten, obwohl sie sich daraus zugunsten ihres Sohnes und seiner Frau hätten zurückziehen wollen. Einer der hauptsächlichen Beweggründe für die geplante Fusion sei es daher gewesen, bestimmte steuerliche Folgen, nämlich die Verpflichtung von Zwijnenburg zur Zahlung von Verkehrsteuer, zu vermeiden, die eingetreten wären, wenn Zwijnenburg das Gebäude in der Tolstraat 17 erworben hätte oder die Anteile an Beheer an sie veräußert worden wären.

Art. 14 des Körperschaftsteuergesetzes von 1969 übernehme die Bestimmungen des Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434, und zwar auch für rein innerstaatliche Sachverhalte. Die Verkehrsteuer gehöre jedoch nicht zu den Steuern, deren Erhebung nach dieser Richtlinie unterbleiben müsse.

Vor diesem Hintergrund hat der Hoge Raad der Nederlanden das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434/EWG dahin auszulegen, dass die Vergünstigungen dieser Richtlinie dem Steuerpflichtigen versagt werden können, wenn eine Gesamtheit von Rechtshandlungen darauf gerichtet ist, die Erhebung einer anderen Steuer als derjenigen Steuern, auf die sich die in dieser Richtlinie enthaltenen Vergünstigungen beziehen, zu vermeiden?

Zur Vorlagefrage

Vorbemerkungen

Mit Ausnahme von Zwijnenburg sind alle Beteiligten, die schriftliche Erklärungen eingereicht haben, zu dem Ergebnis gekommen, dass der Gerichtshof für die Beantwortung der Vorlagefrage zuständig sei.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Art. 234 EG im Wege der Vorabentscheidung u. a. über die Auslegung des EG-Vertrags und der Handlungen der Organe der Union entscheidet.

Zwar steht fest, dass der Ausgangsrechtsstreit eine Vorschrift des nationalen Rechts betrifft, die in einem rein nationalen Kontext anzuwenden ist.

Das nationale Gericht hat jedoch erläutert, dass der niederländische Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie 90/434 beschlossen habe, die dort vorgesehene steuerliche Behandlung auch für rein innerstaatliche Sachverhalte vorzuschreiben, so dass nationale und grenzüberschreitende Umstrukturierungen derselben steuerlichen Fusionsregelung unterlägen.

Richten sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen, um insbesondere zu verhindern, dass es zu Benachteiligungen der eigenen Staatsangehörigen oder zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, besteht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein klares Interesse der Union daran, dass die aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern (vgl. Urteile vom , Leur-Bloem, C-28/95, Slg. 1997, I-4161, Randnr. 32, und vom 15. Januar 2002, Andersen og Jensen, C-43/00, Slg. 2002, I-379, Randnr. 18).

Dabei ist es allein Sache des nationalen Gerichts, die genaue Tragweite dieser Verweisung auf das Unionsrecht zu beurteilen; die Zuständigkeit des Gerichtshofs beschränkt sich auf die Prüfung der unionsrechtlichen Bestimmungen (Urteil Leur-Bloem, Randnr. 33).

Der Gerichtshof ist demnach für die Auslegung der Richtlinie 90/434 zuständig, auch wenn sie den Ausgangssachverhalt nicht unmittelbar regelt. Die vom Hoge Raad der Nederlanden vorgelegte Frage ist daher zu beantworten.

Zur Vorlagefrage

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Richtlinie vorgesehenen Vergünstigungen einem Steuerpflichtigen versagt werden können, der geplant hat, mittels einer eine Betriebsfusion umfassenden rechtlichen Gestaltung die Erhebung einer Steuer wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, nämlich der Verkehrsteuer, zu vermeiden, auch wenn diese Steuer nicht von der Richtlinie erfasst wird.

Aus den Verfahrensakten geht hervor, dass die niederländischen Steuerbehörden in Ermangelung einer ausdrücklichen nationalen Vorschrift, die ihnen erlaubt, die Befreiung von der Verkehrsteuer im Fall einer Betriebsfusion zu versagen, wenn erwiesen ist, dass die Vermeidung dieser Steuer den vorrangigen Grund für die Vornahme der Fusion durch den Steuerpflichtigen darstellt, Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 anwenden möchten, um als Ausgleich für die entgangene Verkehrsteuer Körperschaftsteuer zu erheben.

Zum Ziel der Richtlinie hat der Gerichtshof bereits ausgeführt, dass diese nach ihrem ersten Erwägungsgrund der Schaffung wettbewerbsneutraler steuerlicher Regelungen dient, um die Anpassung von Unternehmen an die Erfordernisse des Gemeinsamen Marktes, eine Erhöhung ihrer Produktivität und eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu ermöglichen. In diesem Erwägungsgrund heißt es weiter, dass Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und der Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, nicht durch besondere Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten behindert werden dürfen (Urteil Leur-Bloem, Randnr. 45).

Genauer wird mit der Richtlinie 90/434 bezweckt, steuerliche Hindernisse für grenzüberschreitende Unternehmensumstrukturierungen zu beseitigen, indem sichergestellt wird, dass etwaige Wertzuwächse von Anteilen nicht vor ihrer tatsächlichen Realisierung besteuert werden (Urteile vom , Kofoed, C-321/05, Slg. 2007, I-5795, Randnr. 32, und vom , A.T., C-285/07, Slg. 2008, I-9329, Randnr. 28).

Zu diesem Zweck bestimmt die Richtlinie 90/434 u. a. in Art. 4, dass die Fusion oder die Spaltung keine Besteuerung des Unterschieds zwischen dem tatsächlichen Wert und dem steuerlichen Wert des übertragenen Aktiv- und Passivvermögens auslösen darf, und in Art. 8, dass die Zuteilung von Anteilen am Gesellschaftskapital der übernehmenden oder erwerbenden Gesellschaft an die Gesellschafter der einbringenden oder erworbenen Gesellschaft gegen Anteile an deren Gesellschaftskapital aufgrund der Fusion, der Spaltung oder des Austauschs von Anteilen für sich allein keine Besteuerung des Veräußerungsgewinns auslösen darf.

Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass das in der Richtlinie 90/434 vorgesehene gemeinsame Steuersystem, das verschiedene steuerliche Vorteile umfasst, gleichermaßen auf alle Fusionen, Spaltungen und Einbringungen von Unternehmensteilen sowie jeden Austausch von Anteilen anzuwenden ist, gleichgültig, ob ihre Gründe finanzieller, wirtschaftlicher oder rein steuerlicher Art sind (Urteile Leur-Bloem, Randnr. 36, und Kofoed, Randnr. 30).

Daraus folgt, dass sich die Vorgänge, die von den in der Richtlinie 90/434 vorgesehenen Vergünstigungen erfasst werden können, nicht nach finanziellen, wirtschaftlichen oder steuerlichen Gesichtspunkten bestimmen. Die Gründe für den geplanten Vorgang sind jedoch im Rahmen der Umsetzung der Befugnis nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie von Bedeutung.

Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 können nämlich die Mitgliedstaaten die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen, wenn der Austausch von Anteilen insbesondere als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat. In dieser Vorschrift wird außerdem klargestellt, dass die Tatsache, dass der Vorgang nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen wie etwa der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften beruht, eine Vermutung dafür begründen kann, dass mit diesem Vorgang ein derartiges Ziel verfolgt wird (Urteile Leur-Bloem, Randnrn. 38 und 39, sowie Kofoed, Randnr. 37).

Bei der Prüfung, ob der beabsichtigte Vorgang einen solchen Beweggrund hat, können sich die zuständigen nationalen Behörden nicht darauf beschränken, vorgegebene allgemeine Kriterien anzuwenden; sie müssen vielmehr eine umfassende Untersuchung jedes Einzelfalls vornehmen (Urteil Leur-Bloem, Randnr. 41).

Die Mitgliedstaaten können nämlich nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 nur ausnahmsweise in besonderen Fällen die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen (Urteile Kofoed, Randnr. 37, und A.T., Randnr. 31).

Folglich ist Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 als Ausnahmevorschrift unter Berücksichtigung seines Wortlauts, seines Zwecks und seines Kontextes eng auszulegen.

Da diese Bestimmung in Bezug auf die vernünftigen wirtschaftlichen Gründe auf die Umstrukturierung oder Rationalisierung der am betreffenden Vorgang beteiligten Gesellschaften verweist, bei deren Vorliegen die Vermutung einer Steuerhinterziehung oder -umgehung nicht greift, beschränkt sie sich eindeutig auf den Bereich der Fusion von Gesellschaften und sonstiger diese betreffender Umstrukturierungsvorgänge und ist nur auf Steuern anwendbar, die durch diese Vorgänge ausgelöst werden.

Die vorstehenden Feststellungen werden zusätzlich durch den Umstand gestützt, dass der Bereich der direkten Steuern als solcher beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nicht in die Zuständigkeit der Union fällt.

Wie die Generalanwältin in Nr. 52 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, führt die Richtlinie 90/434 nämlich nicht zu einer umfassenden Harmonisierung der Steuern, die anlässlich einer Fusion oder eines ähnlichen Vorgangs zwischen Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten erhoben werden dürfen. Durch die Schaffung wettbewerbsneutraler steuerlicher Regelungen gleicht sie lediglich bestimmte steuerliche Nachteile für die grenzüberschreitende Umstrukturierung von Unternehmen aus.

Daraus folgt, dass nur die in der Richtlinie 90/434 ausdrücklich genannten Steuern von den dort vorgesehenen Vergünstigungen erfasst werden sollen und somit in den Geltungsbereich der Ausnahme nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie fallen können.

Im Rahmen der vorgesehenen Vergünstigungen bezieht sich die Richtlinie 90/434, auch wenn sie der Besteuerung von Wertzuwächsen einen besonderen Platz einräumt, aber im Wesentlichen auf die Körperschaftsteuer und auf die von den Anteilseignern von Gesellschaften zu zahlenden Steuern.

Dagegen enthält die Richtlinie keine Anhaltspunkte, die den Schluss zuließen, dass mit ihr bezweckt wurde, die Vergünstigungen auf andere Steuern wie die im Ausgangsverfahren fragliche zu erstrecken, bei der es sich um eine Steuer handelt, die im Fall des Erwerbs einer im betreffenden Mitgliedstaat belegenen Immobilie erhoben wird.

Ein solcher Fall fällt nach wie vor unter die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten.

Unter diesen Voraussetzungen können die in der Richtlinie 90/434 vorgesehenen Vergünstigungen nicht gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie versagt werden, um die Nichtzahlung einer Steuer wie der im Ausgangsverfahren fraglichen zu kompensieren, deren Bemessungsgrundlage und Steuersatz sich zwangsläufig von denjenigen unterscheiden, die für Fusionen von Gesellschaften und andere diese betreffende Reorganisationsmaßnahmen gelten.

Ein anderes Vorgehen würde nicht nur zu einer Beeinträchtigung der einheitlichen und kohärenten Auslegung der Richtlinie 90/434 führen, sondern auch über dasjenige hinausgehen, was erforderlich ist, um entsprechend dem vierten Erwägungsgrund der Richtlinie die finanziellen Interessen des betreffenden Mitgliedstaats zu wahren. Wie die Generalanwältin in Nr. 66 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, beschränkt sich das finanzielle Interesse des betreffenden Mitgliedstaats, wenn der hauptsächliche Beweggrund der geplanten Fusion in der Umgehung der Verkehrsteuer besteht, auf die Erhebung eben dieser Verkehrsteuer und kann nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen.

Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Richtlinie vorgesehenen Vergünstigungen einem Steuerpflichtigen, der geplant hat, mittels einer eine Betriebsfusion umfassenden rechtlichen Konstruktion die Erhebung einer Steuer wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, nämlich der Verkehrsteuer, zu vermeiden, nicht versagt werden kann, da diese Steuer nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ist dahin auszulegen, dass die in dieser Richtlinie vorgesehenen Vergünstigungen einem Steuerpflichtigen, der geplant hat, mittels einer eine Betriebsfusion umfassenden rechtlichen Konstruktion die Erhebung einer Steuer wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, nämlich der Verkehrsteuer, zu vermeiden, nicht versagt werden kann, da diese Steuer nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
TAAAD-45039