Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 1 A 1208/06 Beschlussvorgehend VG Gelsenkirchen Az: XX Urteil
Tatbestand
1Der Kläger stand als Beamter der Besoldungsgruppe A 9 im Dienst des Beklagten. Auf seinen Antrag, ihm für während der Jahre 1998 und 1999 entstandene krankheitsbedingte Aufwendungen Beihilfen zu gewähren, setzte der Beklagte unter Abzug der jährlichen Selbstbeteiligung des Klägers für das Jahr 1999 von 200 DM (102,26 €) eine Beihilfe in Höhe von 2 504,17 DM (1 280,36 €) fest.
2Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des § 12a BVO NRW eingeholt, das Bundesverfassungsgericht hat diese Vorlage durch Beschluss vom als unzulässig verworfen. Durch Urteil vom hat das Verwaltungsgericht den Beklagten unter Änderung des Ausgangsbescheids und Aufhebung des Widerspruchsbescheids zur Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 102,26 € (200 DM) verpflichtet. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage im Wesentlichen aus folgenden Gründen abgewiesen:
3§ 12a BVO NRW in der für 1999 maßgeblichen Fassung sei formell und materiell rechtmäßig. Die Vorschrift beruhe auf einer hinreichenden Rechtsgrundlage; es sei auch nicht zu beanstanden, dass sie durch ein Parlamentsgesetz in die BVO NRW eingefügt worden sei. Sie verstoße weder gegen das Alimentationsprinzip noch die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, weil die Selbstbeteiligung der Beamten an den Krankheitskosten auf maßvolle Beträge beschränkt sei. Auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG liege nicht vor.
4Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Er beantragt,
den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom zu ändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom zurückzuweisen.
5Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
6Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Gründe
7Die Revision des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1, § 141 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts ist nicht zu beanstanden. Der Beklagte war berechtigt, die Beihilfe des Klägers für das Jahr 1999 um die Kostendämpfungspauschale gemäß § 12a der nordrhein-westfälischen Beihilfenverordnung - BVO NRW - zu kürzen (dazu 1.). Ein Begehren des Klägers festzustellen, dass seine Alimentation die Grenze der Amtsangemessenheit in einem bestimmten Zeitraum unterschritten habe, ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden (dazu 2.).
81. Gemäß § 12a Abs. 1 BVO NRW in der hier maßgebenden Fassung des Art. II Nr. 8 des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 1999 und zur Sicherung des Haushalts vom (GV. NRW S. 750 <757>) wird die Beihilfe je Kalenderjahr, in dem ein Beihilfeantrag gestellt wird, um eine gestaffelte Kostendämpfungspauschale von 200 bis 1 000 DM (102,26 bis 511,29 €) gekürzt. Beamte mit einem Amt der Besoldungsgruppe A 9 sind der Stufe 1 (200 DM bzw. 102,26 €) zugeordnet. Für jedes berücksichtigungsfähige Kind verringert sich die Kostendämpfungspauschale nach § 12a Abs. 5 BVO NRW um 50 DM (25,56 €).
9§ 12a Abs. 1 BVO NRW unterliegt nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats weder hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts noch im Hinblick auf Art. 33 Abs. 5 GG und Art. 3 Abs. 1 GG Bedenken. Insbesondere verlangen weder die Alimentations- noch die Fürsorgepflicht, dass Aufwendungen im Krankheitsfall durch Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung und ergänzende Beihilfeleistungen lückenlos gedeckt werden. Der Rechtsauffassung, es sei systemwidrig und deshalb verfassungswidrig, das geltende Mischsystem der Beihilfe dahin zu modifizieren, dass dem Beamten ein nicht versicherbarer Selbstbehalt auferlegt werde, ist der Senat in seinem Urteil vom (BVerwG 2 C 49.07, BVerwGE 131, 20) entgegengetreten. Auf dieses Urteil wird Bezug genommen. Der Revisionsvortrag des Klägers bietet keinen Anlass zu weitergehenden Ausführungen.
102. Soweit der Kläger ergänzend vorträgt, zu seinen Lasten liege "eher eine Unteralimentation" vor, verhilft auch dies der Revision nicht zum Erfolg. Denn selbst wenn das Gebot amtsangemessener Alimentation als Folge von Kürzungen bei unterschiedlichen Besoldungs- oder Fürsorgeleistungen verletzt wäre, würde daraus kein Anspruch auf Bewilligung einer höheren Beihilfe folgen, sondern ein Anspruch auf Anhebung des Alimentationsniveaus. Ein solcher Anspruch wäre mit Hilfe einer Klage auf Feststellung durchzusetzen, dass und ab wann der Dienstherr seine Alimentationspflicht verletzt hat.
11Dem Gesetzgeber kommt bei der Ausgestaltung eines den Vorgaben des Art. 33 Abs. 5 GG entsprechenden Systems von Alimentation und Fürsorgeleistungen, insbesondere bei der Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang Beihilfeleistungen gewährt werden, ein erheblicher Spielraum zu. Das Beihilfensystem als solches ist nicht verfassungsrechtlich verankert, da es nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) gehört. Ob die Fürsorge in Krankheits- und Pflegefällen durch Beihilfeleistungen, durch Mittel der Regelalimentation zur Finanzierung einer Krankenversicherung oder nicht versicherbarer Belastungen oder durch eine Kombination aus diesen Elementen unter Wahrung der Amtsangemessenheit der Alimentation sichergestellt wird, ist dem Gesetzgeber überlassen ( - BVerfGE 106, 225 <232 f.>; Kammerbeschluss vom - 2 BvR 1715/03 u.a. - DVBl 2007, 1493 <1495>; BVerwG 2 C 36.02 - BVerwGE 118, 277 <279 f.>). Der Spielraum des Gesetzgebers bei der Gestaltung des Besoldungsrechts wird grundsätzlich erst durch Maßnahmen überschritten, die sich als evident sachwidrig erweisen (BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvL 7/98 - BVerfGE 103, 310 <320> und vom - 2 BvL 16/02 - BVerfGE 110, 353 <364>; stRspr). Deshalb kann der Gesetzgeber das Alimentationsniveau sowohl dadurch anheben, dass er die Dienstbezüge erhöht, als auch dadurch, dass er besoldungsrelevante Einschnitte rückgängig macht oder Fürsorgeleistungen gewährt. Selbst wenn das Beihilfensystem so ausgestaltet sein sollte, dass die Beamten in Krankheits- und Pflegefällen unter Verstoß gegen das Gebot amtsangemessener Alimentation mit unzumutbaren Kosten belastet werden, würde daraus nicht die Nichtigkeit der entsprechenden beihilferechtlichen Vorschriften folgen, sondern die Notwendigkeit einer Anpassung des Alimentationsniveaus etwa durch Änderung des Besoldungsgesetzes.
12Der Beamte, der sein grundrechtsgleiches Recht auf amtsangemessene Alimentation geltend machen will, kann dieses Ziel deshalb nicht durch eine Klage auf Gewährung von Fürsorgeleistungen erreichen. Es ist Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise die amtsangemessene Alimentation sichergestellt wird. Dieser Gestaltungsspielraum kann nur dadurch gewahrt werden, dass betroffene Beamte ihren auf eine höhere Alimentation zielenden Anspruch prozessual durch eine Feststellungsklage geltend machen (stRspr; Urteile vom a.a.O., vom - BVerwG 2 C 23.07 - Buchholz 11 Art. 57 GG Nr. 1 und vom - BVerwG 2 C 60.08 -; vgl. auch BVerwG 2 C 7.95 - Buchholz 240 § 2 BBesG Nr. 8 und u.a. - juris). Dieser Weg ist ihnen auch im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zuzumuten, da davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber die Konsequenzen aus einer entsprechenden gerichtlichen Feststellung ziehen wird. In wirtschaftlichen Notlagen kommen unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht vorläufige Zahlungen in Betracht (Urteil vom , a.a.O.).
13Ein auf die Feststellung einer verfassungswidrig unzureichenden Alimentation gerichtetes Begehren ist im vorliegenden Fall jedoch nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens. Ein solches Begehren lässt sich dem Vortrag des Klägers in erster und zweiter Instanz nach den Feststellungen des Berufungsgerichts weder ausdrücklich noch konkludent entnehmen; im Revisionsverfahren wäre eine entsprechende Klageänderung im Übrigen gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO unzulässig.
14Der Streitgegenstand im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wird nicht nur durch den Klageantrag, sondern auch durch den Klagegrund bestimmt. Neben der angestrebten Rechtsfolge ist deshalb auch der Sachverhalt, aus dem sich diese Rechtsfolge ergeben soll, für den Streitgegenstand bestimmend ( BVerwG 8 B 72.00 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 80). Das Gericht ist bei der Ermittlung des Begehrens zwar nicht an die Fassung der Anträge gebunden, darf aber über das Klagebegehren nicht hinausgehen (§ 88 VwGO). Im vorliegenden Fall hat der Kläger sich nach den in erster und zweiter Instanz gestellten Anträgen auf die Anfechtung des Beihilfebescheids vom 21. und und des Widerspruchsbescheids vom sowie auf die Erhebung einer Verpflichtungsklage auf Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 102,26 € für das Jahr 1999 beschränkt. Damit hat er den zur Entscheidung des Gerichts gestellten Sachverhalt auf das Beihilferecht beschränkt; alleiniges Ziel des Verfahrens ist - wie sich nicht zuletzt in dem vom Berufungsgericht festgesetzten Streitwert widerspiegelt - die Durchsetzung eines bezifferten Anspruchs auf höhere Beihilfeleistungen. Zwar ist der Kläger zur Begründung des geltend gemachten Leistungsbegehrens auch auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit seiner Besoldung im Jahr 1999 eingegangen. Diesen Ausführungen kommt für das angestrebte Rechtsschutzziel jedoch lediglich die Funktion eines Begründungselements zu, das die Voraussetzungen für die Gewährung weiterer Fürsorgeleistungen belegen soll. Ein auf die allgemeine und dauerhafte Erhöhung der Bezüge durch Tätigwerden des Gesetzgebers gerichtetes Klagebegehren hat der Kläger weder formuliert noch ist es als nachrangiges Begehren in dem streitgegenständlichen Leistungsantrag auf Gewährung einer weiteren Beihilfe enthalten, weil die Rechtsschutzziele beider Begehren nicht identisch sind (vgl. BVerwG 2 C 1.04 - BVerwGE 123, 308 <312>).
Fundstelle(n):
OAAAD-44611