BVerwG Urteil v. - 8 C 17.08

Leitsatz

Leitsatz:

Ein gemeinsamer Wahlvorschlag mehrerer Fraktionen für die Wahl zur Besetzung der Ausschüsse der Gemeindevertretung ist auch dann unzulässig, wenn ihm eine durch einen Koalitionsvertrag vereinbarte Zusammenarbeit der Fraktionen zugrunde liegt (Bestätigung und Weiterführung des Urteils vom - BVerwG 8 C 18.03 - BVerwGE 119, 305).

Gesetze: GG Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 28

Instanzenzug: VGH Hessen, 8 UE 823/07 vom VG Kassel, VG 3 E 1118/06 vom Veröffentlichungen: Amtliche Sammlung: nein; Fachpresse: ja

Gründe

I

Der Kläger begehrt die Feststellung der Ungültigkeit der von der Beklagten vollzogenen Wahlen zur Besetzung verschiedener Ausschüsse.

Nach ihrer Hauptsatzung bildet die Beklagte einen Haupt- und Finanzausschuss, einen Bauausschuss, einen Sozialausschuss sowie einen Wirtschaftsausschuss mit jeweils fünf Mitgliedern.

In der Legislaturperiode 2006 bis 2011 gehören der Beklagten 31 Mitglieder an, von denen 13 auf die Fraktion der CDU, 10 auf die Fraktion der SPD, 3 auf die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, 2 auf die Fraktion der FDP und 3 auf die Fraktion der BLF entfallen. Der Kläger ist Mitglied der beklagten Stadtverordnetenversammlung und Vorsitzender der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Am schlossen die Fraktionen der CDU, BLF und FDP eine Vereinbarung über die Bildung einer Koalition für die Wahlperiode 2006 bis 2011 im Stadtparlament F. In § 6 des Vertrages ist geregelt, dass die CDU in alle Ausschüsse zwei Mitglieder entsendet, die BLF in drei Ausschüssen jeweils ein Mitglied und die FDP in einem Ausschuss ein Mitglied stellt.

In der konstituierenden Sitzung der Beklagten am legten die Fraktionen von CDU, BLF und FDP zu den Wahlen der Mitglieder der vier Ausschüsse jeweils einen gemeinsamen Wahlvorschlag, die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen jeweils eigene Wahlvorschläge vor. Bei den Wahlen gaben die 31 Mitglieder der Beklagten jeweils 31 gültige Stimmen ab, von denen jeweils 18 Stimmen auf den gemeinsamen Wahlvorschlag von CDU, BLF und FDP, 10 Stimmen auf den Wahlvorschlag der SPD und 3 Stimmen auf den von Bündnis 90/Die Grünen entfielen. Der gemeinsame Wahlvorschlag von CDU, BLF und FDP erhielt daraufhin jeweils drei Sitze, der Wahlvorschlag der SPD jeweils zwei Sitze.

Wäre nach den Listen der jeweiligen Fraktionen gewählt worden und hätten die Stadtverordneten ihre Stimmen entsprechend ihrer Fraktionszugehörigkeit abgegeben, wären bei Anwendung des Hare-Niemeyer-Verfahrens jeweils zwei Sitze auf die Wahlvorschläge der CDU und der SPD entfallen. Wegen des fünften Sitzes hätte es einen Losentscheid zwischen den Wahlvorschlägen von Bündnis 90/Die Grünen und BLF geben müssen. Die FDP-Fraktion wäre bei Verteilung der Ausschusssitze als schwächste Fraktion leer ausgegangen.

Den Widerspruch des Klägers gegen die von der Beklagten am vollzogenen Wahlen zur Besetzung der vier Ausschüsse wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom zurück. Mit Urteil vom hat das Verwaltungsgericht Kassel die Klage des Klägers abgewiesen und die Berufung zugelassen.

Mit Urteil vom hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Entgegen der Auffassung des Klägers seien bei mittelbaren Wahlen durch die Gemeindevertretung - im Unterschied zu unmittelbaren Wahlen durch die wahlberechtigten Bürger - gemeinsame Wahlvorschläge zulässig. Nach dem Hessischen Kommunalwahlgesetz seien Gemeindevertretungen nach den Grundsätzen einer mit einer Personenwahl verbundenen Verhältniswahl zu wählen. Wahlvorschläge könnten nur von Parteien im Sinne des Art. 21 GG und von Wählergruppen eingereicht werden. Auf dieser ersten Stufe der unmittelbaren Wahl der Volksvertretung sei die Verbindung von Wahlvorschlägen mehrerer Parteien oder Wählergruppen verboten. Nach dem Gedanken der repräsentativen Demokratie beschränke sich die Einflussnahme der Bürger auf diese erste Stufe. Auf der zweiten Stufe bildeten die Volksvertreter im Wege mittelbarer Wahlen weitere Gremien wie Ausschüsse etc. Dabei stehe ihnen das sogenannte freie Mandat zu. Die Regelung des § 55 Abs. 3 HGO, wonach die mittelbaren Wahlen "aufgrund von Wahlvorschlägen aus der Mitte der Gemeindevertretung" stattfinden, sei dahin zu verstehen, dass die Gemeindevertreter hinsichtlich der Wahlvorschläge völlig frei, insbesondere also auch gemeinsame Wahlvorschläge mehrerer Gruppen oder Fraktionen zulässig seien. Diese Betrachtungsweise lasse sich mit dem von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch auf die Ebene der Gemeinden übertragenen Spiegelbildlichkeitsprinzip vereinbaren. Als verkleinerte Abbilder des Plenums müssten die Ausschüsse in ihrer Zusammensetzung das im Plenum wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum widerspiegeln. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gelte der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit jedoch nicht uneingeschränkt, sondern müsse im Konfliktfall mit dem Prinzip stabiler parlamentarischer Mehrheitsbildung in Einklang gebracht werden. Deshalb sei eine Einschränkung des Spiegelbildlichkeitsprinzips auch für den Fall gerechtfertigt, dass sich mehrere Fraktionen zu einer auf Dauer angelegten politischen Zusammenarbeit zusammengeschlossen und damit eine "Regierungsmehrheit" gebildet hätten. Auch im kommunalen Bereich seien in begrenztem Umfang Abweichungen vom Grundsatz der Spiegelbildlichkeit gerechtfertigt, wenn nur dadurch im verkleinerten Gremium Sachentscheidungen ermöglicht würden, die eine realistische Aussicht auf Übereinstimmung mit dem Mehrheitswillen im Plenum hätten. Das Bundesverwaltungsgericht habe nur gemeinsame Wahlvorschläge bloßer Zählgemeinschaften für unzulässig gehalten, die weder als solche vom Volk gewählt wurden noch über die Ausschusswahlen hinausgehende gemeinsame politische Ziele verfolgten. Deshalb könne die "entsprechende Anwendung" des Kommunalwahlgesetzes gemäß § 55 Abs. 4 Satz 1 HGO dahingehend ausgelegt werden, dass Wahlvorschläge gemäß § 10 Abs. 2 KWG nur dann gemeinsam von mehreren Fraktionen eingereicht werden könnten, wenn dem jeweiligen gemeinsamen Wahlvorschlag eine verfestigte Form der politischen Zusammenarbeit zugrunde liege. Das sei hier der Fall, weil CDU, BLF und FDP bereits vor den streitigen (mittelbaren) Ausschusswahlen eine Koalitionsvereinbarung für die Dauer der Legislaturperiode geschlossen hätten.

Der Kläger hat die vom Bundesverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt und rügt die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere des Prinzips der Chancengleichheit und des Demokratieprinzips. Das Prinzip der demokratischen Repräsentation gemäß Art. 28 i.V.m. Art. 20 GG in Gestalt des Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit sei verletzt, weil die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen bei der Besetzung von vier Ausschüssen völlig leer ausgehe, während die kleinere FDP-Fraktion in einem der Ausschüsse einen Sitz erhalten habe.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Verwaltungsgerichts Kassel vom und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom aufzuheben und festzustellen, dass die am vollzogenen Wahlen für den Haupt- und Finanzausschuss, für den Bauausschuss, für den Wirtschaftsausschuss und für den Sozialausschuss ungültig sind,

hilfsweise,

die Urteile des Verwaltungsgerichts Kassel vom und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Ergebnis der am vollzogenen Wahlen für den Haupt- und Finanzausschuss, für den Bauausschuss, für den Wirtschaftsausschuss und für den Sozialausschuss unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzustellen,

sowie

die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

II

Die Revision ist zulässig und begründet. Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs verletzt Bundesrecht und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

Zwar ist das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass die Klage als kommunalrechtliche Wahlprüfungsklage gemäß § 55 Abs. 6 HGO zulässig ist. Die Auslegung, dass die Wahlen der Mitglieder zu vier Ausschüssen der Beklagten gültig sind, verstößt aber gegen Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG.

Die revisionsgerichtliche Prüfung muss von dem Inhalt der irrevisiblen Vorschriften des Kommunalrechts des Landes ausgehen, den das Berufungsgericht durch Auslegung ermittelt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (§ 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Das Revisionsgericht kann insoweit lediglich nachprüfen, ob Bundesrecht - insbesondere Bundesverfassungsrecht - ein anderes Ergebnis gebietet (stRspr; vgl. u.a. BVerwG 7 C 23.93 - Buchholz 160 Wahlrecht Nr. 38 S. 21 <23 f.> = BVerwGE 94, 288). Das ist hier der Fall.

Der Verwaltungsgerichtshof meint, bei der Besetzung von Ausschüssen der Beklagten dürften gemäß § 55 Abs. 3 Hessische Gemeindeordnung (HGO) mehrere Fraktionen, die sich durch einen Koalitionsvertrag zur Zusammenarbeit verpflichtet haben, einen gemeinsamen Wahlvorschlag einreichen mit der Folge, dass eine andere Fraktion in den Ausschüssen weniger Sitze erhielte, als dies der Fall wäre, wenn jede Fraktion einen eigenen Vorschlag vorlegen würde. Diese Auslegung ist mit Bundesrecht nicht vereinbar (vgl. BVerwG 8 C 18.03 - BVerwGE 119, 305 <306 ff.> = Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 149).

Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG muss das Volk in den Ländern, Kreisen und Gemeinden eine Vertretung haben, die aus unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Diese Bestimmung überträgt die in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG getroffene Grundentscheidung der Verfassung für die Prinzipien der Volkssouveränität und der Demokratie auf die Ebene der Gemeinden (vgl. , 2 BvR 268/76 - BVerfGE 47, 253 <272>; - BVerfGE 83, 37 <53>). Daraus folgt, dass die Gemeindevertretung, auch wenn sie kein Parlament, sondern Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft ist, die Gemeindebürger repräsentiert (vgl. BVerwG 7 C 20.91 - BVerwGE 90, 104 <105>). Diese Repräsentation vollzieht sich nicht nur im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen der Gemeindevertretung (vgl. Urteil vom a.a.O. <113> und BVerwG 7 B 49.92 - Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 87). Da sie der ganzen Volksvertretung, d.h. der Gesamtheit ihrer gewählten Mitglieder obliegt, haben alle Mitglieder grundsätzlich gleiche Mitwirkungsrechte (vgl. - BVerfGE 80, 188 <217 f.> und vom - 2 BvE 1/91 - BVerfGE 84, 304 <321>). Entsprechendes gilt für die Fraktionen als Zusammenschlüsse politisch gleichgesinnter Mitglieder der Volksvertretung. Auch die Fraktionen sind somit im Plenum und in den Ausschüssen grundsätzlich gleichberechtigt an der Willensbildung der Volksvertretung zu beteiligen (vgl. , 2 BvE 4/84 - BVerfGE 70, 324 <362 f.>, vom a.a.O. <322 ff., 327 f.> und vom - 2 BvK 1/07 - BVerfGE 120, 82 <120>).

Nach der Rechtsprechung des a.a.O. <222>) muss grundsätzlich jeder Ausschuss des Bundestages ein verkleinertes Bild des Plenums sein und in seiner Zusammensetzung die Zusammensetzung des Plenums widerspiegeln. Aus dem Prinzip der demokratischen Repräsentation und der Einbeziehung der Gemeindevertreter in dieses Prinzip folgt, dass für Gemeindevertretungen das Gleiche gilt. Auch diese dürfen nicht unabhängig von dem Stärkeverhältnis der Fraktionen besetzt werden, über das die Gemeindebürger bei der Wahl der Gemeindevertretung mit entschieden haben. Vielmehr müssen auch diese Ausschüsse grundsätzlich als verkleinerte Abbilder des Plenums dessen Zusammensetzung und das darin wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum widerspiegeln (vgl. Urteile vom a.a.O. und vom a.a.O. <307>).

Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit soll sicherstellen, dass der Ausschuss die Zusammensetzung des Plenums in seiner konkreten, durch die Fraktionen geprägten organisatorischen Gestalt verkleinernd abbildet. Da der Abgeordnete frei ist, sich in Fraktionen zu organisieren, sind die Fraktionen als politische Kräfte ebenso gleich und entsprechend ihrer Stärke zu behandeln wie die gewählten Gemeindevertreter untereinander.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Ausschüsse müssten nicht notwendig ein Spiegelbild der Mehrheitsverhältnisse in der Gemeindevertretung nach Fraktionen, sondern könnten auch ein Spiegelbild der Mehrheitsverhältnisse in der Gemeindevertretung nach gemeinsamen Wahlvorschlägen verschiedener durch eine Koalitionsvereinbarung verbundener Fraktionen sein, widerspricht dem Demokratiegebot des Grundgesetzes. Dass solche Wahlvorschläge unzulässig sind, wenn sie von einer bloßen Zählgemeinschaft getragen werden, hat der Senat im Urteil vom (a.a.O.) bereits entschieden und wird auch im angegriffenen Urteil anerkannt. Der vom Verwaltungsgerichtshof gezogene Umkehrschluss, dass gemeinsame Wahlvorschläge von Koalitionsfraktionen stets zulässig sein müssten, verletzt aber Bundesverfassungsrecht.

Der verfassungsrechtlich gebotene Spiegelbildlichkeitsgrundsatz schützt den Anspruch jedes Mitgliedes der Gemeindevertretung und jeder von den Mitgliedern gebildeten Fraktion auf gleichberechtigte Mitwirkung. Er sichert die Erfolgswertgleichheit der gültigen Wählerstimmen und die gleiche Repräsentation der Wähler durch die gewählten Mandatsträger. Gegenstand und Bezugspunkt der Abbildung ist das Stärkeverhältnis der politischen Kräfte, die sich zur Wahl der Gemeindevertretung gestellt und zwischen denen die Wähler entschieden haben, und nicht der politischen Mehrheiten, die sich erst nach der Wahl in der Gemeindevertretung durch Koalitionsabreden gebildet haben. Sitzverschiebungen zu Gunsten einer Koalitionsmehrheit können deshalb nur durch dem Spiegelbildlichkeitsgrundsatz gleichrangige kollidierende verfassungsrechtliche Vorgaben gerechtfertigt werden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. - BVerfGE 112, 118 <140>) lässt der gleichheitsgerechte Status von Abgeordneten und Fraktionen bei Vorliegen besonderer Gründe Differenzierungen zu. Die für die Teilnahme an der parlamentarischen Willensbildung im Bundestag geltenden Gleichheitsanforderungen werden durch das Verfassungsgebot der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments und durch den demokratischen Grundsatz der Mehrheitsentscheidung (Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG) begrenzt. Kollidieren der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit und der Grundsatz, dass bei Sachentscheidungen die die Regierung tragende parlamentarische Mehrheit sich auch in verkleinerten Abbildungen des Bundestages muss durchsetzen können, so sind beide Grundsätze zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Dabei sind Abweichungen vom Grundsatz der Spiegelbildlichkeit in begrenztem Umfang zu rechtfertigen, wenn nur dadurch im verkleinerten Gremium (Ausschuss) Sachentscheidungen ermöglicht werden, die eine realistische Aussicht haben, mit dem Willen einer im Plenum bestehenden politischen "Regierungsmehrheit" übereinzustimmen ( a.a.O. <140 f.>).

Ob der daraus abgeleitete verfassungsrechtliche Grundsatz einer stabilen parlamentarischen Mehrheitsbildung nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG unmittelbar und mit derselben Gewichtung auch für die Gemeindevertretung gilt, obwohl sie kein Parlament, sondern ein Organ der kommunalen Selbstverwaltung ist (vgl. BVerwG 7 C 20.91 - BVerwGE 90, 104 <105> = Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 117), und obwohl die kommunale Verwaltungsspitze wegen ihrer unmittelbaren Wahl durch die Stimmbürger keiner "parlamentarischen" Mehrheit in der Gemeindevertretung bedarf, muss hier nicht abschließend entschieden werden. Denn auch wenn der Grundsatz stabiler parlamentarischer Mehrheitsbildung unmittelbar oder entsprechend anzuwenden wäre, könnte er die Zulassung gemeinsamer Wahlvorschläge für die Wahlen zur Besetzung der Ausschüsse der Beklagten nicht rechtfertigen.

Die Zulassung gemeinsamer Wahlvorschläge von Fraktionen in der Gemeindevertretung eröffnet - wie der vorliegende Fall zeigt - die Möglichkeit, andere Fraktionen, die entsprechend dem Spiegelbildlichkeitsgrundsatz bei der Ausschussbesetzung berücksichtigt werden müssten, hiervon auszuschließen. Darin liegt eine Beeinträchtigung der im Grundsatz gleicher Repräsentation zum Ausdruck kommenden Erfolgswertgleichheit der kommunalen Wählerstimmen. Unerheblich ist dabei, ob solche Möglichkeiten im Einzelfall manipulativ genutzt werden oder ob das Verdrängen der anderen Fraktion sich als unbeabsichtigte Nebenfolge der Zulassung des gemeinsamen Wahlvorschlages ergibt.

Die Zulassung gemeinsamer Wahlvorschläge von Koalitionsfraktionen zur Sicherung des "Mehrheitsprinzips" ist nicht nach dem Grundsatz des schonendsten Ausgleiches widerstreitender verfassungsrechtlicher Positionen zu rechtfertigen, weil sie den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Spiegelbildlichkeit über das zur Realisierung des Mehrheitsprinzips erforderliche Maß hinaus einschränkt. Im Sinne optimaler praktischer Konkordanz darf jedes der beiden konkurrierenden Gebote durch das andere nur soweit eingeschränkt werden, wie es zu dessen Verwirklichung im konkreten Fall erforderlich ist. Die Einschränkung muss also wechselseitig auf das zur Entfaltung des jeweils anderen Gebotes nötige Mindestmaß begrenzt werden, damit beide in größtmöglichem Umfang zur Geltung kommen können. Daran fehlt es hier. Die Zulassung gemeinsamer Wahlvorschläge von Koalitionsfraktionen setzt das Mehrheitsprinzip zu Lasten des Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes uneingeschränkt durch, obwohl eine stabile Mehrheitsbildung hier auch durch andere, den Spiegelbildlichkeitsgrundsatz weniger beeinträchtigende Maßnahmen zu erreichen wäre.

Dabei bedarf es zunächst keiner Berücksichtigung, dass auch bei Wahlen nach Wahlvorschlägen der einzelnen Fraktionen grundsätzlich denkbar ist, dass Mitglieder einer Fraktion Wahlvorschläge anderer Fraktionen wählen mit der Folge, dass sich die Fraktionsstärken im Plenum nicht in den Ausschüssen widerspiegeln. Der Senat hat dies bereits als mit einer Wahl naturgemäß einhergehende Unwägbarkeiten angesehen, die nicht davon entbinden, bei der Gestaltung des Wahlverfahrens die Grundentscheidung der Verfassung für die Prinzipien der Volkssouveränität und der Demokratie auch auf der Ebene der Gemeinden zu respektieren (vgl. Urteil vom a.a.O. <310>). Insoweit ist es ausreichend, dass jede Fraktion aufgrund der einzelnen Wahlvorschläge die gleiche Chance hat, entsprechend ihrer Stärke im Plenum in die Ausschüsse gewählt zu werden.

Im vorliegenden Fall - und nur auf den jeweiligen Einzelfall bezogen kann der schonende Ausgleich im Wege der praktischen Konkordanz gefunden werden - wären, wenn nach den Listen der jeweiligen Fraktionen gewählt worden wäre und die Stadtverordneten ihre Stimmen entsprechend ihrer Fraktionszugehörigkeit abgegeben hätten, bei Anwendung des Hare-Niemeyer-Verfahrens jeweils zwei Sitze auf die Wahlvorschläge der CDU und der SPD entfallen. Wegen des fünften Sitzes hätte es einen Losentscheid zwischen den Wahlvorschlägen von Bündnis 90/Die Grünen und BLF geben müssen. Die FDP-Fraktion wäre bei der Verteilung der Ausschusssitze als schwächste Fraktion leer ausgegangen.

Wenn die aufgrund einer Koalitionsvereinbarung gebildete Mehrheit der Beklagten sich weder mit einer derartigen proporzgerechten Abbildung abfinden, noch auf die sonstigen vom Landeskommunalrecht vorgesehenen Möglichkeiten, nämlich sich für die Besetzung der Ausschüsse auf einen einheitlichen Wahlvorschlag gemäß § 55 Abs. 2 HGO zu einigen oder anstelle der Wahl der Ausschussmitglieder die Ausschüsse nach dem Benennungsverfahren nach § 62 Abs. 2 HGO zu besetzen, zurückgreifen will, bliebe jedenfalls die Möglichkeit, die Zahl der Sitze in den Ausschüssen zu erhöhen und damit sowohl dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit als auch dem Mehrheitsprinzip zum Durchbruch zu verhelfen. Zwar liegt es grundsätzlich im Organisationsermessen der Beklagten, die Größe der Ausschüsse festzulegen. Eine nach proporzgerechter Verteilung zu kleine Fraktion hat auch keinen Anspruch darauf, dass die Zahl der Sitze in den Ausschüssen so erhöht wird, dass die kleine Fraktion ebenfalls einen Vertreter in den Ausschuss entsenden kann (vgl. - BVerfGE 120, 82 <121>). Das Organisationsermessen der Beklagten ist aber nicht völlig frei, sondern unterliegt der Bindung an den Zweck, der durch die Aufgabe der Ausschüsse bestimmt wird. Deshalb kann die Beklagte bei der Festlegung der Zahl der Mitglieder eines Ausschusses berücksichtigen, dass dem Ausschuss eine effektive Vorbereitung der Beratung und Beschlussfassung im Plenum möglich bleiben muss. Wenn aber, wie hier, durch eine moderate Erhöhung der Zahl der Mitglieder von fünf auf sieben bereits gesichert werden kann, dass sowohl der Spiegelbildlichkeitsgrundsatz als auch das Mehrheitsprinzip bei der Besetzung der Ausschüsse gewahrt sind, wäre dies eine Möglichkeit des schonenden Ausgleiches zwischen beiden Prinzipien.

Es ist denkbar, dass bei einem größeren Plenum einer Stadtverordnetenversammlung und einer größeren Anzahl von Fraktionen und Gruppierungen andere Lösungen als die Vergrößerung der Zahl der Ausschussmitglieder erforderlich sein können, um beide Prinzipien zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Darauf kommt es aber hier nicht an. Ausreichend ist, dass im konkreten Fall für die Beklagte Möglichkeiten bestehen, beide Prinzipien zur Geltung zu bringen, ohne dass eines von beiden eingeschränkt werden muss. In einem solchen Fall ist die Zulassung von gemeinsamen Wahlvorschlägen für die Wahl zur Besetzung der Ausschüsse zur Sicherung des Mehrheitsprinzips zu Lasten des Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes nicht erforderlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO und § 55 Abs. 6 HGO i.V.m. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO.

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 10 000 EUR festgesetzt.

Fundstelle(n):
OAAAD-41280