BSG Urteil v. - B 7 AL 39/08 R

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: LSG Baden-Württemberg, L 3 AL 4581/06 vom SG Reutlingen, S 9 AL 2618/05

Gründe

I

Im Streit ist (noch) höheres Arbeitslosengeld (Alg) als 44,23 Euro täglich für die Zeit ab dem .

Der 1947 geborene, verheiratete, kinderlose Kläger stand bei der W. GmbH vom bis in einem Arbeitsverhältnis als Organisationsprogrammierer. Seine wöchentliche Arbeitszeit betrug bis 37,5 Stunden bei einem beitragspflichtigen monatlichen Einkommen von zuletzt (jeweils umgerechnet in Euro) 5.220 Euro (Mai bis September 2001) bzw 4.700,92 Euro (Oktober 2001 bis April 2002). Ab arbeitete der Kläger nur noch 23,75 Stunden pro Woche, wobei sich - vorbehaltlich anderweitiger Abstimmung - die Arbeitszeit auf Montag ganztags und auf die übrigen Tage halbtags mit Ausnahme des Freitags verteilte. Die Bruttoverdienste hierfür beliefen sich bei monatlicher Abrechnung auf 3.642,47 Euro (Mai und Juni 2002) bzw auf 3.313,75 Euro (Juli 2002 bis Dezember 2004), die bis zum alle abgerechnet und zugeflossen waren. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Klägers vom zum . Am meldete sich der Kläger frühzeitig arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte ihm Alg ab nach einem aus den Verdiensten des Jahres 2004 errechneten Bemessungsentgelt für 960 Kalendertage zunächst in Höhe von täglich 44,23 Euro und ab in Höhe von täglich 44,32 Euro (Bescheid vom ; Änderungsbescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts [SG] Reutlingen vom ; Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Baden-Württemberg vom ). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, maßgeblich sei die Rechtslage ab , weil der Kläger erst zu diesem Zeitpunkt den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung gestanden habe. Am sei er subjektiv nicht verfügbar gewesen. Ein Anspruch auf Alg unter Zugrundelegung des vom Mai 2001 bis April 2002 erzielten höheren Arbeitsentgelts aus Vollzeittätigkeit stehe dem Kläger nicht zu, weil es außerhalb des auf zwei Jahre erweiterten (§ 130 Abs 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - [SGB III]) Bemessungsrahmens ( bis ) erzielt worden sei. Eigentlich bleibe auch der Verdienst aus der ab verrichteten Teilzeitbeschäftigung gemäß § 130 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB III außer Betracht. Da jedoch die dann erforderliche fiktive Bemessung der Leistung für den Kläger nachteiliger sei, sei gleichwohl das aus der Teilzeitbeschäftigung in der Zeit vom bis erzielte Arbeitsentgelt zugrunde zu legen.

Mit der Revision rügt der Kläger, die Beklagte hätte bei der Bemessung des Alg die - ihm günstigere - Rechtslage bis zum zugrunde legen müssen, weil sein Anspruch am entstanden sei. Sein Arbeitsverhältnis sei faktisch am , einem Donnerstag, beendet gewesen, weil er nach dem Arbeitsvertrag freitags nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen sei. Er habe an diesem Tag den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung gestanden und sich bereits für diesen Tag arbeitslos gemeldet. Die Beklagte hätte dabei das Vollzeitarbeitsentgelt ( bis ) der Bemessung des Alg zugrunde legen müssen. Unabhängig davon habe das LSG § 130 SGB III in der ab geltenden Fassung falsch angewandt. Der teilzeitbeschäftigte Arbeitslose müsse so gestellt werden, als wäre sein Anspruch auf Alg bereits am letzten Tag seines Vollzeitarbeitsverhältnisses entstanden. Insofern müsse die für den Bemessungszeitraum getroffene Regelung des § 130 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB III (Nichtberücksichtigung von vereinbarter Teilzeitarbeit, wenn der Arbeitslose Vollzeitbeschäftigungen innerhalb der letzten dreieinhalb Jahre vor der Entstehung des Anspruchs während eines sechs Monate umfassenden zusammenhängenden Zeitraums ausgeübt hat) auch den zweijährigen Bemessungsrahmen nach § 130 Abs 3 SGB III erweitern.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben sowie die Bescheide vom und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ab höheres Alg zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch das Begehren des Klägers auf höheres Alg ab iS eines Grundurteils (§ 130 SGG). Die insoweit ablehnenden Bescheide der Beklagten vom und vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom (§ 95 SGG) greift der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage an (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG). Eine Entscheidung darüber, ob sich aus der Anwendung verschiedener Steuertabellen geringfügig höhere Beträge ergeben (vgl Senatsurteil vom - B 7 AL 23/08 R - RdNr 16), ist im Rahmen eines Grundurteils nicht erforderlich.

Es kann dahinstehen, ob das LSG die notwendigen Feststellungen zum Alg-Anspruch als solchem, auch dazu, ob eine Sperrzeit (§ 144 SGB III) eingetreten ist, getroffen hat; ein höherer Anspruch ergäbe sich ohnedies hieraus nicht.

Die Leistungshöhe bestimmt sich nach dem ab geltenden Recht. Da der Gesetzgeber eine Übergangsregelung nur insoweit getroffen hat, als es um die Neufestsetzung des Bemessungsentgelts bei vor dem entstandenen Ansprüchen auf Alg geht (§ 434j Abs 5 SGB III idF, die die Norm durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom - BGBl I 2848 - erhalten hat), die für den erst am geltenden Anspruch des Klägers auf Alg (im Sinne eines Stammrechts) nicht gilt, ist das so genannte Geltungszeitraumprinzip anzuwenden (vgl: BSG SozR 4-4100 § 119 Nr 1 RdNr 7; SozR 4-4300 § 434j Nr 2 RdNr 11; - RdNr 14; Eicher in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 1 RdNr 12 und 52; ders in Eicher/Schlegel, SGB III, Vor §§ 422 ff RdNr 2 ff, Stand Oktober 2005, und § 434e RdNr 5 ff, Stand Februar 2004). Allerdings führt vorliegend das Leistungsfall- bzw Versicherungsfallprinzip zum gleichen Ergebnis, weil der Leistungsfall erst ab eingetreten ist. Nach den Feststellungen des LSG, an die der Senat mangels Verfahrensrügen gebunden ist (§ 163 SGG), war der Kläger nämlich am nicht arbeitsbereit. Damit war er nicht vor dem arbeitslos (§ 118 Abs 1 Nr 1, § 119 Abs 1 Nr 3 und Abs 5 Nr 3, jeweils idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt). Ob der Kläger bis noch in einem (leistungsrechtlichen) Beschäftigungsverhältnis gestanden hat (§ 118 Abs 1 Nr 1 SGB III iVm § 119 Abs 1 Nr 1 SGB III), ist ohne Belang.

Aufgrund der somit ab geltenden Vorschriften hat der Kläger keinen Anspruch auf höheres Alg. Nach § 129 Nr 2 SGB III (idF, die die Norm durch das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom - BGBl I 266 - erhalten hat), beträgt das Alg für den arbeitslosen Kläger, der kein Kind iS des § 32 Abs 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes hat, 60 % (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Bemessungsentgelt ist nach § 131 Abs 1 Satz 1 SGB III (idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Der Bemessungszeitraum umfasst nach § 130 Abs 1 Satz 1 SGB III (idF desselben Gesetzes) die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Nach näherer Maßgabe des § 130 Abs 2 SGB III bleiben bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums bestimmte Zeiten außer Betracht. Dazu gehören ua (§ 130 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB III) Zeiten, in denen die durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit aufgrund einer Teilzeitvereinbarung nicht nur vorübergehend auf weniger als 80 vH der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit einer vergleichbaren Vollzeitbeschäftigung, mindestens um fünf Stunden wöchentlich, vermindert war, wenn der Arbeitslose Beschäftigungen mit einer höheren Arbeitszeit innerhalb der letzten dreieinhalb Jahre vor der Entstehung des Anspruchs während eines sechs Monate umfassenden zusammenhängenden Zeitraums ausgeübt hat. Das aus dem Bemessungsentgelt zu errechnende Leistungsentgelt schließlich ist nach § 133 Abs 1 SGB III (idF, die die Norm durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom - BGBl I 2902 - erhalten hat) das um pauschalierte Abzüge geminderte Bemessungsentgelt. Abzüge sind eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 21 % des Bemessungsentgelts, die Lohnsteuer nach der Lohnsteuertabelle und der Solidaritätszuschlag.

Zusammengefasst wird die Höhe des Alg demnach durch drei Faktoren bestimmt: (1) den Familienstatus (Kind), der die Höhe des prozentualen Leistungssatzes (60 % oder 67 %) bestimmt, (2) das (innerhalb des Bemessungsrahmens) im Bemessungszeitraum abgerechnete und erzielte Bruttoarbeitsentgelt (= Bemessungsentgelt) und (3) die Abzüge, teilweise in pauschalierter Form, soweit es die Steuer betrifft, jedoch unter Berücksichtigung der Lohnsteuertabellen und der Steuerklasse (Leistungsentgelt). Die Beklagte hat zu Recht den Leistungssatz von 60 % zugrunde gelegt; welche Steuerklasse zu Beginn des Jahres 2005 auf der Steuerkarte eingetragen war (§ 133 Abs 2 SGB III), bedarf keiner Ermittlungen, weil die berücksichtigte Steuerklasse 3 ohnedies für den Kläger die günstigste ist.

Das von der Beklagten ermittelte Bemessungsentgelt ist jedenfalls nicht zu niedrig angesetzt. Der Bemessungsrahmen umfasst zwar regelmäßig - wie oben dargelegt - ein Jahr; er wird jedoch auf zwei Jahre erweitert, wenn (ua) der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält (§ 130 Abs 3 Nr 1 SGB III). Kann auch ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb eines auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (§ 132 Abs 1 SGB III idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt). Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Arbeitslose der Gruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat (§ 132 Abs 2 Satz 1 SGB III). Dabei ist in der höchsten Qualifikationsstufe (Hochschul- und Fachhochschulausbildung) ein Arbeitsentgelt in Höhe von 1/300 der Bezugsgröße zugrunde zu legen (§ 132 Abs 2 Satz 2 Nr 1 SGB III).

Vorliegend wäre nach der gesetzlichen Regelung des § 130 Abs 1 und 3 SGB III im für den Kläger günstigsten Fall ein zweijähriger Bemessungsrahmen anzunehmen. Zur Bildung dieses Bemessungsrahmens ist auch der mit einzuberechnen; denn das Versicherungsverhältnis des Klägers (§ 24 SGB III) hat bis bestanden (vgl dazu § 130 Abs 1 Satz 2 SGB III, in dem nicht auf das Beschäftigungsverhältnis im leistungsrechtlichen Sinne abgestellt wird). Entgegen der Rechtsansicht des Klägers ist deshalb bei der Bestimmung des Bemessungsentgelts nicht auf die für ihn günstigeren Entgeltabrechnungszeiträume der letzten zwölf Monate während der Vollzeittätigkeit ( bis ) vor der Reduzierung der Arbeitszeit abzustellen. Das Gesetz sieht eine Erweiterung des Bemessungsrahmens gerade nicht vor ( - RdNr 21). Daran ändert nichts, dass nach § 130 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB III bei der Ermittlung "des Bemessungszeitraums" Teilzeittätigkeiten unter den dort genannten Voraussetzungen außer Betracht bleiben, denn § 130 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB III stellt ebenso wie die dort in den Nrn 1 bis 3 genannten Zeiten keinen Aufschubtatbestand zur Erweiterung des Bemessungsrahmens auf mehr als zwei Jahre dar (BSG aaO).

Mithin wäre das Bemessungsentgelt, weil die Voraussetzungen des § 130 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB III vorliegen und sich ein Anspruch des Klägers auf Berücksichtigung des bis aus der Vollzeitbeschäftigung erzielten Arbeitsentgelts als Bemessungsentgelt auch nicht aus der Verfassung herleiten lässt (vgl nur - RdNr 24 ff), eigentlich fiktiv zu bestimmen, weil es keinen Bemessungszeitraum mit 150 Tagen Arbeitsentgelt gibt. Nach § 132 Abs 1 und 2 SGB III ergäbe sich bei Einordnung des Klägers in die (günstigste) Qualifikationsstufe 1 ein Bemessungsentgelt von 96,60 Euro täglich, indem die Bezugsgröße (West) für das Jahr 2005 in Höhe von 28.980 Euro (vgl § 2 Abs 1 der Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2005 vom - BGBl I 3098) durch 300 geteilt wird. Allerdings soll § 130 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB III den Arbeitslosen (nur) davor schützen, dass in die Ermittlung des Bemessungsentgelts Entgeltabrechnungszeiträume versicherungspflichtiger Beschäftigungen einfließen, in denen das erzielte Arbeitsentgelt atypisch niedrig und daher nicht repräsentativ war ( - RdNr 21; BSGE 100, 295 ff RdNr 23 und 26 = SozR 4-4300 § 132 Nr 1; BSG SozR 4-4300 § 416a Nr 1 RdNr 13; B 11a/7a AL 64/06 R - RdNr 27 f). Es liegt deshalb näher, das Teilzeitarbeitsentgelt des einjährigen Bemessungsrahmens zu berücksichtigen, weil dieses in jedem Fall günstiger ist (Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, § 130 RdNr 1, Stand Juni 2005; DA der BA zu § 130, RdNr 130.11, Stand August 2009).

Dies kann indes letztlich offen bleiben, weil die Beklagte ohnedies entsprechend ihrer Dienstanweisung so verfahren ist und dabei keine Fehler zu Lasten des Klägers begangen hat, mithin höheres Alg unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zusteht. Nimmt man nämlich das Arbeitsentgelt des gesamten Jahres 2004 in Höhe von 39.765 Euro, ergibt sich unter Beachtung des § 338 SGB III ein Bemessungsentgelt von 108,65 Euro täglich (39.765 Euro : 366 Tage, weil das Jahr 2004 ein Schaltjahr war). Daraus ermittelt sich aufgrund des § 133 Abs 1 SGB III ein Leistungsentgelt in Höhe von 73,71 Euro, das zu einem täglichen Leistungssatz für das Alg in Höhe von 44,23 Euro führt (= 60 % von 73,71 Euro), also sogar zu weniger als ab von der Beklagten zugestanden wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Fundstelle(n):
PAAAD-39493