BFH Urteil v. - III R 87/07 BStBl 2010 II S. 429

Zeitlicher Regelungsumfang eines Kindergeld-Aufhebungsbescheids

Leitsatz

Ein Bescheid, mit dem die Festsetzung von Kindergeld mit Wirkung vom 1. Januar eines früheren Jahres unter Hinweis auf § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben wird, weil die Einkünfte und Bezüge des Kindes in diesem Jahr den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten hätten, ist aus Empfängersicht dahin auszulegen, dass nur für dieses Jahr eine Verwaltungsentscheidung getroffen werden soll, nicht aber für den nachfolgenden Zeitraum bis zur Bekanntgabe des Aufhebungsbescheids.

Gesetze: AO § 119 Abs. 1BGB §§ 133, 157EStG § 70 Abs. 4

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

1Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erhielt für seinen Sohn C, der im August 1999 nach Leistung des Zivildienstes eine Ausbildung zum Bankkaufmann begann, ab August 1999 Kindergeld.

2Im November 2001 teilte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) dem Kläger mit, die Kindergeldzahlungen seien ab Januar 2000 eingestellt worden, weil die Einkünfte von C nach der vorgelegten Ausbildungsbescheinigung den Jahresgrenzbetrag überstiegen. Der Kläger wurde gebeten, zur abschließenden Prüfung die Einkünfte von C nachzuweisen.

3Nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen kam die Familienkasse zu dem Ergebnis, dass die Einkünfte und Bezüge von C im Jahr 1999 den anteiligen Grenzbetrag nicht überstiegen, aber im Jahr 2000 über dem Jahresgrenzbetrag von 13.500 DM lagen. Mit Bescheid vom hob die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld „mit Wirkung vom gemäß § 70 Abs. 4 EStG” auf. Sie wies darauf hin, dass eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern sei, wenn nachträglich bekannt werde, dass die Einkünfte und Bezüge eines Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) über- oder unterschritten hätten. Sie war der Ansicht, die Einkünfte und Bezüge von C hätten sich im Jahr 2000 auf mehr als 13.500 DM belaufen. Der Kläger legte gegen den Bescheid, der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, keinen Einspruch ein.

4Mit Schreiben vom und vom beantragte der Kläger die Zahlung von Kindergeld für das Jahr 2001. Er verwies auf den (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260), nach dem die Sozialversicherungsbeiträge eines nichtselbständig beschäftigten Kindes nicht in dessen Einkünfte und Bezüge einbezogen werden dürfen.

5Die Familienkasse lehnte durch Bescheid vom den Antrag ab. Sie führte aus, die Bestandskraft des Bescheids vom erstrecke sich bis zum Monat seiner Bekanntgabe. Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.

6Das Finanzgericht (FG) gab der anschließend erhobenen Klage statt. Es verpflichtete die Familienkasse, Kindergeld für den Zeitraum bis festzusetzen. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Aufhebungsbescheid vom entfalte keine Bindungswirkung für das Jahr 2001. Die Familienkasse habe die Aufhebung der Festsetzung ausschließlich damit begründet, dass die Einkünfte und Bezüge von C im Jahr 2000 den Grenzbetrag überstiegen hätten. Der Kläger habe daher den Bescheid dahin verstehen können, dass die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung ausschließlich für das Jahr 2000 geprüft habe und die Festsetzung nur für dieses Jahr habe aufheben wollen. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld seien im Jahr 2001 erfüllt.

7Zur Begründung der Revision trägt die Familienkasse vor, die Rechtsauffassung des FG stehe in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der mehrfach bestätigt habe, dass die Bindungswirkung eines Aufhebungsbescheids mit dem Monat der Bekanntgabe ende.

8Die Familienkasse beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

10Die Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die (negative) Bindungswirkung des Aufhebungsbescheids vom das Jahr 2001 nicht erfasst.

111. Zwar erstreckt sich die Bestandskraft eines nicht angefochtenen Bescheids, durch den die Gewährung von Kindergeld abgelehnt oder auf Null Euro (DM) festgesetzt oder durch den eine Kindergeldfestsetzung aufgehoben wird, in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe (z.B. , BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88, und VI R 164/98, BFHE 196, 257, BStBl II 2002, 89; Senatsurteil vom III R 24/06, BFHE 216, 225, BStBl II 2007, 530). Allerdings ist es der Familienkasse unbenommen, in einem Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid eine hiervon abweichende zeitliche Regelung zu treffen.

122. Das FG hat den Inhalt des Bescheids vom zu Recht dahin ausgelegt, dass aus der Sicht des Klägers nur für das Jahr 2000 eine Verwaltungsentscheidung ergehen sollte.

13a) Nach § 119 Abs. 1 der Abgabenordnung muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Einem Verwaltungsakt muss der Regelungsinhalt eindeutig zu entnehmen sein (, BFHE 218, 494, BStBl II 2009, 754). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der Auslegungsregeln der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu ermitteln. Entscheidend sind der erklärte Wille der Behörde und der sich daraus ergebende objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Betroffene nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. , BFHE 182, 282, BStBl II 1997, 339; vom VIII R 10/05, BFHE 214, 18, BStBl II 2007, 96; vom II R 31/06, BFH/NV 2008, 1435). Bei der Auslegung ist nicht allein auf den Tenor des Bescheids abzustellen, sondern auch auf den materiellen Regelungsgehalt einschließlich der für den Bescheid gegebenen Begründung (BFH-Urteil in BFHE 218, 494, BStBl II 2009, 754, m.w.N.). Die Auslegung des Inhalts von Verwaltungsakten durch das FG ist im Revisionsverfahren in vollem Umfang nachprüfbar (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 25, m.w.N.).

14b) Der Kläger konnte den Bescheid vom dahin verstehen, dass nur für das Jahr 2000 eine (ablehnende) Regelung getroffen werden sollte. Zwar ist darin nur der als Zeitpunkt genannt, ab dem die Kindergeldfestsetzung aufgehoben werden sollte. Eine ausdrückliche zeitliche Begrenzung der Verwaltungsentscheidung fehlt. Jedoch geht aus dem gesamten Inhalt des Bescheids hervor, dass die Familienkasse nur das Jahr 2000 beurteilen wollte. Zum einen wurde die Aufhebung damit begründet, dass die Einkünfte und Bezüge von C im Jahr 2000 die maßgebliche Jahresgrenze überschritten hätten. Zum anderen ergibt sich aus dem Hinweis auf § 70 Abs. 4 EStG, dass nur eine auf das Jahr 2000 bezogene Betrachtung angestellt werden sollte, auch wenn die zitierte Vorschrift im Streitfall nicht einschlägig war, weil die Familienkasse bereits ab Januar 2000 kein Kindergeld mehr gezahlt hatte.

15Die durch das Zweite Gesetz zur Familienförderung vom (BGBl I 2001, 2074, BStBl I 2001, 533) mit Wirkung vom eingeführte Vorschrift ermöglicht die Korrektur von Kindergeldbescheiden in den Fällen, in denen sich nachträglich herausstellt, dass die Prognose über die zu erwartenden Einkünfte und Bezüge des Kindes unzutreffend war (Senatsurteil vom III R 13/06, BFHE 214, 287, BStBl II 2007, 714; Blümich/Treiber, § 70 EStG Rz 32; Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 70 Rz 18.1; Pust in Littmann/Bitz/ Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 70 EStG Rz 242). Ein Bescheid, durch den eine Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben wird, betrifft einen Prognosezeitraum und nicht darüber hinaus den Zeitraum bis zum Monat der Bekanntgabe. Der Kläger konnte den Hinweis auf § 70 Abs. 4 EStG und dessen wörtliche Wiedergabe dahin verstehen, dass nur die Festsetzung für den Zeitraum, in dem die Einkünfte und Bezüge den Grenzbetrag überschritten (2000), aufgehoben werden sollte. Für die Zeit danach gab die Familienkasse keine Änderungsvorschrift an. Der Kläger hatte somit allen Anlass zu der Annahme, der Aufhebungsbescheid betreffe nur das Jahr 2000.

Fundstelle(n):
BStBl 2010 II Seite 429
AO-StB 2010 S. 262 Nr. 9
BFH/NV 2010 S. 726 Nr. 4
BFH/PR 2010 S. 221 Nr. 6
BStBl II 2010 S. 429 Nr. 8
DB 2010 S. 430 Nr. 8
DStRE 2010 S. 436 Nr. 7
EStB 2010 S. 214 Nr. 6
KÖSDI 2010 S. 16915 Nr. 4
NJW 2010 S. 1552 Nr. 21
NWB-Eilnachricht Nr. 9/2010 S. 643
StB 2010 S. 102 Nr. 4
StBW 2010 S. 198 Nr. 5
StuB-Bilanzreport Nr. 10/2010 S. 406
ZAAAD-38269