BVerwG Urteil v. - 4 C 2.08

Leitsatz

Leitsatz:

Auch Grund- und Nahversorgungszentren können zentrale Versorgungsbereiche i.S.d. § 34 Abs. 3 BauGB sein.

§ 34 Abs. 3 BauGB gilt auch für Einzelhandelsbetriebe, die nicht die Schwelle der Großflächigkeit erreichen.

Gesetze: BauGB § 34 Abs. 3

Instanzenzug: OVG Nordrhein-Westfalen, 7 A 1392/07 vom Veröffentlichungen: Amtliche Sammlung: ja; Fachpresse: ja

Gründe

I

Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheids für den Neubau eines Lebensmitteldiscounters mit einer Verkaufsfläche von ca. 699 m² auf einem Grundstück, das an der Siegburger Straße in Köln im Stadtteil Poll belegen ist. Nördlich des Grundstücks wird bereits ein Lebensmitteldiscounter (Lidl) betrieben. Rund 500 m südöstlich des Grundstücks beginnt beiderseits der Siegburger Straße ein ca. 500 m langer Bereich, der in dem Nahversorgungskonzept der Stadt Köln als "Nahbereichszentrum" dargestellt ist. Etwa 350 m südlich des Grundstücks und ca. 300 m westlich des Nahbereichszentrums Poll befindet sich ein weiterer Lebensmitteldiscounter (Aldi). Innerhalb des Nahbereichszentrums befinden sich mehrere kleine Spezialanbieter des Lebensmittelsektors sowie zwei größere Lebensmittelgeschäfte, und zwar ein Vollsortimenter (Kaisers) mit 640 m² Verkaufsfläche und ein Discounter (Plus) mit 570 m² Verkaufsfläche.

Mit Bescheid vom lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Erteilung eines Vorbescheids ab, weil das Vorhaben schädliche Auswirkungen im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB erwarten lasse. Es wirke sich unmittelbar auf das bestehende Nahbereichszentrum Poll aus und beeinträchtige es erheblich. Hiergegen erhob die Klägerin - nach Widerspruch - Untätigkeitsklage. Während des gerichtlichen Verfahrens hob der Beklagte seinen Ablehnungsbescheid vom auf und lehnte sodann die Bauvoranfrage unter Hinweis auf eine zwischenzeitlich beschlossene Veränderungssperre, die auf einen zuvor gefassten Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan gestützt war, der für das Gebiet, in dem das klägerische Grundstück belegen ist, den Ausschluss von Einzelhandel festsetzt, mit Bescheid vom erneut ab.

Mit Urteil vom hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen, da die Klage - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts - zwar zulässig, aber unbegründet sei. Auf die Wirksamkeit des zwischenzeitlich in Kraft getretenen Bebauungsplans komme es nicht an. Sei der Bebauungsplan wirksam, widerspreche das Vorhaben der Klägerin den Festsetzungen des Bebauungsplans. Sei von der Unwirksamkeit des Bebauungsplanes auszugehen, stehe dem Vorhaben der Klägerin § 34 Abs. 3 BauGB entgegen, weil es schädliche Auswirkungen auf das Nahbereichszentrum Poll erwarten lasse. Das vom Nahversorgungskonzept der Stadt erfasste Nahbereichszentrum Poll sei ein zentraler Versorgungsbereich im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB. Auch Bereiche für die Grund- und Nahversorgung könnten zu den nach § 34 Abs. 3 BauGB geschützten zentralen Versorgungsbereichen gehören. Der Schutz zentraler Versorgungsbereiche diene auch der Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung. Das Nahbereichszentrum Poll habe den für einen zentralen Versorgungsbereich erforderlichen städtebaulich gewichtigen Einzugsbereich und weise räumlich konzentriert eine Mischung von Einzelhandelsgeschäften auf, die ein breites Spektrum von Waren vornehmlich des kurzfristigen Bedarfs abdecke. Die Anwendung des § 34 Abs. 3 BauGB scheide nicht bereits deshalb aus, weil das Vorhaben mit der vorgesehenen Verkaufsfläche von insgesamt 699 m² noch nicht als großflächiger Einzelhandelsbetrieb zu werten sei. Es seien auch schädliche Auswirkungen des Vorhabens auf das Nahbereichszentrum Poll zu erwarten. Das folge allerdings nicht bereits aus der vom Beklagten angestellten "Tragfähigkeitsberechnung", da ihre Prüfschritte allenfalls eine Abschätzung darüber zuließen, ob das Vorhaben auf Kundschaft in einem weiteren Umkreis als 700 m abziele. Bei der Prognoseentscheidung seien alle städtebaulich relevanten Umstände des jeweiligen Einzelfalls in den Blick zu nehmen. Hierzu gehörten neben einem aus prognostischer Sicht zu erwartenden Kaufkraftabzug insbesondere auch die Gesamtzusammenhänge in den jeweils betroffenen zentralen Versorgungsbereichen sowie der Standort des Vorhabens. Es sei zu erwarten, dass das Vorhaben der Klägerin in beachtlichem Umfang Kundschaft von den im Versorgungsbereich vorhandenen Frequenzbringern abziehen könne und werde. Eine gewisse Indizwirkung ergebe sich bereits aus dem Vergleich der Verkaufsflächen, der als Hilfsmittel zur Quantifizierung eines erwarteten Kaufkraftabflusses herangezogen werden könne. Die Funktionsfähigkeit des betroffenen Nahbereichszentrums sei maßgeblich geprägt durch die beiden nahe beieinander liegenden, sich als Vollsortimenter und Discounter ergänzenden Lebensmittelmärkte mit insgesamt rd. 1 200 m² Verkaufsfläche. Beide Betriebe stellten schon wegen ihrer Größe, erst recht in der hier gegebenen Kombination, die eigentlichen Frequenzbringer des Nahbereichszentrums Poll dar. Gerade auf deren Kundschaft ziele das Vorhaben der Klägerin als Lebensmitteldiscounter der Sache nach ab. Von dem Vorhaben der Klägerin seien beachtliche Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des Nahbereichszentrums zu erwarten. Mit einem naheliegenden (teilweisen) Wegbrechen der Magnetfunktion der vorhandenen Frequenzbringer würden auch die übrigen Einzelhandelsbetriebe und Anbieter von Dienstleistungen im Nahbereichszentrum jedenfalls in ihrer Attraktivität erheblich geschwächt, so dass insgesamt erhebliche Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des zentralen Versorgungsbereichs zu erwarten seien.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt.

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht im Einklang. Streitentscheidend ist die Auslegung und Anwendung des § 34 Abs. 3 BauGB. Das Oberverwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit Bundesrecht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids hat, weil zu erwarten sei, dass das Vorhaben schädliche Auswirkungen auf das als zentralen Versorgungsbereich geschützte Nahbereichszentrum Poll haben werde und es daher gemäß § 34 Abs. 3 BauGB planungsrechtlich unzulässig sei. Auf die Wirksamkeit des vor der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht in Kraft getretenen Bebauungsplans, auf dessen Grundlage das Vorhaben ebenfalls unzulässig wäre, kommt es nicht an.

1. Das Oberverwaltungsgericht ist bei der Prüfung, ob das Nahbereichszentrum Poll den Anforderungen genügt, die § 34 Abs. 3 BauGB an das Vorliegen eines zentralen Versorgungsbereichs stellt, von einem zutreffenden Maßstab ausgegangen. Der Rechtssatz, für die Annahme eines zentralen Versorgungsbereichs i.S.d. § 34 Abs. 3 BauGB sei entscheidend, dass der Bereich eine für die Versorgung der Bevölkerung in einem bestimmten Einzugsbereich zentrale Funktion habe und die Gesamtheit der dort vorhandenen baulichen Anlagen auf Grund ihrer Zuordnung innerhalb des räumlichen Bereichs und auf Grund ihrer verkehrsmäßigen Erschließung und verkehrlichen Anbindung in der Lage seien, den Zweck eines zentralen Versorgungsbereichs - sei es auch nur die Sicherstellung der Grund- oder Nahversorgung - zu erfüllen, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat pflichtet dem Oberverwaltungsgericht bei, dass auch der Schutz der verbrauchernahen Grund- und Nahversorgung unter § 34 Abs. 3 BauGB fällt.

Nach § 34 Abs. 3 BauGB dürfen von Vorhaben, die nach Absatz 1 oder 2 im unbeplanten Innenbereich zulässig sind, keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein. Zentrale Versorgungsbereiche i.S.d. § 34 Abs. 3 BauGB sind nach der Rechtsprechung des Senats räumlich abgrenzbare Bereiche einer Gemeinde, denen auf Grund vorhandener Einzelhandelsnutzungen - häufig ergänzt durch diverse Dienstleistungen und gastronomische Angebote - eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus zukommt ( BVerwG 4 C 7.07 - BVerwGE 129, 307 Rn. 11). Bei der Beurteilung, ob ein Versorgungsbereich einen zentralen Versorgungsbereich i.S.d. § 34 Abs. 3 BauGB bildet, bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung der städtebaulich relevanten Gegebenheiten. Auch eine räumlich konzentrierte Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben, die darauf angelegt ist, einen fußläufigen Einzugsbereich zu versorgen, kann einen zentralen Versorgungsbereich i.S.d. § 34 Abs. 3 BauGB bilden. Entscheidend ist, dass der Versorgungsbereich nach Lage, Art und Zweckbestimmung eine für die Versorgung der Bevölkerung in einem bestimmten Einzugsbereich zentrale Funktion hat. Der Begriff ist nicht geografisch im Sinne einer Innenstadtlage oder Ortsmitte, sondern funktional zu verstehen (vgl. auch BVerwG 4 B 50.06 - [...] Rn. 9). Zentralität kann durchaus kleinteilig sein.

Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht kein vom Gesetzgeber angelegter Gegensatz zwischen dem Schutz zentraler Versorgungsbereiche und dem Schutz der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung. Soweit die Klägerin insbesondere auf § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO und § 9 Abs. 2a BauGB verweist und daraus im Verhältnis zu § 34 Abs. 3 BauGB unterschiedliche Schutzzwecke ableitet, beachtet sie nicht, dass der Schutz der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich eines Einzelhandelsbetriebs i.S.d. § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO sich häufig mit dem städtebaulichen Anliegen deckt, den Erhalt und die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche zu sichern (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2009, § 11 BauNVO Rn. 75, 76 sowie § 9 BauGB Rn. 242b). Die in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO und § 9 Abs. 2a BauGB wie auch in § 34 Abs. 3 BauGB genannten gesetzlichen Schutzzwecke ergänzen und verstärken sich (vgl. auch BVerwG 4 C 5.01 - BVerwGE 117, 25, <36> zu § 11 Abs. 3 BauNVO). Von einem Gegensatz kann keine Rede sein. Wie auch das Oberverwaltungsgericht ausgeführt hat, liegt kein Anhalt dafür vor, dass dem Begriff "zentraler Versorgungsbereich" i.S.d. § 34 Abs. 3 BauGB ein anderer Sinngehalt zukommt als demselben Begriff in § 9 Abs. 2a BauGB. Ziel ist die Erhaltung gewachsener städtebaulicher Strukturen und die Entwicklung integrierter Lagen auch im Interesse der verbrauchernahen Versorgung. Auch der Gesetzgeber ist bei der Einfügung des § 9 Abs. 2a BauGB davon ausgegangen, dass Grund- und Nahversorgungszentren zentrale Versorgungsbereiche i.S.d. § 34 Abs. 3 BauGB sein können und dass die Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche der Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung dient, die angesichts der demografischen Entwicklung besonderen Schutzes bedarf (BTDrucks 16/2496 S. 10 f.).

Nach Sinn und Zweck des § 34 Abs. 3 BauGB können zentrale Versorgungsbereiche sowohl einen umfassenden als auch einen auf einen bestimmten örtlich begrenzten Einzugsbereich beschränkten Versorgungsbedarf abdecken. Ein zentraler Versorgungsbereich setzt keinen übergemeindlichen Einzugsbereich voraus. Auch ein Bereich, der auf die Grund- und Nahversorgung eines bestimmten örtlich begrenzten Einzugsbereichs zugeschnitten ist, kann eine zentrale Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus wahrnehmen. Der Zweck des Versorgungsbereichs besteht in diesem Fall in der Sicherstellung einer wohnortnahen Grundversorgung der im Einzugsbereich lebenden Bevölkerung. Ein zentraler Versorgungsbereich muss jedoch einen gewissen, über seine eigenen Grenzen hinaus reichenden räumlichen Einzugsbereich mit städtebaulichem Gewicht haben und damit über den unmittelbaren Nahbereich hinaus wirken. Ob dies der Fall ist, hängt wiederum von Struktur und Größe der Gemeinde ab. Zutreffend geht das Oberverwaltungsgericht auch davon aus, dass ein zentraler Versorgungsbereich i.S.d. § 34 Abs. 3 BauGB eine integrierte Lage voraussetzt. Isolierte Standorte mit einzelnen Einzelhandelsbetrieben bilden keinen zentralen Versorgungsbereich, auch wenn sie über einen weiten Einzugsbereich verfügen und eine beachtliche Versorgungsfunktion erfüllen mögen.

Unter Beachtung dieser Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht das Nahbereichszentrum Poll zu Recht als zentralen Versorgungsbereich i.S.d. § 34 Abs. 3 BauGB angesehen. Nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts handelt es sich bei dem Nahbereichszentrum Poll um einen Bereich, der durch eine städtebaulich integrierte Lage inmitten eines Wohnumfelds gekennzeichnet und auch für die nicht motorisierten Kunden gut erreichbar ist und in dem sich in dichter räumlicher Nähe und räumlich konzentriert, mit einem städtebaulich gewichtigen Einzugsbereich von mehr als 10 000 Einwohnern im fußläufig erreichbaren Umkreis von 700 m die für eine umfassende Nahversorgung erforderlichen Dienstleistungen sowie eine Mischung von Einzelhandelsgeschäften befinden, die ein breites Spektrum von Waren vornehmlich des kurzfristigen Bedarfs abdecken, ergänzt um einzelne Waren, die über die Deckung des kurzfristigen Bedarfs hinausgehen.

2.

Das Oberverwaltungsgericht ist auch bei der Prüfung, ob das Vorhaben schädliche Auswirkungen auf das Nahbereichszentrum Poll erwarten lässt, von einem zutreffenden Maßstab ausgegangen.

2.1

§ 34 Abs. 3 BauGB gilt auch für Einzelhandelsbetriebe, die - wie das klägerische Vorhaben - nicht die Schwelle der Großflächigkeit erreichen. Selbst wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem Gewerbegebiet entsprechen sollte - was das Oberverwaltungsgericht offen gelassen hat (UA S. 15) - und das Vorhaben, weil es die Grenze zur Großflächigkeit im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO nicht überschreitet, hier seiner Art nach gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO zulässig wäre, kann es schädliche Auswirkungen im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB haben. Bei der Prüfung des § 34 Abs. 3 BauGB in einem faktischen Baugebiet ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht davon auszugehen, dass nicht großflächige Einzelhandelsbetriebe in der Regel keine schädlichen Auswirkungen haben. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO sind nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung bei großflächigen Einzelhandelsbetrieben in der Regel anzunehmen, wenn die Geschoßfläche 1 200 m² überschreitet. Diese Vermutungsregel gilt auch in den Fällen des § 34 Abs. 2 BauGB ( BVerwG 4 B 3.09 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 34 Rn. 9). Eine Vermutung des Inhalts, dass nicht großflächige Betriebe in der Regel keine derartigen Auswirkungen haben, ist § 11 Abs. 3 BauNVO jedoch nicht zu entnehmen. Für eine solche Vermutungsregel bestünde auch kein Bedarf. Die Zulässigkeit nicht großflächiger Einzelhandelsbetriebe richtet sich nach §§ 2 ff. BauNVO; auf städtebauliche Fernwirkungen kommt es insoweit nicht an. Gleiches gilt im Rahmen von § 34 Abs. 2 BauGB. Erst § 34 Abs. 3 BauGB erklärt derartige Fernwirkungen für beachtlich. Im Rahmen dieser Vorschrift sind die Auswirkungen nicht großflächiger Einzelhandelsbetriebe auf einen zentralen Versorgungsbereich im Wege einer auf die Umstände des Einzelfalls abstellenden Prognose zu ermitteln.

2.2

In Übereinstimmung mit Bundesrecht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass schädliche Auswirkungen i.S.d. § 34 Abs. 3 BauGB zu erwarten sind, wenn die Funktionsfähigkeit des betroffenen zentralen Versorgungsbereichs in beachtlichem Ausmaß beeinträchtigt und damit gestört wird. Eine solche Funktionsstörung liegt vor, wenn der Versorgungsbereich seinen Versorgungsauftrag generell oder hinsichtlich einzelner Branchen nicht mehr in substantieller Weise wahrnehmen kann. Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche sind nicht erst dann schädlich, wenn sie die Schwelle zur Unzumutbarkeit überschreiten. Schutzzweck des § 34 Abs. 3 BauGB ist die Vermeidung städtebaulich "nachhaltiger" Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche (Urteil vom a.a.O. Rn. 15).

Es ist nicht zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht ohne Einholung eines Gutachtens mit Prognosen zum voraussichtlichen Kaufkraftabfluss zu der Einschätzung gelangt ist, von dem Vorhaben der Klägerin seien schädliche Auswirkungen zu erwarten. Marktgutachten sind eine taugliche Methode, um den durch das Vorhaben bedingten voraussichtlichen Kaufkraftabfluss an Hand von branchenspezifischen Erfahrungswerten zur üblichen Flächenproduktivität zu prognostizieren; Kaufkraftabflüsse sind geeignet, die städtebaulich relevanten schädlichen Auswirkungen im Rahmen des § 34 Abs. 3 BauGB zu konkretisieren (Urteil vom a.a.O. Rn. 18, 21). Es gibt jedoch auch andere Methoden, die sich im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten als geeignet erweisen können, um zu beurteilen, ob die ökonomischen Fernwirkungen eines Vorhabens die Funktionsfähigkeit eines zentralen Versorgungsbereichs beeinträchtigen können. Die Entscheidung, anhand welcher Methode ein voraussichtlicher Kaufkraftabfluss prognostisch ermittelt wird bzw. der Überprüfung zugrunde gelegt wird, ob die von der Genehmigungsbehörde verwandte Methode zur Prognose städtebaulich relevanter Funktionsstörungen i.S.d. § 34 Abs. 3 BauGB zu beanstanden ist, obliegt grundsätzlich dem Tatsachengericht. Die vom Tatsachengericht herangezogene Methode ist revisionsrechtlich hinzunehmen, wenn die Wahl der Kriterien nicht von einem Rechtsirrtum infiziert ist, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder sonst zu einer schlechthin ungeeigneten Ermittlungsmethode führt (Urteil vom a.a.O. Rn. 22).

Das Oberverwaltungsgericht hat eine umfassende Wertung der hier städtebaulich relevanten Umstände vorgenommen (UA S. 26). In diesem Rahmen hat es dem Vergleich der Verkaufsfläche des Vorhabens mit der gesamten branchenspezifischen Verkaufsfläche im Nahversorgungsbereich eine gewisse Indizwirkung dafür beigemessen, dass das Vorhaben in beachtlichem Umfang Kundschaft von den im Versorgungsbereich vorhandenen Frequenzbringern abziehen werde (UA S. 27). Das ist nicht zu beanstanden. Dass ein solcher Verkaufsflächenvergleich ein taugliches Hilfsmittel für die Prognose ist, hat der Senat bereits entschieden (Urteil vom a.a.O. Rn. 23). Das Oberverwaltungsgericht hat darüber hinaus in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats im Rahmen der Prognose alle Umstände des Einzelfalls in den Blick genommen und als weitere städtebaulich relevante Umstände des Einzelfalls auf die Entfernung zwischen Vorhaben und zentralem Versorgungsbereich, die Bedeutung der "Frequenzbringer" und Magnetbetriebe im Versorgungsbereich, das Vorhandensein branchengleicher Einzelhandelsangebote an nicht integrierten Standorten im Einzugsbereich des Versorgungsbereichs und die Kundenattraktivität des geplanten Vorhabens durch standortbedingte Synergieeffekte abgestellt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht auch kein Kriterium zugrunde gelegt, das von einem Rechtsirrtum infiziert ist. Die Erwägung des Oberverwaltungsgerichts, dass insbesondere dann, wenn an dem nicht integrierten Vorhabenstandort die Grenze zur Großflächigkeit gleichartiger Angebote durch das hinzu kommende Vorhaben überschritten werde, Anlass zu kritischer Prüfung bestehe, ob nunmehr die Schwelle des § 34 Abs. 3 BauGB erreicht werde, ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt das Oberverwaltungsgericht damit nicht gegen das bei der Berechnung der Großflächigkeit i.S.d. § 11 Abs. 3 BauNVO beachtliche "Summierungsverbot". Dem Vorhaben der Klägerin wird damit nicht in unzulässiger Weise der Einwand der Großflächigkeit entgegen gehalten. Prüfungsgegenstand des § 34 Abs. 3 BauGB ist das streitgegenständliche Vorhaben. Maßgeblich ist, ob dieses Vorhaben eine beachtliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Versorgungsbereichs befürchten lässt. Der Prüfungsmaßstab der schädlichen Auswirkungen fordert eine Gesamtbetrachtung aller städtebaulich relevanten Umstände. Sind im Einzugsbereich des zentralen Versorgungsbereichs in räumlicher Nähe an anderer Stelle bereits Einzelhandelsbetriebe vorhanden, dürfen auch diese bei der Gesamtbetrachtung nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. BVerwG 4 B 3.09 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 34 Rn. 6). Schädliche Auswirkungen i.S.d. § 34 Abs. 3 BauGB können sich auch daraus ergeben, dass das geplante Vorhaben zusammen mit bereits vorhandenen Betrieben eine Beeinträchtigung des geschützten zentralen Versorgungsbereichs bewirkt. Denn ein gerade noch unbedenkliches Nebeneinander von Einzelhandelsbetrieben an nicht integrierten Standorten in räumlicher Nähe zum Versorgungsbereich und Angeboten derselben Branche im geschützten Versorgungsbereich kann durch das Hinzutreten eines weiteren branchengleichen Vorhabens in eine städtebaulich beachtliche Schädigung der Funktionsfähigkeit des Versorgungsbereichs umschlagen. Insofern geht der Einwand der Klägerin fehl, die Magnetbetriebe des Versorgungsbereichs hätten sich gegenüber den beiden existierenden und prosperierenden Einzelhandelsbetrieben bislang behaupten können, was ein deutliches Indiz dafür sei, dass schädliche Auswirkungen durch das streitige Vorhaben nicht zu erwarten seien. Auch mit dem Einwand, die ökonomischen Effekte der Umverteilung spielten sich nach dem Grundsatz der systemgleichen Konkurrenz nur zwischen den Betrieben an den nicht integrierten Standorten ab, wird die Tauglichkeit der Prognose nicht in Frage gestellt. Es mag sein, dass es im Fall der Agglomeration von Einzelhandelsbetrieben das Phänomen der systemgleichen Konkurrenz gibt. Das Oberverwaltungsgericht hat sich indes nicht auf einen schlichten Verkaufsflächenvergleich beschränkt, sondern ist im Wege einer Gesamtbetrachtung und in Würdigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten, insbesondere angesichts der Nähe des geplanten Vorhabens zum geschützten zentralen Versorgungsbereich und der besonderen Bedeutung der dortigen Magnetbetriebe für den Versorgungsbereich zu der Einschätzung gelangt, das Vorhaben der Klägerin ziele gerade auf die Kundschaft dieser Betriebe ab.

Die Verfahrensrüge der Klägerin, dem Oberverwaltungsgericht hätte sich eine weitere Sachverhaltsaufklärung aufdrängen müssen, weil die Beteiligten unterschiedliche Berechnungsansätze vorgelegt hätten, und es hätte daher von Amts wegen - etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - die ökonomischen Auswirkungen des Vorhabens ermitteln müssen, bleibt erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat die auf unterschiedlichen Prämissen beruhenden Berechnungen der Beteiligten zur Kenntnis genommen. Anlass, den Differenzen nachzugehen und von Amts wegen etwa ein Marktgutachten einzuholen, bestand jedoch nicht. Denn bei den Berechnungen des Beklagten handelt es sich um eine Tragfähigkeitsberechnung auf der Grundlage des von der Bezirksregierung Köln herausgegebenen Merkblattes "Regelungen für Einzelhandelsbetriebe zur Nahversorgung i.S.v. § 11 (3) BauNVO - Ausnahmen oberhalb der Regelvermutungsgrenze" (Merkblatt 2007), zu der die Klägerin im Berufungsverfahren ihrerseits eine Tragfähigkeitsberechnung vorgelegt hat. Tragfähigkeitsberechnungen allein nach dem Merkblatt 2007 hat das Oberverwaltungsgericht jedoch als ungeeignet für die nach § 34 Abs. 3 BauGB geforderte Prognose angesehen. Erweisen sich die divergierenden Berechnungen der Beteiligten nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts als nicht entscheidungserheblich, besteht auch kein Anlass zur weiteren Aufklärung dieses Sachverhalts von Amts wegen.

3. Ob die im Revisionsverfahren auf Feststellung zielenden Hilfsanträge zulässig sind, kann dahingestellt bleiben. Die Anträge sind jedenfalls unbegründet, weil das Vorhaben der Klägerin sowohl zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans als auch zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Zurückstellungsbescheids vom nach § 34 Abs. 3 BauGB unzulässig war. § 34 Abs. 3 BauGB stand dem klägerischen Vorhaben von vornherein entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren gemäß § 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG auf 50 000 EUR festgesetzt.

Fundstelle(n):
LAAAD-38200