BVerwG Urteil v. - 5 C 1.09

Leitsatz

Leitsatz:

Ein Verhalten, das darauf gerichtet war, die Ziele des nationalsozialistischen Unrechtssystems nachhaltig zu untergraben oder einen sonstigen gewichtigen Schaden für das System herbeizuführen, ist im Rahmen einer nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG vorzunehmenden Gesamtbetrachtung auch dann bedeutsam, wenn der beabsichtigte Schadenserfolg nicht oder nicht kausal durch das Verhalten eingetreten ist.

Gesetze: AusglLeistG § 1 Abs. 4

Instanzenzug: VG Magdeburg, 5 A 2/08 MD vom Veröffentlichungen: Amtliche Sammlung: ja; Fachpresse: ja

Gründe

I

Die Kläger begehren die Gewährung einer Ausgleichsleistung für die auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgte entschädigungslose Enteignung des Rittergutes Schönhausen (2118,85 ha) sowie sämtlicher Einrichtungsgegenstände einschließlich der Bestände des früheren Bismarck-Museums.

Die Kläger sind in ungeteilter Erbengemeinschaft Rechtsnachfolger des Otto Christian Archibald Fürst von Bismarck (1897 - 1975). Otto von Bismarck war ein Enkel des gleichnamigen ersten deutschen Reichskanzlers und der frühere Eigentümer des Rittergutes Schönhausen. Von 1924 bis 1927 war er Reichstagsabgeordneter für die Deutschnationale Volkspartei (DNVP). 1927 trat der Jurist in den diplomatischen Dienst ein und wurde zum Legationssekretär bei der Gesandtschaft in Stockholm ernannt. Anschließend war er an der deutschen Botschaft in London tätig, wo er 1928 zum Gesandtschaftsrat II. Klasse befördert wurde. Von November 1931 bis Juni 1933 ließ er sich nach eigener Aussage wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten auf seinen Gütern ohne Bezüge beurlauben. Am trat er in die NSDAP ein. Im Juni 1933 kehrte er in den aktiven diplomatischen Dienst an der deutschen Botschaft in London zurück. Dort wurde er im März 1934 zum Botschaftsrat ernannt und war Stellvertreter des Botschafters. 1936 wurde von Bismarck in die Politische Abteilung des Auswärtigen Amtes in Berlin berufen. Im Juni 1937 wurde er zum Gesandten I. Klasse zur besonderen Verwendung des Auswärtigen Amtes und im April 1938 zum Gesandten I. Klasse als Ministerialdirigent befördert. Anfang April 1940 wurde von Bismarck als Gesandter I. Klasse an die Botschaft in Rom (Quirinal) versetzt und war auch dort Vertreter des Botschafters. Nach dem Sturz Mussolinis wurde er Ende August 1943 von seinem Posten abberufen und war ab November 1943 als Leiter des Italien-Ausschusses im Auswärtigen Amt tätig, bis er im November 1944 in den Wartestand versetzt wurde. Nach dem Krieg kehrte von Bismarck nicht in den diplomatischen Dienst zurück. Im Entnazifizierungsverfahren im Kreis Herzogtum Lauenburg-Süd wurde er in die Kategorie V (entlastet) eingestuft. 1960/1961 leitete die Staatsanwaltschaft Lübeck ein Ermittlungsverfahren gegen von Bismarck wegen des Verdachts der Beteiligung an der Deportation kroatischer Juden unter italienischer Okkupation ein, das später eingestellt wurde.

Mit Bescheid vom lehnte der Beklagte den Antrag der Kläger auf Gewährung einer Entschädigung nach dem Ausgleichsleistungsgesetz ab, weil ihr Rechtsvorgänger durch die Ausübung der von ihm seit 1933 innegehabten hohen Ämter dem nationalsozialistischen System erheblich Vorschub geleistet und daher den Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 4 AusglLeistG erfüllt habe. Bereits die öffentliche Wirkung der Übernahme des Amtes an der deutschen Botschaft in London im Juni 1933 als frisch in die NSDAP aufgenommener Parteigenosse und mit dem Namen "von Bismarck" sei als ein bewusstes und erhebliches Vorschubleisten zu werten. Zudem seien die Funktionen von Bismarcks in der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes von Ende 1936 bis Frühjahr 1940 mit erheblichen Führungs- und Entscheidungskompetenzen verbunden gewesen. In diese Zeit seien die Besetzung Österreichs und der Tschechoslowakei sowie die Kriegsvorbereitungen gefallen. Mit diesen Vorgängen sei auch das Auswärtige Amt befasst gewesen. Schließlich sei der Ernennung von Bismarcks als Gesandter I. Klasse an der deutschen Botschaft in Rom im Frühjahr 1940 ein besonderer propagandistischer Wert für das NS-Regime beizumessen. Im Hinblick auf das Schicksal von Juden in den von Italien besetzten Gebieten Kroatiens ergäben die Dokumente hingegen kein eindeutiges Bild. Zwar habe von Bismarck im Jahre 1942 dem Kabinettschef des italienischen Außenministers d'Ajeta ein Telegramm des damaligen deutschen Außenministers von Ribbentrop überreicht, in dem dieser die italienische Regierung aufforderte, Juden aus den besetzten Gebieten Kroatiens an die deutschen Behörden auszuliefern. Von Bismarck habe aber zugleich vertraulich angedeutet, dass es sich hierbei um mehrere tausend Personen handle und ihre Überstellung an Deutschland zu ihrer Vernichtung führen würde. Der vorbezeichnete Kabinettschef habe dementsprechend in einem Schreiben an von Bismarck vom dargelegt, dieser habe damals gehofft, "dass man italienischerseits den Bitten Berlins nicht stattgeben werde". Soweit die italienische Seite mit vielen Verschleppungstaktiken die Auslieferung verhindert habe, könne darüber, ob dies letztlich ausschließlich den vertraulichen Hinweisen von Bismarcks zu verdanken gewesen sei, nur spekuliert werden, zumal die italienischen Stellen solche oder ähnliche Informationen auch auf anderen Wegen erhalten hätten.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Zwar werde der Tatbestand des § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht durch konkrete Handlungen von Bismarcks erfüllt, weil hierfür keine seiner verschiedenen Tätigkeiten im diplomatischen Dienst für sich betrachtet genüge. Dass er dem nationalsozialistischen System erheblich Vorschub geleistet habe, ergebe sich aber aus einer Indizwirkung seines Amtes als hoher deutscher Diplomat und Vertreter des deutschen Botschafters in Rom zur Zeit der NS-Herrschaft ab 1940. Aus den historischen Unterlagen lasse sich nämlich entnehmen, dass die deutschen diplomatischen Auslandsvertretungen - jedenfalls auch die in Rom am Quirinal - in die durch das Auswärtige Amt betriebenen Verfolgungsmaßnahmen der Juden, insbesondere jene gegen die "kroatischen Juden", eingebunden gewesen seien. Dies gelte auch für von Bismarck. Denn er habe sein hohes diplomatisches Amt in Rom auch aus der Sicht der Judenvernichtungspolitik des Dritten Reiches über einen längeren Zeitraum beanstandungsfrei ausgeübt. Weil von deutscher Seite das entsprechende Vorgehen der italienischen Regierung als zu "lasch" angesehen worden sei, sei es unter anderem die Aufgabe von Bismarcks gewesen, die Italiener zu Verfolgungsmaßnahmen zu bewegen. Namentlich sei dies in Gesprächen mit dem Kabinettschef d'Ajeta geschehen. Zwar solle - wofür sich u.a. in italienischen Dokumenten Anhaltspunkte finden ließen - von Bismarck Andeutungen gemacht haben, dass die erbetenen Maßnahmen zur Vernichtung dieser Juden führen würden. Aber dies spreche nicht dagegen, dass auch und gerade die Botschaft in Rom und speziell von Bismarck in die Versuche der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen zu Lasten der Juden, insbesondere der kroatischen Juden, eingebunden gewesen sei. Dass die kroatischen Juden letztendlich nicht vernichtet worden seien, habe allein an der Strategie der Italiener gelegen. Diese hätten mit bürokratischen Mitteln den Anschein erweckt, dem Ansinnen der Deutschen nachzukommen, in Wirklichkeit aber nichts getan. Die mittels der historischen Dokumente geschilderten tatsächlichen Verzögerungen in den von der Diplomatie geforderten Abläufen zur Vernichtung der Juden seien damit eine rein inneritalienische Angelegenheit gewesen und könnten von Bismarck nicht entlasten.

Die - vom Verwaltungsgericht zugelassene - Revision macht Rechts- und Verfahrensfehler geltend. Sie rügt eine Verletzung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG insbesondere im Hinblick darauf, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht eine Indizwirkung angenommen habe. Das Verwaltungsgericht hätte zudem erkennen und würdigen müssen, dass von Bismarck eine kritische und distanzierte Einstellung zum Nationalsozialismus gehabt und dass seine Amtsausübung in Rom erfolgreich den Zweck verfolgt habe, die kroatischen Juden zu retten.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und vertritt darüber hinaus unter Verweis auf die Gründe seines Bescheids vom die Auffassung, auch eine wertende Gesamtschau der Tätigkeiten von Bismarcks während der NS-Zeit rechtfertige die Annahme des erheblichen Vorschubleistens.

II

Die Revision der Kläger hat im Sinne einer Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht Erfolg. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es ist mit § 1 Abs. 4 AusglLeistG zum einen nicht vereinbar, soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, dass ein auf die Schädigung des nationalsozialistischen Systems ausgerichtetes Verhalten nur dann ein erhebliches Vorschubleisten zugunsten dieses Systems ausschließen kann, wenn es erfolgreich bzw. für einen regimeschädigenden Erfolg ursächlich gewesen ist (1). Zum anderen hat das Verwaltungsgericht hier rechtsfehlerhaft eine Indizwirkung für ein erhebliches Vorschubleisten angenommen (2). Der Rechtsstreit ist zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO), weil das Verwaltungsgericht - bedingt durch die vorgenannten Rechtsfehler - Tatsachen nicht hinreichend festgestellt und insbesondere die erforderliche umfassende Würdigung des Sachverhalts unterlassen hat (3). Damit bedarf es keiner Entscheidung über die von der Revision vorgebrachten Verfahrensrügen.

1. Das angegriffene Urteil steht mit § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht im Einklang, soweit das Verwaltungsgericht entscheidungstragend darauf abgestellt hat, dass die Nichtauslieferung und Rettung der kroatischen Juden allein auf die italienische Seite zurückzuführen sei und es deshalb nicht darauf ankomme, dass von Bismarck der italienischen Regierung (Kabinettschef d'Ajeta) gleichzeitig mit dem Auslieferungsverlangen der deutschen Regierung über dessen Konsequenzen (Vernichtung der ausgelieferten Juden) unterrichtet habe. Insoweit misst das Verwaltungsgericht dem Merkmal des erheblichen Vorschubleistens - hier im Hinblick auf die Entlastung des Betroffenen durch systemschädliche Handlungen - ein Verursachungs- und Erfolgserfordernis bei, das sich § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht entnehmen lässt. Ein solches Erfordernis ist zwar grundsätzlich anzuerkennen, soweit es um die Frage geht, ob die betreffende Person dem System überhaupt objektiv in beachtlicher Weise Vorschub geleistet hat (1.1). Im Hinblick auf die Frage, ob der Betreffende Handlungen vorgenommen hat, welche die Erheblichkeit seines Vorschubleistens in Zweifel ziehen und ihn insoweit hinsichtlich der Verwirklichung des Ausschlusstatbestands des § 1 Abs. 4 AusglLeistG "entlasten", kommt es aber nicht entscheidend darauf an, ob ein auf die Schädigung des Systems angelegtes Verhalten tatsächlich Erfolg hatte oder (allein) für einen Erfolg ursächlich war (1.2). Hiermit steht das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts nicht im Einklang (1.3).

1.1

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt der Ausschlussgrund des erheblichen Vorschubleistens zugunsten des nationalsozialistischen Systems in objektiver Hinsicht voraus, dass nicht nur gelegentlich oder beiläufig, sondern mit einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen wurden, die dazu geeignet waren, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder Widerstand gegen dieses System zu unterdrücken, und dies auch zum Ergebnis hatten ( BVerwG 3 C 39.05 - BVerwGE 127, 56 <58> und zuletzt vom - BVerwG 5 C 15.08 - DVBl 2009, 1252 Rn. 16). Die mit dem letzten Halbsatz bezeichnete Ergebnisbezogenheit des Verhaltens, d.h. das Erfordernis einer "erfolgreichen" Förderung des nationalsozialistischen Systems im vorgenannten Sinne, erklärt und rechtfertigt sich daraus, dass - wie das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls in ständiger Rechtsprechung betont hat - ein erhebliches Vorschubleisten nur angenommen werden kann, wenn der Nutzen, den das Regime aus dem Handeln des Betroffenen gezogen hat, nicht nur ganz unbedeutend gewesen ist (vgl. Urteile vom a.a.O. und vom a.a.O.). Darauf bezogen ist wiederum die ebenfalls in den zitierten Entscheidungen genannte subjektive Voraussetzung des Ausschlusstatbestandes, dass die betreffende Person in dem Bewusstsein gehandelt haben muss, ihr Verhalten könne diesen Erfolg haben. Nicht erforderlich ist, dass gezielt die Gewalttätigkeit der nationalsozialistischen Herrschaft unterstützt worden sein muss (Urteil vom a.a.O.).

Für ein erhebliches Vorschubleisten kann bereits eine Indizwirkung bestehen (vgl. dazu etwa BVerwG 5 C 4.08 - Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 16). Im Übrigen setzt ein (objektiv) erhebliches Vorschubleisten qualifizierte Unterstützungshandlungen für das nationalsozialistische System im Einzelfall voraus. Maßgeblich dafür sind - wenn die betreffende Person innerhalb der NSDAP oder einer sonstigen nationalsozialistischen Organisation tätig war - zum einen der Umfang und die Dauer der Tätigkeit, die mit dem Amt oder seiner Funktion verbundenen Aufgaben und Befugnisse sowie der daraus resultierende Nutzen für das nationalsozialistische System (Urteil vom a.a.O.). Zum anderen kommt es maßgeblich darauf an, wie der Betreffende sein Amt oder seine Funktion ausgeübt hat ( BVerwG 3 C 39.05 - BVerwGE 127, 56 <66>; Beschluss vom a.a.O.). Gegebenenfalls kann auch erst eine Gesamtschau sämtlicher systemfördernder Handlungen die Annahme rechtfertigen, dass die Schwelle des erheblichen Vorschubleistens überschritten worden ist (vgl. Urteil vom a.a.O. <59> Rn. 21; BVerwG 5 B 33.06 - ZOV 2007, 179).

1.2

Von dem Erfordernis des erfolgreichen objektiven Förderns des Systems ist aber die hier in Rede stehende Frage zu unterscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen sich die betreffende Person durch ein nachgewiesenes regimeschädigendes Handeln in der Weise "entlasten" kann, dass bei einer Gesamtbetrachtung ihres Verhaltens ein erhebliches Vorschubleisten nicht anzunehmen ist.

a) Der Senat hat wiederholt entschieden, dass eine solche "Entlastung" möglich ist, wenn - was hier (wie unter 2. noch darzulegen sein wird) nicht der Fall ist - eine Indizwirkung für ein erhebliches Vorschubleisten der betreffenden Person besteht. Eine Indizwirkung ist nämlich nicht unwiderleglich, sondern kann - auch wenn dies nur ausnahmsweise in Betracht kommt - entkräftet oder erschüttert werden (siehe dazu im Einzelnen Urteil vom a.a.O. Rn. 24 ff.). So können die dem Betroffenen zugute zu haltenden Handlungen die Annahme rechtfertigen, dass ihm bei einer Gesamtbetrachtung im Ergebnis ein erhebliches Vorschubleisten nicht entgegengehalten werden darf. Das ist der Fall, wenn die positiven Handlungen die mit der gesamten übrigen Tätigkeit verbundene Unterstützung und Stabilisierung des nationalsozialistischen Systems in hohem Maße relativieren (Urteile vom a.a.O. Rn. 26 f. und vom a.a.O. Rn. 27). Dabei müssen regimeschädliche Handlungen nicht notwendig erfolgreich gewesen sein; so könnte das Scheitern des Attentats vom nicht dazu führen, dass die Handlungen der am Widerstand Beteiligten unberücksichtigt bleiben. Vielmehr sind bei der wertenden Betrachtung nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG alle auf die Schädigung des Systems gerichteten Handlungen in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, auch wenn der beabsichtigte Schädigungserfolg ganz oder teilweise ausgeblieben ist oder wenn sie für einen eingetretenen Schaden nicht oder nicht allein ursächlich geworden sind.

b) Die Notwendigkeit, in dieser Weise ein auf Systemschädigung angelegtes Verhalten zur Klärung der Frage mit einzubeziehen, ob der Ausschlussgrund des erheblichen Vorschubleistens vorliegt, besteht jedoch auch und erst recht in all jenen Fällen, in denen das Vorschubleisten nicht aufgrund einer Indizwirkung festgestellt worden ist. In diesen Fällen ist nämlich - wie unter 1.1 ausgeführt - im Wege einer umfassenden Würdigung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, ob die Unterstützungshandlungen des Betreffenden für das nationalsozialistische System den qualifizierten Anforderungen an die Erheblichkeit des Vorschubleistens genügen ( BVerwG 3 C 36.05 - BVerwGE 127, 236 <241>; Beschlüsse vom - BVerwG 5 B 199.07 - ZOV 2008, 99 und vom - BVerwG 5 B 16.09 - [...] Rn. 6). Dies schließt eine Berücksichtigung und Bewertung des systemschädlichen Verhaltens mit ein.

Lässt sich demnach eine Stützung und Förderung des Systems im oben genannten objektiven Sinne feststellen, die - für sich genommen - die Annahme des erheblichen Vorschubleistens rechtfertigt, so ist im Rahmen der umfassenden Einzelfallwürdigung auch zu berücksichtigen, ob die betreffende Person nachweislich Handlungen vorgenommen hat, welche dem System geschadet haben oder auf seine Schädigung ausgerichtet waren. Denn zur Klärung der Frage, ob der Tatbestand des erheblichen Vorschubleistens zugunsten des nationalsozialistischen Systems erfüllt ist, d.h. ob sich die Person in dem Sinne "unwürdig" gemacht hat, dass ihr (und ihren Erben bzw. Erbeserben) nach dem Sinn und Zweck des Ausschlusstatbestandes des § 1 Abs. 4 AusglLeistG eine Ausgleichsleistung nicht zustehen soll, ist ihr gesamtes Verhalten in Bezug auf das nationalsozialistische Regime zu würdigen. Für die Berücksichtigung des systemschädlichen Handelns zugunsten der betreffenden Person lässt nicht nur der Wortlaut des § 1 Abs. 4 AusglLeistG jedenfalls insoweit Raum, als er die Erheblichkeit des Vorschubleistens verlangt, sondern seine Berücksichtigung ist vom Sinn und Zweck dieses Ausschlussgrundes geboten, wonach es nur denjenigen, welche die Hauptverantwortung für die zu revidierenden Unrechtsmaßnahmen tragen, verwehrt sein soll, das Ausgleichsleistungsgesetz zu ihren Gunsten in Anspruch zu nehmen (vgl. etwa BVerwG 8 C 281.59 - BVerwGE 9, 132 <141> und vom - BVerwG 3 C 20.04 - BVerwGE 123, 142 <144>). Zu diesen "Hauptverantwortlichen" sind ausnahmsweise diejenigen nicht zu zählen, die zwar einerseits das nationalsozialistische System gefördert, andererseits aber nachweislich in einer Weise auf dessen Schädigung hingearbeitet haben, dass dadurch ihre Förderungshandlungen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung in hohem Maße und damit nachhaltig relativiert werden.

Eine solche Relativierung hat die Rechtsprechung in besonderen Fallgestaltungen in Betracht gezogen. So hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein Ausschlusstatbestand trotz langjähriger Tätigkeit eines Beamten in einem Judendezernat der Gestapo verneint werden kann, wenn der Beamte fortgesetzt im Widerspruch zu seinen Dienstpflichten den Verfolgten geholfen und durch sein ganzes zu würdigendes dienstliches Verhalten vorsätzlich die nationalsozialistischen Bestrebungen, die Juden zu verfolgen, mehr gehindert als gefördert hat ( - RzW 1961, 377 zum Begriff des Vorschubleistens im Sinne des § 6 Abs. 1 BEG). Ebenso hat das BVerwG 9 B 244.90 - (Buchholz 412.6 § 2 HHG Nr. 3) dargelegt, dass ein Vorschubleisten nicht vorliegen muss, wenn der Betroffene seine freiwillig übernommene (das System an sich fördernde) Stellung dazu benutzt hat, die Ziele des Unrechtssystems zu unterlaufen oder Systemgegner zu schützen.

Dementsprechend ist eine wertende Gesamtbetrachtung des Verhaltens der betreffenden Person vorzunehmen. Je gewichtiger die Förderungshandlungen zugunsten des Systems gewesen sind, desto gewichtiger und bedeutsamer müssen die auf seine Schädigung angelegten Handlungen sein, um ausnahmsweise eine bereits eingetretene Förderung relativieren zu können. Welches Gewicht dem jeweiligen Verhalten zugunsten oder zulasten des Systems im Rahmen der Gesamtbetrachtung zukommt, ist an dem bereits erwähnten Zweck des Ausschlusstatbestandes zu messen. Wer an bedeutsamer Stelle zur Etablierung oder Stützung des nationalsozialistischen Systems beigetragen hatte, wird sich hiervon - wenn überhaupt - nur durch nachweislich besonders gewichtige systemschädigende Handlungen entlasten können. Eine bloße innere Reserviertheit oder Abneigung gegenüber dem System, die sich nicht in nennenswerten Handlungen nach außen manifestiert hat, kann insoweit ebenso wenig ins Gewicht fallen wie eine im Zeitverlauf lediglich nachlassende Unterstützung oder eine Abwendung von den Systemzielen in späteren Phasen des NS-Regimes. Demgegenüber ist es für die Gewichtung der systemschädlichen Handlungen aber etwa auch von Bedeutung, ob und gegebenenfalls in welcher Weise sich die betreffende Person durch ihr auf die Schädigung des Systems gerichtetes Verhalten konkreten Gefahren nicht nur für ihre berufliche Stellung ausgesetzt hat. Dabei sind Handlungen, die darauf gerichtet waren, die Ziele des nationalsozialistischen Unrechtssystems nachhaltig zu untergraben oder einen sonstigen gewichtigen Schaden für das System herbeizuführen, auch dann bedeutsam, wenn der beabsichtigte Schadenserfolg nicht oder nicht kausal durch das Verhalten der betreffenden Person eingetreten ist.

1.3

Diesen Grundsätzen wird das angegriffene Urteil nicht in vollem Umfang gerecht. Das Verwaltungsgericht hat zwar ausweislich seiner Urteilsgründe (UA S. 26 f., 30 letzter Absatz) eine "Entlastung" von Bismarcks durch die Art und Weise erwogen, wie er mit den italienischen Stellen die Frage der kroatischen Juden erörtert hat. Es lässt diese Entlastung aber - ohne die näheren Umstände aufzuklären und zu würdigen - allein daran scheitern, dass die Verschonung der kroatischen Juden letztlich nicht als Erfolg von Bismarcks zu werten, sondern eine "rein inneritalienische Angelegenheit" gewesen sei. Damit hat es dem Umstand der kausalen Herbeiführung dieses systemschädigenden Erfolges eine Bedeutung beigemessen, die ihm nach dem dargelegten Maßstab des § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht zukommt.

Wenn die im Ablehnungsbescheid des Beklagten zu Grunde gelegten und im angefochtenen Urteil erörterten Hinweise von Bismarcks an die Italiener zu einer gegen die Juden gerichteten nationalsozialistischen Vernichtungspolitik - insbesondere im Gespräch mit dem Marchese d'Ajeta am - als der tatsächlich erwiesene Versuch zu werten wäre, die kroatischen Juden zu retten und das in amtlicher Eigenschaft übergebene Auslieferungsbegehren zu unterlaufen, so könnte dieses Verhalten nicht unberücksichtigt bleiben, selbst wenn es - wie das Verwaltungsgericht meint - für die Rettung der kroatischen Juden nicht kausal gewesen wäre. Zum einen könnte sich von Bismarck durch ein solches Verhalten der Gefahr ausgesetzt haben, entdeckt zu werden und möglicherweise schwerste Nachteile zu erleiden. Zum anderen könnte erst dadurch die Vernichtungspolitik des NS-Regimes offenbart worden und der für das Regime nachteilige Eindruck in dem betroffenen - hier sogar verbündeten - Staat entstanden sein, dass hochrangige Diplomaten die verbrecherischen Ziele der Judenverfolgung nicht unterstützen. Diese Gesichtspunkte wären im Rahmen der Gesamtbetrachtung nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG unabhängig davon zu würdigen, ob die italienische Seite - wie vom Verwaltungsgericht bisher der Sache nach nur unterstellt - aus anderen Gründen die Auslieferung der kroatischen Juden unterlassen hat.

Ob dieser Aspekt im Rahmen der erforderlichen Gesamtbewertung der systemfördernden wie auch der systemschädlichen Handlungen hingegen den Ausschlag für eine Entlastung von Bismarcks geben kann, ist damit nicht notwendig vorgezeichnet, sondern eine Frage der vom Verwaltungsgericht vorzunehmenden umfassenden Einzelfallwürdigung.

2. Das Verwaltungsgericht hat darüber hinaus in rechtsfehlerhafter Weise eine Indizwirkung für ein erhebliches Vorschubleisten angenommen.

Die Beurteilung, ob aus der Wahrnehmung bestimmter Ämter oder Funktionen im Wege einer Indizwirkung auf die Verwirklichung des Merkmals des erheblichen Vorschubleistens im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG geschlossen werden kann, ist nicht nur eine tatsächliche Würdigung, die der revisionsgerichtlichen Prüfung weitgehend entzogen ist, sondern auch das Ergebnis einer rechtlichen Subsumtion, die vom Revisionsgericht anhand des in § 1 Abs. 4 AusglLeistG vorgegebenen rechtlichen Maßstabs zu überprüfen ist (vgl. BVerwG 3 C 36.05 - BVerwGE 127, 236 ff. Rn. 24 und vom - BVerwG 3 C 20.04 - BVerwGE 123, 142 = [...] Rn. 25). Die durch diesen Maßstab vorgegebenen Voraussetzungen für die Annahme einer Indizwirkung (2.1) sind weder erfüllt, soweit das Verwaltungsgericht eine solche aus der Amtsinhaberschaft von Bismarcks als hoher deutscher Diplomat und Vertreter des deutschen Botschafters in Rom zur Zeit der NS-Herrschaft ab 1940 (UA S. 10) hergeleitet hat (2.2), noch ist es auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht festgestellten Tatsachen hier mit § 1 Abs. 4 AusglLeistG vereinbar, eine Indizwirkung aus anderen Gründen zu bejahen (2.3).

2.1

Das Bundesverwaltungsgericht hat bislang entschieden, dass eine Indizwirkung für die Wahrnehmung herausgehobener Funktionen in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen anzunehmen ist, zumal wenn sie über einen längeren Zeitraum und im Sinne der Partei beanstandungsfrei ausgeübt worden sind, und dass deshalb etwa bei einem Gauleiter oder einem führenden Funktionär auf Reichsebene in der Regel der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 4 AusglLeistG erfüllt sein wird ( BVerwG 3 C 39.05 - BVerwGE 127, 56 <60 f.>; BVerwG 5 B 148.07 - [...]). Darüber hinaus hat der Senat in seinen Entscheidungen zur hauptamtlichen Tätigkeit in der Gestapo (Urteil vom a.a.O.) und der SS (Urteil vom a.a.O.) eine tatsächliche Vermutung (Indizwirkung) für ein erhebliches Vorschubleisten angenommen und dies insbesondere aus der Zielsetzung dieser verbrecherischen Organisationen und ihrer herausgehobenen historischen Rolle im NS-Staat sowie dem damit verbundenen Erfahrungssatz hergeleitet, dass grundsätzlich jeder, der sich in diesen Organisationen in nicht ganz untergeordneter hauptamtlicher Funktion betätigt hat, an dem besonderen Nutzen dieser Organisationen für das NS-System teilhatte. Diese Indizwirkung schließt eine Erkenntnis- und Feststellungslücke. Inhalt und Voraussetzung einer Indizwirkung im Rahmen des § 1 Abs. 4 AusglLeistG ist es daher, dass von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, deren Mitglieder - durch historische Fakten belegt - typischerweise das nationalsozialistische System erheblich gefördert haben, kraft tatsächlicher Vermutung darauf zu schließen ist, dass dies auch bei jedem einzelnen Mitglied dieser Gruppe - sofern es sich nicht entlasten kann - so gewesen ist, ohne dass es des Nachweises einzelner konkreter Förderungshandlungen bedarf. Mit diesen Vorgaben stehen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Indizwirkung nicht in Einklang.

2.2

Soweit das Verwaltungsgericht der "Amtsinhaberschaft von Bismarcks als hoher deutscher Diplomat und Vertreter des deutschen Botschafters in Rom zur Zeit der NS-Herrschaft ab 1940" eine Indizwirkung für ein erhebliches Vorschubleisten beigemessen hat, ist dies mit der Rechtsprechung zu § 1 Abs. 4 AusglLeistG insofern nicht vereinbar, als das Verwaltungsgericht damit nur auf eine Person - nämlich den Amtsträger von Bismarck - abstellt. Dies ist der Sache nach lediglich eine Einzelfallprüfung, aus der keine Vermutungswirkung abgeleitet werden kann. Eine Indizwirkung kann sich nur aus Tatsachen ergeben, die den Einzelnen wegen seiner Eigenschaft als Angehörigen einer Gruppe betreffen und darauf hinweisen, dass alle Mitglieder dieser Gruppe dem nationalsozialistischen System erheblich Vorschub geleistet haben. Überdies kommt der Rückgriff auf eine Indizwirkung umso weniger in Betracht, desto umfassender die wesentlichen Tatsachen für eine Beurteilung des konkreten Einzelfalles aufklärbar und ermittelt sind.

2.3

Eine Indizwirkung zu Lasten von Bismarcks lässt sich hier auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht festgestellten und für das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Tatsachen auch sonst nicht bejahen.

Sollte das Verwaltungsgericht mit seinen Ausführungen dazu, dass spätestens nach der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 "die verschiedenen deutschen Botschaften, Gesandtschaften und sonstigen konsularischen Vertretungen in Europa in die Umsetzung der Judenvernichtung involviert waren" (UA S. 25), zum Ausdruck bringen wollen, es gäbe eine Indizwirkung dafür, dass alle hohen deutschen Diplomaten (jedenfalls die Botschafter und stellvertretenden Botschafter) dem nationalsozialistischen System ab jener Zeit erheblich Vorschub geleistet haben, so wäre auch dies mit den Maßstäben des § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht vereinbar. Die vom Verwaltungsgericht festgestellte Tatsachengrundlage hierfür ist angesichts der Vielzahl von mehr oder minder bedeutsamen Auslandsvertretungen und den unterschiedlichen Aufgabenschwerpunkten ihres Personals unzureichend. Die festgestellten Tatsachen tragen weder in hinreichender Weise den Schluss auf eine tatsächliche Vermutung dafür, dass alle hohen Diplomaten der deutschen Auslandsvertretungen in Europa in stetiger Weise zur Verwirklichung nationalsozialistischer Ziele (hier: Judenverfolgungsmaßnahmen) eingeschaltet waren, noch dass sie dies in einer vom Regime gewünschten Weise auch tatsächlich (durchweg) getan und die Bedingungen für die Erreichung dieser Zielsetzung im Ergebnis dadurch verbessert haben. Aus den vom Verwaltungsgericht zitierten historischen Quellen lässt sich zwar entnehmen, dass die nationalsozialistischen Machthaber spätestens nach der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 beabsichtigten, die hohen Diplomaten des Auswärtigen Amtes insbesondere in den besetzten oder mit dem NS-Regime paktierenden europäischen Staaten an ihrer Judenverfolgungspolitik zu beteiligen, und dass sich hohe Diplomaten in einigen Ländern auch nachweislich hierfür eingesetzt haben. Den zitierten Quellen ist aber nicht zu entnehmen, wie sich dies in anderen Ländern verhielt, also ob dies für alle europäischen Auslandsvertretungen zutraf, und ob dies - wenn nur auf die sog. Achsenmächte und ihre Verbündeten sowie die von Deutschland besetzten europäischen Länder abgestellt wird - gleichermaßen in allen diesen Ländern geschah und sich die höchsten Beamten dieser deutschen Auslandsvertretungen tatsächlich durchweg in vergleichbarer Weise verhalten haben. Ein entsprechender Erfahrungssatz, dass jede Tätigkeit ab einer bestimmten Hierarchiestufe (hier des stellvertretenden Botschafters) notwendig nicht nur in die nationalsozialistische Politik der Judenverfolgung involviert war, sondern hierzu einen nicht unerheblichen Beitrag erbracht hat, ergibt sich auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht festgestellten Tatsachen nicht und drängt sich auch sonst nicht aus allgemein zugänglichen Quellen auf. Davon sind die Beteiligten - wie mit ihnen in der mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht erörtert wurde - ebenfalls übereinstimmend ausgegangen.

Auch aus der Wahrnehmung von Ämtern oder Funktionen in der Exekutive ab einer bestimmten Hierarchiestufe (hier Ministerialdirigent) während der Zeit des Nationalsozialismus lässt sich - im Gegensatz zu den genannten hohen Funktionen in der NSDAP und ihren Untergliederungen - noch nicht stets eine tatsächliche Vermutung (Indizwirkung) für ein erhebliches Vorschubleisten ableiten. Zwar haben letztlich alle, die in der NS-Zeit in der Exekutive tätig waren, diesem Staat in irgendeiner Weise "gedient" und insoweit auch einen Beitrag zur Förderung des NS-Systems erbracht. Allerdings genügt dies für die Annahme eines erheblichen Vorschubleistens im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht. Hierfür ist es vielmehr erforderlich, dass die (Beamten-)Tätigkeit im NS-Staat gerade der Erreichung spezifischer Ziele des Nationalsozialismus zu dienen bestimmt war und die Verwirklichung dieser Ziele in erheblicher Weise gefördert hat (vgl. Urteil vom a.a.O. = [...] Rn. 18, unter Bezugnahme auf das BVerwG 5 C 99.61 - BVerwGE 14, 142 <144>). Für einen entsprechenden Erfahrungssatz, dass dies bei jeder (Beamten-)Tätigkeit in der Exekutive ab einer bestimmten Hierarchiestufe (hier: Ministerialdirigent) notwendig der Fall war, gibt weder der vom Verwaltungsgericht festgestellte Sachverhalt etwas her noch drängt sich dies aus allgemeinkundigem historischem Wissen auf.

3.

Der Senat kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen nicht abschließend entscheiden, ob sich das Urteil des Verwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die tatsächlichen Feststellungen erlauben keine abschließende Beurteilung, ob der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 4 AusglLeistG erfüllt ist oder nicht.

Denn es fehlen hinreichende Feststellungen dazu, ob sich von Bismarck insbesondere mit den Äußerungen gegenüber d'Ajeta am ernsthaft für die Rettung der kroatischen Juden eingesetzt und diese möglicherweise mitbewirkt hat oder ob dies nur beiläufige Andeutungen waren. Gewicht, Umstände und Kontext der Äußerungen sind unklar geblieben. Das Verwaltungsgericht hat zwar die Annahme des erheblichen Vorschubleistens maßgeblich auf die Einbindung von Bismarcks als stellvertretender Botschafter in Rom in die Judenverfolgungspolitik der Nationalsozialisten gestützt. Im Hinblick auf den dafür zentralen Aspekt der Auslieferung der "kroatischen Juden" hat es aber nur die von Bismarck belastenden Umstände zugrunde gelegt, ohne die ihn entlastenden Umstände - hier sogar ein- und derselben Handlung - im erforderlichen Maße festzustellen und zu würdigen. Denn wenn - wie die Kläger bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unter Bezugnahme auf historisches Material vorgetragen haben - von Bismarck mit seinem Verhalten die nationalsozialistische Judenverfolgungspolitik tatsächlich "sabotiert" hätte, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass dies im Rahmen einer vom Tatsachengericht durchzuführenden Würdigung der gesamten Umstände dazu führen könnte, ein erhebliches Vorschubleisten zu verneinen. Das Verwaltungsgericht wird daher - was es in der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich offen gelassen hat (UA S. 14) - die konkreten Vorsprachen von Bismarcks bei der italienischen Regierung zwecks Überlassung der sog. "kroatischen Juden" 1942/43 unter diesem Gesichtspunkt weiter aufzuklären und erneut zu würdigen haben.

Vor diesem Hintergrund reichen die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Tatsachen weder aus, um von Bismarck insgesamt als "entlastet" anzusehen, noch genügen sie dazu, ein erhebliches Vorschubleisten von Bismarcks abschließend zu bejahen oder auszuschließen. Der Rechtsstreit ist daher schon aus diesem Grunde zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Da insoweit bereits aus Rechtsgründen eine erneute Tatsachenfeststellung und -würdigung vorzunehmen ist, kommt es auf die von der Revision insoweit erhobenen Verfahrensrügen nicht an.

Im Übrigen ergibt sich für die erneute verwaltungsgerichtliche Prüfung aus dem Vorstehenden Folgendes: Soweit sich - wovon nach den derzeitigen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur historischen Sachlage auszugehen ist - eine Indizwirkung für ein erhebliches Vorschubleisten (der höheren deutschen Diplomaten während der NS-Zeit) nicht begründen lässt, wird das Verwaltungsgericht im Rahmen einer umfassenden Einzelfallprüfung zunächst zu würdigen haben, ob das individuelle systemfördernde Verhalten von Bismarcks an sich erheblich war. Das Verwaltungsgericht hat insoweit bisher nur die einzelnen Tätigkeitsabschnitte im diplomatischen Dienst betrachtet und geprüft, ob diese - jeweils für sich betrachtet - ein erhebliches Vorschubleisten darstellen. Sollte es sich hiervon nicht überzeugen können, muss es zusätzlich eine einzelfallbezogene Gesamtbetrachtung des systemfördernden Handelns von Bismarcks während der Zeit des Nationalsozialismus anstellen und bewerten, ob ein - in den Einzelheiten noch festzustellendes - systemschädigendes Verhalten nach Art und Gewicht geeignet war, um ein konkret festgestelltes an sich erhebliches Vorschubleisten so nachhaltig zu relativieren, dass bei einer Gesamtwürdigung der Ausschlussgrund des § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht eingreift. Dabei wird das Verwaltungsgericht auch zu berücksichtigen haben, dass es für die Frage des Vorschubleistens nicht maßgeblich ist, in welchem Umfang von Bismarck von einem nationalsozialistischen Gedankengut geprägt war (so aber das angefochtene Urteil, u.a. S. 13), sondern mit welchen konkreten Handlungen er in welchem Maße zur Stützung oder Förderung des Systems einerseits und zu seiner Schädigung andererseits beigetragen hat.

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 130 000 EUR festgesetzt.

Hund RiBVerwG

Dr. Brunn ist wegen Urlaubs an der Unterzeichnung gehindert Hund

Dr. Störmer

Fundstelle(n):
FAAAD-38186