BSG Urteil v. - B 1 AS 1/08 KL

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gründe

I

Die klagende Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden: Klägerin) begehrt vom beklagten Land Berlin (im Folgenden: Beklagter) Schadensersatz gemäß Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG, hilfsweise Erstattung von ca 47 Mio Euro nebst Zinsen wegen in Berlin aufgewandter Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) nach § 22 SGB II, an denen sich der Bund in den Jahren 2005 bis 2008 beteiligte.

Zum wurde mit Inkrafttreten des SGB II auf der Grundlage der "Rahmenvereinbarung zur Gründung von Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II zwischen dem Land Berlin und den Agenturen für Arbeit im Land Berlin" vom (im Folgenden: Rahmenvereinbarung, ABl Berlin 4908) in jedem der Berliner Bezirke eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE) iS von § 44b Abs 1 SGB II errichtet, bestehend aus Personen und Mitteln der Agenturen für Arbeit und des kommunalen Berliner Trägers. Die ARGEn iS des SGB II stellen eine nur vorübergehend, längstens bis hinnehmbare verfassungswidrige Form der Mischverwaltung dar (BVerfGE 119, 331, auch zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 44b Nr 1 vorgesehen). Der Beklagte übertrug den ARGEn ua die Aufgabe, KdU-Leistungen zu erbringen. Mit Wirkung vom erließ er Ausführungsvorschriften (AV-Wohnen vom , ABl Berlin 3743), wonach im Sinne eines Jahresbestandsschutzes nicht angemessene KdU zunächst für das gesamte erste Jahr des Leistungsbezugs in tatsächlicher Höhe übernommen werden sollten (Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen). Dieser Bestandsschutz sollte es Leistungsbeziehern ermöglichen, sich im ersten Jahr ihres Leistungsbezuges vollständig auf die Arbeitsuche und nicht auf die Suche nach einer angemessenen Wohnung zu konzentrieren, so die ursprünglichen Einlassungen des Beklagten gegenüber der Klägerin.

Die Klägerin beteiligte sich im gesetzlich festgelegten Umfang (§ 46 Abs 5 ff SGB II) an den tatsächlich angefallenen KdU in Berlin (zu 29,1 % in den Jahren 2005 und 2006, zu 31,2 % im Jahr 2007 und zu 28,6 % im Jahr 2008). Anfang Oktober 2005 äußerte sie gegenüber dem Beklagten erstmals Bedenken hinsichtlich der Regelungen der AV-Wohnen zur Dauer der Übernahme unangemessen hoher KdU. Ende März 2007 wies sie den Beklagten darauf hin, dass Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen wegen Unvereinbarkeit mit § 22 Abs 1 SGB II rechtswidrig sei. Der Landesrechnungshof Berlin vertrat in seinem Jahresbericht 2007 die Ansicht, dass die "einjährige Bestandsschutzfrist" der Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen rechtswidrig sei und "erhebliche finanzielle Auswirkungen" habe. Entsprechende Ausführungen finden sich auch in einem Bericht des Bundesrechnungshofs über die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom (vgl BT-Drucks 16/7570, S 4). Ende März 2008 wies die Klägerin den Beklagten nochmals auf die Rechtswidrigkeit der Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen hin. Der Beklagte stellte Ende April 2008 die "Aufhebung der mit Bundesrecht nicht übereinstimmenden zwölfmonatigen Fortzahlung der Unterkunftskosten" in Aussicht und ersetzte die AV-Wohnen zum durch eine neue Ausführungsvorschrift (vom , ABl Berlin 502).

Die Klägerin hat am Zahlungsklage beim Bundessozialgericht (BSG) erhoben. Sie hat auf Anforderung des Senats eine vervollständigte statistische Auswertung übersandt, aus der sich die Zahlungsströme der KdU für die Jahre 2007 und 2008 im Verhältnis zum Beklagten zu solchen Leistungsempfängern ablesen lassen, die in dieser Zeit unangemessen hohe KdU länger als sechs bzw 18 Monate bezogen. Der Auswertung lässt sich zum einen für jeden Monat die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften entnehmen, deren Mitgliedern solche Leistungen gewährt wurden; die Bedarfsgemeinschaften sind nach Größe (Ein- bis Fünf-PersonenBedarfsgemeinschaft) gestaffelt. Zum anderen gibt die Auswertung die von den ARGEn anerkannten und damit den Angehörigen dieser Bedarfsgemeinschaften tatsächlich bewilligten KdU an. Weiteres für die Schadensermittlung relevantes Material haben die Beteiligten trotz gerichtlicher Aufforderung nicht vorgelegt.

Die Klägerin trägt vor, es handele sich um eine Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art zwischen Bund und Land, für die das BSG gemäß § 39 Abs 2 Satz 1 SGG zuständig sei, da es um eine aus § 22 Abs 1 SGB II erwachsende Frage gehe. Der Beklagte sei für die Ausführung der KdU-Leistungen verantwortlich, denn er sei gegenüber den ARGEn weisungsbefugt. Er habe mit der Regelung des Bestandsschutzes (Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen) vorsätzlich einen klaren Gesetzesverstoß begangen und wider besseres Wissen jahrelang hieran festgehalten. Deshalb habe er den entstandenen, zu schätzenden Schaden nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG zu ersetzen. Beim Schätzbetrag seien pauschal 20 % abgezogen worden, um "Härtefälle" zu berücksichtigen. Die geltend gemachte Forderung folge hilfsweise aus einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 47.078.126 Euro zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit zu zahlen, hilfsweise, den Rechtsstreit an das Sozialgericht Berlin zu verweisen, äußerst hilfsweise, den Rechtsstreit an das zuständige Gericht der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu verweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er zieht die sachliche Zuständigkeit des BSG in Zweifel und tritt dem Anspruch mit staatsorganisationsrechtlichen sowie einfachgesetzlichen Gesichtspunkten entgegen. Darüber hinaus beruft er sich auf ein wesentliches Mitverschulden des Bundes und stellt die Aussagekraft der Schadensschätzgrundlage in Abrede.

Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II

Die zulässig von der klagenden Bundesrepublik Deutschland beim BSG erhobene Klage (dazu 1.) ist teilweise begründet (dazu 2.). Die Klägerin hat gegen den Beklagten (Land Berlin) einen Anspruch auf Zahlung von (nur) 13.143.000 Euro nebst Zinsen in geltend gemachter Höhe, während die Klage im Übrigen ohne Erfolg bleibt.

1. Das BSG entscheidet nach § 39 Abs 2 Satz 1 SGG ua im ersten und letzten Rechtszug über Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und den Ländern in Angelegenheiten des § 51 SGG. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Streit über den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von 47.078.126 Euro ist öffentlich-rechtlich und nicht verfassungsrechtlicher Art (dazu a.). Er betrifft eine Angelegenheit nach § 51 Abs 1 Nr 4a SGG (dazu b.) und ist "grundlegender Art" (dazu c.).

a) Die öffentlich-rechtliche Streitigkeit zwischen den Beteiligten ist nicht verfassungsrechtlicher Art (vgl dazu BSGE 48, 42, 43 = SozR 1500 § 51 Nr 17). Maßgebend für das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit ist, ob der geltend gemachte Klageanspruch in einem Rechtsverhältnis wurzelt, das entscheidend vom Verfassungsrecht geprägt wird (vgl BVerwGE 116, 234, 237 = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr 289) und nicht (oder) durch Normen des einfachen Rechts (vgl BVerfGE 109, 1, 6; BVerwGE 128, 99 RdNr 15 = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 20).

aa) Streitigkeiten über einen Haftungsanspruch nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG können sowohl verfassungsrechtlicher als auch nicht verfassungsrechtlicher Natur sein. Wird im Kern über die Frage der grundsätzlichen Zuordnung verfassungsrechtlicher Finanzlasten gestritten, liegt eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vor (vgl BVerfGE 99, 361, 365 f). Wird jedoch nur ein Anspruch auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Verwaltungsführung geltend gemacht, der die grundsätzliche Zuordnung der Finanzlasten und damit das verfassungsrechtliche Grundverhältnis zwischen Bund und Ländern nicht in Frage stellt, so ist eine im einfachen Recht wurzelnde Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art gegeben (vgl BVerfGE 99, 361, 366; BVerwGE 104, 29, 31 = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 16; BVerwGE 128, 99 RdNr 16 f = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 20; Prokisch in: Bonner Kommentar zum GG, Stand: Oktober 2009, Art 104a RdNr 349 f). So liegt es hier.

bb) Die Frage, ob Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG unmittelbare Grundlage für einen Haftungsanspruch sein kann, führt nicht zu einem verfassungsrechtlichen Charakter der vorliegenden Streitigkeit. Sie ist nämlich eindeutig geklärt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht [BVerfG] (vgl BVerfGE 116, 271, 317 f) und des Bundesverwaltungsgerichts [BVerwG] (stRspr seit BVerwGE 96, 45, 50 ff = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 11; zuletzt BVerwGE 128, 99 RdNr 19 ff = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 20). Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG begründet danach eine unmittelbare Haftung im Verhältnis Bund-Länder.

cc) Gegenstand des Klageverfahrens ist auch nicht die "grundsätzliche" Zuordnung verfassungsrechtlicher Finanzlasten. Denn diese Zuordnung ist durch die Regelungen in § 46 Abs 5 ff SGB II iVm Art 104a Abs 1 und 3 GG vorgenommen worden und wird von den Beteiligten auch nicht angegriffen. Streitig ist vielmehr die Frage, ob bei der Berechnung des Erstattungsbetrages nach § 46 Abs 8 ff SGB II als Bezugsgröße, auf die sich die aus § 46 Abs 5 ff SGB II ergebende Beteiligungsquote der Klägerin anzuwenden ist, ein durch rechtswidrige Gesetzesanwendung des Beklagten zu hoch angesetzter Betrag der KdU zugrunde gelegt wurde und ob es dadurch zu einer nun im Rahmen des Haftungsanspruchs nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG auszugleichenden Überzahlung gekommen ist. Diese Frage betrifft nicht das verfassungsrechtliche Grundverhältnis zwischen Bund und Ländern, sondern stellt sich lediglich als eine im einfachen Recht wurzelnde Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art dar.

dd) Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die Streitigkeit auch nicht etwa im Hinblick auf den angeblichen Vorrang des Mängelrügeverfahrens nach Art 84 Abs 4 GG verfassungsrechtlicher Art. Die Mängelrüge nach Art 84 Abs 4 GG und der nichtverfassungsrechtliche Schadensersatzanspruch nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG stehen nicht in einem Stufenverhältnis zueinander, wie es für den Grundsatz des Vorrangs des Primärrechtsschutzes gilt. Der bloße Hinweis auf einen generellen Vorrang des Verfahrens nach Art 84 Abs 4 GG gegenüber der Haftung nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG macht den vorliegenden einfachrechtlichen Haftungsstreit nicht zu einem verfassungsrechtlichen. Denn ein solcher Vorrang kommt nicht ernsthaft in Betracht.

Der Vorrang des Primärrechtsschutzes zielt insbesondere für das Verhältnis des Bürgers zum Staat darauf ab, dem Betroffenen die Wahlmöglichkeit zu nehmen, entweder einen gegen ihn gerichteten rechtswidrigen Hoheitseingriff mit den zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmitteln abzuwehren oder aber diesen (freiwillig) zu dulden und dafür einen Ersatz zu liquidieren (vgl zB BVerfGE 58, 300, 324; - NJW 2000, 1401; BVerwGE 107, 29, 31 f = Buchholz 232 § 23 BBG Nr 40; BVerwG Buchholz 237.5 § 8 HeLBG Nr 6; BGHZ 98, 85, 91 f; Papier in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl 2009, § 839 RdNr 330; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl 1998, S 261; vgl insgesamt dazu auch Heinz NVwZ 1992, 513; Arno DVBl 1991, 84). Der Bürger soll und muss unmittelbar gegen einen als rechtswidrig angesehenen Rechtsakt mit den ihm verfügbaren Rechtsbehelfen vorgehen, wenn er sich dagegen wehren will. Gerade dafür stellt ihm der Rechtsstaat ein ausdifferenziertes verwaltungsrechtliches Rechtsschutzsystem zur Verfügung.

Das Mängelrügeverfahren nach Art 84 Abs 4 GG ist im Verhältnis zum Haftungsanspruch nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG dagegen nicht in vergleichbarer Weise als Primärrechtsschutz einzustufen. Es sieht vor, den Bundesrat für die Rüge von Mängeln bei der verwaltungsmäßigen Ausführung eines Bundesgesetzes anzurufen, bevor im Bund/Länder-Streit Rechtsschutz beim BVerfG gesucht werden kann (vgl zB BVerfGE 6, 309, 328 f). Das Verfahren ist durch einen Ablauf geprägt, der einem gerichtlichen Verfahren nicht vergleichbar ist. Es handelt sich um ein spezielles Streitschlichtungsverfahren zwischen Bund und Ländern mit besonderer Entscheidungskompetenz des Bundesrates, der hier in seiner Stellung als föderales Bundesorgan eine diplomatisch-politische Rolle einnimmt (vgl Dittmann in: Sachs, GG, 5. Aufl 2009, Art 84 RdNr 40; Hermes in: Dreier, GG, 2. Aufl 2008, Art 84 RdNr 99; Ipsen, Staatsrecht I, 20. Aufl 2008, RdNr 630). Die gerichtliche Kontrolle durch das Verfassungsorgan BVerfG ist dem nachgelagert und bezieht sich lediglich auf die Überprüfung des Beschlusses des Bundesrates. Es handelt sich um ein langwieriges, kompliziertes und politisch stark aufgeladenes Verfahren, welches zudem mit einer gewissen Prangerwirkung für das Land verbunden ist (vgl zu der Wirkung des Verfahrens insgesamt Lerche in: Maunz/Dürig ua, GG, Band V, Stand Mai 2009, Art 84 RdNr 130). Aus diesen Gründen wird die Durchführung des Verfahrens in der politischen Realität gemieden. Seit seinem Bestehen wurde es in der Praxis noch nie durchgeführt; derartige Streitigkeiten wurden und werden bevorzugt auf andere Art und Weise beigelegt (vgl Blümel in: Isensee/P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl 1999, § 101 RdNr 41). Die Mängelrüge erfüllt ihre Funktion schon aufgrund ihrer bloßen Existenz im Sinne einer "fleet in being" (vgl Dittmann in: Sachs, GG, aaO, Art 84 RdNr 43; Lerche in: Maunz/Dürig, aaO, Art 84 RdNr 130). Die Forderung, vor Geltendmachen einer Haftung nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG das aufwendige und langwierige Mängelrügeverfahren unter Beteiligung weiterer Verfassungsorgane vorzuschalten, erschiene zudem in Fällen vorsätzlich rechtswidrigen Verhaltens eines Landes als geradezu unverhältnismäßig und unangemessen.

Der fehlende Vorrang des Mängelrügeverfahrens ergibt sich auch bei rechtssystematischer Betrachtung. Das Mängelrügeverfahren ist im Abschnitt VIII des GG geregelt, der ua von der Ausführung der Bundesgesetze durch die Landesverwaltung handelt. Die Haftung nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG steht dagegen im Abschnitt X des GG, der das Finanzwesen betrifft. Weder das BVerfG noch das BVerwG haben daher den Vorrang des Mängelrügeverfahrens im Rahmen ihrer Entscheidungen zu Art 84 Abs 4 GG und Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG in ihre Erwägungen einbezogen (vgl zB zu Art 84 Abs 4 GG: BVerfGE 6, 309; 39, 96; 8, 122; vgl zu Art 104a Abs 5 GG: BVerwGE 131, 153; BVerwG Buchholz 451.171 § 9a AtG Nr 2).

b) Es handelt sich bei dem geltend gemachten Klagebegehren um eine Streitigkeit in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende iS von § 51 Abs 1 Nr 4a SGG, für die die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig sind. Eine Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist betroffen, wenn das streitige Begehren seine Grundlage im SGB II findet (vgl Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 51 RdNr 29a). Lässt sich dies nicht klar ermitteln, ist danach zu fragen, ob das Begehren in engem sachlichen Zusammenhang zur Verwaltungstätigkeit der Behörden nach dem SGB II steht (vgl , SozR 4-1500 § 51 Nr 6 RdNr 15). So verhält es sich hier. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch zielt auf eine Korrektur der auf der Grundlage des § 46 Abs 8 ff SGB II konkret erfolgten Zahlungen der Klägerin an den Beklagten im Wege des Schadensersatzes oder der Erstattung ab und knüpft dabei untrennbar an Fragen der KdU nach § 22 Abs 1 SGB II an. Auch wenn sich die Anspruchsgrundlage nicht unmittelbar aus dem SGB II ergibt, begründet diese Verknüpfung der rechtlichen Problematik mit den Regelungen des SGB II einen engen sachlichen Zusammenhang zur Verwaltungstätigkeit der Behörden nach dem SGB II.

c) Auch das im Rahmen einer restriktiven Auslegung des § 39 Abs 2 Satz 1 SGG erforderliche Kriterium, dass es sich um eine Streitigkeit "grundlegender Art" handeln muss, die sich nach ihrem Gegenstand einem Vergleich mit den "landläufigen Verwaltungsstreitigkeiten" entzieht (vgl ähnlich zu § 50 Abs 1 Nr 1 Verwaltungsgerichtsordnung zB BVerwGE 128, 99 RdNr 18 mwN, stRspr; siehe auch Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 39 RdNr 2), ist im Fall eines Anspruchs aus Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG gegeben (entsprechend BVerwGE 128, 99 RdNr 17 mwN = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 20).

2. Die Klage ist lediglich im Umfang eines Anspruchs auf Zahlung von 13.143.000 Euro nebst Zinsen begründet, bleibt im Übrigen dagegen ohne Erfolg. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in dieser Höhe unmittelbar aus Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG (dazu a). Der Anwendungsbereich dieser Verfassungsnorm ist eröffnet (dazu b). Ihre weiteren Voraussetzungen sind ebenfalls erfüllt (dazu c). Der Klägerin ist ein - im Wege der Schätzung zu ermittelnder - ersatzfähiger Schaden in der genannten Höhe entstanden (dazu d). Ein den Schaden minderndes Mitverschulden der Klägerin ist nicht zu berücksichtigen (dazu e). Zudem hat die Klägerin Anspruch auf Prozesszinsen (dazu f). Weitergehende Ansprüche bestehen dagegen nicht (dazu g).

a) Die Klägerin kann sich zur Geltendmachung ihres Anspruches unmittelbar auf Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG stützen. Danach haften der Bund und die Länder im Verhältnis zueinander für eine ordnungsmäßige Verwaltung. Zwar regelt Art 104a Abs 5 Satz 2 GG, dass das Nähere ein Bundesgesetz bestimmt, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Es fehlt an einem solchen Gesetz. Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG begründet indes auch ohne Ausführungsgesetz einen Anspruch.

Schon der Wortlaut des Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG verdeutlicht, dass es einerseits um eine nicht abgeschlossene Regelung geht, die dem einfachen Gesetzgeber - wie die Regelung in Satz 2 zeigt - einen Gestaltungsspielraum eröffnet. Dieser Spielraum ist jedoch andererseits dahin gehend beschränkt, dass nach Satz 1 Halbsatz 2 jedenfalls eine Haftung stattfinden muss. Dem Gesetzgeber ist es daher verwehrt, in einem Ausführungsgesetz die Haftung derart zu formulieren, dass sie tatsächlich nicht zum Tragen kommt und damit der an ihn gerichtete Auftrag, das "Nähere" der Haftung zu regeln, verfehlt würde (vgl BVerwGE 96, 45, 55). Der Gesetzgeber kann sich auch nicht durch schlichte Untätigkeit dem Verfassungsauftrag entziehen (vgl BVerfGE 116, 271, 318 mwN). Ausgehend von diesem Grundgedanken hat das BVerwG Grundsätze eines Haftungskerns entwickelt, die darauf beruhen, dass der Gesetzgeber jedenfalls einen Mindeststandard der Haftung auch in einem Ausführungsgesetz anzuordnen hätte, so dass diesbezüglich der mit dem Zustimmungserfordernis des Bundesrates verbundene Schutzmechanismus für die Länder kein Argument gegen die unmittelbare Herleitung einer Haftung aus auf Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG wäre (stRspr, vgl zB BVerwGE 96, 45, 50 ff = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 11; BVerwGE 128, 99 RdNr 19 ff = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 20).

Die Frage, ob die von der Rechtsprechung vorgenommene Beschränkung einer Haftung ohne Ausführungsgesetz auf einen Kernbereich angesichts des Wortlauts, der Entstehungsgeschichte und der ratio des Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2, Satz 2 GG zwingend ist, bedarf für die vorliegende Streitsache keiner Antwort. Auch wenn man nicht nur ein "einfaches", objektiv rechtswidriges Verhalten verlangt (so BVerfGE 116, 271, 318 mwN), sondern darüber hinaus sogar eine vorsätzliche Pflichtverletzung der in Anspruch genommenen Gebietskörperschaft (eine "schwerwiegende vorsätzliche oder grob fahrlässig begangene Pflichtverletzung" fordernd: BVerwGE 96, 45, 57 ff = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 11; BVerwG Buchholz 11 Art 104a GG Nr 13 und 14; BVerwGE 128, 99 RdNr 21 = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 20; "vorsätzliche Pflichtverletzungen" für notwendig erachtend: BVerwGE 104, 29, 32 ff = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 16), sind die Voraussetzungen der Haftungsnorm des Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG hier erfüllt.

b) Der Anwendungsbereich der Haftung nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ist eröffnet (dazu aa). Es ist hierfür weder von Belang, dass sich das beanstandete Verhalten des Beklagten nicht im Bereich der Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder im Wege der Auftragsverwaltung vollzog (dazu bb), noch dass auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG ein Bereich an sich unzulässiger Mischverwaltung betroffen war (dazu cc).

aa) Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG sieht eine Haftungsregelung vor, die auf das Auseinanderfallen von Verwaltungs- und Finanzierungszuständigkeit zugeschnitten ist (vgl BVerfGE 116, 271, 312; Achterberg DVBl 1970, 125, 126). Die Regelung bezieht sich nach der Systematik des Art 104a GG auf Sonderfälle. Sie zielt auf sachgerechte Zuordnung der Verantwortung für die durch eine nicht ordnungsmäßige Verwaltung entstandenen Schäden (BVerfGE 116, 271, 312 mwN). Aufgaben- und Ausgabenverantwortung von Bund und Ländern müssen hierbei so auseinanderfallen, dass dies das Konnexitätsprinzip des Art 104a Abs 1 GG durchbricht (vgl BVerwGE 128, 99 RdNr 23 = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 20; BVerwGE 131, 153 RdNr 19 = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 22; Prokisch in: Bonner Kommentar zum GG, aaO, Art 104a RdNr 328; Schneider in: AK-GG, 3. Aufl, Stand August 2002, Art 104a RdNr 27; Siekmann in: Sachs, GG, 5. Aufl 2009, Art 104a RdNr 4; Heun in: Dreier, GG, 2. Aufl 2008, Art 104a RdNr 36; Birk BayVBl 1981, 676). Art 104a Abs 1 GG regelt, dass der Bund und die Länder gesondert die Ausgaben tragen, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit das GG nichts anderes bestimmt.

bb) Die Haftungsregelung des Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG erstreckt sich nicht lediglich auf Verwaltungshandeln eines Landes im Rahmen der Auftragsverwaltung iS des Art 85 GG. So hat das BVerfG die Regelung unter Rückgriff auf den objektiven Wortlaut und den Sinngehalt des Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG etwa auch angewendet, wenn durch Anlastungsentscheidungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften dem Bund ein Schaden entsteht (vgl BVerfGE 116, 271, 313 mwN). Nach diesem Maßstab greift die Regelung auch im vorliegenden Fall einer längstens bis anwendbaren, verfassungswidrigen Form der Mischverwaltung.

cc) Nach dem Wortlaut der Norm haften Bund und Länder im Verhältnis zueinander ohne nähere Einschränkung "für eine ordnungsmäßige Verwaltung". Die ordnungsmäßige Verwaltung umfasst sämtliche staatliche Aufgaben, die diesen Gebietskörperschaften obliegen (vgl BVerfGE 116, 271, 313 mwN). Hierzu gehört auch der Vollzug von Bundesgesetzen, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern ausgeführt werden. Zu fragen ist stets, ob der Sinn und Zweck der jeweils einschlägigen Regelung des Art 104a GG eine Anwendung zulässt oder eine sinngemäße Übertragung des Grundgedankens gebietet (vgl befürwortend sogar zu der Frage, ob Art 104a Abs 3 GG auf die Begründung von Geldleistungen aufgrund europäischen Gemeinschaftsrechts analog anzuwenden ist: BVerfGE 116, 271, 314 mwN). Das Vorliegen dieser Voraussetzung kann in den Fällen des Art 104a Abs 3 Satz 1 GG nicht zweifelhaft sein (vgl zB Hellermann in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 5. Aufl 2005, Art 104a RdNr 192).

Die Besonderheit des vorliegenden Rechtsstreits besteht allerdings darin, dass dem geltend gemachten Anspruch eine vom BVerfG nur vorübergehend, längstens bis für anwendbar erklärte, verfassungswidrige Form der Mischverwaltung zugrunde liegt, bei der die Finanzierungsverantwortung teilweise die Klägerin trifft. Die Verwaltungsverantwortung ist dagegen - im hier relevanten Bereich der KdU - dem Beklagten zugeordnet. Die Haftungsregelung des Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG greift nach ihrem Sinngehalt aber auch in diesem Sonderfall ein. Es kommt deshalb nicht auf die Frage an, ob angenommen werden muss, dass der Beklagte unter Berücksichtigung der Begründung des BVerfG in seinem Urteil vom (BVerfGE 119, 331, insbesondere S 368 f, auch zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 44b Nr 1 vorgesehen) § 22 SGB II iS des Art 83, 84 GG als "eigene" Angelegenheit mit finanzieller Beteiligung des Bundes nach § 46 Abs 5 ff SGB II iVm Art 104a Abs 3 Satz 1 und 2 GG ausführt (in diesem Sinne: Oppermann in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 46 RdNr 21, 25; Ehrhardt in: Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Stand Juli 2009, § 46 SGB II RdNr 43; Adolph in: Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII, Stand September 2009, § 46 SGB II RdNr 29; Schumacher in: Oestreicher, SGB XII/SGB II, Stand November 2008, § 46 SGB II RdNr 83; G. Wagner in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 46 RdNr 26; Mempel, Hartz IV-Organisation auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, 2007, S 76; vgl auch Korioth DVBl 2008, 812, 815).

Die Klägerin ist für die Finanzierung der KdU mitverantwortlich, weil sie sich gemäß § 46 Abs 5 ff SGB II an den grundsätzlich von dem Beklagten zu tragenden Aufwendungen zu beteiligen hat. Demgegenüber trägt der Beklagte die Verwaltungsverantwortung dafür, eine AV-Wohnen zu erlassen, um das Verwaltungshandeln der ARGEn zu binden. Nach § 6 Abs 1 SGB II (in der Fassung durch Art 1 Nr 4 des Gesetzes vom BGBl I 2014 für die Zeit vom bis ; in der Fassung durch Art 1 Nr 3 des Gesetzes vom BGBl I 1706 für die Zeit vom bis ) sind Träger der Leistungen nach dem SGB II "1. die Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur), soweit Nummer 2 nichts Anderes bestimmt", und "2. die kreisfreien Städte und Kreise für die Leistungen nach § 16 Abs 2 Satz 2 Nr 1 bis 4, §§ 22 und 23 Abs 3 (SGB II), soweit durch Landesrecht nicht andere Träger bestimmt sind (kommunale Träger)". Zu ihrer Unterstützung können diese Träger Dritte mit der Wahrnehmung von Aufgaben beauftragen (§ 6 Abs 1 Satz 2 SGB II). Durch § 6 Abs 3 SGB II werden die Länder Berlin, Bremen und Hamburg speziell ermächtigt, die Vorschriften des SGB II über die Zuständigkeit von Behörden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende dem besonderen Verwaltungsaufbau ihrer Länder anzupassen.

Der Beklagte hat - gestützt auf diese Regelung - sich selbst in § 1 des Gesetzes zur Ausführung des SGB II vom (AG-SGB II, GVBl Berlin 467) zum kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende iS des § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II bestimmt. Er hat in § 3 Abs 1 AG-SGB II die für das Sozialwesen zuständige Senatsverwaltung zum Erlass von Verwaltungsvorschriften ua zu den Aufgaben des kommunalen Trägers der Grundsicherung gemäß § 22 SGB II ermächtigt. Auf dieser Grundlage hat der Beklagte die Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II vom erlassen (AV-Wohnen, ABl Berlin 3743). Die AV-Wohnen füllt die sich im Rahmen der Gesetzesanwendung gegebenen Entscheidungsspielräume aus. Genau dies ist aber kennzeichnend für ein das Gesetz ausführendes Organ iS der Art 83 ff GG (vgl allgemein Hermes in: Dreier, aaO, Art 83 RdNr 31 mwN; Fischer-Menshausen in: von Münch/Kunig, GG, Band III, 3. Aufl 1996, Art 104a RdNr 3, 5). Die AV-Wohnen ist Ausdruck dessen, dass der Beklagte für ihren Anwendungsbereich der Träger der Aufgabenverantwortung ist. Soweit die Arbeit der ARGEn durch die bindenden Vorgaben der AV-Wohnen determiniert ist, verbleiben auf der Seite der ARGEn keine Handlungsspielräume. Die Bindungswirkung der AV-Wohnen für die ARGEn ergibt sich formell aus § 3 Abs 1 AG-SGB II im Zusammenspiel mit dem vorübergehend geltenden Regelungssystem.

Die Bindung der ARGEn im Land Berlin an die AV-Wohnen hat der vorliegenden Sondersituation Rechnung zu tragen, die auf dem (BVerfGE 119, 331, auch zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 44b Nr 1 vorgesehen) beruht: Weil ARGEn gemäß § 44b SGB II dem Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung widersprechen, der den zuständigen Verwaltungsträger verpflichtet, seine Aufgaben grundsätzlich durch eigene Verwaltungseinrichtungen, also mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen, hat das BVerfG § 44b SGB II für mit der Verfassung unvereinbar erklärt. Es ist damit allerdings nicht von einer Nichtigkeit ausgegangen, sondern "nur" von einer "einfachen" Verfassungswidrigkeit, die eine vorübergehende Anwendung der Regelung zulässt. Das BVerfG wollte damit verhindern, dass durch die Nichtigerklärung der angegriffenen Regelung bei den betroffenen Behörden und Rechtsunterworfenen Unsicherheit über die Rechtslage besteht, und eine wirkungsvolle, durch das Sozialstaatsprinzip gebotene Aufgabenwahrnehmung ermöglichen (BVerfGE 119, 331, 382 f, auch zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 44b Nr 1 vorgesehen). Die durch die Grundsicherung für Arbeitsuchende gewährten Leistungen decken weite Bereiche der Sozialleistungen des Staates ab. Bei einer Nichtigerklärung könnten die Aufgaben ab sofort nicht mehr einheitlich durch die nach § 44b SGB II gegründeten ARGEn wahrgenommen werden. Hiervon wären eine hohe Zahl von Leistungsempfängern und die Mitarbeiter in den ARGEn betroffen. Ohne eine hinreichende Übergangszeit wäre es nicht möglich, eine geordnete Sozialverwaltung sicherzustellen. Deshalb hat das BVerfG die weitere Anwendung der angegriffenen Norm noch bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum zugelassen (BVerfGE 119, 331, 383, auch zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 44b Nr 1 vorgesehen).

Weil es für die betroffenen SGB II-Leistungsberechtigten regelmäßig um existenzielle Leistungen geht, liegt es in der Konsequenz dieser Entscheidung, den ARGEn bis zum vom BVerfG bestimmten Zeitpunkt rechtlich und faktisch eine wirkungsvolle, durch das Sozialstaatsprinzip gebotene Aufgabenwahrnehmung zu ermöglichen. Dazu gehört es, in den jeweils betroffenen Leistungsbereichen den hierfür nach § 6 SGB II zuständigen Trägern auch tatsächlich im Interesse eines effektiven Verwaltungsvollzugs die im Gesetz angelegte, für die Verwaltungspraxis unerlässliche Möglichkeit einzuräumen, allgemeine Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die die ARGEn binden, ohne dass der jeweils andere Träger dies verhindern kann, also lediglich im Benehmen mit diesem (zum Begriff vgl zB Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl 2008, § 44 RdNr 184, Fn 498 mwN). Andernfalls könnte die ARGE bei einem Streit zwischen den Trägern von einem Träger ohne Weiteres lahmgelegt werden, obwohl die Leistungsempfänger dringend auf die Leistungen angewiesen sind. Daran hat sich auch die bisherige Verwaltungspraxis ausgerichtet.

c) Auch die weiteren Voraussetzungen eines Anspruchs aus Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG sind erfüllt. Der Beklagte hat durch den Erlass der AV-Wohnen vorsätzlich und schwerwiegend seine Pflicht verletzt, im Rahmen der grundgesetzlich vorgegebenen Kompetenzordnung höherrangiges Recht (Art 31 GG) beim Erlass von Verwaltungsvorschriften zu beachten (vgl zu dieser Pflicht allgemein zB BVerfGE 30, 292, 332; Ossenbühl in: Isensee/P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band III, 2. Aufl 1996, § 62 RdNr 5 f).

Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen regelte folgenden Jahresbestandsschutz:

"(3) Die Kosten der Unterkunft einschließlich Heizkosten werden zunächst für die Dauer eines Jahres ab Beginn des Leistungsbezuges in tatsächlicher Höhe übernommen. Sofern diese Kosten nach den Vorschriften dieser Ausführungsvorschriften als nicht angemessen zu bewerten waren, gelten im Anschluss an diesen Zeitraum die Regelungen der Nummer 4 Abs 8 ff; erstmalig jedoch ab ."

Erst im Anschluss an die Jahresfrist sollte nach Nr 4 Abs 8 AV-Wohnen die gesetzliche Regelung greifen: "(8) Ergibt die Angemessenheitsprüfung, dass die Aufwendungen den angemessenen Umfang übersteigen, werden die Kosten der Wohnung gemäß § 22 Abs 1 SGB II so lange übernommen, wie es dem Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel oder auf andere geeignete Weise (z. B. durch Untervermietung) die Kosten zu senken, in der Regel jedoch nicht länger als 6 Monate. Dieser Zeitraum kann in den besonders begründeten Einzelfällen (Härtefälle) und/oder wenn eine Kündigungsfrist für den Mieter von mehr als 6 Monaten verbindlich ist, auf bis zu 12 Monate erweitert werden."

Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen widersprach von Anfang an offensichtlich der bundesrechtlich vorbestimmten Gesetzeslage. Es fand sich keinerlei Ansatzpunkt, der den planmäßigen und dauerhaften Verstoß des Beklagten gegen Bundesrecht hätte rechtfertigen oder entschuldigen können. Denn nach § 22 Abs 1 Satz 2 bzw 3 SGB II (Satz 2 für die Zeit vom bis eingeführt durch Art 1 des Gesetzes vom BGBl I 2954, wortgleicher Satz 3 ab durch Art 1 Nr 21 Buchst a) Doppelbuchst aa) des Gesetzes vom BGBl I 1706) sind die Aufwendungen für die Unterkunft, soweit sie den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

Diese gesetzliche Regelung hat innerhalb der AV-Wohnen ihren Niederschlag erst in Nr 4 Abs 8 Satz 1 gefunden. Die Frist der Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen gewährt hingegen unabhängig hiervon ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des Beginns des Leistungsbezuges für das gesamte erste Jahr des Leistungsbezuges die Übernahme der tatsächlichen KdU, ohne dass es auf ihre Angemessenheit ankommt. Bei dieser Ausgestaltung besteht keinerlei Bezug oder Anknüpfungsmöglichkeit zu § 22 Abs 1 SGB II. Es findet sich daher für Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen weder in § 22 SGB II noch in irgendeiner anderen gesetzlichen oder untergesetzlichen Bestimmung eine tragfähige Grundlage. Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen verstößt damit klar gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (vgl zu diesem Grundsatz allgemein BVerfGE 30, 292, 332; Ossenbühl in Isensee/P. Kirchhof, aaO, § 62 RdNr 5 f).

Die offensichtlich gesetzeswidrige Ausgestaltung des Gesetzesvollzugs durch eine Verwaltungsvorschrift in Berlin erfolgte vorsätzlich. Dem Beklagten war nach den Umständen selbst bewusst, dass er damit eine gesetzeswidrige Regelung traf. Denn der Beklagte hat den Jahresbestandsschutz vorprozessual durchgängig damit gerechtfertigt, dass es den Betroffenen auf diese Weise ermöglicht werden solle, sich im ersten Jahr des Leistungsbezuges vollständig auf die Arbeitsuche und nicht auf die Suche nach einer angemessenen Wohnung zu konzentrieren (vgl Schreiben vom , und ). Der Beklagte versuchte erst gar nicht, mit Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen an die Regelungssystematik des § 22 SGB II anzuknüpfen. Vielmehr strebte er gezielt und bewusst an, einen gegenüber den Bestimmungen des SGB II eigenständigen, neuen Rechtfertigungsgrund für die Dauer der Hinnahme unangemessener KdU durch Leistungsberechtigte in der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu schaffen. Er verfolgte dabei zwar mit der schnellen Integration der Betroffenen in den Arbeitsmarkt ein grundsätzlich mit dem SGB II im Einklang stehendes Ziel, für dessen Berücksichtigung jedoch im Rahmen der KdU kein bundesrechtlicher Ansatzpunkt besteht. Entgegen dem Vorbringen des Beklagten im späteren Verlauf des Klageverfahrens legt Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen schon nach seinem klaren Wortlaut auch nicht bloß den Zeitraum fest, in dem die Berliner ARGEn eine Ungewissheit über die Angemessenheit der Unterkunftsaufwendungen oder die Zumutbarkeit ihrer Absenkung hinnehmen können. Dies erweist sich im Kern als bloße interessengeleitete Schutzbehauptung. Der Beklagte stellte sogar selbst Ende April 2008 die "Aufhebung der mit Bundesrecht nicht übereinstimmenden zwölfmonatigen Fortzahlung der Unterkunftskosten" in Aussicht, änderte die AV-Wohnen dagegen erst zum . Der Kritik von Klägerin, Bundes- und Landesrechnungshof hatte er nichts entgegenzusetzen. Seine Erklärung kann vor dem Hintergrund der vorausgegangenen eindeutig hiervon abweichenden eigenen Angaben, der Vielzahl und der Eindringlichkeit der - selbst im eigenen Land - gegebenen zutreffenden Hinweise auf die Rechtswidrigkeit des Vorgehens nicht überzeugen.

d) Der Klägerin ist ein Schaden in Höhe von 13.143.000 Euro entstanden. Die Schadenshöhe beruht auf einer Schätzung des erkennenden Senats nach § 287 Abs 1 ZPO iVm § 202 SGG (vgl zur grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 287 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren zB BSG SozR 4-3300 § 15 Nr 1 RdNr 12 mwN). Die Ermittlung der tatsächlichen Schadenshöhe würde nach dem Rechtsgedanken des § 287 Abs 2 ZPO einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten (vgl dazu insgesamt aa). Der Gesamtbetrag überhöhter Zahlungen, die die Klägerin dem Beklagten trotz unangemessener KdU für die Zeit vom bis gezahlt hat, beläuft sich auf 54.761.913 Euro (dazu bb). Die Klägerin ist jedoch hierdurch nur im Umfang von 13.143.000 Euro geschädigt, da es nach der von ihr unangegriffenen Verwaltungspraxis der ARGEn im Bereich des Beklagten in ca 76 % der Fälle voraussichtlich nicht zu einer Absenkung der Kosten gekommen wäre (sog "Nichtabsenkungsfälle", dazu cc).

aa) Der Senat ist zu einer Schadensschätzung auf der Grundlage von Pauschalierungen berechtigt. Der Schaden der Klägerin liegt in den Zahlungen für KdU nach § 46 Abs 5 ff SGB II, die sie aufgrund der vom Beklagten geregelten und von den ARGEn in Berlin angewandten gesetzwidrigen Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen an den Beklagten überhöht erbrachte. Zur exakten Ermittlung dieses Betrages müsste an sich jeder einzelne Leistungsbezug daraufhin überprüft werden, ob, wann und in welcher Höhe KdU ohne die Ein-Jahres-Frist der Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen bewilligt worden wären. Die Differenz zu den tatsächlich bewilligten und gezahlten KdU wäre dann der konkrete Schadensbetrag. Angesichts der hohen Zahl der für diese Berechnung zu überprüfenden Leistungsbezüge und der Vielzahl unwägbarer und im Nachhinein schwierig zu ermittelnder Faktoren, die dabei in jedem Einzelfall die Leistungshöhe beeinflussen, würde dies einen praktisch nicht zu bewältigenden, unverhältnismäßigen Ermittlungsaufwand erfordern.

bb) Die Klägerin hat dem Beklagten insgesamt für die maßgebliche Zeit vom bis überhöhte Zahlungen für unangemessene KdU in Höhe von 54.761.913 Euro gezahlt. Ausgangspunkt der Schadensermittlung muss der Betrag sein, der Leistungsbeziehern im Bereich des Beklagten nach sechs Monaten des Bezuges unangemessen hoher KdU über den Betrag der angemessenen KdU hinaus gewährt worden ist. Im Rahmen der vorzunehmenden pauschalierenden Betrachtungsweise ist nämlich davon auszugehen, dass ohne den Jahresbestandsschutz (Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen) entsprechend der Frist des § 22 Abs 1 Satz 2 bzw 3 SGB II regelmäßig nach sechs Monaten des Bezuges unangemessen hoher KdU nur noch die angemessenen KdU bewilligt worden wären. Dies schließt für den hier betroffenen Zeitraum die Hinnahme stark vergröbernder Annahmen ein, derer sich der Senat bewusst ist. Das ist hinzunehmen. Zwar wird einerseits in vielen Fällen überhaupt erst nach Ablauf von sechs Monaten mit einer Umsetzung der Pflicht zur Inanspruchnahme angemessenen Wohnraums begonnen werden können; in anderen Fällen kann andererseits jedoch die Absenkung auf die angemessenen KdU durchaus - rechtlich abgesichert - auch schon vor Ablauf der Sechs-MonatsFrist in Betracht kommen (zB in Fällen der Kenntnis der unangemessenen Höhe der KdU von Beginn an, vgl , BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19 RdNr 31 f).

Bei der Schadensberechnung ist daher zunächst für jeden Monat, in dem die rechtswidrige AV-Wohnen in Kraft war und von den ARGEn in Berlin umgesetzt wurde, zu ermitteln, in welcher Höhe solchen Leistungsbeziehern unangemessen hohe KdU bewilligt wurden, die zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens sechs Monate unangemessen hohe KdU erhalten hatten. Dieser Summe ist derjenige Betrag gegenüberzustellen, welcher sich bei Zahlung angemessener KdU in diesen Fällen ergeben hätte. Als angemessen sind dabei - für die Zwecke der Schadensberechnung - ohne weitere Prüfung die KdU anzusehen, die als solche durch Nr 4 Abs 2 AV-Wohnen von dem Beklagten festgelegt wurden. Denn die Sätze der Nr 4 Abs 2 AV-Wohnen bieten eine plausible Schätzgrundlage. Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage zudem nicht gegen die dort festlegten, in Berlin als "angemessen" angesehenen Sätze, sondern nur gegen die zeitliche Dimension der Beanstandungsregelung in Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen. Auf die Differenz der sich ergebenden Beträge ist der gesetzlich festgelegte Beteiligungssatz der Klägerin an den KdU anzuwenden. Für die Schadensberechnung ist die Zeit vom bis maßgeblich, da die AV-Wohnen nach Nr 13 AV-Wohnen zum in Kraft trat und sich nicht nur auf Neubewilligungen ab diesem Zeitpunkt, sondern auch auf Bestandsfälle seit bezog. Dies zeigt die Formulierung in Nr 4 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 2 AV-Wohnen.

Grundlage der Schadensberechnung durch den erkennenden Senat sind die von der Klägerin übersandten statistischen Erhebungen für die Jahre 2007 und 2008. Soweit der Beklagte die Eignung dieses Zahlenmaterials in Zweifel zieht, kann er mit seinen Bedenken nicht durchdringen. Es dürfte zwar zutreffend sein, dass die Statistiken die tatsächlichen Zahlungen nicht vollständig und exakt abbilden. Der Senat sieht es gleichwohl als zulässig und geboten an, die vorgelegten Statistiken der Schadensschätzung zugrunde zu legen. Denn der Beklagte hat im Rechtsstreit anderes Zahlenmaterial trotz gerichtlicher Aufforderung nicht vorgelegt. Anderweitige Erkenntnisquellen sind für den Senat nicht verfügbar. Die vorliegenden Zahlen bilden zumindest im Wesentlichen die maßgeblichen Zahlungsströme ab.

Der Schätzungsvorgang lässt sich beispielhaft aus dem Berechnungsmodus für Januar 2007 ersehen: Aus der von der Klägerin übersandten statistischen Auswertung ergibt sich die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften mit einem mindestens sechs Monate dauernden Bezug von unangemessenen KdU, gegliedert nach der Größe der Bedarfsgemeinschaft von 1 bis 5 Personen (32.689 Ein-Personen-Haushalte, 15.807 Zwei-Personen-Haushalte, 9.567 DreiPersonen-Haushalte, 5.589 Vier-Personen-Haushalte, 1.936 Fünf-Personen-Haushalte). Durch Multiplikation der Anzahl der Bedarfsgemeinschaften (siehe im Folgenden Spalte 1) mit dem für deren jeweilige Größe geltenden Angemessenheitswert (Nr 4 Abs 2 AV-Wohnen, siehe Spalte 2) ergibt sich der Betrag, der den Angehörigen der Bedarfsgemeinschaften ohne Berücksichtigung der Ein-Jahres-Frist als angemessene KdU hätte bewilligt werden dürfen (Spalte 3). Für Januar 2007 errechnet sich dieser Betrag zB wie folgt:

32.689 x 360 Euro =|11.768.040 Euro

15.807 x 444 Euro =|7.018.308 Euro

9.567 x 542 Euro =|5.185.314 Euro

5.589 x 619 Euro =|3.459.591 Euro

1.936 x 705 Euro =|1.364.880 Euro

Gesamt:|28.796.133 Euro.

Wie sich der statistischen Auswertung der Klägerin ebenfalls entnehmen lässt, wurden im Januar 2007 hingegen tatsächlich 34.294.384 Euro an KdU für diesen Personenkreis aufgewandt. Der Differenzbetrag von 5.498.251 Euro wurde durch die Ein-Jahres-Frist der Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen verursacht. Bei dem für 2007 geltenden Beteiligungssatz der Klägerin an diesen Kosten von 31,2 % entfallen hiervon 1.715.454 Euro auf die Klägerin.

Auf dieser Basis errechnet sich für das Jahr 2007 insgesamt ein finanzielle Beteiligung der Klägerin in Höhe von 18.025.820 Euro und für das Jahr 2008 (Beteiligungssatz 28,6 %) von 16.032.660 Euro. Ausgehend von dem Mittelwert dieser beiden gezahlten Beträge und unter Berücksichtigung des (von den Jahren 2007 und 2008 abweichenden) Beteiligungssatzes der Klägerin im Jahr 2005 und 2006 von jeweils 29,1 % ergibt sich für 2006 rechnerisch ein Wert von 16.562.747 Euro und für die Zeit vom bis von 4.140.686 Euro. Der Gesamtbetrag für die Zeit vom bis beläuft sich auf 54.761.913 Euro.

cc) Von den 54.761.913 Euro sind lediglich 24 % als von dem Beklagten auszugleichender Schaden der Klägerin berücksichtigungsfähig; entgegen ihrer Ansicht kann von nur 20 % - von ihr so bezeichneten - "Härtefällen" und einem ihr damit zustehenden Satz von 80 % des genannten Betrages nicht ausgegangen werden. Es ist nämlich ein möglichst realitätsnaher Abzug für die sog "Nichtabsenkungsfälle" vorzunehmen, in denen es den Leistungsbeziehern auch nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 22 Abs 1 Satz 2 bzw 3 SGB II weder möglich noch zumutbar war, ihre unangemessen hohen KdU auf ein angemessenes Maß zu senken. In den Nichtabsenkungsfällen wirkte sich der Jahresbestandsschutz nicht schädigend zu Lasten der Klägerin aus. Vielmehr waren andere Umstände für den weiteren Bezug unangemessener KdU ursächlich. Das muss zu Gunsten des Beklagten schadensmindernd Berücksichtigung finden.

Für den Umfang der Nichtabsenkungsfälle ist ebenfalls eine Schätzung vorzunehmen, da die Ermittlung der Anzahl dieser Fälle schon im Hinblick auf die dabei zu berücksichtigenden Umstände praktisch unmöglich sein dürfte. Die Frage, ob ein Nichtabsenkungsfall vorlag, stellte sich grundsätzlich auch unter Geltung der AV-Wohnen, dort allerdings nicht regelmäßig nach sechs Monaten, sondern in der Regel erst nach 18 Monaten des Bezuges unangemessen hoher KdU. Denn Nr 4 Abs 3 AV-Wohnen verweist für den Zeitraum nach Ablauf der Ein-Jahres-Frist auf Nr 4 Abs 8 AV-Wohnen, welche sich auf die Regelung des § 22 Abs 1 Satz 2 bzw 3 SGB II mit der dort normierten Sechs-Monats-Regelfrist bezieht. Der Senat knüpft daher für die Ermittlung des Abzugsbetrags an die KdU an, die an Leistungsbezieher gezahlt wurden, die mindestens 18 Monate unangemessen hohe KdU erhielten. Der Abzugsbetrag ist dabei systematisch auf die gleiche Art zu bestimmen, wie in dem ersten Schritt der Schadensermittlung. Das heißt, dass auch für die Gruppe derjenigen, die mindestens 18 Monate unangemessen hohe KdU bezogen haben, auf der Grundlage der von der Klägerin übersandten Statistiken der Differenzbetrag zwischen den tatsächlich gezahlten und den angemessenen KdU zu errechnen ist. Hierauf ist dann wiederum der Beteiligungssatz der Klägerin anzusetzen, um zu dem Abzugsbetrag zu gelangen.

Zwar ergeben sich bei dieser Vorgehensweise nicht exakt die Beträge, die sich bei der genauen Berücksichtigung aller tatsächlich jeweils nach sechs Monaten vorliegenden Nichtabsenkungsfälle errechnet hätten. Vielmehr handelt es sich um eine "in der Zeit verschobene" Berücksichtigung solcher Fälle. Dennoch sieht der Senat die diesbezüglichen Zahlungen als einzigen ihm verfügbaren geeigneten Anknüpfungspunkt für den im Rahmen der Schätzung vorzunehmenden Abzug an. Sie sind für den hier maßgeblichen Zeitraum hinreichend repräsentativ. Denn die Auswertung der Statistiken der Klägerin zeigt, dass der Wert der diesbezüglichen Zahlungen des Bundes relativ konstant um einen Wert von monatlich 1.100.000 Euro +/- max 150.000 Euro schwankt.

Die Beispielsrechnung für Januar 2007 gestaltet sich dabei im Einzelnen wie folgt: Unter Berücksichtigung der jeweiligen Anzahl der unterschiedlich großen Bedarfsgemeinschaften und der für diese geltenden Angemessenheitsgrenzen ergibt sich ein Gesamtbetrag von 21.428.869 Euro, der an den Personenkreis derjenigen mit einem mindestens 18-monatigem Bezug von unangemessenen KdU als angemessene KdU hätte gezahlt werden dürfen. Tatsächlich wurden laut der statistischen Auswertung der Klägerin hierfür jedoch 25.447.078 Euro, also 4.018.209 Euro zu viel gezahlt. Bei dem Beteiligungssatz der Klägerin für 2007 von 31,2 % ergibt sich damit ein Betrag von 1.253.681 Euro.

Für das Jahr 2007 errechnet sich für die Nichtabsenkungsfälle auf diesem Wege ein Abzug von rund 13.412.598 Euro, entsprechend 74,4 % des Gesamtbetrages, und für das Jahr 2008 ein Abzug von rund 12.552.174 Euro, mithin 78,7 % des Jahresbetrages. Gemittelt ergibt sich ein durchschnittlicher Abzugswert von rund 76 %, den der Senat für den Gesamtzeitraum zugrunde legt. Von dem ursprünglichen Schadensbetrag in Höhe von 54.761.913 Euro verbleibt damit ein Endbetrag von im Rahmen der vorzunehmenden Schätzung - gerundet - 13.143.000 Euro.

Unerheblich ist, dass der Abzugswert auffällig hoch ist. Dies kann darauf beruhen, dass die ARGEn im Bereich des Beklagten in dem maßgeblichen Zeitraum in einem sehr hohen Prozentsatz von Nichtabsenkungsfällen ausgingen oder in Fällen unangemessen hoher KdU diese auch nach Ablauf von 18 Monaten noch ungeprüft weiter zahlten. Die Klägerin hat diese Verwaltungspraxis im Rahmen ihrer Klage indessen nicht angegriffen. Der von ihr angesetzte, hinsichtlich der Höhe nicht näher erläuterte Wert von 20 % für "Härtefälle" ist demgegenüber für den erkennenden Senat nicht nachvollziehbar und angesichts der insoweit nicht gezielt zum Gegenstand eines Schadensersatzanspruchs gemachten Bewilligungspraxis der ARGEn in Berlin - welche dann auch in das Verhältnis zur Praxis in anderen Bundesländern oder Stadtstaaten gesetzt werden müsste - in keiner Weise belegt. Er spiegelt die Verhältnisse nicht angemessen wider.

e) Die Klägerin muss sich kein anspruchsminderndes Mitverschulden entgegenhalten lassen. Entgegen der Ansicht des Beklagten musste die Klägerin - wie unter 1. a) dd) dargelegt - vor Erhebung der Schadensersatzklage nicht als vorrangigen Rechtsbehelf das Mängelrügeverfahren nach Art 84 Abs 4 GG durchführen. Die Klägerin hat auch ihre Obliegenheiten zur Schadensminderung gegenüber dem Beklagten nicht verletzt (Rechtsgedanke des § 254 BGB). Sie hat vielmehr frühzeitig (erstmals mit Schreiben vom ) und wiederholt in den Jahren 2007 und 2008 den vorsätzlich rechtswidrig handelnden Beklagten aufgefordert, die rechtswidrigen Teile der AV-Wohnen vom an die Gesetzeslage anzupassen.

f) Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 291, 288 Abs 1 BGB und ist in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit (= Zeitpunkt der Klageerhebung) begründet.

Die entsprechende Anwendbarkeit der §§ 291, 288 Abs 1 BGB auf Haftungsansprüche nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG entspricht der ständigen Rechtsprechung des BVerwG (vgl BVerwGE 96, 45, 59 = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 11; BVerwG Buchholz 11 Art 104a GG Nr 14; BVerwGE 128, 99 RdNr 62 = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 20; BVerwG Buchholz 451.171 § 9a AtG Nr 2), der sich der erkennende Senat anschließt.

Dem steht nicht entgegen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BSG für Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger untereinander grundsätzlich keine Prozesszinsen verlangt werden können (vgl zB BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2, jeweils RdNr 16; BSGE 99, 102 RdNr 28 ff = SozR 4-2500 § 19 Nr 4 mwN; zu den auf spezifischen Gründen beruhenden Ausnahmen vgl BSGE 96, 133 = SozR 4-7610 § 291 Nr 3; - juris RdNr 11 mwN; BSGE 92, 223, 231 = SozR 4-2500 § 39 Nr 1; BSGE 95, 141, 153 ff = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 38 ff). Diese auf Sozialleistungsansprüche bezogene Rechtsprechung ist auf einen Haftungsanspruch nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nicht übertragbar. Denn der vorliegend streitige Haftungsanspruch zielt auf Schadensersatz innerhalb des Systems der finanzverfassungsrechtlichen Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern. Er steht außerhalb des Systems der sozialrechtlichen Ansprüche.

g) Weitergehende Ansprüche der Klägerin gegenüber dem Beklagten bestehen nicht. Insbesondere ergeben sich solche nicht aus einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Dessen Anwendung ist bei Vorliegen eines Haftungsverhältnisses iS des Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG nach der Rechtsprechung des BVerwG grundsätzlich ausgeschlossen, damit das Haftungsgefüge des Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG - bei Erlass eines Ausführungsgesetzes iS des Art 104a Abs 5 Satz 2 GG iVm diesem Ausführungsgesetz - mit den darin enthaltenen und zuvor dargestellten Wertungen nicht über andere Anspruchsgrundlagen ausgehebelt werden kann (vgl BVerwGE 100, 56, 61 = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 15 und in Abgrenzung zur Anwendbarkeit in den Fällen, in denen kein Haftungsverhältnis iS des Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG vorliegt: BVerwGE 131, 153 RdNr 22 f = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 22). Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an. Zudem reicht der öffentlichrechtliche Erstattungsanspruch in seinem Umfang nicht über den Schadensersatzanspruch nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG hinaus (Rechtsgedanke des § 852 BGB).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm § 155 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

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Fundstelle(n):
DAAAD-38165