BSG Urteil v. - B 8 SO 11/08 R

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: LSG Baden-Württemberg, L 7 SO 1253/06 vom SG Mannheim, S 5 SO 183/06

Gründe

I

Der Kläger verlangt vom Beklagten die Zahlung von 10.500 Euro, den der Rentenversicherungsträger als Erstattungsbetrag an den Beklagten gezahlt hat.

Der Kläger bezog seit 1994 Sozialhilfe in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt sowie einmaligen Beihilfen. Ab erhielt er Leistungen der Grundsicherung nach dem Grundsicherungsgesetz, ab 1.1. bis Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Im März 2005 bewilligte ihm der zuständige Rentenversicherungsträger Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend ab ; für den zurückliegenden Zeitraum zahlte er von dem Nachzahlungsbetrag (29.119,07 Euro) als Erstattung wegen dessen erbrachter Leistungen zur Existenzsicherung 22.137,38 Euro an den Beklagten.

Das Sozialgericht (SG) Mannheim hat die Klage, mit der der Kläger die Auszahlung von 10.500 Euro des an den Beklagten gezahlten Erstattungsbetrags an ihn verlangt hatte, weil der von der Rente einbehaltene Betrag falsch berechnet worden sei, abgewiesen (Gerichtsbescheid vom ). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom ). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, eine Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Zahlungsanspruch bestehe nicht.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 104, 107 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Er ist der Ansicht, ihm stehe ein Anspruch auf Auszahlung von 10.500 Euro zu, weil der Erstattungsanspruch des Beklagten gegen den Rentenversicherungsträger zu seinen Lasten falsch berechnet worden sei; dem müsse im Rahmen seines (des Klägers) Rechtsverhältnisses zum Beklagten Rechnung getragen werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, 10.500 Euro an ihn zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).Das LSG hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch gegen den Beklagten auf Auszahlung von 10.500 Euro zusteht; sollte, wovon der Kläger ausgeht, der Rentenversicherungsträger dem Beklagten einen zu hohen Betrag erstattet haben, müsste dies der Kläger gegenüber dem Rentenversicherungsträger geltend machen (vgl BSG SozR 3-2600 § 93 Nr 12 S 110), weil dieser insoweit nicht von seiner Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Kläger frei geworden wäre.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Zahlung von 10.500 Euro unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten, damit auch auf Grund von Vorschriften des Zivilrechts (§§ 17 Abs 2 Satz 1, 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz [GVG]), mit Ausnahme von Ansprüchen aus Amtspflichtverletzung (Art 34 Grundgesetz [GG] iVm § 839 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]), für die allein der ordentliche Rechtsweg eröffnet ist (vgl Art 34 Satz 3 GG, § 17 Abs 2 Satz 2 GVG, § 40 Abs 2 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung). Hinsichtlich der zunächst auch geltend gemachten Amtspflichtverletzung ist das Verfahren ohnedies an das zuständige Landgericht verwiesen worden (§ 17a Abs 2 GVG). Richtige Klageart ist die Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG.

Verfahrensfehler des LSG, die einer Sachentscheidung entgegenstünden, liegen nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob der Rentenversicherungsträger nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG vom LSG hätte beigeladen werden müssen; dies wäre nur der Fall, wenn sich die Ansprüche gegen den Beklagten bzw den Rentenversicherungsträger gegenseitig ausschließen würden (vgl nur BSGE 49, 143, 146 = SozR 5090 § 6 Nr 4 S 5). Die unterbliebene notwendige unechte Beiladung ist in der Revisionsinstanz nur auf Rüge zu beachten (BSGE 97, 242 ff RdNr 15 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 4 RdNr 10); eine solche Rüge ist nicht erhoben worden.

Ansprüche des Klägers ergeben sich nicht aus den §§ 102 ff SGB X, und zwar auch nicht aus Gründen der Sachnähe, wie der Kläger offensichtlich meint. Die §§ 102 ff SGB X regeln lediglich Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger untereinander, nicht jedoch - aus welchen Gründen auch immer bestehende - Ansprüche des Leistungsempfängers gegen einen Sozialleistungsträger. Der Kläger kann für sich auch nicht den so genannten öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch reklamieren. Dieser ist zwar ein aus allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, abgeleitetes eigenständiges Rechtsinstitut; er verschafft dem Anspruchsinhaber ein Recht auf Herausgabe des Erlangten, wenn eine Leistung ohne Rechtsgrund oder ohne eine sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebung erfolgt ist (vgl nur Senatsurteil vom - B 8 SO 23/07 R - RdNr 27). Seine Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen entsprechen, soweit sie nicht spezialgesetzlich geregelt sind, denen des zivilen Bereicherungsanspruchs (BVerwGE 71, 85, 88; 87, 169, 173; 100, 56, 59; 112, 351, 353 f). Erfolgt die Vermögensverschiebung durch Leistung, also auf Grund bewusster und zweckgerichteter Vermehrung fremden Vermögens, ist deshalb neben den Voraussetzungen des § 812 Abs 1 BGB auch der Vorrang der Leistungsbeziehung zu beachten (Senatsurteil vom , aaO, RdNr 27). Da - wie nachfolgend auszuführen ist - auch das Bereicherungsrecht des BGB dem Kläger keinen Anspruch gewähren würde, kann sich der Kläger ebenso wenig auf den allgemeinen öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch stützen.

Ein Anspruch des Klägers ergibt sich nicht aus § 816 Abs 2 BGB, der als solcher normativ den Grundsatz des Vorrangs der Leistungsbeziehungen durchbricht. Nach § 816 Abs 2 BGB ist ein Nichtberechtigter dem Berechtigten zur Herausgabe des Geleisteten verpflichtet, wenn an ihn als Nichtberechtigten eine Leistung bewirkt worden ist, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist. Diese Vorschrift kommt unabhängig davon, ob der Rentenversicherungsträger an den Beklagten einen zu hohen Betrag erstattet hat, nicht zur Anwendung, so dass es keiner weiteren Prüfung zur Rechtmäßigkeit des Erstattungsanspruchs des Beklagten gegen den Rentenversicherungsträger bedarf. Bestand ein Erstattungsanspruch des Beklagten gegen den Rentenversicherungsträger - auch in dieser Höhe -, so hat der Rentenversicherungsträger an den Beklagten als Erstattungsberechtigten iS des § 104 SGB X, also nicht an einen Nichtberechtigten gezahlt, wie dies § 816 Abs 2 BGB voraussetzt.

Sollte demgegenüber der Rentenversicherungsträger dem Beklagten mehr als gesetzlich vorgesehen erstattet haben, wirkt sich dies unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu Lasten des Klägers aus. Nach § 107 Abs 1 SGB X gilt nämlich der Anspruch des Berechtigten, vorliegend also des Klägers, gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger, vorliegend den Rentenversicherungsträger, nur insoweit als erfüllt, als ein Erstattungsanspruch besteht. Anders ausgedrückt: Hat der Rentenversicherungsträger dem Beklagten zu Unrecht Beträge erstattet, ist er von seiner Leistungspflicht aus dem Rentenversicherungsverhältnis gegenüber dem Kläger nicht befreit worden.

Der Kläger kann auch die Rechtsfolge des § 816 Abs 2 BGB nicht durch eine Genehmigung herbeiführen. Grundsätzlich geht die Rechtsprechung und Literatur zum Zivilrecht zwar davon aus, dass ein Berechtigter die Zahlung an einen Nichtberechtigten nach §§ 362 Abs 2, 185 Abs 2 Satz 1 1. Alt BGB genehmigen kann (vgl nur BGHZ 55, 34, 37; 106, 381, 390), wobei die Genehmigung in der Klageerhebung gesehen werden kann ( -, LM Nr 6 zu § 816 BGB; Beschluss vom - IX ZR 237/07 -, NJW-RR 2009, 705 f mwN). Der Berechtigte hat mithin ein Wahlrecht, entweder den durch die Zahlung nicht befreiten Schuldner zu belangen oder sich an den nichtberechtigten Empfänger zu halten, insbesondere um der Gefahr zu begegnen, dass die Durchsetzung seines Anspruchs gegen den verfügenden Nichtberechtigten wegen dessen finanziell unsicheren Situation zweifelhaft ist.

Eine solche Genehmigung kommt jedoch vorliegend deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei dem Erstattungsanspruch des Beklagten gegen den Rentenversicherungsträger um einen gegenüber dem Rentenanspruch des Klägers völlig eigenständigen Anspruch handelt und der Erstattungsanspruch des Beklagten mithin nicht der Verfügungsbefugnis des Klägers unterliegt. Die Erstattungsansprüche der §§ 102 ff SGB X sind nämlich nicht von der Rechtsposition des Leistungsberechtigten abgeleitet (BSGE 56, 69, 71 = SozR 1300 Art 2 § 21 Nr 1; vgl auch BT-Drucks 9/95, S 17). Dementsprechend vollzieht sich die Erstattung allein zwischen den Leistungsträgern ohne Beteiligung des Versicherten. Der Erstattungsanspruch entsteht kraft Gesetzes; der Anspruch des Leistungsberechtigten geht also nicht auf den erstattungsberechtigten Leistungsträger über. Zahlt der Rentenversicherungsträger an den Beklagten, so zahlt er nicht auf die bestehende rentenversicherungsrechtliche Schuld gegenüber dem Leistungsempfänger, sondern auf eine eigenständige Erstattungsschuld gegenüber dem Beklagten. Seine rentenversicherungsrechtliche Schuld gilt lediglich nach Maßgabe des § 107 SGB X als erfüllt.

Eine analoge Anwendung der §§ 816 Abs 2, 362 Abs 2, 185 Abs 2 BGB ist ausgeschlossen, weil - abgesehen davon, dass bereits die Existenz einer ungewollten Gesetzeslücke fraglich ist - keine Notwendigkeit besteht, dem Leistungsempfänger ein Wahlrecht zuzugestehen, gegen welchen Leistungsträger er seinen Zahlungsanspruch geltend macht. Auch auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch kann der Kläger seinen Zahlungsanspruch nicht stützen. Dabei kann dahinstehen, ob dieses Rechtsinstitut im Sozialhilferecht anwendbar ist (s dazu insbesondere Pietzner/Müller, VerwArch 85 [1994], 603, 612 ff mit Nachweisen zur ablehnenden Rspr des BVerwG). Mit dem Herstellungsanspruch soll nämlich nur die Rechtslage hergestellt werden, die sich ergeben würde, wenn alles ordnungsgemäß gelaufen wäre (vgl nur: BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 4 S 37 ff; SozR 3-4100 § 110 Nr 2 S 9 ff; Seewald in Kasseler Kommentar, Stand Januar 2009, Vor §§ 38-47 SGB I, RdNr 44 mwN); Rechtsfolge darf somit nicht ein rechtswidriger Zustand sein. Gerade dies wäre jedoch der Fall, wenn sich der Zahlungsanspruch nunmehr statt gegen den Rentenversicherungsträger gegen den Beklagten richten würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Fundstelle(n):
QAAAD-37329