Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: LSG Hessen, L 5 B 89/08 R vom SG Marburg, SG Marburg - - AZ S 4 R 355/07 vom
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Prozesskostenhilfe für ein sozialgerichtliches Verfahren.
I. Die 1955 geborene Beschwerdeführerin bezieht seit November 2005 Rente wegen Erwerbsminderung. Der Rentenversicherungsträger legte der Berechnung der Rentenhöhe einen gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI um 0,108 gekürzten Zugangsfaktor zugrunde. Nach erfolglosem Vorverfahren erhob die Beschwerdeführerin im Dezember 2007 Klage gegen die Kürzung des Zugangsfaktors und beantragte Prozesskostenhilfe. Zu diesem Zeitpunkt waren beim Bundessozialgericht bereits mehrere Revisionsverfahren zur Frage der einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Kürzung des Zugangsfaktors nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI anhängig (B 5 R 32/07 R; B 5 R 88/07 R).
Der Rentenversicherungsträger und das Sozialgericht schlugen vor, das Klageverfahren der Beschwerdeführerin bis zum Abschluss der bereits beim Bundessozialgericht anhängigen Parallelverfahren ruhend zu stellen. Dies lehnte die Beschwerdeführerin ab.
Das Sozialgericht lehnte sodann den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe im März 2008 ab. Die Klage habe keine Erfolgsaussichten, da die Rechtmäßigkeit der Kürzung des Zugangsfaktors durch den Anfragebeschluss des 5. Senats des (B 5a/5 R 32/07 R, [...]) geklärt sei. Auch verschiedene Landessozialgerichte hätten in diesem Sinne entschieden. Der 4. Senat des Bundessozialgerichts, der in seinem Urteil vom (B 4 RA 22/05 R, BSGE 96, 209 ff.) die gegenteilige Auffassung vertreten habe, sei für das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr zuständig.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde vom Landessozialgericht im Juni 2008 zurückgewiesen. Es könne dahinstehen, ob die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Jedenfalls handele es sich nicht um eine Rechtsverfolgung, die nicht mutwillig erscheine.
Die hiergegen eingelegte Gegenvorstellung wurde vom Landessozialgericht mit Beschluss vom verworfen. Das Landessozialgericht verwies auf seine Gründe in der Beschwerdeentscheidung. Im Übrigen fehle nach den zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen des 5. Senats des (u.a. B 5 R 32/07 R; NZS 2009, S. 385 ff.) auch die notwendige Erfolgsaussicht.
Die bereits am erhobene Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Entscheidung des Sozialgerichts und die Beschwerdeentscheidung des Landessozialgerichts. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 103 Abs. 1 GG. Das Abwarten der anderen Verfahren, in denen sie keine Möglichkeit habe, ihre persönlichen Interessen und Rechtsauffassungen einzubringen und darzulegen und so Einfluss auf den Verfahrensausgang zu nehmen, stelle keine gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeit dar. Ihre Klage sei daher nicht mutwillig. Auch sei nicht ausgeschlossen, dass der Rentenversicherungsträger auch bei für ihn negativem Ausgang der Musterverfahren den gegenüber der Beschwerdeführerin ergangenen Bescheid nicht ändere, sondern an seiner Rechtsauffassung festhalte. Die Ruhendstellung ihres eigenen Verfahrens sei daher auch im Vergleich zu einer vermögenden Partei keine zumutbare Handlungsalternative. Damit sei nicht nur der Grundsatz der Rechtsschutzgleichheit verletzt, sondern der Beschwerdeführerin auch die Möglichkeit auf rechtliches Gehör entzogen. Auch der Beschluss des Sozialgerichts verletze sie in diesen Rechten, weil er der Klage die Erfolgsaussichten abspreche, obwohl sie sich auf ein rechtskräftiges Urteil des Bundessozialgerichts stützen könne. Das Sozialgericht habe damit in unzulässiger Weise eine schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfrage im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens entschieden.
II. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg, weil sie jedenfalls unbegründet ist.
Bei der Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Vorschriften über die Gewährung von Prozesskostenhilfe haben die Fachgerichte die sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergebenden Anforderungen zu beachten. Dabei ist keine vollständige Gleichheit Unbemittelter, sondern nur eine weitgehende Angleichung geboten (vgl. BVerfGE 9, 124 <130>; 81, 347 <357>). Vergleichsperson ist derjenige Bemittelte, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfGE 9, 124 <130>; 81, 347 <357>; 122, 39 <51>). Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG steht damit auch einer Besserstellung desjenigen, der seine Prozessführung nicht aus eigenen Mitteln bestreiten muss und daher von vorneherein kein Kostenrisiko trägt, gegenüber dem Bemittelten, der sein Kostenrisiko wägen muss, entgegen. Dies haben die Fachgerichte zu beachten, wenn sie beurteilen, ob eine beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (vgl. § 114 Satz 1 ZPO) und ob die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (vgl. § 121 Abs. 2 ZPO).
Vor diesem Hintergrund sind die angegriffenen Entscheidungen im Ergebnis nicht zu beanstanden. Ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Bürger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln finanzieren muss, wird ein Verfahren nicht (weiter) betreiben, solange dieselbe Rechtsfrage bereits in anderen Verfahren in der Revisionsinstanz (sog. unechte Musterverfahren) anhängig ist. Er kann auf diesem Wege - im Falle einer in seinem Sinne positiven Entscheidung des Revisionsgerichts - vom Ausgang dieser Verfahren profitieren, ohne selbst einem (weiteren) Kostenrisiko zu unterliegen. Geht das Revisionsverfahren hingegen aus Sicht des Betroffenen negativ aus, ist er nicht gehindert, sein Rechtsschutzziel im eigenen Verfahren weiter zu verfolgen. Das Abwarten der Entscheidung des Revisionsgerichts ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin auch nicht deswegen unzumutbar, weil sie beim Ruhen ihres eigenen Verfahrens keinen Einfluss auf die Entscheidung des Revisionsgerichtes in den dort bereits anhängigen Verfahren nehmen könne. Letzteres gilt nämlich auch, wenn ihr eigenes Verfahren zeitgleich fortgeführt würde.
Es reicht aus verfassungsrechtlicher Sicht aus, wenn dem Betroffenen nach Ergehen der "Musterentscheidungen" noch alle prozessualen Möglichkeiten offenstehen, umfassenden gerichtlichen Schutz zu erlangen (vgl. BVerfGE 54, 39 <41 f.>). Dies ist hier der Fall. Solange aber ein Betreiben des eigenen Verfahrens in zumutbarer Weise zurückgestellt beziehungsweise auch formell ruhend gestellt werden kann, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte davon ausgehen, dass eine anwaltliche Vertretung nicht erforderlich ist. Waren - wie hier - die unechten Musterverfahren zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits beim Revisionsgericht anhängig, gilt dies regelmäßig auch für die Klageerhebung selbst.
Aus dem grundrechtsgleichen Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) folgt nichts anderes.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG
abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2010 S. 988 Nr. 14
XAAAD-36988