BGH Beschluss v. - XI ZR 141/09

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: OLG Oldenburg, 6 U 104/08 vom LG Oldenburg, 2 O 313/08 vom

Gründe

I. Die Parteien streiten um die Inanspruchnahme aus zwei Bürgschaften.

Die Beklagten sind Gesellschafter der O. KG (im Folgenden: O. KG), die wiederum Gesellschafterin der G. gesellschaft mbH (im Folgenden: G. GmbH) war. Mit Verträgen vom 13./ gewährte die Klägerin der G. GmbH ein 1. Darlehen über 1,5 Millionen DM sowie ein 2. Darlehen über 150.000 DM. Zur Absicherung des 1. Darlehens übernahmen die Beklagten am gemeinsam mit sechs Mitbürgen eine 1. Bürgschaft. In den Bürgschaftsvordruck wurde von der Klägerin maschinenschriftlich eine Widerrufsbelehrung "gemäß § 2 HWiG" eingefügt. Am 27. Oktober/ gewährte die Klägerin der G. GmbH ein 3. Darlehen über 500.000 DM. Auch für dieses Darlehen übernahmen die Beklagten die 2. Bürgschaft, in deren Formular dieselbe Widerrufsbelehrung eingefügt wurde. Schließlich gewährte die Klägerin dem Sportverein O. e.V. einen Dispositionskredit bis zur Höhe von 150.000 DM. Zu dessen Absicherung unterzeichneten die Beklagten gemeinsam mit fünf Mitbürgen am eine 3. Bürgschaft, der eine gedruckte Widerrufsbelehrung nach § 2 HWiG beigefügt war. Sämtliche Bürgschaftsurkunden und Belehrungen wurden den Beklagten nicht ausgehändigt. Mit Schreiben vom kündigte die Klägerin gegenüber der G. GmbH das 1. Darlehen und stellte einen Rückzahlungsbetrag von 727.128,98 € fällig. Unter demselben Datum kündigte sie den Kontokorrent des Sportvereins und forderte 133.318,29 € zurück. Nachdem weder die G. GmbH noch der Sportverein Zahlungen leisteten, nahm die Klägerin die Beklagten aus der 1. und 3. Bürgschaft in Höhe von insgesamt 803.822,07 € in Anspruch. Nach Verhandlungen mit der Klägerin widerriefen beide Beklagte ihre Bürgschaftserklärungen.

Die Beklagten berufen sich auf die Wirksamkeit ihrer Widerrufserklärungen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Klägerin mit Beschluss vom auf Schlüssigkeitsbedenken zur Höhe der Hauptschuld hingewiesen. Nachdem die Klägerin hierzu vorgetragen hatte, hat das Berufungsgericht den Beklagten Stellungnahmefrist gewährt. Die Beklagtenvertreter haben daraufhin mit Schriftsätzen vom 25. Februar bzw. vorgetragen. Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben, die Revision nicht zugelassen und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Beklagten hätten ihre Bürgschaftserklärungen nicht wirksam widerrufen, da ihnen weder ein Widerruf nach dem Haustürwiderrufsgesetz zugestanden noch die Klägerin ein vertragliches Widerrufs- oder Rücktrittsrecht eingeräumt habe. Da die Voraussetzungen eines Haustürwiderrufs nicht vorgelegen hätten, habe es sich bei den Hinweisen auf ein Widerrufsrecht in den Bürgschaften um für den Vertragsinhalt bedeutungslose Belehrungen gehandelt. Diese nähmen ausdrücklich auf § 2 HWiG Bezug, so dass für die Beklagten als geschäftserfahrene Personen erkennbar gewesen sei, dass das Widerrufsrecht auf das Haustürwiderrufsgesetz habe begrenzt sein sollen. Ein Widerrufsrecht sei auch nicht vertraglich vereinbart worden, denn den Beklagten habe sich aufdrängen müssen, dass die Klägerin nur einer vermeintlich bestehenden gesetzlichen Pflicht habe nachkommen wollen. Das neue Vorbringen in den nachgelassenen Schriftsätzen der Beklagten sei zwar durch den ergänzten Vortrag der Klägerin veranlasst worden, jedoch gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht zu berücksichtigen.

II. Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 39/03, WM 2004, 1407, 1408 f. und vom - XI ZR 340/03, BGH-Report 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1. Das Berufungsurteil verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör.

a) Artikel 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass gerichtliche Entscheidungen frei von Verfahrensfehlern ergehen, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblichen Vorbringens und der Beweisanträge. Zwar gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, dass ein Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Die Nichtberücksichtigung eines als erheblich angesehenen Vortrages bzw. Beweisangebots verstößt aber dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfGE 65, 305, 307; 69, 141, 144).

b) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Der Beklagte zu 2. hat mit nachgelassenem Schriftsatz vom den ergänzten Vortrag der Klägerin zur Höhe der Hauptschuld bestritten und sich den Vortrag des Beklagten zu 1. im Schriftsatz vom zu einem Verstoß der Klägerin gegen § 776 BGB durch eine angeblich unterlassene Verwertung von Sicherheiten zu Eigen gemacht.

c) Diesen Vortrag der Beklagten hat das Berufungsgericht zwar als durch das ergänzte Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz von veranlasst bezeichnet, ihn jedoch gleichwohl unter Hinweis auf § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht berücksichtigt. Dies verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör.

Das Berufungsgericht hat bei der Anwendung von § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO verkannt, dass die Voraussetzungen dieser Vorschrift von vornherein nicht vorliegen können, wenn das Vorbringen einer Partei zu neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel erst durch den ergänzenden Sachvortrag der anderen Partei veranlasst worden ist, den diese auf einen Hinweis des Berufungsgerichts gemäß § 139 Abs. 3 ZPO gehalten hat. In einem solchen Falle fehlt es denknotwendig an einer Nachlässigkeit der neu vortragenden Partei im Sinne von § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO.

d) Die Zurückweisung des neuen Vortrages der Beklagten verletzt deren Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, denn das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BVerfGE 62, 392, 396; 89, 381, 392 f.). Die Gehörsverletzung führt nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Zulassung der Revision, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (BGHZ 154, 288, 296 f.), und rechtfertigt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache.

2. Das Berufungsgericht wird nunmehr dem übergangenen Vortrag der Beklagten nachzugehen und dabei insbesondere zu berücksichtigen haben, dass es sich sowohl bei der von der Klägerin maschinenschriftlich in die 1. Bürgschaftserklärung eingefügten als auch bei der im Formular der 3. Bürgschaft enthaltenen Widerrufsbelehrung um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt. Für deren Auslegung kommt es - worauf die Beschwerde zutreffend hinweist - nicht auf das Verständnis der Beklagten, sondern unter Berücksichtigung von § 5 AGBG darauf an, wie die Beklagten diese Belehrungen verstehen durften.

Entgegen der Rechtsansicht der Beschwerdeerwiderung setzt die Anwendbarkeit des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch nicht voraus, dass die beanstandete Klausel Bestandteil zweiseitiger Verträge und damit Willenserklärung der Vertragsparteien ist. Vielmehr können nach dem Schutzzweck des AGB-Rechts auch vorformulierte Klauseln der Inhaltskontrolle unterliegen, die nicht im engeren Sinne Vertragsbedingungen sind, sofern sie - wie hier - im Zusammenhang mit einer vertraglichen Beziehung stehen (so für einseitige Erklärungen des Kunden, die auf einer Vorformulierung des Verwenders beruhen: BGHZ 98, 24, 28; 141, 124, 126; , NJW 2000, 2677; für Vereinbarungen einer Fondsgesellschaft mit Dritten zur Mittelverwendungskontrolle: , Umdruck, S. 6). Für vom Vertragspartner zu unterzeichnende, vorformulierte Belehrungen durch den anderen Vertragspartner kann nach dem Schutzzweck des AGB-Rechts nichts anderes gelten.

Fundstelle(n):
SAAAD-36699