Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe
I
Die jetzt 31 Jahre alte Soldatin im Rang eines Feldwebels, deren Dienstverhältnis auf Zeit planmäßig im Jahr 2013 enden wird, wendet sich mit ihrem Antrag gegen die Anordnung des Amtschefs des Personalamts der Bundeswehr, 50% ihrer Dienstbezüge vorläufig einzubehalten.
In dem mit Verfügung des Amtschefs des Personalamts der Bundeswehr vom als zuständiger Einleitungsbehörde gegen die Soldatin eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren ist diese mit Bescheid vom u.a. vorläufig des Dienstes enthoben worden; zugleich sprach die Einleitungsbehörde ein Uniformtrageverbot aus und ordnete an, dass 50% ihrer Dienstbezüge einbehalten werden. Den Antrag der Soldatin, die Anordnung vom aufzuheben, wies die Einleitungsbehörde mit Bescheid vom zurück.
Im gerichtlichen Disziplinarverfahren hat die 1. Kammer des Truppendienstgerichts Nord mit Urteil vom die Soldatin wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines Gefreiten herabgesetzt (TDG N 1 VL 20/08). Hiergegen haben die Soldatin unbeschränkt, die Wehrdisziplinaranwaltschaft "auf das Disziplinarmaß beschränkt" Berufung eingelegt (BVerwG 2 WD 24.09), über die noch nicht entschieden ist. Mit Beschluss vom selben Tag hat das Truppendienstgericht auf den Antrag der Soldatin die von der Einleitungsbehörde am angeordnete und später aufrechterhaltene Einbehaltungsanordnung aufgehoben; im Übrigen, d.h. hinsichtlich der vorläufigen Dienstenthebung und des Uniformtrageverbots blieb der Rechtsschutzantrag ohne Erfolg (TDG N 1 GL 11/08). Der mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Beschluss wurde der Einleitungsbehörde am zugestellt.
Mit Bescheid vom hat der Amtschef des Personalamts der Bundeswehr erneut die Einbehaltung von 50% der Dienstbezüge der Soldatin angeordnet und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Dienstvergehen sei so schwerwiegend, dass die von der Wehrdisziplinaranwaltschaft inzwischen zuungunsten der Soldatin eingelegte Berufung zu ihrer Entfernung aus dem Dienstverhältnis führen werde. Den dagegen gerichteten Aufhebungsantrag der Soldatin vom hat die Einleitungsbehörde durch Bescheid vom im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, es wäre zwar möglich gewesen, mit einer Beschwerde gegen den truppendienstgerichtlichen Aufhebungsbeschluss vom vorzugehen. Daneben habe jedoch gleichberechtigt die Möglichkeit des erneuten Erlasses einer Einbehaltungsanordnung bestanden; dieser Weg sei hier beschritten worden. Bis zur Einlegung der Berufung durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft sei die Aufhebung der Einbehaltungsanordnung durch das Truppendienstgericht die konsequente Folge seines Urteils in der Hauptsache gewesen. Nach Einlegung der Berufung habe sich die Sach- und Rechtslage geändert. Ab diesem Zeitpunkt seien die Voraussetzungen der Einbehaltung der Dienstbezüge unter den Bedingungen des voraussichtlich erfolgreichen Berufungsverfahrens zu bejahen gewesen. Dies habe zum erneuten Erlass einer Einbehaltungsanordnung berechtigt.
Hiergegen hat die Soldatin beim Senat mit Schriftsatz vom Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, mit der sie die Aufhebung der Bescheide vom sowie vom begehrt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, die erneute Anordnung der Einbehaltung der Dienstbezüge sei unzulässig. Das Personalamt der Bundeswehr habe den Aufhebungsbeschluss des Truppendienstgerichts rechtskräftig werden lassen. Neue Umstände, die aus anderen als dem Truppendienstgericht seinerzeit bekannten Gründen den Erlass einer Einbehaltungsanordnung rechtfertigten, lägen auch nach Ansicht des Personalamts der Bundeswehr nicht vor. Es berufe sich vielmehr auf die Gründe, die bereits der ersten Einbehaltungsanordnung zugrunde gelegen hätten, aber vom Truppendienstgericht verworfen worden seien. Der Umstand, dass beide Seiten gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt hätten, habe nicht zu einer Änderung der Sach- und Rechtslage geführt. Nach alledem sei die erneute Anordnung der Einbehaltung der Dienstbezüge wegen des rechtskräftigen Beschlusses des Truppendienstgerichts unzulässig.
Der Bundeswehrdisziplinaranwalt tritt dem Begehren der Soldatin entgegen.
II
Das Rechtsschutzbegehren der Soldatin hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig (§ 126 Abs. 5 Satz 3 WDO). Der Senat ist zur Entscheidung berufen (§ 126 Abs. 5 Satz 4 WDO), da das gerichtliche Disziplinarverfahren in der Hauptsache beim Bundesverwaltungsgericht anhängig ist.
2. Der Antrag ist auch begründet. Der Amtschef des Personalamts der Bundeswehr hat als Einleitungsbehörde zu Unrecht durch Bescheid vom erneut die Einbehaltung von 50% der Dienstbezüge der Soldatin angeordnet und diese Entscheidung durch Bescheid vom aufrechterhalten; der unanfechtbare Beschluss des Truppendienstgerichts vom steht dieser Anordnung entgegen.
Nach § 126 Abs. 2 Satz 1 WDO kann die Einleitungsbehörde gleichzeitig mit der nach § 126 Abs. 1 WDO erfolgten vorläufigen Dienstenthebung oder später anordnen, dass dem Soldaten ein Teil, höchstens die Hälfte der jeweiligen Dienstbezüge einbehalten wird, wenn im gerichtlichen Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienstverhältnis erkannt werden wird. Eine solche Anordnung ist hier durch den Bescheid vom erneut verfügt worden. Allerdings hatte die Einleitungsbehörde bereits mit Bescheid vom die Einbehaltung von 50% der Dienstbezüge der Soldatin angeordnet. Diesen Bescheid hat das Truppendienstgericht jedoch hinsichtlich der Einbehaltungsanordnung gemäß § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO durch Beschluss vom mit der Begründung aufgehoben, die dem Bescheid zugrundeliegende Prognoseentscheidung - Entfernung der Soldatin aus dem Dienstverhältnis - sei unzutreffend; es komme lediglich eine Zurückstufung in den Dienstgrad eines Gefreiten in Betracht. Gegen diesen mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehenen Beschluss hat die Einleitungsbehörde innerhalb der Monatsfrist des § 114 Abs. 2 WDO keine Beschwerde gemäß Absatz 1 der Vorschrift eingelegt. Der Beschluss vom ist damit insoweit gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 WDO (formell) rechtskräftig geworden. Unter diesen Umständen darf eine erneute Anordnung der Einbehaltung der Dienstbezüge nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen ausgesprochen werden; solche sind hier nicht gegeben.
a) Zwar ist die Bindungswirkung eines formell rechtskräftigen, d.h. unanfechtbaren Beschlusses, der im Rahmen und auf der Grundlage des § 126 Abs. 1, 2 und 5 WDO erlassen worden ist, nur begrenzt, weil er - dem vorläufigen Charakter von Anordnungen nach § 126 Abs. 1 und 2 WDO und dem sie ggf. überprüfenden summarischen Verfahren entsprechend - materieller Rechtskraft nicht fähig ist (vgl. z.B. BVerwG 2 WDB 20.68 -; Dau, WDO, 5. Auflage 2009, § 126 Rn. 33; zum Beamtendisziplinarrecht z.B. BVerwG 1 DB 31.84 - BVerwGE 76, 201 <202> m.w.N.). Die Einleitungsbehörde kann gemäß § 126 Abs. 5 Satz 1 WDO eine nach den Absätzen 1 bis 4 getroffene Anordnung jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen ganz oder teilweise aufheben und insoweit - abweichend von einem vorangehenden unanfechtbaren Gerichtsbeschluss - zugunsten des Soldaten entscheiden. Ein formell rechtskräftiger Beschluss des Truppendienstgerichts bindet jedoch die Einleitungsbehörde in derselben Sache insofern, als sie bei unveränderter Sach- und Rechtslage, wie sie für das Gericht Grundlage seiner Entscheidung war, nicht zuungunsten des betroffenen Soldaten abweichen und Anordnungen insbesondere nach § 126 Abs. 1 oder 2 WDO treffen darf. Eine vom Gericht unanfechtbar als rechtswidrig aufgehobene Anordnung i.S.d. genannten Vorschriften darf von der Einleitungsbehörde nur dann erneut erlassen werden, wenn sich die Sach- oder Rechtslage inzwischen geändert hat, z.B. vom Gericht gerügte Mängel behoben worden sind oder neue, die Anordnung stützende Beweismittel vorliegen (vgl. dazu die bereits zitierten Fundstellen; ergänzend zum Beamtendisziplinarrecht: Behnke, BDO, 2. Auflage 1970, § 95 Rn. 33; Weiß, GKÖD Bd. II, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Teil 3 BDO, Stand 1985, K § 95 Rn. 45).
b) Die Sach- und Rechtslage hat sich hier nach Erlass des Beschlusses des Truppendienstgerichtes vom nicht insoweit entscheidungserheblich geändert, dass ein solcher Umstand die Einleitungsbehörde berechtigte, in Abweichung von dem formell rechtskräftigen Gerichtsbeschluss erneut die Einbehaltung von 50% der Dienstbezüge der Soldatin anzuordnen:
Zunächst ist nichts dafür ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht, dass zwischenzeitlich zum Nachteil der Soldatin eine entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage hinsichtlich des angeschuldigten Dienstvergehens oder der Persönlichkeit der Soldatin eingetreten ist. Es sind weder neue Tatsachen noch Beweismittel in Bezug auf den Tatvorwurf, das Persönlichkeitsbild der Soldatin oder ihre persönlichen bzw. wirtschaftlichen Verhältnisse bekannt geworden. Zudem hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft lediglich eine auf die Disziplinarmaßnahme beschränkte Berufung eingelegt, d.h. die Tat- und Schuldfeststellungen des Truppendienstgerichts unbeanstandet gelassen. Auch in disziplinarrechtlicher Hinsicht ist seit dem keine Änderung entscheidungserheblicher Umstände eingetreten, die unmittelbar zu einer anderen, vom Truppendienstgericht abweichenden Beurteilung des von ihm festgestellten Dienstvergehens führen könnte.
Soweit sich die Einleitungsbehörde für die Rechtmäßigkeit des Erlasses der erneuten Einbehaltungsanordnung darauf beruft, durch die Einlegung des Rechtsmittels der Wehrdisziplinaranwaltschaft sei eine neue Prozesslage entstanden, die zur Entfernung der Soldatin aus dem Dienstverhältnis führen werde, stellt dies keine neue Sach- oder Rechtslage dar, die die Bindungswirkung des unanfechtbaren Beschlusses vom ohne Weiteres entfallen lässt. Die gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegten Berufungen haben lediglich zur Folge, dass die Entscheidung in der Hauptsache, nämlich die Degradierung der Soldatin, noch nicht rechtskräftig geworden und das gerichtliche Disziplinarverfahren weiter zu betreiben ist. Dies ist aber kein neuer entscheidungserheblicher Umstand, der für sich bereits dazu führt, dass der formell rechtskräftige Beschluss des Truppendienstgerichts vom nicht weiter aufrechterhalten bleiben kann. Die Einlegung der Berufung durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft besagt als Tatsache an sich nichts über die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels, sondern bewirkt lediglich, dass derselbe, vom Truppendienstgericht festgestellte Disziplinarsachverhalt - es handelt sich insoweit um eine maßnahmebeschränkte Berufung - einer erneuten Prüfung durch die nächste Instanz zugeführt wird (vgl. dazu BVerwG 1 B 134.93 - InfAuslR 1994, 395 f.). Auch die Prognose der Einleitungsbehörde, die Soldatin werde vom Berufungsgericht voraussichtlich aus dem Dienstverhältnis entfernt werden, ist nicht neu; sie wurde bereits im gerichtlichen Disziplinarverfahren erster Instanz vertreten.
Mit der Einlegung der Berufung durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft ist der Einleitungsbehörde auch kein zusätzliches, allein auf die zweite Instanz beschränktes Anordnungsrecht nach § 126 Abs. 2 WDO erwachsen. Alle Anordnungen nach dieser Vorschrift gelten für das gesamte gerichtliche Disziplinarverfahren gegen einen Soldaten und enden gemäß § 126 Abs. 6 WDO in der Regel erst mit dem rechtskräftigen Verfahrensabschluss, nicht aber bereits mit dem "Übergang in die zweite Instanz". Der Einleitungsbehörde ist es zwar während eines Berufungsverfahrens nicht verwehrt, unter den Voraussetzungen des § 126 WDO, insbesondere bei Änderung der Sach- und Rechtslage erstmals vorläufige Anordnungen zu treffen oder bisherige Anordnungen zu ändern oder aufzuheben; tut sie dies nicht, bleibt es bei den bisherigen Anordnungen. Daraus folgt auch, dass die im Laufe des bisherigen gerichtlichen Disziplinarverfahrens nach § 126 Abs. 5 WDO getroffenen unanfechtbaren gerichtlichen Entscheidungen bei unveränderter Sach- und Rechtslage während des Berufungsverfahrens Bestand haben und die Einleitungsbehörde binden. Der Einleitungsbehörde entsteht schließlich mit Einlegung der Berufung auch nicht wegen des damit verbundenen gesetzlichen Zuständigkeitswechsels gemäß § 126 Abs. 5 Satz 4 WDO ein neues Anordnungsrecht. Nach dieser Vorschrift wird anstelle des Truppendienstgerichts das Bundesverwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache für Entscheidungen über Anträge gemäß § 126 Abs. 5 WDO zuständig, wenn das gerichtliche Disziplinarverfahren durch Vorlage der Akten (§ 119 WDO) - wie hier - bei ihm anhängig geworden ist (vgl. dazu auch BVerwG 2 WDB 6.82 - BVerwGE 76, 1 ff.). Mit diesem gesetzlich angeordneten Zuständigkeitswechsel für Rechtsschutzverfahren nach § 126 Abs. 5 WDO soll vor allem vermieden werden, dass sich das nach Einlegung der Berufung für das Disziplinarverfahren nicht mehr zuständige Truppendienstgericht im Rahmen des gerichtlichen Antragsverfahrens mit seiner in der Hauptsache erlassenen Entscheidung inhaltlich auseinandersetzen muss und möglicherweise zu einem abweichenden Ergebnis gelangt (vgl. Dau a.a.O. § 126 Rn. 36 m.w.N.).
Nach alledem konnten die Bescheide des Amtschefs des Personalamts der Bundeswehr vom und vom keinen Bestand haben.
3. Einer Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bedurfte es nicht. Diese werden von der zur Hauptsache ergehenden Entscheidung über die Kosten des gerichtlichen Disziplinarverfahrens mit erfasst werden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
QAAAD-35602