Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: LSG Bayern, L 4 KR 297/05 vom SG Nürnberg, S 7 KR 300/05 vom
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um die Verfassungsmäßigkeit der in der Öffentlichkeit vielfach als "Praxisgebühr" bezeichneten Zuzahlung der Versicherten von 10 Euro pro Kalendervierteljahr für den Arztbesuch (§ 28 Abs 4 iVm § 61 Satz 2 SGB V).
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger begehrt die Rückzahlung von 30 Euro, die er als Praxisgebühr für das 1. bis 3. Quartal 2005 hat entrichten müssen. Er hält die Praxisgebühr für grundsätzlich verfassungswidrig und beantragte bei der Beklagten Ende 2004, ihn von dieser frei zu stellen. Die Beklagte lehnte dies ab, weil die Voraussetzungen einer Befreiung gemäß § 62 SGB V nicht vorlägen und die Erhebung der Praxisgebühr nicht verfassungswidrig sei (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom ). Es hat zunächst offen gelassen, ob die Regelungen über die Einziehung der Praxisgebühr das ärztliche Berufsrecht in verfassungswidriger Weise einschränkten, denn dies sei für das Verhältnis des Klägers zu seiner Krankenkasse irrelevant. Der Gesetzgeber habe die Praxisgebühr als ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Erhaltung der Effektivität, Effizienz und Qualität der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) konzipiert; zudem habe die angespannte Finanzlage der GKV konsolidiert werden sollen. Verfassungsrechtlich sei dies nicht zu beanstanden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von Art 3 und 14 GG. Der Gleichheitsgrundsatz sei bereits deshalb verletzt, weil die Praxisgebühr nur die gesetzlich versicherten Arbeitnehmer treffe, ohne gleichzeitig eine hälftige Belastung der Arbeitgeber vorzusehen. Außerdem würden die - grundsätzlich besser verdienenden - Privatversicherten privilegiert, weil ihnen keine Praxisgebühr abverlangt werde. Hinzu komme, dass die Praxisgebühr innerhalb der einheitlich solidarischen GKV zu unterschiedlichen Belastungen der Versicherten führe, und zwar je nach dem, ob diese krank seien und - gebührenpflichtig - einen Arzt aufsuchen müssten oder ob sie keinen Arztkontakt hätten. Es handele sich mithin um einen verdeckten zusätzlichen Beitrag zur GKV bzw um ein unzulässiges Sonderopfer.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Bayerischen und des zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom zu verurteilen, geleistete Zuzahlungen in Höhe von 30 Euro für das 1., 2. und 3. Quartal 2005 zu erstatten.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Einnahmen der Krankenkassen aus der Praxisgebühr haben sich seit ihrer Einführung zum wie folgt entwickelt: 2004 betrugen sie ca 1,700 Mrd Euro, 2005 1,600 Mrd Euro, 2006 1,555 Mrd Euro, 2007 1,526 Mrd Euro und 2008 1,520 Mrd Euro.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Beklagte hat, vertreten durch den die medizinische Behandlung des Klägers in den ersten drei Quartalen des Jahres 2005 durchführenden Vertragsarzt als Einzugsbevollmächtigten (vgl § 43b SGB V), die Zuzahlung von 10 Euro je Quartal zu Recht erhoben. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Zuzahlungspflicht bestehen nicht. Einen Rückzahlungsanspruch gegen die Beklagte als Gläubigerin des Zuzahlungsanspruchs kann der Kläger deshalb nicht geltend machen.
1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die erhobene Klage ist zulässig.
a) Ursprünglich war die Klage, entsprechend dem Ende 2004 im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Begehren, darauf gerichtet, den Kläger zukünftig - also ab Januar 2005 - von der Zahlung der Praxisgebühr zu befreien, wobei verfassungsrechtliche Gründe und nicht etwa gesetzliche Befreiungstatbestände (§ 62 SGB V) geltend gemacht worden sind. Es ging damit um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG), weil die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom und die Erteilung einer "Befreiungserklärung", also einer Leistung iS des § 54 Abs 4 SGG, begehrt wurde.
Dieses in die Zukunft gerichtete Begehren konnte im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem SG am nur noch die Zeit ab dem 4. Quartal 2005 betreffen. Für die abgelaufene Zeit, also das 1. bis 3. Quartal 2005, konnte es nur noch um einen Rückzahlungsanspruch gehen, nachdem der Kläger in der Praxis seines Hausarztes am 3.1., 4.4. und jeweils 10 Euro entrichtet hatte. Die Erhebung des die Zeit bis zum erfassenden Rückzahlungsbegehrens über 30 Euro stellt keinen völlig neuen Klagegegenstand, sondern nur eine Modifikation des auf Befreiung von der Zuzahlungspflicht gerichteten Streitgegenstandes dar. Diese teilweise Umstellung des Klagebegehrens gilt nach § 99 Abs 3 Nr 2 und 3 SGG nicht als Klageänderung. Auch eines erneuten Vorverfahrens bedurfte es insoweit nicht.
b) Im Berufungsverfahren haben die Beteiligten ausweislich der Sitzungsniederschrift des die Zeit ab aus dem Verfahren ausgeklammert. Die Beklagte hat sich verpflichtet, über die ab dieser Zeit angefallenen Zuzahlungen im Verwaltungswege zu entscheiden, und zwar nach Maßgabe eines im vorliegenden Rechtsstreit ergehenden und Rechtskraft erlangenden Urteils.
2. Rechtsgrundlage des Rückzahlungsbegehrens ist ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch (BSGE 75, 167 = SozR 3-2500 § 31 Nr 2). Danach sind Leistungen, die innerhalb eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses ohne rechtlichen Grund erbracht werden, in entsprechender Anwendung der bereicherungsrechtlichen Grundsätze der §§ 812 ff BGB zu erstatten. Das Versicherungsverhältnis eines Versicherten der GKV zu seiner Krankenkasse ist öffentlich-rechtlicher Natur. Zuzahlungen für die Inanspruchnahme von Leistungen der GKV, die im Rahmen des Sachleistungsprinzips auf Kosten der Krankenkasse erbracht worden sind, gehören demgemäß zu den auf öffentlichem Recht basierenden Leistungen der Versicherten.
a) Rechtsgrundlage der vom Kläger erbrachten Zuzahlungen zur ambulanten ärztlichen Behandlung ist § 28 Abs 4 SGB V, der zum durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom (BGBl I 2190) in das Gesetz eingefügt worden ist und im hier maßgebenden Jahr 2005 gemäß Art 1 Nr 15 Buchst b GMG wie folgt lautete:
"Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, leisten je Kalendervierteljahr für jede erste Inanspruchnahme eines an der ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringers, die nicht auf Überweisung aus demselben Kalendervierteljahr erfolgt, als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 2 ergebenden Betrag an den Leistungserbringer. Satz 1 gilt nicht für Inanspruchnahmen nach § 23 Abs. 9, § 25, zahnärztliche Untersuchungen nach § 30 Abs. 2 Satz 4 und 5 sowie Maßnahmen zur Schwangerenvorsorge nach § 196 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung und § 23 Abs. 1 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte. Soweit Versicherte Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 gewählt haben, gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass die Zuzahlung gemäß § 13 Abs. 2 Satz 9 von der Krankenkasse in Abzug zu bringen ist."
b) Die Höhe der Zuzahlungen ergibt sich aus § 61 SGB V:
"Zuzahlungen, die Versicherte zu leisten haben, betragen zehn vom Hundert des Abgabepreises, mindestens jedoch fünf Euro und höchstens zehn Euro; allerdings jeweils nicht mehr als die Kosten des Mittels. Als Zuzahlungen zu stationären Maßnahmen werden je Kalendertag 10 Euro erhoben. Bei Heilmitteln und häuslicher Krankenpflege beträgt die Zuzahlung zehn vom Hundert der Kosten sowie 10 Euro je Verordnung. Geleistete Zuzahlungen sind von dem zum Einzug Verpflichteten gegenüber dem Versicherten zu quittieren; ein Vergütungsanspruch hierfür besteht nicht."
Danach beträgt die Praxisgebühr 10 Euro je Kalendervierteljahr. In jedem Kalenderjahr sind von einem Versicherten für ambulante Behandlungen also höchstens 40 Euro als Praxisgebühr zu entrichten.
c) Die Befreiung von den Zuzahlungen richtet sich nach § 62 Abs 1 SGB V. Nach dessen Satz 1 haben Versicherte während jedes Kalenderjahres nur Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze zu leisten; wird die Belastungsgrenze bereits innerhalb eines Kalenderjahres erreicht, hat die Krankenkasse eine Bescheinigung darüber zu erteilen, dass für den Rest des Kalenderjahres keine Zuzahlungen mehr zu leisten sind. Die Belastungsgrenze beträgt nach Satz 2 der Vorschrift zwei vom Hundert der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt; für chronisch Kranke, die wegen derselben schwerwiegenden Krankheit in Dauerbehandlung sind, beträgt sie 1 vom Hundert der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Um einen derartigen Befreiungstatbestand geht es in vorliegendem Fall nicht.
3. Der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch scheitert nicht schon daran, dass der Kläger die Praxisgebühr an den Vertragsarzt und nicht an die Krankenkasse gezahlt hat. Die Krankenkasse ist Gläubigerin des Anspruchs auf Zuzahlung nach § 28 Abs 4 SGB V und damit im vorliegenden Rechtsstreit passiv legitimiert. Der Vertragsarzt fungiert lediglich als Einzugs- bzw Inkassostelle. Dies ergibt sich aus § 43b Abs 2 SGB V, der derzeit in der Fassung des Gesetzes vom (BGBl I 3439) gilt. Nach dessen Satz 1 und 2 sind - wie schon in der Ursprungsfassung des GMG - Zuzahlungen, die Versicherte nach § 28 Abs 4 SGB V zu entrichten haben, vom Leistungserbringer einzubehalten; dessen Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse, der Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung verringert sich entsprechend. Ebenso verringern sich die nach § 83 SGB V zu entrichtenden Vergütungen in Höhe der Summe der von den mit der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung abrechnenden Leistungserbringern einbehaltenen Zuzahlungen.
Daraus folgt, dass nur die "einbehaltenen" Zuzahlungen, also tatsächliche Zahlungen der Versicherten, nicht aber schon die "einzubehaltenden" Zuzahlungen den Vergütungsanspruch der Vertragsärzte verringern (so auch Wiemers in: jurisPK-SGB V, 2008, § 43b RdNr 8). Ausfälle gehen letztlich zu Lasten der Krankenkassen. Zahlt ein Versicherter die Praxisgebühr anlässlich einer ärztlichen Behandlung nicht, hat der Vertragsarzt ihn lediglich schriftlich zur Nachentrichtung aufzufordern (§ 43b Abs 2 Satz 4, 2. Halbsatz SGB V). Bleibt diese Mahnung erfolglos, hat die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung im Auftrag der Krankenkasse die Einziehung der Zuzahlung zu übernehmen (§ 43b Abs 2 Satz 4, 1. Halbsatz SGB V), soweit in den Bundesmantelverträgen (§ 82 Abs 1 SGB V) nichts Abweichendes bestimmt ist (§ 43b Abs 2 Satz 8 SGB V). Der Vertragsarzt hat hiernach also nur eine Inkassofunktion auszuüben, ist aber nicht selbst Gläubiger der Praxisgebühr. Die Stellung der Krankenkassen als Gläubiger der Praxisgebühr lässt sich zusätzlich aus der bereits oa Regelung des § 28 Abs 4 Satz 3 SGB V ableiten, wonach im Falle der Wahl von Kostenerstattung statt der Sach- oder Dienstleistung (§ 13 Abs 2 SGB V) die Zuzahlung von der Krankenkasse gemäß § 13 Abs 2 Satz 9 SGB V unmittelbar in Abzug zu bringen ist, sich die von ihr an den Versicherten zu erstattende Arztvergütung also um einen der Praxisgebühr entsprechenden Betrag verringert.
4. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch ist unbegründet, weil die Zuzahlungen nach § 28 Abs 4 SGB V mit Rechtsgrund erbracht worden sind. Der Kläger hat für die ersten drei Quartale des Jahres 2005 zu Recht jeweils 10 Euro als Praxisgebühr entrichtet. Eine Befreiung von den Zuzahlungen gemäß § 62 SGB V konnte er mangels Überschreitung der Belastungsgrenze nicht verlangen. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch könnte demnach nur begründet sein, wenn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Zuzahlungsregelung des § 28 Abs 4 SGB V für verfassungswidrig und nichtig erklären würde, weil es dann an einem Rechtsgrund für die Zuzahlungen fehlen würde. An der Verfassungsmäßigkeit des § 28 Abs 4 SGB V hat der erkennende Senat jedoch keine Zweifel. Deshalb kam auch die vom Kläger hilfsweise begehrte Vorlage des Rechtsstreits an das BVerfG nach Art 100 Abs 1 GG nicht in Betracht.
5. Die Zuzahlungsregelung des § 28 Abs 4 SGB V ist formell verfassungsgemäß. Bei dieser Zuzahlung handelt es sich um eine für das System der GKV typische, seit langer Zeit eingeführte eigenständige Form der Abgabe zwecks Eigenbeteiligung der Versicherten an den Krankheitskosten (Abgabe sui generis), die sich in vergleichbarer - wenn auch nicht immer identischer Ausgestaltung (zur Sonderregelung bei Hilfsmitteln vgl Bundessozialgericht [BSG] SozR 4-2500 § 33 Nr 14) - ebenfalls bei Arznei- und Verbandmitteln (§ 31 Abs 3 SGB V), Heilmitteln (§ 32 Abs 2 SGB V) und Hilfsmitteln (§ 33 Abs 2 SGB V), bei der häuslichen Krankenpflege (§ 37 Abs 5 SGB V), der Soziotherapie (§ 37a Abs 3 SGB V), der Haushaltshilfe (§ 38 Abs 5 SGB V), der Krankenhausbehandlung (§ 39 Abs 4 SGB V), bei Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen (§ 23 Abs 6, § 24 Abs 3, § 40 Abs 5 und 6, § 41 Abs 3 SGB V) sowie bei Krankentransporten (§ 60 Abs 2 SGB V) findet. Im Sozialversicherungssystem ist eine solche eigenständige Abgabeform zulässig; denn dieser Bereich ist durch Art 74 Abs 1 Nr 12 iVm Art 87 Abs 2 GG als mittelbare Staatsverwaltung konzipiert und damit aus dem Anwendungsbereich der Art 104a ff GG (Kapitel X: Das Finanzwesen) ausgenommen, sodass an Sonderformen von Abgaben in der GKV (vgl BVerfGE 113, 167, 200 ff: geschlossenes Regelungssystem für die Sozialversicherung und deren Finanzierung) nicht dieselben hohen Anforderungen zu stellen sind wie an die sog "Sonderabgaben", einer speziellen Rechtsfigur, die dazu dienen soll, in Konkurrenz zu Art 104a ff GG weitere Abgabeformen zu legitimieren. Die Klassifizierung der Zuzahlung nach § 28 Abs 4 SGB V als Abgabe sui generis ergibt sich daraus, dass sie keiner der sonstigen Abgabeformen zuzuordnen ist:
a) Es handelt sich nicht um eine Steuer. Steuern sind Geldleistungen, die keine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen auferlegt werden. Sie finanzieren allgemeine Staatsaufgaben und fließen in den allgemeinen Haushalt (BVerfGE 49, 343, 353; 67, 256, 282; 91, 186, 201; 98, 106, 118; Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl 2007, Art 105 RdNr 3 ff). An dieser Tatbestandsvoraussetzung fehlt es hier, weil die Zuzahlung nach § 28 Abs 4 SGB V keine Zahlungslast "für jedermann" und für unbegrenzte Verwendungszwecke darstellt, sondern eine Sonderlast für sich in ärztliche Behandlung begebende Versicherte der GKV, die nur für den Aufgabenkreis der GKV zu verwenden ist.
b) Die streitbefangene Zuzahlung ist auch keine Gebühr; insofern ist die in der Öffentlichkeit verbreitete und stellenweise auch in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 15/1525 S 83) verwendete Bezeichnung "Praxisgebühr" ungenau und missverständlich. Gebühren sind begrifflich öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer, öffentlicher Leistungen auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistungen deren Kosten ganz oder teilweise zu decken (BVerfGE 50, 217, 226; 97, 322, 345; 108, 1, 13; BVerwGE 115, 125, 129; Pieroth, aaO, RdNr 13 ff). Sie werden für die tatsächliche Inanspruchnahme einer staatlichen Einrichtung erhoben (BVerfGE 92, 91, 115). Dafür muss dem Einzelnen kein Vorteil erwachsen sein; es genügt die Entstehung von individuell zu verantwortenden Kosten (so auch BGH NJW-RR 2000; 859, 861). Für die Einordnung als Gebühr spricht zwar, dass der Vertragsarzt bei Nichtzahlung die medizinische Behandlung grundsätzlich ablehnen darf, sofern es sich nicht um einen Notfall handelt; dies ergibt sich aus § 13 Abs 7 iVm § 18 Abs 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte und § 21 Abs 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen. Entscheidend ist jedoch, dass der Vertragsarzt im Verhältnis zum Versicherten keine konkrete Leistung erbringt, die mit der "Praxisgebühr" abgegolten wird; denn Gläubiger der Zuzahlung ist - wie bereits ausgeführt - nicht der Vertragsarzt selbst, sondern die Krankenkasse selbst (§ 43b Abs 2 SGB V).
c) Die Zuzahlung nach § 28 Abs 4 SGB V ist auch nicht als - verdeckter - zusätzlicher Krankenversicherungsbeitrag einzuordnen. Beiträge sind Abgaben zur vollen oder teilweisen Deckung der Kosten einer öffentlichen Einrichtung, die von denjenigen erhoben werden, denen die Einrichtung einen besonderen Vorteil gewährt; sie werden für die potentielle Inanspruchnahme einer Einrichtung erhoben (BVerwGE 72, 212, 218; BVerfGE 92, 91, 115; BVerwGE 112, 194, 199; Pieroth, aaO, RdNr 15). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil die Praxisgebühr nur bei der tatsächlichen Inanspruchnahme der Dienste eines Vertragsarztes anfällt, nicht aber schon für die reine Möglichkeit, diese Dienste in Anspruch nehmen zu können.
d) Ferner handelt es sich auch nicht um eine Sonderabgabe. Dies sind hoheitlich auferlegte Geldleistungspflichten, denen keine unmittelbare Gegenleistung gegenübersteht (BVerfGE 81, 156, 186; 78, 249, 267; 75, 108, 147; Pieroth, aaO, RdNr 9 ff). Die Sonderabgabe unterscheidet sich von der Steuer dadurch, dass sie die Abgabenschuldner über die allgemeine Steuerpflicht hinaus mit Abgaben belastet, ihre Kompetenzgrundlage in einer Sachgesetzgebungszuständigkeit sucht und das Abgabeaufkommen einem Sonderfonds vorbehalten ist (BVerfGE 101, 141, 148). Erforderlich ist eine besondere sachliche Rechtfertigung, nämlich zum einen eine spezifische Sachnähe der Abgabepflichtigen zum Zweck der Abgabenerhebung in dem Sinne, dass diese einen engeren Bezug zu dem abgedeckten Risiko aufweisen als die übrige Bevölkerung und insofern eine vom Verantwortungszusammenhang her abgrenzbare Gruppe bilden, und zum anderen eine hinreichende Gruppennützigkeit (BVerfGE 113, 128, 146 bis 153; vgl auch Schuppert in: Umbach/Clemens, GG, 2002, Art 105 RdNr 28 ff). An diesen Voraussetzungen fehlt es bei der Zuzahlung nach § 28 Abs 4 SGB V. Diese fließt nicht einem staatlichen Sonderfonds zu, sondern ist eine der allgemeinen Aufgabenerfüllung der Krankenkassen dienende Einnahme. Zudem mangelt es am Rechtfertigungsgrund der spezifischen Sachnähe im dargestellten Sinn, weil das Krankheitsrisiko, dessen Verwirklichung den Zuzahlungstatbestand auslöst, für jedermann besteht, also nicht eine vom Verantwortungszusammenhang her abgrenzbare Gruppe betroffen ist.
6. Die Zuzahlung nach § 28 Abs 4 SGB V ist auch materiell verfassungsgemäß. Dabei kommt es im vorliegenden Fall nur auf das Rechtsverhältnis der Versicherten zu ihrer Krankenkasse an, nicht aber auf das den Vertragsarzt einbeziehende Rechtsverhältnis zur Kassenärztlichen Vereinigung bzw zur Krankenkasse, weil die Versicherten nur die Verletzung eigener Grundrechte geltend machen können. Damit kann die Frage offenbleiben, ob die Einziehungspflicht des Vertragsarztes nach § 28 Abs 4 iVm § 43b Abs 2 SGB V die ärztliche Berufsfreiheit in Form der hier allein in Betracht kommenden Berufsausübungsfreiheit einschränkt. Das BVerfG hat allerdings schon im Jahre 2004 die Verfassungsbeschwerde einer Vertragsärztin, die unmittelbar gegen die gesetzliche Verpflichtung der Ärzte zur Einziehung der Praxisgebühr gerichtet und mit einem Verstoß gegen die Berufsausübungsfreiheit begründet worden war, nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss der 2. Kammer des 1. Senats des ).
7. Ausgangspunkt für die materielle verfassungsrechtliche Prüfung der Zuzahlung nach § 28 Abs 4 SGB V im Verhältnis der Versicherten zu ihrer Krankenkasse ist die bisherige Rechtsprechung des BVerfG zur grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit von Zuzahlungsregelungen in der GKV. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG sind die Krankenkassen weder nach dem SGB V noch von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl BVerfGE 115, 25, 46 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 27; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom - 1 BvR 1071/95 -, NJW 1997, 3085; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, jeweils RdNr 28 f mwN; zuletzt -, BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, jeweils RdNr 46). Der Leistungskatalog der GKV darf vielmehr auch von finanzwirtschaftlichen Erwägungen mitbestimmt sein (vgl BVerfGE 68, 193, 218 = SozR 5495 Art 5 Nr 1; BVerfGE 70, 1, 26, 30 = SozR 2200 § 376d Nr 1). Gerade im Gesundheitswesen hat der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht (vgl BVerfGE 103, 172, 184 = SozR 3-5520 § 25 Nr 4). Deshalb ist es dem Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums grundsätzlich auch erlaubt, den Versicherten über den "normalen" Krankenversicherungsbeitrag hinaus zur Entlastung der Krankenkassen und zur Stärkung des Kostenbewusstseins in der Form von Zuzahlungen zu bestimmten Leistungen zu beteiligen - jedenfalls, soweit dies dem Einzelnen finanziell zugemutet werden kann (vgl BVerfGE 115, 25, 46 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 27; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom - 1 BvR 2158/93 -, NJW 1994, 3007; BVerfGE 70, 1, 26, 30 = SozR 2200 § 376d Nr 1; BSGE 100, 221, 224 f = SozR 4-2500 § 62 Nr 6).
Entsprechende Rechtsänderungen sind verfassungsrechtlich mit Wirkung für die Zukunft zulässig, sofern sie nicht verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen in die Aufrechterhaltung des zuvor geltenden Rechts verletzen, insbesondere nicht den Krankenversicherungsschutz insgesamt entwerten (vgl BVerfGE 69, 272, 309 f = SozR 2200 § 165 Nr 81 S 132; BSG SozR 4-2500 § 58 Nr 1 RdNr 20 f mwN). Davon kann bei einer Änderung bzw Ausweitung der Zuzahlungsregelungen keine Rede sein, wenn sie - wie hier - maßvoll ausfällt, den eigentlichen Kern der GKV-Leistungen nicht berührt (vgl dazu auch -, USK 2008, 8) und die Versicherten finanziell nicht überfordert.
a) Die angegriffenen Regelungen verletzen nicht den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG); sie sind insbesondere auch nicht systemwidrig. Der allgemeine Gleichheitssatz verpflichtet dazu, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber jedoch nicht jede Differenzierung verwehrt. Der Gleichheitssatz ist erst dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Nur dort, wo sich sachlich gerechtfertigte Unterschiede vom Gericht nicht mehr feststellen lassen, sind die Grenzen des gesetzgeberischen Ermessens überschritten (vgl BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55 mwN; BVerfGE 117, 316, 325 = SozR 4-2500 § 27a Nr 3 RdNr 31; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 4 RdNr 9 mwN und § 31 Nr 9). Zu berücksichtigen ist zudem, dass der Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen berechtigt ist, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen, und insofern ein weites Gestaltungsermessen besitzt. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet es daher nicht, eine gesetzliche Regelung daraufhin zu überprüfen, ob der Gesetzgeber im Einzelfall die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gewählt hat (Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl 2007, Art 3 RdNr 15, 24, 54 mwN).
aa) Dem Gesetzgeber ging es bei der Einführung der Praxisgebühr nicht nur um die Steigerung von Effizienz und Qualität der medizinischen Versorgung, sondern auch um die Vermeidung einer weiteren Beitragssatzerhöhung. Mit der Ausweitung der Zuzahlungsregelungen durch das GMG zielte der Gesetzgeber darauf ab, die Belastungsgerechtigkeit dadurch zu verbessern, dass grundsätzlich alle Beteiligten in die Zuzahlungsregelungen einbezogen werden sollten (vgl BT-Drucks 15/1525 S 71). Die Versicherten sollten künftig eine angemessene Beteiligung an ihren Krankheitskosten tragen. Die Überforderungsregelungen (§ 62 SGB V) sollten dabei vor unzumutbaren finanziellen Belastungen schützen. Zugleich wurden Bonusregelungen für Versicherte neu eingeführt, die an präventiven Maßnahmen oder an besonderen Versorgungsformen teilnehmen (§ 65a SGB V). Für die bislang nach § 61 SGB V aF vollständig befreiten Empfänger von Fürsorgeleistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz, der Kriegsopferfürsorge oder dem Grundsicherungsgesetz wurde nunmehr der Regelsatz des Haushaltsvorstands nach der Regelsatzverordnung als Bruttoeinnahmen für die Bedarfsgemeinschaft berücksichtigt (BT-Drucks 15/1525 S 95). Mit dieser Regelungskonzeption zielte der Gesetzgeber auf eine spürbare Entlastung der GKV. Er ließ sich dabei von der Überzeugung leiten, dass die durch den bisherigen Ausgabenanstieg entstandene Finanzierungslücke nicht einfach nur durch eine weitere Steigerung der Beitragssätze finanziert werden könne, was zwangsläufig zu höheren Arbeitskosten und zu einer steigenden Arbeitslosigkeit geführt hätte. Zentrale medizinische Leistungen zu rationieren, lehnte er zudem strikt ab. Er zog vielmehr eine angemessene Beteiligung der Versicherten an ihren Krankheitskosten vor, bei der auf soziale Belange Rücksicht genommen wird, und um zu gewährleisten, dass auch weiterhin eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung für alle Versicherten der GKV erbracht werden kann (vgl BT-Drucks 15/1525 S 71). Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Zuzahlungen sind ein zweckmäßiges und taugliches Mittel zur Erhaltung der Effektivität und Effizienz der Leistungen der GKV, aber auch ihrer Qualität und Finanzierbarkeit. Sie sind geeignet, die Eigenverantwortung des Versicherten zu stärken und dienen dazu, Versicherte von der Inanspruchnahme nicht erforderlicher ärztlicher Behandlungen abzuhalten. Dies führt zu einer Einsparung von Kosten bei den Krankenkassen und einer Entlastung der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten. Neben der Steuerung der Häufigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen trägt die Praxisgebühr auch dazu bei, dass von den Versicherten zunächst die Hausärzte aufgesucht werden, die die Versicherten dann an die entsprechenden Fachärzte überweisen, wenn deren spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten zur fachgerechten Behandlung medizinisch erforderlich sind. Die Steuerungswirkung von Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen hat die Rechtsprechung bereits in der Vergangenheit als verfassungsgemäß angesehen (vgl BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 27; BSGE 92, 46 RdNr 31 = SozR 4-2500 § 61 Nr 1 RdNr 32 mwN; zur Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil vgl BVerfG, 3. Kammer des 1. Senats, Beschluss vom - 1 BvR 1098/04 -; BSGE 75, 171, 174 = SozR 3-2500 § 61 Nr 6 S 29; siehe auch Schlegel in: jurisPK-SGB V, 2008, § 1 RdNr 79).
bb) Mit Versicherten der privaten Krankenversicherung, die der Praxisgebühr nicht unterliegen, kann sich der Kläger als Versicherter der GKV von vornherein nicht vergleichen. Private Krankenversicherungsunternehmen erheben ihre Beiträge nach anderen Grundsätzen als die GKV und verfügen über andere Steuerungsinstrumente, um die Versicherungsausgaben möglichst niedrig zu halten. Im Übrigen weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Regelung des § 28 Abs 4 SGB V wirkungsgleich in das - für Beamte, Richter und Soldaten geltende - Beihilferecht übertragen worden ist (zur Rechtmäßigkeit dieser Übertragung vgl 2 C 127.07 und 2 C 11.08).
b) Die Praxisgebühr ist ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel zur Konsolidierung der Finanzen der GKV und verletzt die Eigentumsrechte der Versicherten nach Art 14 GG schon deshalb nicht, weil die Zuzahlungspflicht keinen Eingriff in das Eigentum der Versicherten darstellt; betroffen ist allein ihr Vermögen als solches, das aber vom Schutzzweck des Art 14 GG nicht erfasst wird (BVerfGE 78, 232, 243; 91, 207, 220; 95, 267, 300; BVerwGE 98, 280, 291; Jarass, aaO, Art 14 RdNr 7 mwN).
c) Die Zuzahlungsregelung des § 28 Abs 4 SGB V verstößt auch nicht gegen die Schutzrechte aus Art 2 Abs 1 GG - die allgemeine Handlungsfreiheit und iVm dem Schutz der Menschenwürde aus Art 1 Abs 1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht - sowie gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) in Form des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber ein weites Gestaltungsermessen besitzt, zur Sicherung des Bestandes der GKV, insbesondere zur Aufrechterhaltung des Sachleistungsprinzips, eine Form der Zuzahlung einzuführen, die gleichzeitig eine Mengensteuerung bewirkt. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (Art 20 Abs 3 GG) ist die Praxisgebühr zur Erreichung dieses Ziels eine sachgerechte Lösung, weil die Versicherten nur maßvoll zur Eigenbeteiligung herangezogen werden und die diversen Zuzahlungen in ihrer Gesamtheit der Höhe nach begrenzt sind, wie es durch die Regelung des § 62 SGB V geschehen ist. Die Praxisgebühr fügt sich deshalb nahtlos in das System der sonstigen Zuzahlungen ein, die von den Versicherten bei der Inanspruchnahme von Leistungen der GKV zu tragen sind. Das Prinzip, durch das Bestehen des Versicherungsverhältnisses im Krankheitsfall einen Behandlungsanspruch auf Kosten der Krankenkasse erworben zu haben, wird durch die Zuzahlungsregelung nicht ausgehöhlt.
8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DStR 2009 S. 2541 Nr. 49
DStR-Aktuell 2010 S. 14 Nr. 15
NJW 2010 S. 1993 Nr. 27
ZAAAD-31552