BVerwG Beschluss v. - 4 BN 34.09

Leitsatz

Eine Veränderungssperre darf erst erlassen werden, wenn die Planung, die sie sichern soll, ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll (stRspr).

Dieses Mindestmaß an Vorstellungen muss geeignet sein, die Entscheidung der Genehmigungsbehörde zu steuern, wenn sie über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung zu befinden hat. Diese Vorstellungen können sich nicht nur aus Niederschriften über die Gemeinderatssitzung, sondern auch aus allen anderen erkennbaren Unterlagen und Umständen ergeben.

Gesetze: BauGB § 14; BauGB § 214

Instanzenzug: VGH München, 1 N 2636/08 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1.

Die Rechtssache hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr).

1.1

Die Beschwerde wirft die Frage auf, ob eine rückwirkende Inkraftsetzung der Veränderungssperre bei Unwirksamkeit der erstmaligen Bekanntmachung wegen Fehlens des Bebauungsplanaufstellungsbeschlusses zulässig ist.

Damit wird kein Grund für die Zulassung der Revision aufgezeigt. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten lässt. So liegt es hier.

Die Beschwerde stellt sich unter Bezugnahme auf den Beschluss des Senats vom - BVerwG 4 N 1.92 - (Buchholz 406.11 § 16 BauGB Nr. 1 = BRS 54 Nr. 77) und die diesen Beschluss wiedergebende Kommentierung bei Ernst/Zinkahn/Bielenberg (BauGB, Stand September 2004, Rn. 41 zu § 14 BauGB) auf den Standpunkt, da das Vorliegen eines Beschlusses der Gemeinde über die Aufstellung eines Bebauungsplans materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die als Satzung zu erlassende Veränderungssperre sei, scheide ein rückwirkendes Inkraftsetzen aus. Diese Rechtsauffassung ist jedoch durch die mit dem Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau - EAG Bau) vom (BGBl. I S. 1359) erfolgte Novellierung überholt. Während nach § 215a BauGB a.F. Satzungen nur bei Verletzung der in § 214 Abs. 1 bezeichneten Vorschriften oder sonstigen Verfahrens- oder Formfehlern auch mit Rückwirkung erneut in Kraft gesetzt werden konnten, erlaubt § 214 Abs. 4 BauGB nunmehr, dass eine Satzung durch ein ergänzendes Verfahren zur Behebung auch von materiellen Fehlern rückwirkend in Kraft gesetzt werden darf.

Bereits unter der Geltung von § 215a BauGB war in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass ein ergänzendes Verfahren auch mit dem Ziel durchgeführt werden darf, materiellrechtliche Fehler einer Satzung zu beheben ( BVerwG 4 CN 20.02 - BVerwGE 119, 54 <62 f. m.w.N.>). Dies gilt auch für Mängel, deren Behebung die Mitwirkung einer anderen Behörde erfordert. Umso weniger bestehen Zweifel daran, dass ein ergänzendes Verfahren in einem Fall wie dem vorliegenden durchgeführt werden darf, in dem der Beschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplans zwar gefasst, aber versehentlich nicht bekanntgemacht worden ist und daher die Veränderungssperre nicht wirksam werden konnte. Nach der Einfügung von § 214 Abs. 4 BauGB ergibt sich ferner bereits aus dem Gesetzeswortlaut, dass eine Veränderungssperre in einem derartigen Fall auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden darf.

1.2

Die Beschwerde wirft ferner die Frage auf, ob der bekanntgemachte Satzungswortlaut von dem beschlossenen abweichen durfte (Begründung 1.3), und präzisiert diese dahin, ob die Inkrafttretensregelung bei einer Veränderungssperre von der beschlossenen Inkrafttretensregelung abweichen darf (Begründung 1.3.4). Damit wird ebenfalls keine Frage aufgezeigt, die eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung rechtfertigen könnte. Mit der ersten Formulierung würde sich die Frage schon wegen ihrer Allgemeinheit in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich stellen. Auch die zweite Formulierung bedarf der Eingrenzung. Denn vorliegend geht es lediglich darum, ob die erneute Bekanntmachung einer Veränderungssperre in einem ergänzenden Verfahren ohne erneute Beschlussfassung des Gemeinderats rückwirkend auf den Tag nach der Bekanntmachung des Beschlusses über die Aufstellung des Bebauungsplans erfolgen kann. Dass ein derartiges Vorgehen mit Bundesrecht im Einklang steht, ergibt sich bereits aus der bisherigen Rechtsprechung und bedarf keiner weiteren Klärung in einem Revisionsverfahren. Die Anordnung der Rückwirkung ist in einem Fall der vorliegenden Art nicht Teil des Satzungsbeschlusses, sondern ein Bestandteil des Bekanntmachungsverfahrens. Mit der rückwirkenden Inkraftsetzung nach § 214 Abs. 4 BauGB tritt die Veränderungssperre zu dem Zeitpunkt in Kraft, zu dem sie ursprünglich hätte in Kraft treten sollen. Damit wird dem Willen der Gemeinde im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Veränderungssperre Rechnung getragen; denn mit dem in Kenntnis der gesetzlichen Inkrafttretensregelung gefassten Satzungsbeschluss ist die Erwartung verbunden, die Veränderungssperre werde nun auch alsbald in Kraft gesetzt werden ( BVerwG 4 CN 2.99 - Buchholz 406.11 § 215a BauGB Nr. 7 = BRS 63 Nr. 42). So ist es auch vorliegend: Lediglich die fehlende Bekanntmachung der vom Gemeinderat bereits beschlossenen Aufstellung des Bebauungsplans vereitelte das Inkrafttreten der Veränderungssperre. Mit der rückwirkenden Inkraftsetzung der Veränderungssperre wird ihre frühestmögliche Wirksamkeit herbeigeführt und damit dem Willen des Gemeinderats so weit wie möglich Rechnung getragen. Dass die Satzung die Formulierung enthielt, die Veränderungssperre trete mit ihrer Bekanntmachung in Kraft, steht dem nicht entgegen, da dieser Hinweis nur deklaratorischen Charakter hat. Die Anordnung der Rückwirkung einer Veränderungssperre nach einer fehlgeschlagenen Bekanntmachung stellt sich nicht als eine materielle Änderung der Satzung dar (Urteil vom a.a.O.).

1.3

Auch die Frage, ob hinsichtlich der ausreichenden Konkretisierung der Planung bei Erlass einer Veränderungssperre ausschließlich Äußerungen zu berücksichtigen sind, die in der Niederschrift über die Gemeinderatssitzung, in der die Veränderungssperre beschlossen wurde, enthalten sind, oder ob sich die Planungsabsichten auch aus anderen Unterlagen ergeben können (Beschwerdebegründung 2.2), rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Denn bereits aus der bisherigen Rechtsprechung lässt sich ableiten, dass sich die Planungsabsichten auch aus anderen erkennbaren Unterlagen und Umständen ergeben können und nicht nur aus der Niederschrift über eine Gemeinderatssitzung.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, von der auch der Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde übereinstimmend ausgehen, darf eine Veränderungssperre erst erlassen werden, wenn die Planung, die sie sichern soll, ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll ( BVerwG 4 CN 16.03 - BVerwGE 120, 138 <146 f.> ). Dabei hat der Senat hervorgehoben, dass ein Mindestmaß an konkreter planerischer Vorstellung auch zur Konzeption des § 14 BauGB gehört. Nach seinem Absatz 2 Satz 1 kann eine Ausnahme von der Veränderungssperre zugelassen werden, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Ob der praktisch wichtigste öffentliche Belang, nämlich die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung, beeinträchtigt ist, kann aber nur beurteilt werden, wenn die planerischen Vorstellungen der Gemeinde nicht noch völlig offen sind. Daraus folgt, dass das Mindestmaß an Vorstellungen, die vorliegen müssen, um eine Veränderungssperre zu rechtfertigen, zugleich geeignet sein muss, die Entscheidung der Genehmigungsbehörde zu steuern, wenn sie über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung zu befinden hat. Diese Vorstellungen können sich jedoch nicht nur aus Niederschriften über die Gemeinderatssitzung, sondern auch aus allen anderen erkennbaren Unterlagen und Umständen ergeben. Hierzu kann beispielsweise auch die anderen Akten zu entnehmende oder bekannte Vorgeschichte gehören. Insbesondere in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem für alle Beteiligten erkennbar ist, dass die Gemeinde zwar mit einer zunächst erteilten Baugenehmigung einverstanden war, ein deutlich größeres Vorhaben dagegen verhindern will (vgl. die Darstellung u.a. Rn. 47), kann sich die notwendige Konkretisierung aus den entsprechenden Unterlagen und Umständen ergeben.

1.4

Die Frage, ob das Konkretisierungsgebot für das gesamte Planungsgebiet gilt (Beschwerdebegründung 2.3), ist ohne Weiteres zu bejahen. Die damit im Zusammenhang stehende Frage, ob eine Veränderungssperre insgesamt unwirksam ist, wenn nur für ein Grundstück konkretisierte Planungsüberlegungen bestehen, während es für andere Grundstücke keinerlei Planungsüberlegungen gibt, ist nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen über die Teilunwirksamkeit zu beantworten. Diese legt der Verwaltungsgerichtshof seiner Entscheidung zugrunde. Weitergehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.

2.

Auch die Divergenzrüge bleibt ohne Erfolg. Eine die Revision eröffnende Abweichung, also ein Widerspruch im abstrakten Rechtssatz, läge nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen wäre (stRspr). Die Beschwerde legt nicht dar, welche Rechtssätze im Widerspruch stehen könnten.

Sie bezieht sich auf den BVerwG 4 B 191.89 - (Buchholz 406.11 § 15 BBauGB Nr. 6 = BRS 50 Nr. 103), wonach eine Zurückstellung nicht auf eine reine Negativplanung gestützt werden kann. Die Beschwerde legt aber in keiner Weise dar, dass das Normenkontrollgericht einen davon abweichenden Rechtsgrundsatz aufgestellt und damit dem Bundesverwaltungsgericht die Gefolgschaft versagt hätte. Hierfür ist im Übrigen auch nichts ersichtlich, denn nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt sich die Planung der Antragsgegnerin nicht lediglich auf die "Abwehr des Unerwünschten". Vielmehr strebt die Gemeinde die Festsetzung von Beschränkungen des Nutzungsmaßes für ein Wohnhaus auf dem Grundstück des Antragstellers an; dies stellt keine unzulässige Negativplanung dar.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Fundstelle(n):
CAAAD-30955