Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 20; StGB § 21; JGG § 17 Abs. 2
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision, die nur hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Jugendstrafe Erfolg hat und im Übrigen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO ist.
1.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Die 1990 geborene Angeklagte wuchs in geordneten familiären Verhältnissen auf. Bereits in der dritten Klasse zeigte sie in der Schule solche Verhaltensauffälligkeiten, dass die normal intelligente Angeklagte auf eine "Schule für Erziehungshilfe" wechseln musste. Auch der familiäre Umgang mit ihr wurde ab dem Alter von elf Jahren zunehmend schwerer, sie stahl, beschimpfte ihre Mutter und trank viel Alkohol. Die zum Herbst 2003 erfolgte Umsetzung auf eine Regelmittelschule misslang, da es durch das Verhalten der Angeklagten zu Konflikten mit den Lehrern kam. Deshalb wechselte sie im folgenden Jahr erneut die Schule, wurde dieser aber wenige Wochen später verwiesen. Auch aus der nächsten Schule wurde sie aus disziplinarischen Gründen entlassen. Innerhalb der Familie nahmen die Spannungen ebenfalls zu. Wegen selbstverletzender Handlungen befand sich die Angeklagte 2004 und 2005 mehrmals in stationärer psychiatrischer Behandlung, im September 2004 zog sie in eine Jugendhilfeeinrichtung. Innerhalb eines besonders pädagogisch geförderten Schulprojekts gelang es ihr schließlich, die neunte Klasse zu absolvieren. Fördermaßnahmen zur beruflichen Eingliederung scheiterten hingegen. Im März 2007 zog die Angeklagte wieder bei ihren Eltern ein, da sie dem erzieherischen Einfluss in der Jugendhilfeeinrichtung nicht mehr zugänglich war. Im Frühjahr 2007 ging sie eine Liebesbeziehung zu einem sieben Jahre älteren Mann ein. Diesem gegenüber gab sie wahrheitswidrig an, sie nehme die Antibabypille. Nachdem die Angeklagte zu ihrem Freund gezogen war, scheiterte die Beziehung nach nur zwei Wochen an der Unwilligkeit der Angeklagten, im Haushalt Aufgaben zu übernehmen.
Zu Beginn des Jahres 2008 bemerkte die Angeklagte bei sich eine Schwangerschaft, die sie jedoch nicht "wahr haben" wollte. Sie versuchte, die Schwangerschaft vor ihrer Umwelt zu verbergen, Nachfragen aufgrund figürlicher Veränderungen wich sie aus. Am Morgen des setzten bei ihr Unterleibskrämpfe und Erbrechen ein. Sie zog sich in ihr Zimmer im elterlichen Wohnhaus zurück, wo in den Nachmittagsstunden eine Geburtstagsfeier stattfand. Den sie in ihrem Zimmer besuchenden Geburtstagsgästen, darunter auch die ihr Vertrauen genießende Großmutter, offenbarte sie sich nicht. Als sie schließlich in den Abendstunden bemerkte, dass die Geburt unmittelbar bevorstand, ging sie in das Badezimmer. Dort brachte sie in der Badewanne einen gesunden Jungen zur Welt. Die Angeklagte versetzte ihm mittels stumpfer Gewalt zahlreiche Verletzungen an Kopf, insbesondere Gesicht und Hals, Armen, Rücken sowie am äußeren Genitale. Sodann versperrte sie dem Kind Mund und Nase, so dass es keine Luft mehr bekam und nach wenigen Minuten erstickte. Anschließend spülte die Angeklagte die Badewanne aus, wickelte das tote Kind samt Nachgeburt in Handtücher und legte es in die sogenannte Gelbe Tonne. Später wurde es auf dem Sortierband gefunden.
2.
Die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
Das sachverständig beratene Landgericht hat bei der Angeklagten "psychiatrisch relevante Symptome" und das Vorliegen einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen festgestellt. Die Voraussetzungen des § 21 StGB hat es vor allem unter dem Gesichtspunkt einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung aufgrund eines Affekts geprüft und verneint, da die Angeklagte nicht aus einer "Konfliktlage" heraus gehandelt habe, sondern keine "emotionale Beziehung zu dem ungeborenen Kind entwickelt", es nur als Belastung empfunden habe. Das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB hat das Landgericht abgelehnt, da die diagnostizierte Störung "nach dem Gutachten" nicht hierunter falle.
Diese Bewertung entbehrt einer nachvollziehbaren und damit revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglichen Begründung. Zwar führt allein die psychische Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, nicht zur Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB (). Angesichts der zahlreichen Auffälligkeiten im bisherigen Werdegang der zur Tatzeit 17 Jahre alten Angeklagten, die weder im privaten noch im schulischen Bereich ihren Möglichkeiten gerecht werden konnte und hierunter litt, liegt aber eine unabhängig hiervon bestehende geistigseelische Beeinträchtigung nicht fern. Dies hätte eine eingehende Prüfung und Erörterung, ob bei der Angeklagten - trotz ihres jungen Alters - eine andere schwere seelische Abartigkeit vorliegt, erforderlich gemacht. Allein der nicht weiter begründete Hinweis darauf, dass die diagnostizierte Störung die Voraussetzungen hierfür nicht erfülle, genügt nicht. So fehlt es bereits an der erforderlichen Gesamtschau der Persönlichkeit der Angeklagten und ihrer Entwicklung (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 4, 9, 16, 24, 29; BGH NStZ 2007, 518). Vor allem aber lassen die Erwägungen eine Auseinandersetzung mit dem ungewöhnlichen Tatbild vermissen. Dieses ist durch die zahlreichen, nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Tötungshandlung stehenden Verletzungshandlungen, auch gegen das Geschlechtsteil des neugeborenen Kindes, geprägt.
Die Ausführungen des Landgerichts im Rahmen der Prüfung eines Affekts sind nicht geeignet, eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit grundsätzlich auszuschließen. So ist die Wertung, die Angeklagte habe nach der Tat durch "vernünftige Handlungen" gezeigt, dass ihre Steuerungsfähigkeit unbeeinträchtigt gewesen sei, für sich nicht tragfähig. Denn jedenfalls angesichts der auf sichere Entdeckung hinauslaufenden Entsorgung der Leiche fehlt es an den für diesen Schluss hinreichenden Anzeichen (vgl. zur Bedeutung planvollen und gezielten Tatverhaltens BGH NStZ 2002, 476 ; NStZ-RR 2002, 230 ).
3.
Der Senat kann zwar eine Aufhebung der Schuldfähigkeit sicher ausschließen, nicht hingegen, dass die Jugendstrafe, deren Verhängung wegen Schwere der Schuld außer Frage steht (§ 17 Abs. 2 JGG), milder ausgefallen wäre. Er hat daher das Urteil nur hinsichtlich der Höhe der Jugendstrafe aufgehoben. Angesichts der Bestätigung des Schuldspruchs kann der Senat trotz der Zurückverweisung der Hauptsache die auf § 74 JGG gestützte Kostenentscheidung bereits jetzt treffen. Das neue Tatgericht wird moralisierende Wertungen im Rahmen der Strafzumessung zu vermeiden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BAAAD-25093
1Nachschlagewerk: nein