BSG Urteil v. - B 1 KR 7/08 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art 20 Abs 3; GG Art 92; GG Art 95

Instanzenzug: LSG Bayern, L 5 KR 223/06 vom SG Nürnberg, S 11 KR 329/03 vom

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über Zahlungsansprüche für gelieferte enterale Nahrung.

Die klagende GmbH vertreibt Krankenkost für Personen, die per Magensonde und Schlauchsystem mit einer verflüssigten Substanz ernährt werden müssen (enterale Nahrung). Mit schriftlicher Vereinbarung vom (im Folgenden: Rahmenvereinbarung) erhielt sie von der beklagten Krankenkasse ab die Befugnis, deren Versicherte mit Präparaten der enteralen Nahrung zu versorgen. Als Gegenleistung sieht die Rahmenvereinbarung vor, dass die Beklagte diese "Sondennahrung" nach der Formel "Apothekeneinkaufspreis zuzüglich 12 % plus Mehrwertsteuer, abzüglich 2 % Skonto bei Zahlung innerhalb von 10 Tagen" zu vergüten hat.

Im Jahr 2003 nahm die Finanzverwaltung der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland den Standpunkt ein, enterale Nahrung sei wegen ihrer flüssigen Substanz den "Getränken" zuzuordnen und daher mit einem Umsatzsteuersatz von 16 % zu versteuern; die Praxis, darauf nur den für "Lebensmittel" geltenden ermäßigten Steuersatz von 7 % anzuwenden, sei aufzugeben. Dem folgend berechnete die Klägerin der Beklagten für die Lieferungen ab in Abkehr von der bis dahin praktizierten Abrechnungsweise 16 % Umsatzsteuer. Da die Beklagte weiterhin meinte, die Präparate seien Lebensmittel, beglich sie die in Rechnung gestellten Nettobeträge auch von diesem Zeitpunkt an lediglich zuzüglich 7 %.

Nach erfolgloser Mahnung nahm die Klägerin die Beklagte im Klageweg auf Zahlung des auf Rechnungen aus der Zeit vom 15.7. bis entfallenden Umsatzsteuer-Differenzbetrages von 5.490,64 Euro nebst Verzugszinsen in Anspruch. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Hinweis auf die Zahlungsregelung der Rahmenvereinbarung antragsgemäß verurteilt (Urteil vom ). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Die Rechtsauffassung der Beigeladenen sei zwar unzutreffend, weil die gelieferten Präparate keine Getränke, sondern Nahrungsmittel seien. Gleichwohl habe die Beklagte kein Recht zu beanstanden, dass die Klägerin sich als Steuerschuldnerin konform zu den unmissverständlichen steuerrechtlichen Auskünften der Finanzbehörden sowie den unzweifelhaften Äußerungen der Steuerverwaltung der Beigeladenen verhalten und einen Umsatzsteuersatz von 16 % angewandt habe. Aus ihrer Zulassung als Leistungserbringerin erwachse der Klägerin auch keine Nebenpflicht, klageweise gegen die Beigeladene vorzugehen (Urteil vom ).

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung ihres Justizgewährleistungsanspruchs (Art 20 Abs 3, Art 92, Art 95 GG). Das LSG habe seine Kompetenz zur Entscheidung der umsatzsteuerrechtlichen Vorfrage nicht wahrgenommen, die ergeben hätte, dass für Sondennahrung nur ein Umsatzsteuersatz von 7 % in Betracht komme. Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit müssten von Amts wegen die objektive Rechtslage im Umsatzsteuerrecht ermitteln und seien nicht durch eine irgendwie geartete Bindungswirkung in ihrer Vorfragenkompetenz begrenzt. Eine Bindung an die fehlerhafte Rechtsauffassung der Finanzbehörden dürfe nicht über die vom LSG vorgenommene Vertragsauslegung konstruiert werden. Die Finanzverwaltung sei nicht befugt, Entscheidungen zu Lasten Dritter zu treffen, ohne dabei gerichtlicher Kontrolle zu unterliegen. Unbeschadet dessen habe die Klägerin ohne Not schon allein durch das Ausweisen des Steuersatzes von 16 % auf ihren Rechnungen eine entsprechende Umsatzsteuerschuld ausgelöst (§ 14 Abs 3 Umsatzsteuergesetz - UStG).

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom und des Sozialgerichts Nürnberg vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

: 9 Sie hält das Urteil für zutreffend und sieht sich durch den 3. Senat des Bundessozialgerichts ( und B 3 KR 18/07 R) bestätigt.

II

Die zulässige Revision der beklagten Krankenkasse ist unbegründet.

Zu Recht hat das LSG entschieden, dass die Beklagte nicht zur Kürzung der von der klagenden Leistungserbringerin abgerechneten Beträge befugt war und dass die Klägerin deshalb auf der Grundlage der Rahmenvereinbarung vom einen weiteren Vergütungsanspruch in dem geltend gemachten Umfang hat. Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG aus seinen Urteilen vom - B 3 KR 18/07 R (= Nettopreisabrede) und B 3 KR 16/07 R (= Bruttopreisabrede) an (beide zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

1. Rechtsgrundlage des Zahlungsanspruchs der Klägerin ist § 69 Satz 1 und 3 SGB V (hier anzuwenden in der am in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 vom , BGBl I 2626; Satz 3 seit § 69 Satz 4 SGB V, vgl GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom , BGBl I 378; seit § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V, vgl Art 1 Nr 1e Buchst a Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der GKV vom , BGBl I 2426) iVm § 433 Abs 2 BGB analog. Nach § 69 Satz 1 SGB V bestimmen sich die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern abschließend nach den Vorschriften des 4. Kapitels des SGB V sowie §§ 63 und 64 SGB V. Im Übrigen gelten nach § 69 Satz 3 SGB V die Vorschriften des BGB entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem 4. Kapitel des SGB V vereinbar sind. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch folgt aus einer analogen Anwendung des § 433 Abs 2 BGB, weil die Klägerin Leistungserbringerin iS des § 69 Satz 1 SGB V ist und die Beklagte die Zahlungsansprüche, welche sich aus der Rahmenvereinbarung vom in Verbindung mit den ab erteilten Rechnungen ergeben, nicht vollständig erfüllte.

Als zugelassene Lieferantin von enteraler Nahrung ist die Klägerin Leistungserbringerin iS von § 69 Satz 1 SGB V. Der erkennende Senat hat keinen Zweifel, dass die Sondennahrung zu den Leistungen zählte, die im betroffenen Jahr 2003 zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden durften und deren Bezahlung die Klägerin von der Beklagten auf der Grundlage der oa Regelungen beanspruchen kann (dazu näher: , SozR 4-2500 § 31 Nr 9 RdNr 36 ff, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen; ebenso KR R, juris RdNr 40 ff; offenlassend: 3. Senat des , juris RdNr 11 und B 3 KR 18/07 R, juris RdNr 10, beide zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Denn Sondennahrung gehört zu den Gegenständen iS von § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V (hier anzuwenden idF des GKV-Solidaritätsstärkungsgesetzes [GKV-SolG] vom , BGBl I 3853; geändert durch Art 1 Nr 18 Buchst a Doppelbuchst bb GKV-Modernisierungsgesetz vom , BGBl I 2190 mit Wirkung vom ), die der Gesetzgeber nach Maßgabe von Beschlüssen des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) ausnahmsweise in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen hat. Der Gesetzgeber des GKV-SolG knüpfte darin an die Arzneimittel-Richtlinien (AMRL) an, die zuletzt vor Einfügung des Abs 1 Satz 2 in § 31 SGB V zum galten. Diese RL regelten insoweit unter F.17.1 Buchst i AMRL (idF vom , BAnz 1993, Nr 246 S 11155, zuletzt - anderweitig - geändert am , BAnz Nr 182 vom ), dass zwar Würz- und Süßstoffe, Obstsäfte, Lebensmittel im Sinne des §1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes, Krankenkost- und Diätpräparate nicht verordnet werden dürfen, dass aber eine Ausnahme ua für "medizinisch indizierte Sondennahrung" gilt. Für das Fehlen solcher medizinischer Indikationen gibt es in Bezug auf die gelieferte Sondennahrung keine Anhaltspunkte.

2. Zu Recht beansprucht die Klägerin von der Beklagten die vollen Beträge, zu denen sie selbst - der Rechtsansicht der Finanzbehörden der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland folgend - zur Umsatzsteuer herangezogen wird.

Das ergibt sich aus der Nettopreisabrede der Rahmenvereinbarung vom . Danach erfolgt die Versorgung der Versicherten der Beklagten durch die Klägerin zum "Apothekeneinkaufspreis + 12 % + Mehrwertsteuer ...". Maßgebend für den danach zusätzlich zu zahlenden Betrag ist nach dem Zweck dieser Klausel (dazu a) die Zugrundelegung der von der Klägerin abzuführenden Umsatzsteuer, wie sie durch die Finanzverwaltung konkretisiert wird (dazu b). Dem steht - wie das LSG zu Recht angenommen hat - nicht entgegen, dass die Klägerin keine Veranlassung zur Überprüfung der umsatzsteuerrechtlichen Rechtslage in einem finanzgerichtlichen Rechtsstreit gesehen hat (dazu c). Anders als die Beklagte meint, wird ihr Justizgewährleistungsanspruch dadurch nicht berührt (dazu d).

a) Zweck der zwischen Klägerin und Beklagter in der Rahmenvereinbarung vom getroffenen Nettopreisvereinbarung ist es, die Vertragsparteien von dem Risiko einer zu ihren Lasten unzutreffenden Steuerfestsetzung zu befreien. Ohne eine entsprechende Abrede ist mit dem Preis - ständiger zivilgerichtlicher Rechtsprechung zufolge - auch der Aufwand für die Umsatzsteuer abgegolten; dieser Aufwand ist unselbstständiger Teil des zu zahlenden Entgelts ("Bruttopreis"; vgl BGHZ 58, 292, 295; 60, 199, 203; 103, 284, 287; BGH NJW-RR 2000, 1652; BGH NJW 2001, 2464; BGH NJW 2002, 2312 mwN). Dem hat sich der 3. Senat des BSG angeschlossen (Urteile vom - B 3 KR 16/07 R, juris RdNr 17, und B 3 KR 18/07 R, juris RdNr 12, beide zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Bei einer Bruttopreisabrede sind beide Vertragspartner dem Risiko eines unzutreffenden Umsatzsteueransatzes ausgesetzt: Ist die Steuer im Bruttopreis zu hoch veranschlagt, muss der Abnehmer den vereinbarten Preis in der Regel auch dann zahlen, wenn nach objektiver Rechtslage ein niedrigerer Ausweis möglich gewesen wäre. Ist sie zu niedrig ausgewiesen, kann der Unternehmer seinen zusätzlichen steuerlichen Aufwand nicht nachfordern, weil er insoweit einem rechtlich unbeachtlichen Kalkulationsirrtum unterlegen ist (vgl , juris RdNr 19, 25 und B 3 KR 18/07 R, juris RdNr 12; BGH DB 1978, 786; BGHZ 103, 284, 287; BGH NJW-RR 2002, 591, 593; BGH NJW 2002, 2312, jeweils mwN). Diesen Konsequenzen entgehen die Vertragsparteien nur durch Vereinbarung von "Nettopreisen", weil das Kalkulationsrisiko dann nur den Nettopreis betrifft und die Höhe der von dem Abnehmer zu tragenden Umsatzsteuer nach dem Betrag bemessen wird, den der Unternehmer an den Steuerfiskus abführen muss (vgl , juris RdNr 17 und B 3 KR 18/07 R, juris RdNr 12).

b) Ist die von dem Unternehmer abzuführende Umsatzsteuer im Verhältnis zur Finanzverwaltung - wie in dem vom 3. Senat des entschiedenen Revisionsverfahren B 3 KR 18/07 R (juris RdNr 13, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) - durch bindende Umsatzsteuerbescheide festgesetzt worden, so ist diese grundsätzlich auch für das Verhältnis zwischen Unternehmer und Abnehmer maßgebend. Denn das Entscheidungsrecht über die Besteuerung liegt nach dem System der Abgabenordnung ausschließlich bei den Finanzbehörden. Nur diese treffen verbindliche Entscheidungen über die Steuerpflicht. Meinungsunterschiede über Grund und Höhe der Umsatzsteuerpflicht sind zwischen dem Unternehmer als Steuerschuldner und dem Steuerfiskus als Steuergläubiger zu klären. Entscheidungen der Zivilgerichte oder - wie hier - der Sozialgerichte im Verhältnis zwischen Unternehmer und Abnehmer entfalten in der öffentlich-rechtlichen Beziehung zwischen Unternehmer und Steuerfiskus keine Bindungswirkung. Denn ansonsten drohten widersprechende Entscheidungen, wenn über die vom Unternehmer zu tragende Steuerlast einerseits im gerichtlichen Verfahren vor den Finanzgerichten und andererseits im Rechtsstreit über den vom Schuldner zu tragenden Umsatzsteueranteil - etwa durch die Zivil- oder die Sozialgerichte - verbindlich zu entscheiden wäre. Es muss deshalb allein den Finanzbehörden und gegebenenfalls den zuständigen Finanzgerichten überlassen bleiben, die aufgeworfenen steuerrechtlichen Fragen zu klären. Nur die Entscheidungen dieser Behörden und Gerichte binden alle Beteiligten und müssen, wenn sie bestandskräftig geworden sind, in den anderen, davon abhängigen Streitverfahren beachtet werden (vgl BGHZ 103, 284, 291 ff; BGH NJW-RR 2002, 591, 592 mwN). Grundsätzlich ist daher die von der Finanzverwaltung bindend getroffene Festsetzung der Umsatzsteuer im Verhältnis zwischen Unternehmer und Abnehmer ebenfalls als verbindlich anzusehen; das Gegenteil widerspräche dem oa dargelegten Interesse, das die Beteiligten mit einer Nettopreisabrede verfolgen.

Nichts anderes kann gelten, wenn zwar eine Regelung der Finanzbehörden gegenüber dem Steuerschuldner im Einzelfall nicht ergangen ist, der Steuerschuldner aber - wie hier die Klägerin - auch ohne eine solche formell bescheidmäßige Umsetzung einer unmissverständlichen Rechtsauffassung der Finanzbehörden folgt. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war Letzteres hier der Fall; denn die Klägerin hielt sich bewusst an eine ihr für Umsatzsteuerzwecke erteilte Zolltarifauskunft der Oberfinanzdirektion C. vom , eine weitere Auskunft dieser Behörde vom sowie darüber hinaus an entsprechende Äußerungen der Beigeladenen und ihrer Steuerverwaltung. Hiernach sollten die von der Klägerin erbrachten Leistungen der enteralen Ernährung einem Umsatzsteuersatz von 16 % unterliegen.

c) Die Rechtsauffassung der Steuerbehörden über die im Verhältnis zwischen Unternehmer und Abnehmer maßgebliche Umsatzsteuer ist auch nicht deshalb ausnahmsweise unbeachtlich, weil die Klägerin die umsatzsteuerrechtliche Frage - nach entsprechend durchgeführtem Vorverfahren - nicht zur finanzgerichtlichen Überprüfung gestellt hat. Eine solche Prozessführungslast der Klägerin besteht nicht. Zwar kann der Unternehmer den durch eine Nettopreisabrede begründeten Anspruch ganz oder teilweise verlieren, wenn er bei Abführung der Umsatzsteuer vertragliche Nebenpflichten verletzt; dann kann ein Schadensersatzanspruch bestehen, der gegen die Zahlungsforderung zur Aufrechnung gestellt werden kann. Das folgt aus dem für die Umsatzsteuerveranlagung leitenden Prinzip der Selbstveranlagung, welches bei einer Nettopreisabrede besondere Obhutspflichten nach sich zieht. § 14 Abs 2 Satz 1 UStG (in der bis geltenden Fassung vom , BGBl I 1433) und § 14c Abs 1 Satz 1 UStG (in der ab dem geltenden Fassung von Art 5 Nr 18 des Gesetzes vom , BGBl I 2645, inhaltlich übereinstimmend idF vom , BGBl I 386) bestimmt, dass ein Unternehmer auch den Mehrbetrag schuldet, soweit er in einer Rechnung einen höheren Steuerbetrag gesondert ausgewiesen hat, als er nach dem UStG für den Umsatz schuldet. Danach begründet die Nettopreisabrede das Risiko, dass infolge eines unzutreffenden Umsatzsteuerausweises ein Mehrbetrag abzuführen und dieser im Innenverhältnis vom Abnehmer der Leistung zu tragen ist. Zur Vermeidung solcher Nachteile treffen den Unternehmer deshalb besondere Sorgfaltspflichten beim Ausweis der Umsatzsteuer, wenn er mit seinem Vertragspartner eine Nettopreisvereinbarung getroffen hat.

Solche vertraglichen Nebenpflichten hat die Klägerin jedoch nicht verletzt. Dass der Ansatz des allgemeinen Steuersatzes von - zu jenem Zeitpunkt - 16 % ab Juli 2003 vorwerfbar (fahrlässig) fehlerhaft gewesen sein könnte, macht die Beklagte nicht geltend; dies kann auch der Senat nicht erkennen. Obhutspflichten im Verhältnis zur Beklagten könnten deshalb nur verletzt sein, wenn die Klägerin nebenvertraglich zur finanzgerichtlichen Klärung des maßgebenden Umsatzsteuersatzes verpflichtet gewesen wäre. Das ist aber nicht der Fall; eine Rechtsgrundlage dafür ist nicht ersichtlich. Die Klägerin selbst hat am Ausgang eines solchen Rechtsstreits kein eigenes wirtschaftliches Interesse. Sie hätte das Kostenrisiko eines - in diesem Fall notwendig bis zur Revisionsinstanz durchzuführenden - Rechtsstreits deshalb ausschließlich im wirtschaftlichen Interesse der Beklagten zu tragen. Dazu war sie nicht verpflichtet. Ob etwas anderes gelten würde, wenn die Beklagte angeboten hätte, die Kosten des Rechtsstreits zu übernehmen, ist nicht zu entscheiden. Denn jedenfalls besteht ohne ein solches Angebot und ohne besondere vertragliche Regelung - die hier nicht existiert - für einen Vertragspartner keine Verpflichtung, auf eigenes Kostenrisiko einen Rechtsstreit zu führen, der ausschließlich im Interesse des anderen Teils liegt (ebenso BGH NJW-RR 2002, 591, 592).

d) Anders als die beklagte Krankenkasse mit ihrer Revision rügt, wird ihr Justizgewährleistungsanspruch durch die unter c) dargestellte Rechtslage nicht berührt. Vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit kann die Beklagte - wie geschehen - die Richtigkeit ihrer Rechtsauffassung überprüfen lassen, dass sie gegenüber der klagenden Leistungserbringerin nur zur Zahlung des verminderten Umsatzsteuersatzes verpflichtet sei. Die dabei einschlägige Prüftiefe bestimmt sich indessen nach dem für das Sozialgerichtsverfahren maßgeblichen Recht. Daher muss es sich überhaupt um eine Materie handeln, die nach § 51 SGG (oder einer Spezialregelung) die sachliche Zuständigkeit des Rechtsweges zu den Sozialgerichten mit einem hier zulässigerweise verfolgbaren Rechtsschutzziel eröffnet. Dazu gehört hier der Streit von Vertragspartnern über Zahlungsansprüche aus Rechtsbeziehungen iS von §§ 69 ff SGB V (§ 51 Abs 1 Nr 2 SGG). Die unmittelbare steuerrechtliche Frage, welcher Umsatzsteuersatz allgemein für enterale Nahrung maßgeblich ist, gehört dazu nicht (vgl demgegenüber § 33 Finanzgerichtsordnung); ob die Beklagte selbst befugt ist, insoweit im Finanzgerichtsverfahren eine Klärung herbeizuführen, hat der Senat nicht zu entscheiden. Denn jedenfalls liegt nach den zwischen den Beteiligten in der Rahmenvereinbarung getroffenen Abreden ein Ausnahmefall, in dem im Sozialgerichtsprozess verbindlich über steuerrechtliche Fragen mitzuentscheiden ist, nicht vor: Ein Zahlungsanspruch der Klägerin ist weder einheitlich und parallel auch unter Rückgriff auf eine steuerrechtliche Anspruchsgrundlage zu prüfen (vgl insoweit § 17 Abs 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz) noch handelt es sich bei den entscheidungserheblichen Ausführungen des LSG zur Auslegung der Rahmenvereinbarung um einen Fall der Inzidentkontrolle (vgl dazu zB Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 51 RdNr 44 f). Ebenso fehlt es an einer verfahrensrechtlichen Konstellation, in der SG oder LSG gehalten waren, das Verfahren zur entscheidungserheblichen Klärung von Vorfragen nach § 114 Abs 1 oder Abs 2 SGG auszusetzen. Dem Interesse der Beklagten an der Klärung der umsatzsteuerrechtlichen Frage hätte - sofern ihr verfahrensrechtlich die Möglichkeit zu einer eigenen finanzgerichtlichen Klärung verschlossen sein sollte - jedenfalls über eine Klausel in der Rahmenvereinbarung Rechnung getragen werden können, nach der die Klägerin als Umsatzsteuerschuldnerin gegenüber der Beklagten bei Zweifeln an der Höhe des Steuersatzes vertraglich verpflichtet ist, eine verbindliche umsatzsteuerrechtliche Entscheidung unter Ausschöpfung des Rechtsweges herbeizuführen. An einer solchen Klausel fehlt es jedoch.

e) Nach alledem sind die seit Juli 2003 von der Klägerin erworbenen Kaufvertragsansprüche, deren rechnerische Richtigkeit die Beklagte nicht in Zweifel gezogen hat, noch nicht vollständig erfüllt und die Klage ist in der Hauptsache begründet. Der von den Vorinstanzen der Klägerin zuerkannte Anspruch auf Verzugszinsen besteht auch in dem hier betroffenen sozialrechtlich begründeten Leistungserbringerverhältnis (vgl BSGE 97, 23 = SozR 4-2500 § 129 Nr 3, jeweils Leitsatz 2 und RdNr 19 ff; , juris RdNr 11).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung, die Streitwertfestsetzung auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3 und § 47 Abs 1 Gerichtskostengesetz.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1392 Nr. 8
DStR 2009 S. 1858 Nr. 36
ZAAAD-22000