BVerwG Urteil v. - 2 C 55.07

Leitsatz

Die Altersgrenze des § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO NW von 43 Jahren für schwerbehinderte Laufbahnbewerber erfasst auch gleichgestellte Behinderte im Sinne des § 2 Abs. 3 SGB IX.

Gesetze: LVO NW § 6 Abs. 1; SGB IX § 2 Abs. 3; GG Art. 33 Abs. 4

Instanzenzug: OVG Nordrhein-Westfalen, 6 A 4770/04 vom VG Köln, 3 K 4765/02 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

I

Der am ... 1959 geborene Kläger legte im Jahr 1991 die Zweite Staatsprüfung für die Lehrämter der Sekundarstufen I und II ab. Mit Wirkung vom wurde er auf unbestimmte Dauer als Lehrkraft in den Schuldienst des Landes eingestellt.

Unter dem beantragte der Kläger seine Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Hinweis auf die laufbahnrechtliche Einstellungsgrenze von 43 Jahren für Schwerbehinderte nach § 6 Abs. 1 Satz 6 der Laufbahnverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (LVO NW). Hierzu legte er einen Bescheid des Arbeitsamtes vom vor, mit dem er zunächst befristet bis zum den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden war. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom mit der Begründung ab, der Kläger sei nicht als Schwerbehinderter anerkannt. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom zurück. Die Altersgrenze von 43 Jahren gelte zwar auch für Personen, die Schwerbehinderten gleichgestellt worden seien, allerdings nur bei der erstmaligen Einstellung. Das folge aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, Verzögerungen bei der schulischen oder beruflichen Ausbildung infolge der Behinderung aufzufangen. Eine solche Verzögerung sei ausgeschlossen, wenn die Schwerbehinderung oder Gleichstellung erst nach der Einstellung eingetreten sei.

Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat mit Urteil vom ausgeführt, eine Übernahme des Klägers in das Beamtenverhältnis auf Probe sei ausgeschlossen; für ihn gelte die allgemeine Einstellungsgrenze für Lehrerlaufbahnen von 35 Jahren. Gleichgestellte Behinderte würden von der Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO NW nicht erfasst. Zwar seien Laufbahnbewerber nicht vom Anwendungsbereich ausgeschlossen, wenn sie wie der Kläger bereits als Lehrkraft angestellt seien. Einstellung im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO NW meine nicht jede Aufnahme einer Tätigkeit im Dienst des beklagten Landes, sondern die Einstellung in das Beamtenverhältnis. Die höhere Altersgrenze gelte jedoch angesichts des eindeutigen Wortlauts nicht für Bewerber, die schwerbehinderten Menschen lediglich gleichgestellt seien. Dem stehe die Gleichstellungsregelung des § 2 Abs. 3 SGB IX nicht entgegen. Die Gleichstellung diene dazu, einen Arbeitsplatz zu erlangen oder zu erhalten; sie führe aber nicht zu einer Gleichbehandlung bei sämtlichen anderen Begünstigungen. Die Übernahme eines Angestellten in das Beamtenverhältnis werde von der Zielrichtung der Gleichstellungsregelung nicht erfasst. Im Übrigen komme der Altersgrenze allgemein keine Bedeutung im Hinblick auf die Erlangung oder Erhaltung eines Arbeitsplatzes zu; danach richte sich lediglich, ob eine Beschäftigung im Beamten- oder im Angestelltenverhältnis erfolge. Den anderslautenden Richtlinien zum SGB IX für behinderte Menschen im nordrhein-westfälischen Landesdienst komme keine das Gericht bindende Wirkung zu. Die somit für den Kläger maßgebliche allgemeine Altersgrenze von 35 Jahren sei mit höherrangigem Recht vereinbar.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er beantragt sinngemäß,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom und das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom und des Widerspruchsbescheids vom zu verpflichten, ihn in ein Beamtenverhältnis auf Probe zu übernehmen.

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Berufungsurteil. Er beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Vertreter des Bundesinteresses tritt der Revision ebenfalls entgegen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II

Die Revision hat teilweise Erfolg. Zwar kann der Kläger keine Verpflichtung des Beklagten erreichen, ihn in ein Beamtenverhältnis zu übernehmen. Der Beklagte ist aber verpflichtet, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden ( § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

1.

Für den Kläger gilt die besondere Altersgrenze von 43 Jahren nach § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO NW. Danach dürfen schwerbehinderte Laufbahnbewerber vor Vollendung des 43. Lebensjahres eingestellt oder übernommen werden.

a)

Der Anwendung der Vorschrift steht nicht bereits entgegen, dass der Kläger schon im Schuldienst tätig war und die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen zudem erst nach dieser Anstellung erfolgte. Die Altersgrenze gilt für jeden schwerbehinderten Laufbahnbewerber unabhängig davon, ob er bereits als Tarifbeschäftigter im öffentlichen Dienst arbeitet. Ebenso unerheblich ist, wann die Behinderung eingetreten oder die Gleichstellung erfolgt ist, solange sie jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung über das Ernennungsgesuch besteht und die Altersgrenze von 43 Jahren noch nicht überschritten ist. Das Berufungsgericht ist insoweit zutreffend davon ausgegangen, dass die Vorschrift keine Ursächlichkeit der Behinderung für eine eingetretene Verzögerung verlangt. Sie ermöglicht, anders als etwa die Regelung über die Berücksichtigung von Kinderbetreuungszeiten in § 6 Abs. 1 Satz 3 LVO NW, nicht lediglich ausnahmsweise eine Überschreitung der allgemeinen Altersgrenzen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 LVO NW, sondern bestimmt für schwerbehinderte Bewerber eine besondere Altersgrenze von 43 Jahren, die an keine weitere Voraussetzung als das Vorliegen der Behinderung geknüpft ist. Damit hat der Gesetzgeber in generalisierender Weise dem Umstand Rechnung getragen, dass die mit einer Behinderung verbundenen Erschwernisse typischerweise zu Verzögerungen der schulischen und beruflichen Entwicklung führen können, ohne dass es auf konkrete Verzögerungen und ihre Ursachen im Einzelfall ankommt. Es ist deshalb ohne Bedeutung, ob die Behinderung vor oder nach Erreichen einer allgemeinen Altersgrenze oder einer Einstellung als Tarifbeschäftigter eingetreten ist.

b)

Die Altersgrenze von 43 Jahren für schwerbehinderte Laufbahnbewerber erfasst auch gleichgestellte behinderte Menschen wie den Kläger.

§ 6 Abs. 1 Satz 6 LVO NW muss nicht ausdrücklich neben schwerbehinderten Bewerbern die ihnen gleichgestellten Behinderten erwähnen, um den letztgenannten Personenkreis mit zu erfassen. Die Einbeziehung ergibt sich vielmehr aus der Gleichstellungsklausel des § 2 Abs. 3 SGB IX und den Rechtswirkungen einer erfolgten Gleichstellung.

Nach § 2 Abs. 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX nicht erlangen oder behalten können. Die Gleichstellung erfolgt auf Grund einer Feststellung nach § 69 SGB IX auf Antrag des behinderten Menschen durch die Bundesagentur für Arbeit ( § 68 Abs. 2 SGB IX). Auf gleichgestellte Behinderte werden (mit wenigen Ausnahmen) nach § 68 Abs. 3 SGB IX die besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen in Teil 2 des SGB IX angewendet. Ob außerhalb dieses Regelungskreises auch bei anderen Vorschriften, die für Schwerbehinderte gelten, eine rechtliche Gleichsetzung geboten ist, wenn eine ausdrückliche Bezugnahme fehlt, ist eine Frage der Auslegung ( 15 BV 08.263 - [...] Rn. 13 und 16; Müller-Wenner/Schorn, SGB IX Teil 2 Schwerbehindertenrecht, 2003, § 68 Rn. 50).

Das nahe liegende Verständnis der sozialrechtlichen Gleichstellungsvorschriften und der Einstellungsaltersgrenze in § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO NW besagt, dass eine Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten zu einer Einbeziehung in die für Schwerbehinderte geltende Regelung über die Altersgrenze führt. § 2 Abs. 3 SGB IX dient dem Schutz der Behinderten im Erwerbsleben und soll Ungerechtigkeiten und Härten beseitigen, die bei der starren Grenze des § 2 Abs. 2 SGB IX auftreten können (vgl. - SozR 3-3870 § 2 Nr. 2 = [...] Rn. 22). Die Gleichstellung soll - wie schon dargelegt - erfolgen, wenn der Betroffene wegen seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten kann. Arbeitsplatz im Sinne des § 73 Abs. 1 SGB IX sind alle Stellen, auf denen unter anderem Arbeitnehmer oder Beamte beschäftigt sind. Die Wirkungen einer erfolgten Gleichstellung erstrecken sich somit nach dem Zweck der Regelung jedenfalls auf solche für Schwerbehinderte geltenden Bestimmungen außerhalb des Schwerbehindertenrechts des SGB IX, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Zugang zu einem Arbeitsplatz stehen. Dazu zählen zweifellos Altersgrenzen für die Einstellung. Mit Recht sieht deshalb die Richtlinie zur Durchführung der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ( SGB IX) im nordrhein-westfälischen Landesdienst eine Einbeziehung der gleichgestellten Behinderten in die für Schwerbehinderte geltenden Einstellungserleichterungen des § 6 LVO NW vor (vgl. Ziffer 2.1 und 4.4 der Richtlinie, MBl NRW 2003 S. 1498).

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht weder die Erlangung noch die Erhaltung eines Arbeitsplatzes in Rede, weil der Kläger bereits dauerhaft angestellt ist. Spielt aber der Umstand, dass ein Beamtenbewerber bereits im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, für die Geltung der Altersgrenze bei schwerbehinderten Bewerbern keine Rolle, so kann er auch nicht den Ausschlag dafür geben, ob gleichgestellte Behinderte von der Regelung erfasst werden oder nicht. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob bei einer Überschreitung der Altersgrenze eine Übernahme des Bewerbers im Angestelltenverhältnis erfolgt. Die Beschäftigung von Angestellten im öffentlichen Dienst kommt nur nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 4 GG in Betracht. Soweit sie für bestimmte Bereiche, etwa den Schuldienst, zulässig ist, besteht ein Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und gegebenenfalls noch des Dienstherrn, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen oder gleichwohl im Regelfall nur Beamte einzusetzen. Diese unter anderem von der jeweiligen Laufbahn abhängigen Umstände können nicht darüber entscheiden, ob die Altersgrenze für schwerbehinderte Beamtenbewerber auch für gleichgestellte Behinderte gilt.

Letztlich zielt die Argumentation des Berufungsgerichts nicht auf den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO NW, sondern auf die Voraussetzungen für die Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX. Es bezweifelt mit seinem Hinweis auf den Zweck der Gleichstellung die Richtigkeit der Entscheidung des Arbeitsamtes, dem Kläger überhaupt eine Gleichstellungsbescheinigung auszustellen. Das ist jedoch nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Der Bescheid des Arbeitsamtes ist bestandskräftig. Der Kläger war zum Zeitpunkt seiner Bewerbung und der Entscheidung des Beklagten einem Schwerbehinderten gleichgestellt. Für ihn galt deshalb gleichermaßen die Altersgrenze von 43 Jahren, die er seinerzeit noch nicht erreicht hatte.

2.

Die Ablehnung der Bewerbung des Klägers durch den Beklagten war somit fehlerhaft. Da mit Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (einschließlich der gesundheitlichen Eignung) weitere Voraussetzungen durch den Beklagten zu beurteilen sind, kommt nur eine Verpflichtung zur Neubescheidung unter Beachtung der vorstehenden Rechtsauffassung des Gerichts in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren gemäß § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GKG auf 25 947 EUR festgesetzt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
DAAAD-21031