BFH Beschluss v. - X B 121/08

Anwendbarkeit von § 174 Abs. 4 AO

Gesetze: AO § 174 Abs. 4, FGO § 76 Abs. 1, FGO § 115 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist unbegründet, weil die von ihm geltend gemachten Revisionszulassungsgründe (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, unten 1.; Abweichung des angefochtenen Urteils von Entscheidungen des Bundesfinanzhofs —BFH— oder von Finanzgerichten —FG—, unten 2.; willkürliche oder greifbar gesetzeswidrige Entscheidung, unten 3.; Verfahrensmangel, unten 4.) nicht entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gerügt wurden bzw. nicht vorliegen.

1. Entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht kommt den von ihm formulierten Rechtsfragen keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie bereits höchstrichterlich geklärt sind.

a) Nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die grundsätzliche Bedeutung muss im Hinblick auf eine bestimmte (abstrakte und im Streitfall entscheidungserhebliche) Rechtsfrage gegeben sein (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. die Nachweise bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 28). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es u.a. dann, wenn die in Rede stehende Rechtsfrage bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, welche eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 28, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).

b) Nach diesen Maßstäben kommt der vom Kläger herausgestellten Rechtsfrage, ob § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) auch Fälle erfasst, in denen die Finanzbehörde darüber irrt, in welchem Jahr die steuerlichen Folgen aus einem bestimmten Sachverhalt zu ziehen sind und wie der Irrtumsbegriff i.S. des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO gegen amtspflichtwidriges Unterlassen einer ausreichenden Sachverhaltsaufklärung abzugrenzen sei, eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu, weil sie nicht (mehr) klärungsbedürftig ist. Durch die Rechtsprechung des BFH ist seit langem höchstrichterlich geklärt, dass § 174 Abs. 4 AO die Fälle erfasst, in denen die Finanzbehörde aus „einem bestimmten Sachverhalt” die steuerrechtlichen Folgerungen ziehen will, sich dabei aber darüber irrt, welches Steuerobjekt, welches Steuersubjekt (welchen Steuerpflichtigen; Inhaltsadressaten) und welchen Zeitraum (Veranlagungs- bzw. Erhebungszeitraum) diese Folgerungen betreffen (vgl. z.B. , BFH/NV 1995, 476). Aus einem irrig beurteilten bestimmten Sachverhalt als Gegenstand einer widerstreitenden Steuerfestsetzung i.S. des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO können auch dann nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgen gezogen werden, wenn der ursprünglich beurteilte und der tatsächlich verwirklichte Lebenssachverhalt und Besteuerungssachverhalt nicht vollständig übereinstimmen (, BFH/NV 2004, 604). Obwohl dem Kläger bekannt war, dass sich der Begriff „irrige Beurteilung” eines bestimmten Sachverhalts in § 174 Abs. 4 AO nach der Rechtsprechung des BFH sowohl auf einen Irrtum über Tatsachen als auch über Rechtsfolgen erstrecken (vgl. S. 5 der Beschwerdebegründung), hat er keine neuen Gesichtspunkte geltend gemacht, welche eine erneute Prüfung und Entscheidung der von ihm aufgeworfenen Frage durch den BFH erforderlich machen. Der bloße Hinweis, eine derartig weite Auslegung stehe mit dem Gesetz nicht in Übereinstimmung und sei auch als Rechtsfolge nicht gewollt, genügt nicht.

c) Auch die zweite vom Kläger aufgeworfene Frage, wer die „Beweislast” (Feststellungslast) für das Tatbestandsmerkmal „irrige Beurteilung” in § 174 Abs. 4 Satz 1 AO trägt, ist nicht klärungsbedürftig, sondern durch die Rechtsprechung bereits geklärt. Im finanzgerichtlichen Verfahren gibt es zwar keine gesetzlich festgelegten Regeln über die Verteilung der objektiven Beweislast. Grundsätzlich trifft jedoch die Finanzbehörde die Feststellungslast für die steuerbegründenden und erhöhenden Tatsachen, den Steuerpflichtigen hingegen die für die steuerentlastenden oder -mindernden Tatsachen (sog. Beweislastgrundregel). Diese Regelung gilt aber nicht ohne Ausnahme. Eine Abkehr von der Beweislastgrundregel ist beispielsweise dann geboten, wenn sich die Nichterweislichkeit auf eine Tatsache bezieht, die im alleinigen Willens- und Wissensbereich des Inanspruchgenommenen liegt. Auch die unzureichende Erfüllung der Mitwirkungspflichten nach § 90 AO kann bei der Verteilung der objektiven Beweislast eine Rolle spielen. Bei atypischen Geschehensabläufen kann bei der Beweislastverteilung von Bedeutung sein, in wessen Sphäre sich dieser Geschehensablauf ereignet (Senatsurteil vom X R 11/07, BFHE 220, 3, BStBl II 2008, 335, m.w.N. aus der Rechtsprechung).

2. Dem Kläger kann auch nicht darin beigepflichtet werden, dass die Revision wegen Abweichung des angefochtenen Urteils von der Entscheidung des bzw. des (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2007, 447) und damit wegen des Erfordernisses einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zugelassen werden müsse. Die vom Kläger zwar mit Datum und Aktenzeichen angegebene Entscheidung des FG Münster war nicht zu ermitteln. Sollte der Kläger das (EFG 2007, 1478) gemeint haben, scheidet eine Divergenz schon deshalb aus, weil sich die Entscheidung mit der Änderungsmöglichkeit nach § 174 Abs. 3 AO und nicht —wie im Streitfall— mit § 174 Abs. 4 AO befasst. Die Entscheidung des FG Nürnberg in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 447 wurde aufgrund der Revision der Finanzbehörde mit (BFHE 218, 487, BStBl II 2008, 277) aufgehoben.

Eine Abweichung des angefochtenen FG-Urteils vom BFH-Urteil in BFHE 218, 487, BStBl II 2008, 277 scheidet schon deshalb aus, weil die im angefochtenen Urteil und in der behaupteten Divergenzentscheidung zu beurteilenden Sachverhalte unterschiedlich sind (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 53). Während im Streitfall der für die rechtsirrige Beurteilung maßgebliche Fehler im Tatsächlichen liegt, war der Finanzbehörde im Verfahren in BFHE 218, 487, BStBl II 2008, 277 ein Rechtsirrtum unterlaufen. Sie hatte nicht beachtet, dass nach ständiger Rechtsprechung des I. Senats des BFH die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes weder in der Versagung des Betriebsausgabenabzugs noch in der Korrektur der Steuerbilanz liegt, sondern in einer außerbilanziellen Gewinnkorrektur.

3. Die Zulassung der Revision kommt auch dann in Betracht, wenn der Beschwerdeführer einen offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinn einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung rügt, der geeignet wäre, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung zu beschädigen, wenn er nicht von einem Rechtsmittelgericht korrigiert würde (vgl. z.B. , BFH/NV 2005, 2025). Eine Entscheidung ist nur dann (objektiv) willkürlich, wenn die fehlerhafte Rechtsanwendung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Greifbare Gesetzeswidrigkeit ist anzunehmen, wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (z.B. , BFH/NV 2006, 1116, m.w.N.). Diese besonderen Umstände sind in der Beschwerdeschrift auszuführen (, BFH/NV 2006, 813, m.w.N.).

An der erforderlichen Darlegung im vorgenannten Sinne fehlt es, wenn sich der Beschwerdeführer —wie hier der Kläger— bei einem Urteil, das den Streitfall unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung beurteilt, mit der Behauptung begnügt, das Gericht habe Art. 2, Art. 12 und Art. 20 des Grundgesetzes verletzt, und es habe ihm ins Auge springen müssen, dass die Entschließungsfreiheit des Klägers, der Kernbereich seiner Berufsausübung sowie das gesetzliche Rückwirkungsverbot und die Rechtsweggarantie beeinträchtigt seien, wenn es verfassungsrechtliche Bedenken zum gewerblichen Grundstückshandel unter Verkennung der verfassungsrechtlichen Grundsätze zurückweise. Mit diesen Ausführungen legt der Kläger keinen schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehler dar; er bringt lediglich zum Ausdruck, das FG habe seiner Ansicht nach den Streitfall falsch entschieden. Die schlichte Rüge der Unrichtigkeit der Vorentscheidung eröffnet die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO jedoch nicht. Denn das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom X B 38/06, BFH/NV 2007, 757).

4. Der Kläger rügt ferner sinngemäß die Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), weil das FG nicht von Amts wegen Beweis darüber erhoben habe, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) im Rahmen der Betriebsprüfung den tatsächlichen Zufluss des Kaufpreises geklärt habe.

Auch dieses Vorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Zur schlüssigen Darlegung der Rüge mangelnder Sachaufklärung ist es nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO u.a. erforderlich auszuführen, warum der Kläger, nachdem er auch im finanzgerichtlichen Verfahren durch seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten vertreten war, nicht von sich aus einen entsprechenden Antrag auf Beweiserhebung gestellt hat, die Beweiserhebung sich aber dem FG —ohne besonderen Antrag— hätte aufdrängen müssen (vgl. Senatsurteil vom X R 48/06, BFH/NV 2008, 1463).

5. Die zusätzliche Begründung vom ist als nachgereichter Schriftsatz verspätet. Die Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde, insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an ihre Begründung, ist nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nur nach den innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Sätze 1 und 4 FGO) vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen; spätere Darlegungen sind —abgesehen von bloßen Erläuterungen und Ergänzungen— nicht zu berücksichtigen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 890 Nr. 6
GAAAD-18977