Keine Bindung an einen Verweisungsbeschluss, wenn dieser auf der Versagung rechtlichen Gehörs beruht; örtliche Zuständigkeit eines Finanzgerichts
Gesetze: FGO § 38 Abs. 1, FGO § 39 Abs. 1 Nr. 4, FGO § 69 Abs. 3, FGO § 70, AO § 19, GVG § 17a
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Antragsteller wurde für die Jahre 2006 und 2007 vom Finanzamt D (FA D) zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer veranlagt. Das FA D befindet sich im Gerichtsbezirk des Finanzgerichts Düsseldorf (FG D). Die Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide dieser Streitjahre wurden von diesem Finanzamt durch die Einspruchsentscheidungen vom wegen der Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verworfen. Am ging beim FG D ein als „Klage gegen Widerspruchsentscheid USt 2006 und 2007 - Einspruch gegen den Steuerbescheid und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV)” bezeichneter Schriftsatz des Antragstellers vom ein. In diesem Schriftsatz wurde u.a. ausgeführt, der Widerspruch richte sich auch gegen die auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen erteilten Einkommensteuerbescheide 2004 bis 2006. Zugleich beantragte der Antragsteller u.a., die Vollziehung dieser Einkommensteuerbescheide auszusetzen. Die Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 waren am und am vom FA D erteilt worden. Dort hatte der Antragsteller am gegen beide Bescheide Einsprüche eingelegt, über die noch nicht entschieden worden ist.
Im Februar 2008 wurden die Einkommensteuerakten einschließlich der Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 vom FA D an das Finanzamt O (FA O) abgegeben, weil der Antragsteller seinen Wohnsitz in dessen Bezirk verlegt hatte. Das FA O gehört zum Gerichtsbezirk des Niedersächsischen FG (FG N).
Mit Schriftsatz vom teilte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers unter Benennung der Aktenzeichen des beim FG D anhängigen Klageverfahrens und des dort anhängigen Verfahrens zur Aussetzung der Vollziehung (AdV-Verfahren) mit, er beantrage, die Frist zur Klagebegründung zu verlängern. Inzwischen sei das FA O zuständig.
Mit Schreiben vom teilte das FA D dem FG D in dem gerichtlichen AdV-Verfahren mit, dass die Zuständigkeit für die Festsetzung der Einkommensteuer zwischenzeitlich auf das FA O übergegangen sei.
Mit seinem an das FG D gerichteten Schriftsatz vom beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers u.a. die vom FA D erlassenen Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 entsprechend den eingereichten Steuererklärungen zu ändern und Vollziehungsmaßnahmen aufzuheben.
Durch Beschluss vom verwies das FG D das Verfahren wegen der AdV der Einkommsteuer 2005 und 2006 an das FG N. Dieser Beschluss erging nach den hierzu getroffenen Feststellungen des FG N ohne Begründung und ohne vorherige Anhörung der Beteiligten. Auf die Bitte des FG N, den Verweisungsbeschluss zu überprüfen und ggf. aufzuheben, teilte das FG D mit, an dem Verweisungsbeschluss werde festgehalten.
Durch Beschluss vom hat sich das FG N für das vom FG D verwiesene Verfahren für unzuständig erklärt und den Bundesfinanzhof (BFH) angerufen, um das örtlich zuständige Gericht zu bestimmen. Der hier beschließende Senat hat den Beteiligten Gelegenheit gegeben, hierzu Stellung zu nehmen.
II. Die Anrufung des BFH ist zulässig. Sie führt zur Bestimmung des FG D als dem in der Sache zuständigem Gericht.
1. Die Bestimmung des zuständigen FG durch den BFH ist gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dann zulässig, wenn verschiedene FG, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig gehalten haben.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Das FG N hat sich für unzuständig erklärt. In seinem Beschluss vom hat das FG D zwar nur ausgesprochen, der Rechtsstreit werde an das FG N verwiesen. Es hat damit aber konkludent zum Ausdruck gebracht, es sei für den Rechtsstreit nicht zuständig. Beide Beschlüsse sind unanfechtbar (§ 70 Satz 2 FGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes —GVG—). Auch steht im Streitfall fest, dass entweder das FG N oder das FG D für den Rechtsstreit zuständig ist.
2. Das FG D wird zum zuständigen Gericht bestimmt.
a) Grundsätzlich ist ein Beschluss, durch den der Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen wird, gemäß § 70 Satz 2 FGO i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG bindend. Dies hat regelmäßig zur Folge, dass das Gericht, an das die Sache verwiesen wird (hier das FG N) an den Verweisungsbeschluss gebunden ist und auch dem BFH in einem solchen Fall eine eigenständige Prüfung verwehrt ist, welches FG tatsächlich zuständig ist (vgl. z.B. , BFHE 209, 1, BStBl II 2005, 573).
Dem Verweisungsbeschluss kommt jedoch keine Bindungswirkung zu, wenn er auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten beruht oder wenn die Verweisung offensichtlich unhaltbar ist und insbesondere eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt (BFH-Beschlüsse vom IX S 5/94, BFH/NV 1995, 907, und in BFHE 209, 1, BStBl II 2005, 573).
Im Streitfall fehlt es an dieser Bindungswirkung jedenfalls deshalb, weil das FG D den Rechtsstreit an das FG N verwiesen hat, ohne zuvor die Verfahrensbeteiligten hierzu anzuhören. Den vorliegenden Akten ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass das FG D den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit gegeben hat, zu der beabsichtigten Verweisung Stellung zu nehmen.
b) Die somit bestehende Möglichkeit zu überprüfen, welches der beiden FG tatsächlich zuständig ist, führt zu dem Ergebnis, dass das FG D das zuständige Gericht ist.
aa) Gemäß § 38 Abs. 1 FGO ist das FG örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Behörde, gegen welche sich die Klage richtet, ihren Sitz hat. Die örtliche Zuständigkeit wird mithin jedenfalls in einem Klageverfahren maßgeblich danach bestimmt, wen der Kläger als beklagte Behörde zum Verfahrensbeteiligten (§ 57 Nr. 2 FGO) gemacht hat. Nicht entscheidend ist hingegen, ob dies der zutreffende Beklagte ist. Denn der Gesetzgeber hat die ursprünglich vorgesehene Verknüpfung von örtlicher Zuständigkeit und Passivlegitimation (§ 63 FGO) aufgegeben (Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 38 FGO Rz 2).
bb) Ob § 38 Abs. 1 FGO analog auch anzuwenden ist, wenn es um die Zuständigkeit für ein AdV-Verfahren geht, wird unterschiedlich beurteilt. Überwiegend wird dies bejaht (Gräber/ Koch, FGO, 6. Aufl., § 38 Rz 5, und Steinhauff in HHSp, § 38 FGO Rz 21). Andererseits wird die Auffassung vertreten, in gerichtlichen AdV-Verfahren bestimme sich die Zuständigkeit des Gerichts nach dem Gericht der Hauptsache, also danach, welches Gericht für das Klageverfahren zuständig ist (Dumke in Schwarz, FGO, § 38 Rz 1a).
Diese Streitfrage bedarf hier nicht der Entscheidung, weil in jedem Fall das FG D zuständig ist. Der Antragsteller hat seinen AdV-Antrag dort eingereicht. Auch hatte er dort zuvor (Untätigkeits-)Klage wegen der Steuerbescheide erhoben, auf die sich sein AdV-Antrag bezieht. Das FG D ist daher vorbehaltlich späterer die Streitsache betreffender Verwaltungsakte (siehe dazu unten bei dd) auch Gericht der Hauptsache i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO.
cc) An der dadurch begründeten Zuständigkeit des FG D ändert allein die Tatsache nichts, dass das auf der Verwaltungsebene nunmehr örtlich zuständig gewordene FA O (vgl. § 19 Abs. 1 der Abgabenordnung) die bisher nicht ergangene Einspruchsentscheidung oder die angefochtenen Einkommensteuerbescheide ändernde Bescheide erlassen kann. Denn die bloße Befugnis hierzu ändert nichts daran, dass das ursprünglich zuständige FG D bis zum Erlass solcher Bescheide grundsätzlich das zuständige FG bleibt (Grundsatz der fortdauernden Zuständigkeit des einmal —berechtigt— angerufenen Gerichts, sog. perpetuatio fori; , BFHE 209, 9, BStBl II 2005, 575).
dd) Allerdings ist die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts dann erneut zu überprüfen, wenn ein Fall der Klageänderung vorliegt (, BFHE 207, 511, BStBl II 2005, 101; vgl. hierzu nachstehend bei ee). Gleiches gilt für eine Antragsänderung in einem Antragsverfahren (vgl. z.B. , BFH/NV 2001, 6 zum AdV-Verfahren nach Ergehen eines Änderungsbescheids).
ee) Eine solche Klage- oder Antragsänderung ist hier derzeit nicht gegeben. Nach Lage der dem angerufenen Senat vorliegenden Akten hat das FA O bisher keine die Einkommensteuer 2005 und 2006 betreffenden Verwaltungsakte erlassen.
Eine solche Klage- oder Antragsänderung hat der Antragsteller vorliegend auch nicht dadurch vorgenommen, dass er mit seinem Schreiben vom darauf hingewiesen hat, inzwischen sei das FA O zuständig. Dass der Antragsteller mit diesem Vorbringen nicht zum Ausdruck bringen wollte, aus seiner Sicht sei nunmehr das FA O der zutreffende Beklagte bzw. Antragsgegner, belegt dessen nachfolgender Schriftsatz vom . In diesem wird (ohne Auswechslung des bisherigen Beklagten bzw. Antragsgegners) u.a. beantragt, die ergangenen Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 des FA D zu ändern und Vollziehungsmaßnahmen aufzuheben.
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen (Gräber/Koch, a.a.O., § 39 Rz 10).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 780 Nr. 5
PAAAD-17950