Änderung eines Grunderwerbsteuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO; Prüfung des groben Verschuldens der Steuerpflichtigen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO; Mitveräußerung von Betriebsvorrichtungen als nachträglich bekannt gewordene neue Tatsache
Leitsatz
Eine zu einer niedrigeren Steuer führende Tatsache kann nicht
als bekannt angesehen werden, die der zuständige Bedienstete lediglich
hätte kennen können oder kennen müssen. Nur bei positiver
Kenntnis des Bediensteten wäre die maßgebliche Tatsache nicht mehr
neu. Es gelten alle diejenigen Tatsachen als bekannt, die sich aus den von der
zuständigen Stelle geführten Akten ergeben.
Ist in
einem notariellen Vertrag über den Verkauf eines
Tankstellengrundstücks nicht von der Übertragung von
Betriebsvorrichtungen, sondern lediglich von wesentlichen Bestandteilen die
Rede, kann es sein, dass die positive Kenntnis des Bediensteten - wenn
überhaupt vorhanden - nur einen Teil der mitveräußerten
Betriebsvorrichtungen umfasst.
Die Unkenntnis steuerlicher
Bestimmungen - hier des
§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
GrEStG und des
§ 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
BewG - reicht bei einem Steuerpflichtigen
regelmäßig nicht aus, den Vorwurf groben Verschuldens im Sinne des
§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu
begründen.
Gesetze: AO § 173 Abs. 1 Nr. 2, AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, BewG § 68 Abs. 2, GrEStG § 2 Abs. 1
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarben durch notariell beurkundeten Vertrag vom in Miteigentum je zur Hälfte ein Grundstück mit Tankstelle. Der Kaufgegenstand war wie folgt umschrieben:
a) Grundbesitz nebst Aufbauten;
b) alle wesentlichen Bestandteile und etwa vorhandenes gesetzliches Grundstückszubehör;
c) die in einer Anlage aufgeführten, zum Betrieb der Tankstelle und Werkstatt zählenden Gegenstände.
Die unter c) genannte Anlage zählte eine Reihe beweglicher Gegenstände und deren einzelnen Werte auf. In der Summe ergab sich ein Betrag von 30 000 DM. In § 7 des Vertrages hieß es zum Kaufpreis, er betrage für die unter a) und b) genannten Gegenstände 1 250 000 DM und für die unter c) genannten Gegenstände 30 000 DM. Außerdem enthielt der Vertrag die Bewilligung einer Grunddienstbarkeit zu Gunsten eines Nachbargrundstücks, deren Wert auf 5 000 DM beziffert wurde.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) setzte durch getrennte Bescheide vom gegen jeden der Kläger eine Grunderwerbsteuer von 21 962 DM fest. Die Steuer war nach der Hälfte des Betrages von (1 280 000 DM plus 5 000 DM minus 30 000 DM =) 1 255 000 DM bemessen. Die Bescheide wurden bestandskräftig. Nachdem bei der Veranlagung zu den Ertragsteuern für den Grund und Boden sowie die aufstehenden Gebäude lediglich ein (Verkehrs-)Wert von 496 000 DM zu Grunde gelegt und im Übrigen Betriebsvorrichtungen i.S. von § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) angenommen worden waren, beantragten die Kläger mit Schreiben vom , die Bescheide gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ihren Gunsten dahin zu ändern, dass die Steuern jeweils nach der Hälfte eines Betrages von (496 000 DM plus 5 000 DM =) 501 000 DM bemessen wird. Der mittlerweile bekannt gewordene Verkehrswert des Grundstücks mit Gebäuden stelle eine neue Tatsache dar. Das FA lehnte die Änderung mit Verfügungen vom ab. Es verneinte das Vorliegen einer aufzuteilenden Gegenleistung, weil für den Grundbesitz samt den Aufbauten, den wesentlichen Bestandteilen und eventuellem Zubehör einerseits und für die „zum Betrieb der Tankstelle und der Werkstatt zählenden Gegenstände” andererseits getrennte Kaufpreise vereinbart worden seien und der Kaufpreis für Letzteres bereits unberücksichtigt geblieben sei.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wurde abgewiesen. Das Finanzgericht (FG) vertrat mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 984 veröffentlichten Urteil die Ansicht, es fehle an einer dem damals zuständigen Bearbeiter des FA noch nicht bekannten Tatsache. Zwar sei einzuräumen, dass unter den oben zu b) genannten Kaufgegenständen Betriebsvorrichtungen seien, deren Erwerb nicht der Grunderwerbsteuer unterliege; dieser Umstand sei dem FA aber schon deshalb bekannt gewesen oder hätte ihm zumindest bekannt sein müssen, da es gemäß dem Vertragstext um den Erwerb einer Tankstelle mit ihren wesentlichen Bestandteilen gegangen sei, wozu Betriebsvorrichtungen gehören müssten. Ob der Bearbeiter dies zur Kenntnis genommen habe, sei ebenso unerheblich, wie der Umstand, dass bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht bekannt geworden sei, welche der erworbenen wesentlichen Bestandteile im Einzelnen Betriebsvorrichtungen seien. Ferner könne auf sich beruhen, ob das FA seine Amtsermittlungspflicht verletzt habe. Diese Frage stelle sich im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO anders als bei der Anwendung der Nr. 1 der Vorschrift nicht.
Mit der Revision rügen die Kläger fehlerhafte Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Dem FA sei erst nachträglich bekannt geworden, dass auch Betriebsvorrichtungen übertragen worden seien, auf die ein Teil des Kaufpreises entfalle. Daran treffe sie, die Kläger, kein grobes Verschulden. Sollte der Kaufpreis auch einen Firmen- oder Geschäftswert abgegolten haben, stelle er auch insoweit keine Gegenleistung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) dar.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Ablehnungsverfügungen vom in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom das FA zu verpflichten, die Grunderwerbsteuerbescheide vom dahin zu ändern, dass die Steuer auf jeweils 4 482,75 € (8 767 DM) herabgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Dem Bearbeiter sei bekannt gewesen, dass wesentliche Bestandteile und Betriebsvorrichtungen veräußert worden seien; er habe lediglich eine andere rechtliche Wertung vorgenommen, weil er davon ausgegangen sei, die Bezeichnungen im Kaufvertrag seien eindeutig und ein Aufklärungsbedarf bestehe deshalb nicht. Im Übrigen hätten die Kläger ein etwaiges nachträgliches Bekanntwerden zu vertreten.
II. Die Revision ist begründet. Das FG hat zwar zutreffend angenommen, dass nicht der Verkehrswert des übertragenen Grundstücks samt Gebäuden, sondern nur die Mitveräußerung von Betriebsvorrichtungen als nachträglich bekannt gewordene Tatsache in Betracht kommt; es hat jedoch zu Unrecht einen Anspruch der Kläger auf Änderung der bestandskräftigen Grunderwerbsteuerbescheide aus dem Jahr 2001 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO verneint, ohne sich festzulegen —und damit auch ohne festgestellt zu haben—, dem Bearbeiter des FA sei im März 2001 positiv bekannt gewesen, dass Betriebsvorrichtungen mitveräußert wurden, auf die ein Teil des Kaufpreises entfiel. Ein bloßes Kennenkönnen oder Kennenmüssen schließt aber einen Änderungsanspruch nicht aus. Daher war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO sind Steuerbescheide zu ändern, soweit nachträglich, aber noch innerhalb der Festsetzungsfrist Tatsachen bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen erst nachträglich bekannt wurden. Eine Tatsache ist dann nachträglich bekannt geworden, wenn sie dem zuständigen Bediensteten des FA bei Abschluss der Willensbildung in Bezug auf den zu ändernden Steuerbescheid nicht bekannt war. Anders als bei einer Änderung zu Lasten des Steuerpflichtigen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO kann eine Tatsache nicht als bekannt angesehen werden, die der zuständige Bedienstete lediglich hätte kennen können oder kennen müssen. Die Behörde kann sich nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen auf ein eigenes Versäumnis oder Verschulden berufen (so , BFHE 182, 2, BStBl II 1997, 422, sowie vom V R 56/94, BFHE 185, 98, BStBl II 1998, 367 unter II.1.b). Allerdings gelten alle diejenigen Tatsachen als bekannt, die sich aus den von der zuständigen Stelle geführten Akten ergeben (, BFH/NV 2003, 2 unter II.3.).
2. Das FG hat zwar zunächst zu Recht eine Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 AO nicht im vorgetragenen Verkehrswert des Grundstücks, sondern darin gesehen, dass der Grundstückskaufvertrag unter den wesentlichen Bestandteilen auch Betriebsvorrichtungen betraf (§ 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG), auf die ein Teil des Betrages von 1 250 000 DM als Gegenleistung entfiel. Es hat aber dieser Tatsache zu Unrecht die Eigenschaft abgesprochen, erst nachträglich bekannt geworden zu sein. Soweit es sich dabei auf das Urteil des BFH in BFH/NV 2003, 2 gestützt hat, geht dies fehl. Der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt war dadurch gekennzeichnet, dass die Steuerbehörde die Rechtserheblichkeit einer aus den Akten hervorgehenden Tatsache nicht erkannt und deshalb aus der bekannten Tatsache keine Rechtsfolgen gezogen hat. Im Streitfall geht aber aus den Akten nicht hervor, dass sich unter den wesentlichen Bestandteilen auch Betriebsvorrichtungen, auf die ein Teil der 1 250 000 DM entfiel, befunden haben.
Das FG setzt vielmehr umgekehrt beim damaligen Bearbeiter des FA die Rechtskenntnis voraus, dass bei Tankstellenbetrieben u.a. die Platzbefestigungen als Betriebsvorrichtungen anzusehen sind (, BFHE 74, 474, BStBl III 1962, 179; vgl. auch Textziffer 4.2 Abs. 3 des Abgrenzungserlasses vom , BStBl I 2006, 314), und folgert daraus, ihm sei bekannt gewesen oder hätte zumindest bekannt sein müssen, dass mit der Tankstelle auch Betriebsvorrichtungen übergegangen sind. Geht aber aus den Akten das Vorhandensein von Betriebsvorrichtungen (und deren Umfang) nicht hervor, reicht ein bloßes Kennenkönnen oder Kennenmüssen nicht aus, um ein nachträgliches Bekanntwerden der maßgeblichen Tatsache auszuschließen. Nur bei positiver Kenntnis des Bearbeiters wäre die maßgebliche Tatsache nicht mehr neu. Die Möglichkeit, dass es an dieser positiven Kenntnis gefehlt hat, wird vom FG jedoch nicht ausgeräumt. Da das FG im Übrigen auch die Frage des groben Verschuldens der Kläger an einem etwaigen nachträglichen Bekanntwerden der Mitveräußerung von Betriebsvorrichtungen offen gelassen hat, tragen seine Feststellungen die Vorentscheidung nicht. Sie war daher aufzuheben.
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Es ist noch aufzuklären, ob dem Bearbeiter bei Erlass der Grunderwerbsteuerbescheide im März 2001 positiv bekannt war, dass und ggf. welche Betriebsvorrichtungen mitveräußert worden sind, auf die ein Teil des Kaufpreises entfiel. Dabei kann sich ergeben, dass die Kenntnis des Bearbeiters —wenn überhaupt vorhanden— nur einen Teil der mitveräußerten Betriebsvorrichtungen umfasst. Bei der solchermaßen gebotenen Aufklärung des Sachverhalts sollte berücksichtigt werden, dass die Ausführungen des FA in der Revisionserwiderung zur Neuheit der Mitübertragung von Betriebsvorrichtungen durch die Vorentscheidung bestimmt sind. Dem tatsächlichen Geschehensablauf könnte der letzte Satz unter Nr. 1 auf Seite 2 der Revisionserwiderung näher kommen, wonach der Bearbeiter davon ausgegangen sei, „dass die Bezeichnung im Vertrag eindeutig war und ein weiterer Bedarf an Nachforschungen bezüglich des Werts nicht bestand”. Danach hätte der Bearbeiter nicht erkannt und damit nicht gewusst, dass sich unter den im Vertrag zu b) genannten wesentlichen Bestandteilen auch Betriebsvorrichtungen befunden haben. Darauf deutet auch der Inhalt der Ablehnungsverfügungen vom hin. Auch auf Seite 2 seiner Stellungnahme zur Nichtzulassungsbeschwerde vom räumte das FA noch ein, dass der Bearbeiter keine positive Kenntnis von der maßgeblichen Tatsache hatte; es hielt dies nur unter Berufung auf das (BFHE 185, 370, BStBl II 1998, 458 unter II.2.a) für unerheblich, da jeder Stelle der Finanzverwaltung das bekannt sei, was sich aus dem Inhalt der von ihr geführten Akte ergebe, ohne dass es auf die individuelle Kenntnis des Bearbeiters ankomme. Im Streitfall war aber bis zum Eingang des Änderungsantrags der Kläger in den Grunderwerbsteuerakten im Zusammenhang mit der Nr. 1 Buchstabe b des § 2 des Kaufvertrages von Betriebsvorrichtungen keine Rede, sondern lediglich von wesentlichen Bestandteilen. Diese können, müssen aber nicht Betriebsvorrichtungen sein.
Bei der nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ggf. erforderlichen Prüfung des groben Verschuldens der Kläger ist auf die nach ihren persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt abzustellen. Diese Sorgfalt muss in einem ungewöhnlichen, nicht entschuldbaren Maß verletzt sein (, BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80, unter II.1.b). Die Unkenntnis steuerlicher Bestimmungen —hier des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GrEStG und des § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG— reicht bei einem Steuerpflichtigen regelmäßig nicht aus, den Vorwurf groben Verschuldens zu begründen (, BFHE 154, 481, BStBl II 1989, 131). Sollte eine Aufteilung der Gegenleistung erforderlich werden, hätte diese nach der sog. Boruttau'schen Formel zu erfolgen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 548 Nr. 4
HFR 2009 S. 447 Nr. 5
YAAAD-09860