Leitsatz
[1] a) Ergeht ein Ergänzungsurteil nach Ablauf der Berufungsfrist, aber noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist gegen das ursprüngliche Urteil, so bleibt für den Lauf der Berufungsbegründungsfrist die Zustellung des Ursprungsurteils maßgeblich. Das Ergänzungsurteil wirkt sich in einem solchen Fall auf den Lauf der Begründungsfrist nicht aus.
b) Auch nach neuem Rechtsmittelrecht kann eine unzulässige Hauptberufung in eine zulässige Anschlussberufung umgedeutet werden.
Gesetze: ZPO § 518 n.F.; ZPO § 524
Instanzenzug: LG Frankfurt/Main, 2/17 O 35/07 vom OLG Frankfurt/Main, 1 U 293/07 vom
Gründe
I.
Mit seiner Klage vor dem Landgericht Frankfurt am Main hat der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 60.700 € nebst Zinsen sowie zur Herausgabe von Schlüsseln begehrt. Der Beklagte hat die Klageforderung in Höhe von 2.556 € anerkannt und im Übrigen Klageabweisung beantragt. Durch Teilanerkenntnis- und Schlussurteil vom hat das Landgericht den Beklagten zur Herausgabe der Schlüssel und zur Zahlung von 3.431,02 € nebst Zinsen an den Kläger verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dieses Urteil wurde dem Kläger am 20. November und dem Beklagten am zugestellt. Beide Parteien haben fristgerecht Berufung eingelegt, der Beklagte - unter gleichzeitiger Begründung des Rechtsmittels - am , der Kläger - ohne Begründung - am .
Nachdem durch einen Schriftsatz des Beklagten vom aufgedeckt worden war, dass das Landgericht entscheidungserheblichen Sachvortrag hinsichtlich der Schlüssel und hinsichtlich eines Antrags, die Haftung auf den Nachlass zu beschränken, übersehen hatte, erließ das Landgericht am ein Ergänzungsurteil des Inhalts, dass der Herausgabeanspruch wegen der Schlüssel entfalle und die Zahlung aus dem Nachlass der Erblasserin zu erfolgen habe. Dieses Urteil wurde dem Kläger am zugestellt. Am legte er daraufhin sowohl gegen das Ursprungsurteil als auch gegen das Ergänzungsurteil erneut Berufung ein. Durch Verfügung des Vorsitzenden vom , zugestellt am , wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass die Berufung gegen das ursprüngliche Urteil vom nicht rechtzeitig begründet worden sei. Daraufhin beantragte der Kläger am , ihm wegen der möglichen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Am beantragte er ferner, die Berufungsbegründungsfrist um vier Wochen zu verlängern. Diesem Antrag wurde durch Verfügung vom für die Berufung gegen das Ergänzungsurteil vom stattgegeben, hinsichtlich des ursprünglichen Urteils vom jedoch nicht. Am begründete der Kläger die Berufung, die er nur noch im Umfang von 15.000 € nebst Zinsen weiterverfolgt.
Das Oberlandesgericht hat durch den angefochtenen Beschluss die Berufung des Klägers gegen das Teilanerkenntnis- und Schlussurteil vom als unzulässig verworfen und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist von Gesetzes wegen statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig, da die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Zwar hat das Berufungsgericht mit Recht angenommen, dass der Kläger die Frist zur Begründung der (Haupt-)Berufung gegen das ursprüngliche Urteil versäumt hat und ihm insoweit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu versagen ist. Gleichwohl kann der angefochtene Beschluss, soweit darin das Rechtsmittel der Berufung als unzulässig verworfen worden ist, nicht bestehen bleiben. Denn die unzulässige Berufung kann und muss in eine zulässige Anschlussberufung umgedeutet werden.
1. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass mit der Zustellung des ursprünglichen Teilanerkenntnis- und Schlussurteils an den Kläger am sowohl die einmonatige Berufungs- als auch die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist in Lauf gesetzt worden sind. Daran änderte das Hinzutreten des Ergänzungsurteils nichts. Dieses Urteil ist nämlich nach Ablauf der Berufungsfrist ergangen. Dementsprechend findet die Regelung des § 518 ZPO, wonach mit der Zustellung der nachträglichen Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist - und damit zugleich der Berufungsbegründungsfrist - auch für die Berufung gegen das zuerst ergangene Urteil von neuem beginnt, keine Anwendung. Diese Regelung gilt nämlich nur, wenn das Ergänzungsurteil nach § 321 ZPO vor Ablauf der Frist für die Berufung gegen das ursprüngliche Urteil erlassen wird. Eine erweiternde Auslegung oder eine analoge Anwendung dieser Bestimmung auf den hier in Rede stehenden Fall, dass die Ergänzung zwar nach Ablauf der Berufungsfrist, aber noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist getroffen worden ist, ist entgegen der Betrachtungsweise der Rechtsbeschwerde nicht möglich. § 518 ZPO ist aus dem früheren Rechtsmittelrecht (damals: § 517 ZPO) inhaltsgleich übernommen worden. Nach früherem Recht wirkte sich der mögliche Neubeginn der Berufungsfrist auch auf die Berufungsbegründungsfrist aus, da diese von der Einlegung der Berufung abhing. Dies ist nach neuem Verfahrensrecht nicht mehr der Fall, da nunmehr sowohl für die Berufungsfrist als auch für die Berufungsbegründungsfrist die Zustellung des Urteils der maßgebliche Stichzeitpunkt ist. Eine planwidrige Regelungslücke, die für den hier in Rede stehenden Fall einer noch nicht abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist eine erneute Ingangsetzung derselben gebieten würde, besteht gleichwohl nicht. Die gesetzliche Regelung ist eindeutig und nicht misszuverstehen. Auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 518 Satz 1 ZPO besteht kein Grund, sich über den klaren Gesetzeswortlaut hinwegzusetzen. Durch § 518 Satz 1 ZPO soll den Parteien Gelegenheit gegeben werden, die Entscheidung darüber, ob gegen das später ergänzte Urteil ein Rechtsmittel eingelegt werden soll, neu zu treffen (vgl. Musielak/Ball, ZPO 6. Aufl. § 518 Rn. 1; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 3. Aufl. § 518 Rn. 1). Dieser Gelegenheit bedarf es nicht, wenn bei Verkündung des Ergänzungsurteils entweder die Berufungsfrist bereits ungenutzt verstrichen ist und damit das Ursprungsurteil rechtskräftig geworden ist oder wenn - wie hier - das Rechtsmittel bereits eingelegt war. Im letzteren Fall kann das Ergänzungsurteil allenfalls dazu führen, dass der Rechtsmittelführer nun darüber nachdenkt, ob das bereits eingelegte Rechtsmittel gegen das Ursprungsurteil in vollem Umfang durchgeführt werden soll. Dies allein rechtfertigt es jedoch nicht, die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist neu laufen zu lassen, zumal etwaige zeitliche Engpässe bei der Prüfung der Frage, inwieweit das Ergänzungsurteil Einfluss auf die Berufungsangriffe gegen das Ursprungsurteil hat, dadurch abgemildert werden, dass bei der Berufungsbegründungsfrist im Gegensatz zur Berufungsfrist selbst die Möglichkeit einer Fristverlängerung besteht (§ 520 Abs. 2 ZPO). Es hat daher für den hier in Rede stehenden Fall, dass das Ergänzungsurteil nach Ablauf der Berufungsfrist ergeht, dabei zu verbleiben, dass die ursprüngliche zweimonatige Begründungsfrist unverändert und unbeeinflusst abläuft.
2. Ob, wie das Berufungsgericht gemeint hat und von der Rechtsbeschwerde angegriffen wird, den Kläger an der Nichteinhaltung der ursprünglichen Berufungsbegründungsfrist ein Verschulden getroffen hat, kann offen bleiben. Denn jedenfalls ist dem Kläger anzulasten, dass die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO versäumt worden ist.
a) Diese Frist beträgt bei der hier zu beurteilenden Berufungsbegründung einen Monat und beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 ZPO). Fristbeginn war dementsprechend der , als der Prozessbevollmächtigte durch Zustellung der Verfügung vom Kenntnis von der Fristversäumung erhielt. Die Frist lief daher am ab. Innerhalb dieser Frist war die versäumte Berufungsbegründung nachzuholen (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Diese Frist ist hier unstreitig nicht eingehalten worden, da die Berufungsbegründung erst einen Tag später, am , eingegangen ist.
b) Auf den Lauf dieser Frist war der zuvor gestellte Fristverlängerungsantrag ohne Einfluss. Bereits nach früherem Recht war in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass unter der nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO nachzuholenden Prozesshandlung im Wiedereinsetzungsverfahren wegen Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist die Begründung selbst zu verstehen ist; die Einreichung eines Antrags auf Fristverlängerung erfüllt nicht die Zulässigkeitsanforderungen des Wiedereinsetzungsverfahrens ( = NJW 1999, 3051; = BGHR ZPO [] § 236 Abs. 2 Satz 2 Nachholung der Berufungsbegründung 2; jeweils m.zahlr.w.N.). Nach neuem Rechtsmittelrecht scheitert ein solcher Antrag schon an der Nichtverlängerbarkeit der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 (Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl. 2007 § 236 Rn. 8a i.V.m. § 234 Rn. 7a); abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall der Wiedereinsetzungsfrist für die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde, die in Anlehnung an § 575 Abs. 2 Satz 3, § 551 Abs. 2 Satz 6 Halbs. 2 ZPO angemessen verlängert werden kann, wenn dem Rechtsmittelführer die Prozessakten nicht zur Verfügung gestellt werden können ( - BGHR ZPO § 234 Abs. 1 Satz 2 Fristverlängerung 1 = NJW-RR 2007, 146, 147).
3. Gleichwohl durfte das Berufungsgericht, wie die Beschwerde zu Recht rügt, die Berufung nicht als unzulässig verwerfen. Die unzulässige Hauptberufung des Klägers ist nämlich in eine zulässige Anschlussberufung im Sinne des § 524 ZPO umzudeuten (vgl. = NJW-RR 2004, 1502, 1503).
a) Für die Umdeutung genügt es, wenn diese von dem mutmaßlichen Parteiwillen gedeckt wird. In aller Regel wird eine Partei eine unzulässige Hauptberufung als zulässige Anschlussberufung retten wollen (BGHZ 100, 383, 387 f). Dies hat der Kläger in der Rechtsbeschwerdebegründung ausdrücklich klargestellt.
b) Die formellen Voraussetzungen des § 524 ZPO n.F. sind im vorliegenden Fall gewahrt. Die Anschließung ist zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung (§ 524 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Da eine solche Fristsetzung hier nicht erfolgt ist, bestehen gegen die Rechtzeitigkeit der Anschließung keine Bedenken. Die Schriftsätze des Klägers (insbesondere die Berufungsbegründung, die nach § 524 Abs. 3 Satz 1 ZPO als wiederholte Anschließung behandelt werden kann) genügen auch inhaltlich den formellen Erfordernissen des § 524 ZPO. Allerdings erschöpft sich die Berufungsbegründung weitgehend in einer Wiederholung des Vorbringens aus der erstinstanzlichen Klageschrift. Aus dem Kontext ergibt sich jedoch mit (noch) hinreichender Deutlichkeit, welche Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit der Kläger bei der angefochtenen Entscheidung beanstandet (§ 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Ob die vorgetragenen Umstände inhaltlich geeignet sind, eine solche Rechtsverletzung zu belegen, ist eine Frage der Begründetheit, nicht der Zulässigkeit des Rechtsmittels.
4. Dementsprechend durfte die Hauptberufung nicht verworfen werden, solange es möglich blieb (und bleibt), sie als unselbständige Anschlussberufung zu behandeln ( aaO m.w.N.). Hingegen ist die Wiedereinsetzung mit Recht abgelehnt worden; insoweit war der angefochtene Beschluss zu bestätigen. Nach Aufhebung der Berufungsverwerfung war die Sache zur Fortsetzung des Berufungsverfahrens an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
SAAAD-02555
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja