Notwendige Beiladung des unterhaltsverpflichteten Elternteils bei Klage des Kindes auf Festsetzung des Kindergeldes
Gesetze: FGO § 60 Abs. 3, FGO § 110, FGO § 123, EStG § 67, EStG § 74 Abs. 1, AO § 78 Nr. 1
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf)
Gründe
I. Stand des Verfahrens
Das Kindergeld für die 1982 geborene Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) wurde in der Vergangenheit zugunsten ihrer Mutter festgesetzt und im Wege der Abzweigung bis einschließlich August 2005 unmittelbar an die Klägerin gezahlt, weil die Mutter keinen Unterhalt leistete. Am 19. Juli/ beantragte die Mutter die erneute Festsetzung des Kindergeldes unter gleichzeitiger Abtretung des Kindergeldes an die Klägerin.
Die Klägerin selbst stellte am einen Antrag auf Auszahlung des Kindergeldes. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Antrag auf Kindergeld im an die Mutter der Klägerin gerichteten Bescheid vom ab, da die Klägerin weder als ausbildungsplatzsuchend gemeldet sei noch als behindertes Kind berücksichtigt werden könne. Einen Abdruck des Bescheids übersandte die Familienkasse mit Schreiben vom an die Klägerin.
Die Klägerin legte am Einspruch ein, den die Familienkasse mit Entscheidung vom als unbegründet zurückwies.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und verpflichtete die Familienkasse zugunsten der Mutter ab September 2005 Kindergeld für die Klägerin festzusetzen.
Die Familienkasse rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
II. Grund der Beiladung
Das FG hat es versäumt, die Mutter der Klägerin zu dem Verfahren notwendig beizuladen (§ 60 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 123 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO sind Dritte, die an einem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, zu dem Verfahren beizuladen (notwendige Beiladung). Das ist der Fall, wenn die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen des Dritten gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt (vgl. z.B. , BFH/NV 2004, 662, m.w.N.).
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO sind entgegen der Auffassung des FG im Streitfall gegeben. Streitgegenstand der Klage ist die Rechtmäßigkeit des von der Familienkasse erlassenen, an die Mutter der Klägerin gerichteten Kindergeld-Ablehnungsbescheids vom . Die Klägerin hat ursprünglich zwar nur einen Antrag auf Auszahlung des Kindergeldes an sich gestellt, in ihrem Einspruch vom gegen die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung ist aber zugleich ein Antrag auf Festsetzung des Kindergeldes zugunsten ihrer Mutter zu sehen. Hierzu war die Klägerin befugt.
Zwar trifft es zu, dass die Klägerin selbst im Hinblick auf das Kindergeld nicht anspruchsberechtigt ist. Jedoch räumt § 67 Satz 2 EStG neben den Anspruchsberechtigten auch solchen Personen ein Antragsrecht ein, die ein berechtigtes Interesse an der Leistung des Kindergeldes haben. Ein solches Interesse haben Personen, die die Auszahlung von Kindergeld an sich anstelle der Auszahlung an einen Berechtigten verlangen können. Das kann gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG auch ein Kind sein, wenn der Kindergeldberechtigte —wie im Streitfall— ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Nach ständiger Rechtsprechung ist wie auch sonst im Steuerrecht bei der Steuervergütung Kindergeld zwischen dem Festsetzungs- und dem Erhebungs- bzw. Auszahlungsverfahren zu unterscheiden, mit der Besonderheit, dass die Festsetzung des —fremden— Steuer(vergütungs-)anspruchs gemäß § 67 Satz 2 EStG auch von einem Auszahlungsberechtigten beantragt werden kann. Durch diese Vorschrift erlangt dieser im Festsetzungsverfahren eine Beteiligtenstellung (vgl. § 78 Nr. 1 der Abgabenordnung). Im Übrigen können in solchen Fällen Auszahlungsberechtigte durch im Festsetzungsverfahren ergangene ablehnende Bescheide selbst betroffen sein (, BFH/NV 2001, 896). Aus der eigenen Antragsbefugnis der Klägerin auf Festsetzung des Kindergeldes folgt zugleich auch ihre Klagebefugnis zur Klage auf Festsetzung des Kindergeldes.
Die Rechtswirkung der Entscheidung des Senats gegenüber der Mutter der Klägerin und der ebenfalls betroffenen Klägerin beziehen sich auf das nämliche Recht, und zwar die Kindergeldberechtigung der Mutter (vgl. zu dem vergleichbaren Fall einer Klage des Sozialleistungsträgers gegen einen die Kindergeldfestsetzung aufhebenden Bescheid: , BFH/NV 2001, 812). Kommt der Senat im vorliegenden Verfahren zu der Auffassung, der Ablehnungsbescheid sei aufzuheben, so hätte dies zur Folge, dass die Kindergeldberechtigung der Mutter der Klägerin bestätigt wird. Bei einem Misserfolg der Klage steht fest, dass die Kindergeldberechtigung der Mutter nicht besteht.
2. Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung begründet einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, der vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen ist. Die Beiladung kann aber nach § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO in der Revisionsinstanz nachgeholt werden. Der Senat übt sein ihm in dieser Vorschrift eingeräumtes Ermessen dahingehend aus, dass er von einer Zurückverweisung der Sache an das FG absieht und die Beiladung selbst vornimmt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 193 Nr. 2
HAAAD-00207