BGH Beschluss v. - X ZB 4/08

Leitsatz

[1] Für die Beurteilung der Frage, ob es sich um einen anderen Wirkstoff als denjenigen handelt, für den die arzneimittelrechtliche Genehmigung erteilt worden ist, ist die bloße Verbesserung der arzneilichen Wirksamkeit nicht entscheidend.

Gesetze: VO (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel Art. 3 Buchst. d

Instanzenzug: Bundespatentgericht, 14 W(pat) 15/05 vom

Gründe

I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des am angemeldeten, unter anderem mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 361 894 (Grundpatents), das die Bezeichnung "Ladung und gesteuerte Abgabe von Molekülen zu und von Liposomen" trägt und zehn Patentansprüche umfasst. Wegen der Wiedergabe des Patentanspruchs 1 wird auf den angefochtenen Beschluss des Bundespatentgerichts verwiesen.

Am hat die Rechtsbeschwerdeführerin den Antrag gestellt, ihr ein ergänzendes Schutzzertifikat für das Erzeugnis "Pegyliertes liposomales Doxorubicin oder ein pharmazeutisch verwendbares Salz davon" zu erteilen. Der Antrag bezieht sich auf die Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels mit der Bezeichnung "C. Doxorubicin-Hydrochlorid" in der Bundesrepublik Deutschland durch den Zulassungsbescheid der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom . Diesen Antrag hat die Patentabteilung 41 des Deutschen Patent- und Markenamts zurückgewiesen. Als erste Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses sei nicht die Zulassung vom , sondern die Zulassung für Doxorubicin-Hydrochlorid aus dem Jahre 1987 maßgeblich (Rote Liste 1987 Nr. ... ). Die Beschwerde der Rechtsbeschwerdeführerin ist erfolglos geblieben. Die Rechtsbeschwerdeführerin hat im Verfahren vor dem Bundespatentgericht nunmehr die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für das Erzeugnis "Doxorubicin-Sulfat" beantragt. Das Bundespatentgericht hat seine die Beschwerde zurückweisende Entscheidung damit begründet, dass zwar das beanspruchte Doxorubicin-Sulfat unter das Grundpatent falle und die arzneimittelrechtliche Genehmigung vom auch eine Genehmigung für das Inverkehrbringen von Doxorubicin-Sulfat umfasse. Diese Genehmigung sei jedoch nicht die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses als Arzneimittel in der Europäischen Gemeinschaft, weil es sich bei Doxorubicin-Sulfat nicht um einen neuen Wirkstoff gegenüber Doxorubicin-Hydrochlorid handele.

Mit ihrer vom Bundespatentgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Rechtsbeschwerdeführerin ihr Eintragungsbegehren weiter.

II. Die Rechtsbeschwerde ist kraft Zulassung statthaft (§ 16 a Abs. 2 i.V. mit § 100 Abs. 1 PatG) und auch im Übrigen zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet.

1. Das Grundpatent schützt, wie das Bundespatentgericht zutreffend angenommen hat, auch Doxorubicin-Sulfat (Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 1768/92 (EWG) des Rates über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats über Arzneimittel). Es liegt auch eine arzneimittelrechtliche Genehmigung für das Inverkehrbringen von Doxorubicin-Sulfat vor (Art. 3 Buchst. b der Verordnung). Sowohl aus der arzneimittelrechtlichen Genehmigung als auch aus der Beschreibung des Grundpatents ergibt sich nämlich, dass Doxorubicin mit Hilfe von Ammoniumsulfat in die Liposomen aufgenommen wird. Dabei wird Doxorubicin-Sulfat erzeugt.

2. Die arzneimittelrechtliche Genehmigung durch die Zulassung von C. vom ist jedoch nicht die gemäß Art. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1768/92 maßgebliche erste Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses als Arzneimittel. Anderes würde nur gelten, wenn es sich um unterschiedliche Wirkstoffe handelte.

Der Begriff "Wirkstoff" ist in der Verordnung nicht definiert. Nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom (C-431/04, Slg. 2006, 4089 = GRUR 2006, 694, 695 - Wirkstoffzusammensetzung) ist mangels einer Definition des Begriffs "Wirkstoff" die Bedeutung und die Tragweite dieses Begriffs unter Berücksichtigung des allgemeinen Zusammenhangs, in dem er verwendet wird, und entsprechend dem Sinn, den er nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch hat, zu bestimmen.

Allerdings enthält die Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 in Art. 1 eine Definition des Begriffs "Erzeugnis". Danach ist Erzeugnis der Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels. Das Arzneimittel wird dort als ein Stoff (oder eine Stoffzusammensetzung) definiert, der als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet wird. Damit wird mittelbar der Begriff "Wirkstoff" als der Bestandteil des Erzeugnisses umschrieben, der als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet wird.

Hierzu hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seiner Entscheidung vom (C-392/97, Slg. 1999, 5553 Tz 21 = GRUR Int. 2000, 69 f. - Farmitalia) ausgeführt, dass das Schutzzertifikat den Wirkstoff in allen dem Schutz des Grundpatents unterliegenden Formen erfassen kann (z.B. als freie Base und deren Derivate), auch wenn in der arzneimittelrechtlichen Genehmigung nur bestimmte Formen des Wirkstoffs genannt werden.

Der Senat hat daraus hergeleitet, dass eine Zertifikatserteilung für den Wirkstoff und für dessen physiologisch annehmbaren Salze und Sulfate in Betracht kommt. Es muss sich aber um verschiedene Formen desselben Wirkstoffs handeln, das heißt, es muss mit ihnen derselbe Heilungs- bzw. Vorbeugungseffekt i.S. des Art. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1768/92 erzielt werden können (Beschl. v. - X ZB 12/01, GRUR 2002, 415 f. - Sumatriptan). In der bereits erwähnten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom wird auf die Begründung des Vorschlags für eine Verordnung des Rates über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel verwiesen, in der es heißt: "Der Verordnungsvorschlag beschränkt sich auf neue Arzneimittel. Es handelt sich nicht darum, ein Zertifikat für jedes patentierte Arzneimittel zu erteilen, für das die Genehmigung des Inverkehrbringens vorliegt. Je Erzeugnis darf nur ein einziges Zertifikat erteilt werden, wobei es sich bei dem Erzeugnis im engeren Sinne um einen Wirkstoff handeln muss. Werden an dem Arzneimittel unbedeutende Änderungen vorgenommen, zum Beispiel eine neue Dosierung, die Verwendung eines anderen Salzes oder Esters, eine andere pharmazeutische Form, so wird kein neues Zertifikat erteilt". Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat daraus hergeleitet, dass ein Stoff, der keine eigene arzneiliche Wirkung entfaltet und dazu dient, eine bestimmte Darreichungsform des Arzneimittels zu erreichen, nicht unter den Begriff "Wirkstoff" fällt (aaO Tz. 29).

In dem vorgenannten Sinne ist Doxorubicin-Sulfat kein neuer Wirkstoff. Auch die Rechtsbeschwerde stellt nicht in Abrede, dass das Mittel, das die arzneiliche Wirkung entfaltet, Doxorubicin ist. Sie beruft sich auf die arzneimittelrechtliche Genehmigung, nach der die pharmakologischen Eigenschaften von Doxorubicin-Sulfat und Doxorubicin-Hydrochlorid verschieden seien. So hätten Studien mit Kaninchen gezeigt, dass die Kardiotoxizität von C. im Vergleich zu der von üblichen Doxorubicin-Hydrochlorid-haltigen Zubereitungen geringer sei. Auch werde in dem Gutachten von Dr. Francis J. Martin dargestellt, dass Doxorubicin-Sulfat verglichen mit Doxorubicin-Hydrochlorid geringere toxische Wirkungen habe, in Tumorzellen in höherem Ausmaß als in normalen Zellen angereichert werde und die Aktivität hinsichtlich der Verringerung des Tumorwachstums wesentlich höher sei. Zudem seien die chemischen Eigenschaften von Doxorubicin-Sulfat und Doxorubicin-Hydrochlorid insofern verschieden, als Doxorubicin-Sulfat in wässrigen Lösungen nur gering löslich sei. Dies habe zur Folge, dass Doxorubicin-Sulfat nur sehr langsam aus den im Blutsystem zirkulierenden Liposomen freigesetzt werde, so dass eine lang dauernde pharmakologische Wirkung bei niedriger Dosierung möglich sei.

Alle diese Gesichtspunkte betreffen eine verbesserte Wirksamkeit von Doxorubicin-Sulfat im Vergleich zu Doxorubicin-Hydrochlorid und die Verminderung unerwünschter Nebenwirkungen, aber nicht die arzneiliche Wirkung als solche, die unverändert durch den Bestandteil Doxorubicin erreicht wird. Auswirkungen auf die arzneiliche Wirksamkeit sind jedoch nicht entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob es sich um einen anderen Wirkstoff handelt.

Anderes ergibt sich auch nicht bei Berücksichtigung des Erwägungsgrunds 14 der EG-Verordnung 1610/96. Wie die Rechtsbeschwerde selbst vorträgt, ist auch dann erforderlich, dass ein neuer Wirkstoff im Vergleich zu dem bekannten Wirkstoff vorliegt, was hier nicht der Fall ist.

Der von der Rechtsbeschwerde angeregten Herbeiführung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften bedarf es nicht, denn der Senat sieht die richtige Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts hier als so offenkundig an, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt (vgl. 283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257, 1258).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 16a Abs. 2 PatG i.V. mit § 109 PatG (Sen.Beschl. v. - X ZB 3/08, GRUR 2008, 692 f. - Angussvorrichtung für Spritzgießwerkzeuge II).

Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht als erforderlich angesehen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
KAAAC-97709

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja