BFH Beschluss v. - III B 63/07

Wiederaufnahme eines Verfahrens nach rechtskräftigem Abschluss wegen fehlerhafter Vertretung

Gesetze: FGO § 119 Nr. 4, FGO § 134, ZPO § 570 Abs. 1 Nr. 4

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine vor dem Zweiten Weltkrieg gegründete eingetragene Baugenossenschaft (e.G.mbH), deren letzter Genosse 1981 auf seinen Genossenschaftsanteil verzichtete. In den Streitjahren 1999 und 2000 sanierte die Klägerin ihren Wohnungsbestand und beantragte dafür Investitionszulage. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) lehnte dies ab, weil die Klägerin nicht steuerrechtsfähig sei. Die Einsprüche blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage durch Urteil vom 3 K 1808/01 als unzulässig ab. Es führte aus, die Klägerin sei nach dem Ausscheiden des letzten Genossen ohne Liquidation erloschen. Ob die Klägerin trotz fehlender zivilrechtlicher Existenz als beteiligtenfähig behandelt werden könne, brauche nicht entschieden zu werden. Denn sie sei jedenfalls nicht wirksam vertreten, da der Prozessvertreter nicht über eine ordnungsgemäße Prozessvollmacht verfüge. Er sei nicht gesetzlicher Vertreter der Klägerin und habe daher die von ihm selbst in dieser vermeintlichen Funktion unterzeichnete Vollmacht nicht wirksam erteilen können.

Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde verwarf der Senat mit Beschluss vom III B 115/03 (BFH/NV 2005, 713) als unzulässig, weil die Klägerin prozessunfähig sei. Der durch Bescheid der Stadt P vom gemäß Art. 233 § 2 Abs. 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch zum gesetzlichen Vertreter bestellte Prozessvertreter sei weder Vorstand noch Abwickler der Genossenschaft. Seine Vertretungsmacht beruhe

nicht auf genossenschaftsrechtlicher Grundlage. Mangels Prozessfähigkeit sei die Einlegung des Rechtsmittels unwirksam.

Das Amtsgericht bestellte am den jetzigen Prozessbevollmächtigten als Notliquidator und trug die Klägerin in ein Ersatzregister ein. Die von der —nun durch den Notliquidator vertretene— Klägerin am erhobene Nichtigkeitsklage wies das als unzulässig ab und ließ die Revision nicht zu. Es entschied, eine Nichtigkeitsklage sei nach dem (BFHE 188, 1, BStBl II 1999, 412) nur statthaft, wenn der mögliche Nichtigkeitsgrund nicht bereits im Vorprozess erfolglos geltend gemacht worden sei. Durch das in Rechtskraft erwachsene Urteil im Verfahren 3 K 1808/01 sei die Existenz der Klägerin verneint worden. Der Klägerin sei Gelegenheit gegeben worden, dazu Stellung zu nehmen.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde trägt die Klägerin vor, eine Entscheidung des BFH sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Das FG-Urteil weiche vom IVb ZR 707/80 (BGHZ 84, 24, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1982, 2449) ab. Die Nichtigkeitsklage wegen Mitwirkung eines gesetzlich ausgeschlossenen Richters (§ 579 Abs. 1 Nr. 2 der ZivilprozessordnungZPO—) sei nur zulässig, wenn dieses Hindernis nicht durch ein Ablehnungsgesuch oder ein Rechtsmittel ohne Erfolg geltend gemacht worden sei. Das BGH-Urteil in BGHZ 84, 24, NJW 1982, 2449 verneine die Frage, ob diese Einschränkung auch für die Wiederaufnahme wegen nicht vorschriftsmäßiger Vertretung (§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) entsprechend gelte. Das FG-Urteil beruhe demgegenüber auf der Ansicht, dass der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Prozessfähigkeit voraussetze, dass er nicht bereits im vorausgegangenen Verfahren geltend gemacht worden sei. Ohne diese Einschränkung des Tatbestandes des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO hätte das FG die Nichtigkeitsklage zulassen müssen, da sie —die Klägerin— während des gesamten Vorprozesses mangels gesellschaftsrechtlich wirksamer Vertretung prozessunfähig gewesen sei und die Prozessfähigkeit erst durch die Bestellung des Notliquidators wieder erlangt habe.

II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Der Streitfall erfordert keine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob die in § 579 Abs. 1 Nr. 2 ZPO geregelte Einschränkung der Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage auch im Rahmen des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO entsprechend gilt, könnte in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden, da sie für die Entscheidung des Streitfalls nicht rechtserheblich wäre (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 30).

a) Wenn ein Beteiligter im Finanzgerichtsverfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, so stellt dies —außer bei Zustimmung zur Prozessführung— einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die Verfahrensordnung und einen absoluten Revisionsgrund nach § 119 Nr. 4 FGO dar (, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802, unter C. III. 1. b aa (1)). Nach rechtskräftigem Abschluss kann das Verfahren in diesem Fall nach § 134 FGO i.V.m. § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO wieder aufgenommen werden. Die Nichtigkeitsklage dient somit der Beseitigung eines schwer wiegenden Verfahrensmangels (MünchKommZPO/Braun, 3. Aufl., § 579 Rz 1; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 579 Rz 1). Sie ist auch zulässig, wenn ein Prozessvertreter aufgetreten ist, der hierfür von vornherein keine Vollmacht hatte (, NJW 1998, 745; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 579 Rz 6). Die Subsidiaritätsregelung des § 579 Abs. 2 ZPO gilt in diesem Fall nicht (BGH-Urteil in BGHZ 84, 24, NJW 1982, 2449; BFH-Urteil in BFHE 188, 1, BStBl II 1999, 412; Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 134 FGO Rz 47).

b) Der von der Klägerin geltend gemachte Wiederaufnahmegrund des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO betrifft danach zwar Fallgestaltungen, in denen —wie im Streitfall— der Prozess von einem gewillkürten Vertreter ohne Vertretungsmacht geführt worden ist (MünchKommZPO/Braun, § 579 Rz 10). Da die Nichtigkeitsklage als „zeitlich unbeschränkte Revision” (MünchKommZPO/Braun, § 579 Rz 1) der Überwindung eines Verfahrensmangels —Versagung des rechtlichen Gehörs— dient, erfordert sie aber, dass der Vertretungsmangel im Vorprozess verkannt wurde.

Daran fehlt es im Streitfall, denn das FG hat die fehlende Prozessvollmacht zutreffend festgestellt. Da die rechtzeitige Vorlage einer ordnungsgemäßen Prozessvollmacht die Wirksamkeit der Klageerhebung betrifft und damit positive Sachentscheidungsvoraussetzung ist (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom GmS-OGB 2/83, BGHZ 91, 111, BVerwGE 69, 380; , BFH/NV 2001, 1268, m.w.N.), hat es die durch den vollmachtlosen Vertreter erhobene Klage 3 K 1808/01 zu Recht als unzulässig abgewiesen.

Fundstelle(n):
IAAAC-94772