BSG Urteil v. - B 8 AY 13/07 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: AsylbLG § 2 Abs 1

Instanzenzug: LSG Baden-Württemberg, L 7 AY 4504/06 vom SG Freiburg, S 10 AY 1990/06 vom

Gründe

I

Im Streit sind höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ab dem , insbesondere statt der Leistungen nach §§ 3 ff AsylbLG (so genannte Grundleistungen) Leistungen nach § 2 AsylbLG (so genannte) Analog-Leistungen unter entsprechender Anwendung des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

Die Kläger sind Roma aus dem Kosovo und besaßen die serbisch-montenegrinischer Staatsangehörigkeit. Die Kläger zu 1 und 2 sind die Eltern der minderjährigen Kläger zu 3 bis 7. Der Kläger zu 1 reiste erstmalig am in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte erfolglos Asyl. Am stellte er einen Asylfolgeantrag, der seit dem unanfechtbar abgelehnt ist. Die Kläger zu 2 bis 7, die am in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, stellten am einen Asylantrag. Auch dieser ist seit dem unanfechtbar abgelehnt. Seit unanfechtbarer Ablehnung der Asylanträge sind die Kläger im Besitz von Duldungen der Ausländerbehörde. Seit Juli 1999 beziehen sie Grundleistungen nach den §§ 3 ff AsylbLG.

Am beantragten die Kläger die Gewährung von Analog-Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG. Der Beklagte lehnte Analog-Leistungen mit der Begründung ab, die Kläger hätten die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst, weil in ihrem Fall eine freiwillige Rückkehr ins Heimatland möglich und auch zumutbar sei (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Das Sozialgericht (SG) Freiburg hat den Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufgehoben und den Beklagten "dem Grunde nach verurteilt, den Klägern ab Antragstellung Leistungen nach § 2 Abs 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes zu gewähren" (Urteil vom ). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung des Beklagten "mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte verurteilt wird, den Klägern ab Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren" (Urteil vom ). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Beklagte habe unabhängig von der Leistungsgewährung als solcher eine Regelung über die fehlende Leistungsberechtigung nach § 2 AsylbLG auf Dauer im Sinne einer Vorabentscheidung getroffen. Die Kläger hätten die Dauer ihres Aufenthalts nicht selbst rechtsmissbräuchlich beeinflusst. Zwar falle hierunter auch eine von der Rechtsordnung missbilligte, subjektiv vorwerfbare und zur Aufenthaltsverlängerung führende Nutzung der Rechtsposition, die ein Ausländer durch vorübergehende Aussetzung der Abschiebung erhalten habe, ein Rechtsmissbrauch liege aber nicht vor, wenn die Ausreise in das Herkunftsland unzumutbar sei. Den Klägern zu 3 bis 7 sei die Ausreise unzumutbar, weil sie aufgrund ihres Alters im Wesentlichen durch die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet sozialisiert und an das Heimatland noch bestehende Bindungen bei ihnen nicht ersichtlich seien. Eine vergleichbare Inlandsintegration der Kläger zu 1 und 2 liege zwar nicht vor. Gleichwohl sei auch ihnen die Ausreise unzumutbar, da sie ansonsten entweder ihre minderjährigen Kinder in Deutschland zurücklassen oder zum unzumutbaren Weggang in das Kosovo zwingen müssten.

Mit der Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 1 AsylbLG. Er ist der Ansicht, ein langjähriger Aufenthalt in Deutschland und der erlangte Integrationsgrad führten allein nicht dazu, dass der Ausländer gegen aufenthaltsverändernde Maßnahmen geschützt sei und deshalb im Ergebnis einen Anspruch auf Legalisierung des Aufenthaltes habe. Neben der Integration in die deutschen Verhältnisse und der Entfremdung vom Heimatstaat verlange die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung grundsätzlich eine aufenthaltsrechtliche Verankerung, die in den Fällen bloßer Duldung regelmäßig nicht erfüllt sei. Die von der Rechtsprechung des BSG geforderte besondere Integration in die deutschen Lebensverhältnisse liege unter diesen Voraussetzungen nicht vor.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Urteile des SG und des LSG aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger haben schriftsätzlich beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

II

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen (§ 163 SGG) kann der Senat nicht entscheiden, ob den Klägern höhere Leistungen, insbesondere Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG, zustehen.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom (§ 95 SGG). Mit diesem Bescheid hat der Beklagte Leistungen nach § 2 AsylbLG abgelehnt und verfügt, dass weiterhin Grundleistungen nach § 3 AsylbLG erbracht werden. Hiergegen wehren sich die Kläger mit kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG), gegebenenfalls jedoch auch mit kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklagen für den Fall, dass sich die Überprüfung von Leistungsbewilligungen an §§ 44, 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) messen sollte. Die richtige Klageart ist davon abhängig, ob vor Erlass des angegriffenen Bescheides Leistungen durch - gegebenenfalls konkludenten Bescheid (§ 33 Abs 2 Satz 1 SGB X) -, auf Dauer oder zeitlich begrenzt, oder aber Leistungen ohne Bescheid ausgezahlt wurden. Feststellungen des LSG hierzu fehlen, weil es von einem Grundlagenbescheid ausgegangen ist, mit dem unabhängig von der aktuellen Leistungsgewährung eine hiervon abtrennbare Entscheidung über die Leistungsversagung nach § 2 AsylbLG auf Dauer im Sinne einer Vorabentscheidung getroffen worden sei, der (bestandskräftige) Bescheide über die Leistungsgewährung nach § 3 AsylbLG nicht entgegenstünden.

Dieser Auffassung folgt der Senat nicht. Eine sogenannte Vorabentscheidung ermöglicht eine hoheitliche Entscheidung über eine grundlegende Frage des Sozialrechtsverhältnisses, etwa das verbindliche Bejahen oder Verneinen bestimmter Elemente eines zukünftigen Anspruchs oder Rechtsverhältnisses, schon vor der Entstehung des Anspruchs bzw des Rechtsverhältnisses (BSG SozR 3-1300 § 39 Nr 7 S 10 f; BVerwG Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr 17). Wird aber eine Leistung mangels Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen abgelehnt, wird nicht vorab über eine Frage, sondern endgültig über den Anspruch entschieden. Ein Verwaltungsakt, mit dem die Leistung abgelehnt wird, besitzt zudem keine Dauerwirkung ( B 8/9b SO 12/06 R - RdNr 8 mwN). Allerdings hat der Beklagte mit dem angegriffenen Bescheid auch "weiterhin Grundleistungen nach § 3 AsylbLG" bewilligt, sodass der Bescheid vom nicht nur eine Ablehnung, sondern auch eine Bewilligung auf Dauer enthält. Dies bedeutet, dass in der Folgezeit gegebenenfalls ergangene Bescheide, die diesen Bescheid abgeändert oder ersetzt haben, Gegenstand des Vorverfahrens nach § 86 SGB X oder des Gerichtsverfahrens nach § 96 SGG geworden sind ( B 8/9b AY 1/07 R - RdNr 13). Das LSG wird dies näher zu prüfen und gegebenenfalls zu beachten haben, ob der Antrag vom auch als Widerspruch gegen einen noch nicht bestandskräftigen Bewilligungsbescheid zu verstehen ist.

In der Sache handelt es sich vorliegend um eine Klage auf höhere Leistungen, selbst wenn kein typischer Höhenstreit vorliegt, weil Analog-Leistungen regelmäßig in Form von Geldleistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII erbracht werden und Leistungen nach §§ 3 ff AsylbLG grundsätzlich als Sachleistungen vorgesehen sind (vgl dazu näher Senatsurteil vom - B 8/9b AY 1/07 R).

Ob, wie das LSG entschieden hat, den Klägern Ansprüche auf höhere Leistungen nach dem AsylbLG, insbesondere nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm dem SGB XII, gegen den für die Leistung zuständigen Beklagten (vgl § 2 Abs 1 Flüchtlingsaufnahmegesetz <FlüAG> iVm § 2 Abs 2 Nr 3 und Abs 4 FlüAG sowie § 13 Abs 1 Nr 1 Landesverwaltungsgesetz Baden-Württemberg) zustehen, kann der Senat nicht abschließend entscheiden, weil das LSG - ausgehend von seiner Rechtsansicht zu § 2 AsylbLG, die vom Senat nicht geteilt wird - keine ausreichenden Feststellungen zu den vom Senat für erforderlich gehaltenen Voraussetzungen des § 2 Abs 1 AsylbLG (hier idF, die die Norm durch das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom - BGBl I 1950 - erhalten hat) getroffen hat. Danach ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten (des § 1 AsylbLG) entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten (bzw ab von 48 Monaten; Art 6 Abs 2 Nr 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom - BGBl I 1970) Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Gegebenenfalls misst sich die Begründetheit der Revision dabei zusätzlich an § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X oder § 44 SGB X (vgl zu dessen Anwendung das Senatsurteil vom - B 8 AY 5/07 R), wenn für den streitigen Zeitraum frühere (bestandskräftige) Bewilligungsbescheide abgeändert worden wären.

Die Kläger gehören zum Kreis der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG; sie halten sich als Ausländer tatsächlich im Bundesgebiet auf und sind im Besitz einer Duldung nach § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Alle Kläger erhielten vor dem streitigen Zeitraum für mindestens 36 Monate (bzw ab 48 Monate) Leistungen nach § 3 AsylbLG. Ob allerdings die Kläger ihre Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik Deutschland selbst rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben, kann nicht beurteilt werden. Entgegen der Entscheidung des LSG, das der Rechtsprechung des 9b-Senats des BSG (SozR 4-3520 § 2 Nr 1) gefolgt ist, handelt ein Leistungsempfänger nämlich nicht schon dann rechtsmissbräuchlich, wenn er trotz des auf Grund der Duldung bestehenden Abschiebeverbots nicht freiwillig ausreist und hierfür keine anerkennenswerten Gründe vorliegen. Vielmehr ist ein über das bloße Verbleiben hinausgehendes vorsätzliches Verhalten erforderlich ( B 8/9b AY 1/07 R). Entsprechendes gilt für das Stellen eines Asylfolgeantrages, weil insoweit nur ein Recht in Anspruch genommen wird, welches Verfassungsrang besitzt. Zudem erfasst § 2 AsylbLG alle Leistungsberechtigten, also auch den Folgeantragsteller nach § 71 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) - § 1 Abs 1 Nr 7 AsylbLG -, sodass allein ein Asylfolgeantrag ohne hinzutretendes, auf die Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes gerichtetes rechtsmissbräuchliches Verhalten, nicht zum Ausschluss von Analog-Leistungen führt. Die Umstände des Folgeantrages und des sich anschließenden Verfahrens sind nicht bekannt. Dies wird das LSG gegebenenfalls zu ermitteln haben.

Entgegen der Rechtsprechung des früheren 9b-Senats, die vom erkennenden Senat aufgegeben worden ist, kann ein etwaiger Missbrauchsvorwurf auch nicht durch eine zwischenzeitliche Integration - wie vom LSG angenommen - ausgeräumt werden. Ob das vorwerfbare Verhalten die Aufenthaltsdauer beeinflusst hat, ist vielmehr unter Berücksichtigung der gesamten Zeit zu beurteilen, die nach dem maßgeblichen Fehlverhalten verstrichen ist (BSG aaO). Dass dabei ein Fehlverhalten der Eltern den Kindern nicht zugerechnet wird (BSG aaO), ist vorliegend ohne Bedeutung, weil nach § 2 Abs 3 AsylbLG minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, Analog-Leistungen ohnedies nur erhalten, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Analog-Leistungen erhält.

Der Senat kann auch deshalb - abgesehen davon, dass das LSG keine Feststellungen zur Bedürftigkeit der Kläger (§§ 3, 7 AsylbLG bzw § 2 AsylbLG iVm §§ 19, 82 ff SGB XII) getroffen hat - nicht abschließend in der Sache entscheiden, weil nicht beurteilt werden kann, ob den Klägern - unterstellt, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 AsylbLG sind zu bejahen - überhaupt noch weitere Leistungen zustehen. Hierzu muss das LSG - da die Beteiligten in der Sache um die Höhe der Leistungen streiten - den Umfang der nach §§ 3 ff AsylbLG im streitigen Zeitraum an jeden einzelnen Kläger insgesamt erbrachten Leistungen ermitteln. Der Wert der erbrachten Leistungen ist dann von den nach § 2 AsylbLG iVm dem SGB XII dem jeweiligen Kläger zustehenden Leistungen in Abzug zu bringen. Dabei sind allerdings nur vergleichbare Leistungen einzubeziehen; unschädlich ist es, wenn nach den §§ 3 ff AsylbLG Einmalleistungen erbracht sein sollten, die nach dem SGB XII durch Pauschalen (uU den Regelsatz) abgegolten würden (Senatsurteil vom - B 8 AY 5/07 R). Gegebenenfalls ist jedoch darauf zu achten, dass nicht mehr bestehende Bedarfe nicht mehr zu decken sind (so genannter Aktualitätsgrundsatz). Vergleichbare Leistungen im bezeichneten Sinne sind zB nicht Leistungen bei Krankheit (§ 4 AsylbLG), weil bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs 1 AsylbLG Leistungen nach § 264 Abs 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) von der zuständigen Krankenkasse zu erbringen wären; diese Leistungen wären mithin nicht Bestandteil der den Klägern nach den Vorschriften des SGB XII zu erbringenden Leistungen. Soweit den Klägern Analog-Leistungen nicht zustehen sollten, wird das LSG zu prüfen haben, ob ihnen höhere Grundleistungen zustehen.

Das LSG wird gegebenenfalls auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Fundstelle(n):
KAAAC-93127