BFH Beschluss v. - VII B 200/07

Darlegung einer Divergenz; Haftungszeitraum für die Ermittlung der Haftungsquote

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, AO § 69

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) war von 1994 an bis zur Löschung der Gesellschaft nach Zurückweisung eines Gesamtvollstreckungsantrages mangels Masse am alleiniger Geschäftsführer der . GmbH (GmbH).

Aus Umsatzsteuervoranmeldungen für das I., II. und IV. Quartal 1995 ergaben sich für die GmbH Vorsteuererstattungen.

Am reichte der Kläger für die GmbH eine Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1995 ein, die mit einer verbleibenden Umsatzsteuer in Höhe von 8 554,50 DM schloss. Ein Abrechnungsbescheid für die Umsatzsteuer 1995, der später aus verfahrensrechtlichen Gründen zurückgenommen wurde, wies Umbuchungen von Vorsteuerbeträgen aus den Voranmeldungen in Höhe von 18 674,64 DM im Wesentlichen auf geschuldete Umsatzsteuern, Zinsen und Säumniszuschläge 1991 und 1993 aus, so dass sich zuzüglich der angemeldeten und festzusetzenden Umsatzsteuer für 1995 eine Zahllast in Höhe von 27 229,14 DM ergab.

Wegen der Umsatzsteuerschulden der GmbH nahm der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) den Kläger in Höhe von 33 780,84 DM in Haftung (Umsatzsteuer für 1995 in Höhe von 27 229,14 DM, Säumniszuschläge auf die seit dem fällige Umsatzsteuer 1995 in Höhe von 4 896,00 DM, Umsatzsteuer 1996 in Höhe von 1 631,60 DM nebst Zinsen). Im Einspruchsverfahren machte der Kläger Angaben zu Verbindlichkeiten und Zahlungen im angegebenen Haftungszeitraum. In der Einspruchsentscheidung wurde deshalb eine Haftungsquote von 61,9 % zugrunde gelegt und die Haftungssumme auf 10 683,66 € festgesetzt.

Mit der Klage wandte sich der Kläger gegen die Haftung für Umsatzsteuern, die im Zeitraum vor 1995 entstanden sind. Diese seien verjährt. Auch Umbuchungen von Guthaben aus Umsatzsteuervoranmeldungen des Jahres 1995 auf ältere Umsatzsteuerverbindlichkeiten rechtfertigten seine Haftung nicht. Im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens legte das FA einen gegenüber der Einspruchsentscheidung veränderten Berechnungsbogen zur Ermittlung der Haftungssumme für den angenommenen Haftungszeitraum vom bis zum vor.

Das Finanzgericht (FG) hob den Haftungsbescheid auf. Es urteilte, der Kläger habe seine Pflicht, Steuerschulden der von ihm vertretenen Gesellschaft zu bedienen, nicht schuldhaft i.S. des § 69 Satz 1 der Abgabenordnung verletzt. Auch eine Pflicht zur anteiligen Tilgung der Umsatzsteuerschulden der GmbH lasse sich aus den vom FA angenommenen Zahlen nicht ableiten. Der vom FA angenommene Beginn des Haftungszeitraums am —wegen Fälligkeit des Anspruchs auf Rückerstattung der angemeldeten Vorsteuer in Höhe von 18 674,64 DM mit Abgabe der Umsatzsteuererklärung 1995 am — und daraus folgend die Nichtberücksichtigung der Umbuchungen der Vorsteuererstattungsansprüche als Zahlungen im Haftungszeitraum sei fehlerhaft. Ergebe sich infolge der Umsatzsteuerjahreserklärung oder des Umsatzsteuerbescheids ein Umsatzsteuerrückstand deshalb, weil der Steuerschuldner zu niedrige Vorauszahlungen erbracht habe, sei für die Liquiditätslage des Steuerschuldners und die Frage, ob Umsatzsteuerschulden jedenfalls anteilig befriedigt wurden, der Vorauszahlungszeitraum in Betracht zu ziehen (Hinweis auf das Senatsurteil vom VII R 131/85, BFHE 153, 199, BStBl II 1988, 742). Es sei deshalb ohne weiteres die Betrachtung der Verbindlichkeiten und Tilgungen des Steuerschuldners auf den Vorauszahlungszeitraum der Umsatzsteuer, für die in Haftung genommen wird, zu erstrecken (Hinweis auf das Senatsurteil vom VII R 4/88, BFHE 154, 206, BStBl II 1988, 980). Demnach habe der Haftungszeitraum am 10. Tag nach Ablauf des I. Quartals 1995 begonnen mit der Folge, dass die vorgenommenen Umbuchungen als Zahlungen auf Steuerrückstände des Jahres 1995 zu berücksichtigen seien. Unter Zugrundelegung der übrigen Zahlen, die auf der Annahme eines Haftungszeitraums vom bis zum beruhten, könne eine Haftungsschuld des Klägers nicht errechnet werden. Auf dieser Grundlage könne demnach der Haftungsbescheid keinen Bestand haben.

Das FA hält die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung (FGO) für geboten, weil das FG von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen sei. In der Entscheidung vom VII R 60/05 (BFHE 216, 487, BFH/NV 2007, 1731 —II, Tz. 3a—) stelle der BFH den folgenden Rechtssatz auf: „Nach der Rechtsprechung des Senats sind grundsätzlich alle Verbindlichkeiten in die Berechnung der anteiligen Tilgungsquote einzubeziehen, ungeachtet ihres Rechtsgrundes”. Aus den Ausführungen des FG lasse sich dagegen der abstrakte Rechtssatz bilden: Zu Beginn des Haftungszeitraums fällige und im Haftungszeitraum getilgte Umsatzsteuerverbindlichkeiten sind ohne Einbeziehung in die Tilgungsquote (Tilgungen/Gesamtverbindlichkeiten) direkt von der Haftungssumme abzuziehen.

Der vom FG aufgestellte Rechtssatz sei auch für seine Entscheidung kausal. Die übrigen Steuerrückstände in Höhe von 42 613,00 DM (1.4.1 der Haftungsberechnung) setzten sich aus Umsatzsteuer 1995 und 1996 incl. Nebenabgaben und pauschalierter Lohnsteuer (3 637,00 DM) zusammen. Hätte das FG den Betrag in Höhe von 18 674,64 DM im Rahmen der Ermittlung der anteiligen Tilgungsquote berücksichtigt, ergäbe sich eine Haftungssumme in Höhe von 12 255,00 DM. Das FG errechne indes eine Haftungssumme in Höhe von 0,00 DM.

II. Die Beschwerde ist ungeachtet der Zweifel an der hinreichenden Darlegung eines Zulassungsgrundes i.S. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO jedenfalls unbegründet.

1. Der vom FA geltend gemachte Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO, liegt nicht vor. Danach muss die Zulassung der Revision durch den BFH erforderlich sein, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu sichern. Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung setzt u.a. voraus, dass das FG seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt. Es liegt aber gleichwohl kein Zulassungsgrund vor, wenn die abweichend beantwortete Frage nicht rechtserheblich war. Erheblichkeit liegt nur vor, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Abweichung und dem Ergebnis der Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 2007, 60, m.w.N.). Das ist nicht der Fall, wenn für die Entscheidung des FG rechtliche Erwägungen maßgeblich waren, die von den vermeintlich divergierenden Rechtssätzen nicht berührt werden. So liegt es hier.

Entscheidend für die Aufhebung des Haftungsbescheides war für das FG, dass die Haftungssumme für einen aus seiner Sicht falschen Haftungszeitraum, nämlich vom bis zum statt beginnend mit dem 10. Tag nach Ablauf des I. Quartals 1995 berechnet worden ist. Für diesen erweiterten Zeitraum lagen die in die Berechnung einzubeziehenden Zahlen nicht vor. Nach Auffassung des FG konnte der Haftungsbescheid keinen Bestand haben, da die Haftungsschuld für den richtigen Haftungszeitraum aus den vom FA zugrunde gelegten Zahlen nicht errechnet werden konnte. Seine Annahme, dass die vorgenommenen Umbuchungen als Zahlungen auf Steuerrückstände des Jahres 1995 hätten berücksichtigt werden müssen und dann die Haftungssumme 0,00 DM betragen hätte, ergab sich als Folge der Erweiterung des Haftungszeitraums. Auch wenn die Rüge berechtigt wäre, dass sich bei zutreffender Berücksichtigung der umgebuchten Vorsteuererstattungsbeträge im Rahmen der vom FA vorgelegten Berechnung ein Haftungsbetrag von 12 255,00 DM ergeben hätte, würde dies nichts daran ändern, dass die Berechnungsgrundlagen für den vom FG für richtig gehaltenen Haftungszeitraum nicht vollständig vorlagen. Das aber war für das FG ausschlaggebend für die Aufhebung des Haftungsbescheides.

Einwendungen gegen die vom FG vorgenommene Festlegung des Haftungszeitraums sind der Beschwerde nicht zu entnehmen.

2. Auch wenn Zweifel angebracht erscheinen, ob das FG zum einen bei der von ihm —für den vom FA angenommenen Haftungszeitraum— errechneten Haftungsquote die nach dem Senatsurteil in BFHE 216, 487, BFH/NV 2007, 1731 zu berücksichtigenden Positionen zutreffend eingestellt hat und ob es zum Anderen berechtigt war, den Haftungsbescheid aufzuheben anstatt die zutreffende Quote von Amts wegen zu ermitteln, führt dies nicht zur Zulassung des Revision. Fehlerhafte Rechtsanwendung in einem FG-Urteil ist allein kein Revisionsgrund. Allerdings eröffnet § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach der Rechtsprechung des BFH auch dann, wenn das Urteil des FG an einem derart schwerwiegenden Fehler leidet, dass es willkürlich und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar erscheint (, BFH/NV 2008, 733). Anhaltspunkte dafür sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1814 Nr. 11
WAAAC-90719