BGH Beschluss v. - V ZB 130/07

Leitsatz

[1] Nimmt der Gläubiger den Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung während des Verfahrens uneingeschränkt zurück, endet die Beschlagnahme des Grundstücks und der von ihr umfassten Gegenstände nicht schon mit dem Eingang der Rücknahmeerklärung bei dem Vollstreckungsgericht, sondern erst mit dem Aufhebungsbeschluss.

Gesetze: ZVG § 148; ZVG § 161 Abs. 1

Instanzenzug: AG Oldenburg, 10 L 52/05 vom LG Lübeck, 3 T 76/07 vom

Gründe

I.

Mit Beschlüssen vom ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Gläubigerin die Zwangsverwaltung des im Eingang dieses Beschlusses bezeichneten Grundbesitzes der Schuldner (in Gesellschaft bürgerlichen Rechts) an. Die Beteiligte zu 2 wurde zur Zwangsverwalterin bestellt. Sie erhob später eine Klage gegen die frühere Pächterin der Grundstücke, mit der sie die Zahlung rückständiger Pachtzinsen verlangte.

Nach der Veräußerung der Grundstücke nahm die Gläubigerin mit einem am bei dem Amtsgericht eingegangenen Schreiben den Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung zurück. Die Zwangsverwalterin bat - auf Anfrage des Amtsgerichts - darum, ihr die Ermächtigung zur Fortführung des Zivilprozesses zu erteilen, weil dies zum ordnungsgemäßen Abschluss der Zwangsverwaltung erforderlich sei. Das Amtsgericht kam - soweit hier von Inter-esse - dieser Bitte in dem Beschluss, mit dem es das Zwangsverwaltungsverfahren aufgrund der Antragsrücknahme aufhob, mit der Einschränkung nach, dass die Zwangsverwalterin keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ergreifen dürfe.

Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde wollen die Gläubigerin und die Zwangsverwalterin die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde erreichen.

II.

Nach Auffassung des Beschwerdegerichts besteht kein Anlass, die Zwangsverwalterin zur Fortführung des Zivilprozesses zu ermächtigen. Die Gläubigerin habe die Rücknahme des Antrags auf Anordnung der Zwangsverwaltung uneingeschränkt erklärt. Mit dem Eingang dieser Erklärung bei dem Amtsgericht sei die mit der Anordnung der Zwangsverwaltung eingetretene Beschlagnahme der Grundstücke sowie der Miet- und Pachtforderungen entfallen. Damit endeten die Rechte der Gläubigerin an den der Beschlagnahme unterliegenden Gegenständen. Im Übrigen hätten weder die Gläubigerin noch die Zwangsverwalterin dargelegt, dass die Fortführung des Zivilprozesses für den ordnungsgemäßen Abschluss der Zwangsverwaltung erforderlich sei.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und zulässig (§ 575 ZPO). Sie ist auch begründet.

1. Mit Erfolg rügen die Rechtsbeschwerdeführer, dass das Beschwerdegericht die Beschlagnahme - und damit die Prozessführungsbefugnis der Zwangsverwalterin - mit dem Eingang der Erklärung der Gläubigerin, sie nehme den Antrag auf Anordnung der Zwangsverwaltung zurück, bei dem Vollstreckungsgericht als beendet angesehen hat.

a) Der Beschluss, durch welchen die Zwangsverwaltung angeordnet wird, gilt zugunsten des Gläubigers als Beschlagnahme der Grundstücke sowie der Miet- und Pachtforderungen; sie wird mit dem Zeitpunkt wirksam, in welchem der Anordnungsbeschluss dem Schuldner zugestellt wird (§§ 20, 22 Abs. 1, 146 Abs. 1 ZVG; §§ 21 Abs. 2, 148 Abs. 1 ZVG). Durch die Beschlagnahme wird dem Schuldner die Verwaltung und Benutzung des Grundstücks entzogen (§ 148 Abs. 2 ZVG). Die tatsächliche und rechtliche Verfügung über die der Beschlagnahme unterliegenden Gegenstände übt der Zwangsverwalter aus. Dieser wird von dem Gericht bestellt (§ 150 Abs. 1 ZVG). Seine Befugnisse enden grundsätzlich mit der Zustellung des die Zwangsverwaltung aufhebenden Beschlusses; etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gericht den Verwalter nach § 12 Abs. 2 Satz 1 ZwVwV zur Vornahme weiterer Handlungen besonders ermächtigt (BGHZ 155, 38, 43; Senat, Beschl. v. , V ZB 31/07, NZM 2008, 223 f.). Die Ermächtigung kann das Gericht nach Anhörung des Verwalters aussprechen, wenn dies für den ordnungsgemäßen Abschluss des Verfahrens erforderlich ist (§ 12 Abs. 2 Satz 1 ZwVwV).

b) Nicht anders verhält es sich in dem Fall der Aufhebung der Zwangsverwaltung wegen Rücknahme des Anordnungsantrags durch den betreibenden Gläubiger.

aa) Allerdings nimmt die bisher überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur an, dass die uneingeschränkte Rücknahmeerklärung rechtsgestaltend wirkt und die Beschlagnahme des Grundstücks (§§ 20 Abs. 1, 146 Abs. 1 ZVG) mit dem Eingang der Rücknahmeerklärung bei dem Vollstreckungsgericht entfallen lässt, so dass dem Aufhebungsbeschluss nur noch klarstellende Bedeutung zukommt (OLG Köln VersR 1994, 113, 114; LG Heilbronn Rpfleger 1996, 37; AG Bergisch Gladbach Rpfleger 1990, 220; Haarmeyer/Wutzke/Förster/Hintzen, Handbuch zur Zwangsverwaltung, 2. Aufl., Kap. 6 Rdn. 13; Knees, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 5. Aufl., S. 195; Steiner/Hagemann, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 9. Aufl., § 161 Rdn. 27 m.w.N.; Stöber, ZVG, 18. Aufl., § 29 Anm. 2.5 m.w.N.; § 161 Anm. 2.3; Storz, Praxis des Zwangsversteigerungsverfahrens, 10. Aufl., B 3.3.2; Hagemann, Rpfleger 1988, 278 f.). Im jüngeren Schrifttum wird jedoch die Ansicht vertreten, dass auch in dem Fall der uneingeschränkten Antragsrücknahme die Beschlagnahmewirkung erst mit dem Aufhebungsbeschluss endet (Böttcher, ZVG, 4. Aufl., § 161 Rdn. 16; Engels in Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 161 Rdn. 12; Depré/Mayer, Die Praxis der Zwangsverwaltung, 4. Aufl., Rdn. 321; Eickmann, Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsrecht, 2. Aufl., § 42 III 1. b; ders., ZfIR 2003, 1021, 1025; Haarmeyer/Wutzke/Förster/Hintzen, Zwangsverwaltung, 4. Aufl., § 12 ZwVwV Rdn. 4; Hock/Mayer/Hilbert/Deimann, Immobiliarvollstreckung, 4. Aufl., Rdn. 201). Dies hält der Senat für zutreffend.

bb) Nahezu alle Vertreter der zuerst genannten Auffassung begründen ihre Ansicht nicht. Lediglich Stöber (aaO) stützt sich auf die Denkschrift zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung nebst dem Entwurf eines Einführungsgesetzes, nach der die Rücknahme des Anordnungsantrags bereits mit ihrem Eingang bei dem Gericht und nicht erst mit dem Aufhebungsbeschluss wirksam wird, sowie auf die Motive zum Zwangsversteigerungsgesetz, wonach die Beschlagnahme mit der Rücknahme endet. Das ist, worauf Eickmann zu Recht hinweist (aaO), mit dem heutigen Verständnis von der Beschlagnahme nicht vereinbar. Denn sie wird nicht etwa durch den Antrag des Gläubigers auf Anordnung der Zwangsverwaltung, sondern durch hoheitliches Handeln des Vollstreckungsgerichts, das für den Staat als Inhaber der Zwangsgewalt tätig wird (vgl. BVerfGE 61, 126, 136), bewirkt und ist somit öffentlich-rechtlicher Natur. Daraus folgt, dass nur das Vollstreckungsgericht die durch den Anordnungsbeschluss (§§ 20, 146 Abs. 1 ZVG) wirksam gewordene Beschlagnahme wieder beseitigen kann. Dafür bedarf es eines Aufhebungsbeschlusses (§ 32 ZVG), der konstitutiv wirkt. Denn eine hoheitliche Maßnahme kann nicht von einem Privaten aufgehoben werden.

cc) Für diese Sichtweise spricht auch der Vergleich mit der Mobiliarvollstreckung. Sie erfolgt durch Pfändung (§ 803 Satz 1 ZPO), welche die Beschlagnahme (Verstrickung) des gepfändeten Gegenstandes bewirkt und dem Gläubiger ein Pfandrecht gewährt (§ 804 Abs. 1 ZPO). Die Beschlagnahme erfolgt durch Zugriff des Gerichtsvollziehers auf die im Gewahrsam des Schuldners befindlichen körperlichen Sachen (§ 808 Abs. 1 ZPO); dabei wird der Gerichtsvollzieher in Ausübung öffentlicher Gewalt, nämlich für den Staat als Inhaber der Zwangsgewalt tätig (BGHZ 146, 17, 20). Die Beschlagnahme endet erst mit der Aufhebung der Pfändung durch ein Vollstreckungsorgan, nicht schon mit der Freigabeerklärung des Gläubigers (MünchKomm-ZPO/Gruber, 3. Aufl., § 803 Rdn. 45 mit umfangreichen Nachweisen; Musielak/Becker, ZPO, 6. Aufl., § 803 Rdn. 11; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 28. Aufl., § 803 Rdn. 11; Zöller/Stöber, ZPO, 26. Aufl., § 804 Rdn. 13). Es ist kein Grund dafür ersichtlich, bei der Immobiliarvollstreckung, die Teil des Zwangsvollstreckungsrechts der Zivilprozessordnung ist (§ 869 ZPO), die Beschlagnahmewirkungen unabhängig von der Entscheidung des Vollstreckungsgerichts über die Aufhebung des Zwangsverwaltungsverfahrens allein mit dem Eingang der Rücknahmeerklärung des Gläubigers bei dem Vollstreckungsgericht als beendet anzusehen.

dd) Schließlich verlangt der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, dass die Wirkungen der Beschlagnahme erst mit dem Aufhebungsbeschluss des Vollstreckungsgerichts und nicht bereits mit dem Eingang der Rücknahmeerklärung des Gläubigers bei dem Gericht enden. Anderenfalls können Zweifel darüber auftreten, in welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang die Beschlagnahme beendet ist. Denn der Gläubiger hat es in der Hand, seine Rücknahmeerklärung mit der Einschränkung zu versehen, dass einzelne, bestimmt bezeichnete Vermögensrechte bis zu ihrer Durchsetzung weiter beschlagnahmt bleiben sollen (BGHZ 155, 38, 44). Wird diese Einschränkung nicht hinreichend deutlich, bedarf die Rücknahmeerklärung der Auslegung; gegebenenfalls muss das Vollstreckungsgericht den Inhalt der Erklärung ermitteln. Bis zu seiner Entscheidung, die es in dem Aufhebungsbeschluss trifft, besteht eine nicht hinnehmbare Rechtsunsicherheit (Eickmann, ZfIR 2003, 1021, 1025). Es ist deshalb im Interesse der Rechtsklarheit geboten, dem Aufhebungsbeschluss in jedem Fall konstitutive Wirkung zuzusprechen.

2. Die Rechtsbeschwerdeführer rügen auch mit Erfolg, dass das Beschwerdegericht seiner Beurteilung eine uneingeschränkte Rücknahme des Antrags auf Anordnung der Zwangsverwaltung zu Grunde gelegt hat. Zu diesem Ergebnis ist es ausschließlich auf Grund des Wortlauts der Rücknahmeerklärung der Gläubigerin gelangt. Deren Vortrag in der Beschwerdeinstanz zu den Umständen, die zu der Abgabe der Erklärung geführt haben, und zu der Notwendigkeit der Fortführung des Zivilprozesses durch die Zwangsverwalterin hat das Beschwerdegericht nicht berücksichtigt. Dazu war es jedoch verpflichtet. Denn die Beschwerdeinstanz ist eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz (, Rpfleger 2007, 281, 283). Das hat zur Folge, dass die Auslegung der Rücknahmeerklärung der Gläubigerin auch anhand des zweitinstanzlichen Vortrags erfolgen musste. Diese kann der Senat nachholen, weil weitere Feststellungen weder erforderlich noch zu erwarten sind. Das führt dazu, dass die Gläubigerin nur eine eingeschränkte Rücknahme des Anordnungsantrags erklärt hat. Denn es war - auch für das Vollstreckungsgericht - von Anfang an klar, dass sie die Beschlagnahmewirkungen nur teilweise beendet wissen wollte, damit die Zwangsverwalterin die noch laufenden Zivilprozesse fortführen konnte. Dies ergibt sich daraus, dass die Vorgehensweise vor dem Eingang der Rücknahmeerklärung bei dem Vollstreckungsgericht mit diesem abgesprochen worden war und später die Gläubigerin, die Zwangsverwalterin und das Vollstreckungsgericht absprachegemäß gehandelt haben.

3. Schließlich rügen die Rechtsbeschwerdeführer auch mit Erfolg, dass das Beschwerdegericht in einer Hilfsbegründung die Ansicht vertreten hat, weder die Gläubigerin noch die Zwangsverwalterin hätten die Erforderlichkeit der Fortführung des Zivilprozesses für den ordnungsgemäßen Abschluss der Zwangsverwaltung dargelegt. Das Gegenteil ist der Fall.

a) Die Zwangsverwalterin hat bereits in ihrer Antwort auf die Anfrage des Amtsgerichts auf den anhängigen Prozess hingewiesen und um die Ermächtigung zu seiner Fortführung nachgesucht, damit sie die Zwangsverwaltung beenden kann. Der Aufhebung des Zwangsverwaltungsverfahrens ohne die Ermächtigung standen somit erkennbar schützenswerte Interessen der Gläubigerin entgegen. Diese hat das Amtsgericht zu Recht berücksichtigt (vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster/Hintzen, Zwangsverwaltung, 4. Aufl., § 12 ZwVwV Rdn. 13).

b) Die Gläubigerin selbst hat in der Beschwerdeinstanz ausreichende Gründe dafür vorgetragen, weshalb die Fortführung des Zivilprozesses durch die Zwangsverwalterin erforderlich ist. Das hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt.

IV.

Nach alledem erweist sich die Entscheidung des Beschwerdegerichts als rechtlich nicht haltbar; sie ist deshalb aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat selbst zu entscheiden (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO). Das führt zur Zurückweisung der sofortigen Beschwerde.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
DNotZ 2009 S. 43 Nr. 1
NJW 2008 S. 3067 Nr. 42
WM 2008 S. 1882 Nr. 40
ZIP 2009 S. 195 Nr. 4
KAAAC-87908

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja