BGH Beschluss v. - 3 StR 232/08

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4; StGB § 20; StGB § 21; StGB § 66 Abs. 1; StGB § 66 Abs. 3 Satz 2

Instanzenzug: LG Düsseldorf, vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Ausführungen des Landgerichts zur Frage, ob der Angeklagte bei Begehung der Taten im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähig war, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Im Fall II 2 ist bereits die Ablehnung einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB nicht tragfähig begründet.

Nach den Feststellungen versetzte der erheblich angetrunkene Angeklagte am Tattag gegen 21 Uhr seinem Bekannten Q. , den er aus dem Obdachlosenmilieu kannte und der, wie er selbst, erheblich dem Alkohol zusprach, anlässlich eines Besuchs in dessen Wohnung sieben Messerstiche in Brust und Rücken und misshandelte ihn mittels Fußtritten schwer. Das Tatopfer verstarb binnen weniger Minuten an den Folgen der Messerstiche. Einen Anlass für die Tat hat das Landgericht nicht festgestellt (Fall II 1). Anschließend begab sich der Angeklagte in die Wohnung seiner Nachbarn B. und T. , mit denen er zunächst gemeinsam Bier trank. Gegen 22.30 Uhr brachte der Angeklagte der Zeugin B. in Tötungsabsicht unvermittelt zwei lebensgefährliche Messerstiche in Bauch- und Rippenbereich bei und versetzte sodann dem zu Hilfe eilenden T. ebenfalls mit Tötungswillen drei Stiche, bevor dieser flüchten konnte (Fall II 2).

Während das Landgericht bei Begehung der Tat zum Nachteil des Q. davon ausgegangen ist, der Angeklagte sei infolge seiner Alkoholisierung, die zu einem mittelgradigen Rauschzustand geführt habe, nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB erheblich beeinträchtigt gewesen, ist es im Fall II 2 von seiner vollständig erhaltenen Schuldfähigkeit ausgegangen, obwohl sich die Taten zum Nachteil der Geschädigten B. und T. nur eineinhalb Stunden nach dem ersten Tatgeschehen ereigneten. Zur Begründung hat es auf das Leistungsverhalten des Angeklagten beim zweiten Vorfall abgestellt.

Die angeführten "psychodiagnostischen Kriterien" vermögen indes die unterschiedliche Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht zu belegen. Soweit sich das Landgericht maßgeblich darauf gestützt hat, der Angeklagte habe sich, bevor er Frau B. angriff, unauffällig, "völlig normal" verhalten und sei in der Lage gewesen, zwei "gezielte Stiche" gegen die Geschädigte zu führen, unterscheiden sich diese Verhaltensweisen in keiner Weise von denjenigen, die das Landgericht im ersten Tatkomplex festgestellt hat. Diese belegen daher allenfalls, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten (auch) im Fall II 2 nicht völlig ausgeschlossen war; dass die Steuerungsfähigkeit - anders als im ersten Fall - nicht erheblich vermindert gewesen ist, ist aus ihnen unter diesen Umständen nicht herzuleiten.

Hinzu kommt, dass das Landgericht nicht erkennbar bedacht hat, dass der Angeklagte nach der ersten Tat in der Wohnung seiner Nachbarn noch Alkohol konsumierte, sein Alkoholisierungsgrad bei den späteren Taten demnach jedenfalls nicht geringer gewesen sein dürfte als bei dem vorausgegangenen Tatgeschehen.

b) Auch soweit das Landgericht der festgestellten "antisozialen Persönlichkeitsprägung" des Angeklagten für die Schuldfähigkeitsbeurteilung keine Bedeutung beigemessen hat, halten die Ausführungen des Landgerichts rechtlicher Prüfung nicht stand.

Zum einen lässt die Formulierung, die normabweichenden Verhaltensweisen des Angeklagten beruhten nicht auf "krankheitswerten Defiziten" besorgen, dass der Tatrichter von einem falschen Verständnis des Merkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit, dem die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung des Angeklagten allenfalls unterfallen kann, ausgegangen ist. Denn dieses Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB erfasst gerade solche Veränderungen der Persönlichkeit, die nicht pathologisch bedingt sind und kann deshalb auch dann vorliegen, wenn die Persönlichkeitsstörung des Täters nicht als krankhaft zu bezeichnen ist (vgl. BGHSt 34, 22, 24). Der Senat kann daher bereits nicht ausschließen, dass die Beurteilung des Schweregrads der Persönlichkeitsstörung auf diesem unzutreffenden Ansatz beruht (vgl. BGHSt 49, 45 ff.).

Zum anderen hat das Landgericht im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung nicht die sich aufdrängende Frage geprüft, ob die festgestellte Persönlichkeitsstörung, die nach Überzeugung des Landgerichts für sich betrachtet noch keine erhebliche Beeinträchtigung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit herbeiführte, möglicherweise im Zusammenwirken mit der Alkoholisierung des Angeklagten bei den Taten dessen Fähigkeit, sich normgerecht zu verhalten im Vergleich zu einem voll schuldfähigen Menschen in erheblichem Maße einschränkte (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3, 5).

2. Die dargestellten Rechtsfehler im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung führen nicht nur zur Aufhebung der im Fall II 2 verhängten Einzelstrafen, sondern ziehen auch die Aufhebung der Einsatzstrafe für die Tat zum Nachteil des Q. nach sich. Denn es ist nicht auszuschließen, dass deren Höhe durch die im Fall II 2 festgesetzte Strafe beeinflusst ist. Damit können auch die Gesamtstrafe und die nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB angeordnete Sicherungsverwahrung nicht bestehen bleiben. Der Schuldspruch wird hingegen von den Rechtsfehlern nicht berührt, da auszuschließen ist, dass der Angeklagte bei einer der Taten schuldunfähig war.

3. Nicht entscheidungserheblich ist deshalb, dass auch die äußerst knappen und pauschalen Erwägungen zur Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe rechtlich bedenklich sind und die den Ausführungen zur Anordnung der Maßregel vorangestellte Formulierung ("gegen den Angeklagten war nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen") besorgen lässt, dass das Landgericht bei Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB nicht von seinem pflichtgemäßen Ermessen Gebrauch gemacht, sondern sich rechtsirrig für im Sinne des § 66 Abs. 1 StGB gebunden gehalten hat.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NAAAC-87852

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