BVerwG Beschluss v. - 6 PB 17.08

Leitsatz

1. Ob ein ehrenamtlicher Richter vom Zeitpunkt des Vorliegens der unterschriftsreifen Entscheidung aus gesehen auf Dauer oder für eine längere Zeit an der Unterschriftsleistung gehindert ist, ist unabhängig von einem etwa bevorstehenden Ablauf der 5-Monatsfrist des § 92b ArbGG zu beurteilen.

2. Jedenfalls bei einer Verhinderung von nicht mehr als einer Woche kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Unterschrift eines derart verhinderten ehrenamtlichen Richters durch den Vorsitzenden des Fachsenats ersetzt werden kann.

Gesetze: BPersVG § 83; BPersVG § 84; ArbGG § 72b; ArbGG § 91; ArbGG § 92b; ZPO § 315

Instanzenzug: VG Schleswig, VG 18 A 5/06 vom OVG Schleswig, OVG 11 LB 2/07 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist gemäß § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 72b Abs. 2 und 3, § 92b Satz 2 ArbGG zulässig. Sie ist auch begründet. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts ist nicht binnen fünf Monaten nach der Verkündung vollständig abgefasst und mit den Unterschriften sämtlicher Mitglieder des Fachsenats versehen der Geschäftsstelle übergeben worden (§ 92b Satz 1 ArbGG).

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts ist hier im Anhörungstermin vom verkündet worden. Zum Ablauf der 5-Monatsfrist am lag der Geschäftsstelle zwar ein vollständig abgefasster Beschluss vor, der den formalen Anforderungen nach § 84 Satz 2, § 91 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i.V.m. § 313 ZPO entsprach (vgl. dazu - juris Rn. 4 ff.). Doch war der Beschluss bis zu diesem Zeitpunkt entgegen § 91 Abs. 2 Satz 1 ArbGG nicht von allen Mitgliedern des Fachsenats unterschrieben. Zur Unterschriftsleistung waren nicht nur der Vorsitzende, sondern auch alle vier mitwirkenden ehrenamtlichen Richter berufen (§ 84 Abs. 3 BPersVG). Bei mindestens einem von ihnen kann das Unterschriftserfordernis nicht als rechtzeitig erfüllt betrachtet werden.

Allerdings kann die nach §§ 91, 92b ArbGG erforderliche Unterschrift eines an der Entscheidung beteiligten beisitzenden Richters in entsprechender Anwendung von § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO dadurch ersetzt werden, dass der Vorsitzende unter Angabe des Verhinderungsgrundes vermerkt, dass der betreffende Richter verhindert ist, seine Unterschrift beizufügen. Die auf diese Weise ersetzte Unterschrift eines Richters erfüllt das gesetzliche Unterschriftserfordernis (vgl. - AP Nr. 51 zu § 551 ZPO Bl. 478 und Beschluss vom - 4 AZN 1225/06 - juris Rn. 6).

Ein Verhinderungsvermerk ist formell ordnungsgemäß, wenn er die Tatsache der Verhinderung und deren Grund angibt, ohne dass dabei detaillierte Angaben erforderlich sind (vgl. a.a.O. Rn. 7 m.w.N.). Dies ist geschehen. Die auf dem angefochtenen Beschluss angebrachten beiden Vermerke enthalten jeweils die Tatsache der Verhinderung und deren Grund, nämlich die Ortsabwesenheit des ehrenamtlichen Richters S. wegen Urlaubs sowie des ehrenamtlichen Richters A. wegen Dienstreise.

Findet sich in einem formell ordnungsgemäßen Verhinderungsvermerk ein Verhinderungsgrund, der an sich geeignet ist, den Richter von der Unterschriftsleistung abzuhalten, hat das Rechtsbeschwerdegericht regelmäßig nicht nachzuprüfen, ob der Richter tatsächlich verhindert war. Etwas anderes gilt, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls davon ausgegangen werden muss, dass der Rechtsbegriff der Verhinderung verkannt worden ist. Für die Feststellung einer Verhinderung im Rechtssinne ist auf die Gesamtdauer der Verhinderung und nicht etwa auf die Zeit der Verhinderung bis zum Ablauf der 5-Monatsfrist (§ 92b ArbGG) abzustellen. Denn es kommt allgemein darauf an, ob der Richter vom Zeitpunkt des Vorliegens der unterschriftsreifen Entscheidung aus gesehen auf Dauer oder für eine längere Zeit an der Unterschriftsleistung gehindert ist; dies ist unabhängig von einem etwa bevorstehenden Ablauf der 5-Monatsfrist zu beurteilen. Eine kurzfristige Ortsabwesenheit reicht nie, eine längerfristige Ortsabwesenheit stets, und zwar für die gesamten Tage der Abwesenheit, als Hinderungsgrund aus. Hinsichtlich der für die Annahme einer Verhinderung im Sinne von § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO mindestens erforderlichen Abwesenheitsdauer kann man sich an den Beschlussabsetzungsfristen und dem im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren gemäß § 9 Abs. 1 ArbGG geltenden Beschleunigungsgrundsatz orientieren (vgl. a.a.O. Bl. 478 R und Beschluss vom a.a.O. Rn. 9 f.).

Der Beschluss, mit welchem das Oberverwaltungsgericht über die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren entscheidet, ist innerhalb von vier Wochen nach Verkündung vollständig abgefasst der Geschäftsstelle zu übermitteln (§ 60 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1, § 69 Abs. 1 Satz 2, § 91 Abs. 2 Satz 2 ArbGG). Auch mit Blick auf den Beschleunigungsgrundsatz kann jedenfalls bei einer Verhinderung von nicht mehr als einer Woche nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Unterschrift eines derart verhinderten Richters nach § 315 Abs. 1 Satz 2 ZPO ersetzt werden kann.

Hiervon ausgehend war der ehrenamtliche Richter A. in der Zeit vom 28. bis , also in den letzten Tagen der nach § 92b ArbGG maßgeblichen 5-Monatsfrist, nicht an der Unterschriftsleistung verhindert. Ausweislich der vom Senat beigezogenen Originalunterlagen des Oberverwaltungsgerichts lag ein unterschriftsreifer Beschlussentwurf frühestens am Freitag, den vor. An diesem Tage sind allen vier ehrenamtlichen Richtern Beschlussexemplare zur Unterschrift übersandt worden. Am Montag, den hat die Ehefrau des ehrenamtlichen Richters A. mitgeteilt, dass dieser bis auf Dienstreise sei. Die Zeitspanne zwischen der Vorlage eines unterschriftsreifen Beschlussentwurfs durch den Vorsitzenden des Fachsenats und dem Ende der Dienstreise des ehrenamtlichen Richters belief sich daher auf nicht mehr als eine Woche. Diese Zeitspanne reduziert sich, wenn man auf spätere Anfangszeitpunkte abstellt, etwa auf den Zugang des Beschlussentwurfs in der Wohnung des ehrenamtlichen Richters oder auf die Anbringung des Verhinderungsvermerks auf dem angefochtenen Beschluss durch den Vorsitzenden Richter des Fachsenats (). Jedenfalls war der ehrenamtliche Richter A. vom Zeitpunkt der Vorlage des unterschriftsreifen Beschlussentwurfs aus gesehen nur für kurze Zeit ortsabwesend und daher nicht im Rechtssinne an der Unterschriftsleistung gehindert. Der gleichwohl am angebrachte Verhinderungsvermerk des Fachsenatsvorsitzenden war daher rechtsunwirksam. Damit steht fest, dass der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts nicht binnen fünf Monaten nach seiner Verkündung mit den Unterschriften sämtlicher Mitglieder des Fachsenats versehen der Geschäftsstelle übergeben worden ist.

Demnach ist der Beschluss aufzuheben und die Sache zur neuen Anhörung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen; von seinem Ermessen, die Sache an einen anderen Senat des Oberverwaltungsgerichts zurückzuverweisen, macht der Senat keinen Gebrauch (§ 72b Abs. 5, § 92b Satz 2 ArbGG).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW 2008 S. 3450 Nr. 47
HAAAC-87212