Das Vergessen eines ansonsten zuverlässigen Bevollmächtigten ist kein Wiedereinsetzungsgrund; keine Amtsermittlung im Verfahren der Wiedereinsetzung
Gesetze: AO § 110
Instanzenzug: ,F
Gründe
I. Streitpunkt ist, ob der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), die erst nach Ablauf der Einspruchsfristen Einspruch gegen mehrere Steuerbescheide eingelegt hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 der Abgabenordnung (AO) zu gewähren ist.
Die Klägerin, eine GmbH, ist ein .unternehmen. Im Jahr 2004 war beim Finanzgericht (FG) Düsseldorf hinsichtlich der Jahre 1993 bis 1995 eine Klage bezüglich verdeckter Gewinnausschüttungen (vGA) wegen aus Sicht des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) zu niedriger Entgelte für die Überlassung von .daten anhängig. Im Rahmen einer Außenprüfung nahmen die Prüfer aus dem gleichen Grund auch für die Streitjahre des vorliegenden Verfahrens (1996 bis 2000) vGA an. Der von der steuerlichen Beraterin und jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin —der X-AG— mit der Wahrnehmung der Interessen der Klägerin betraute Rechtsanwalt und Steuerberater A behielt sich in der Schlussbesprechung Einwendungen gegen die diesbezüglichen Feststellungen der Prüfer vor.
Dem Prüfungsbericht folgend erließ das FA am geänderte Steuerbescheide betreffend die Streitjahre. Gegen diese hat die Klägerin am —mithin nach Ablauf der in § 355 AO bestimmten Monatsfrist— Einspruch erhoben und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat sie Folgendes vorgebracht: Der bei der X-AG mit der Prüfung von Steuerbescheiden befasste Sachbearbeiter habe A nach Prüfung der streitgegenständlichen Bescheide mitgeteilt, dass diese mit den Ergebnissen der Betriebsprüfung übereinstimmten. A habe sodann die für die Fristenkontrolle zuständige Mitarbeiterin darüber informiert, dass keine Einsprüche einzulegen seien. Dabei habe A, obwohl er das Gerichtsverfahren betreffend die Jahre 1993 bis 1995 für die Klägerin betreut und den Vorbehalt bei der Schlussbesprechung angebracht habe, nicht an die vGA-Problematik gedacht. Dies sei sehr ungewöhnlich gewesen, weil A ansonsten die Details eines Sachverhalts auch in schwierigen Situationen im Blick behalte. A sei seit Anfang Mai 2004 gesundheitlich beeinträchtigt gewesen und habe dennoch wegen termingebundener und rechtlich anspruchsvoller Aufgaben weit mehr als die üblichen acht Stunden gearbeitet.
Das FA hat den Antrag auf Wiedereinsetzung abgelehnt und die Einsprüche als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete Klage hat das ,F teils als unzulässig und teils als unbegründet abgewiesen.
Die Klägerin begehrt die Zulassung der Revision gegen das FG-Urteil und beruft sich zur Begründung auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf einen Verfahrensfehler des FG.
Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist unzulässig, weil die Klägerin entgegen § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 FGO nicht bzw. nicht hinreichend dargetan hat.
1. Im Hinblick auf die Abweisung der den Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 1997 betreffenden Klage als unzulässig fehlt es in der Beschwerdebegründung an jeglicher Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes.
2. Soweit die Klägerin ihr Rechtsmittel in Bezug auf die weiteren Klagegegenstände auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO stützt, hat sie die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes schon mangels der erforderlichen Darlegung der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen in dem angestrebten Revisionsverfahren (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom I B 72/06, juris; Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom II B 37/04, BFH/NV 2005, 1116; vom VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493) nicht schlüssig dargetan.
a) Die Klärungsfähigkeit der von der Klägerin aufgeworfenen Frage, ob ein Berater auch dann schuldhaft handele, wenn er sich auf sein Erinnerungsvermögen verlasse, das ihn bis zum Tag der Fristversäumnis nicht im Stich gelassen habe, ist ihrem Vorbringen nicht zu entnehmen. Die Frage lässt sich nicht allgemeingültig beantworten, weil eine unüberschaubare Vielzahl von unterschiedlichen Situationen denkbar ist, in denen eine gedankliche Fehlleistung eines Beraters zu einer Fristversäumnis führen könnte. Selbst wenn grundsätzlich Situationen denkbar wären, in denen das Vergessen eines Einspruchsgrundes als nicht schuldhaft anzusehen wäre, wäre damit noch nicht gesagt, dass im Streitfall eine solche Situation vorgelegen hat.
Im Übrigen hat das FG nach Dafürhalten des Senats offensichtlich zutreffend entschieden, dass allein das Vergessen der Einspruchsbedürftigkeit durch den Bevollmächtigten zur Glaubhaftmachung des fehlenden Verschuldens an der Fristversäumnis nicht geeignet ist. Es ist dann nämlich naheliegend oder zumindest möglich, dass der Bevollmächtigte sich unter Verstoß gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht schlicht keine hinreichend konkreten und intensiven Gedanken über die Einspruchsbedürftigkeit gemacht hat. Mithin fehlt es auch an der erforderlichen Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage (vgl. Senatsbeschluss vom I B 52/06, BFH/NV 2007, 1646, m.w.N.).
b) Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund die des Weiteren aufgeworfene Rechtsfrage, ob das im Streitfall gegebene Vergessen der Einspruchsbedürftigkeit durch den Bevollmächtigten einem Irrtum über materielles Recht gleichkommt, welcher nach der Rechtsprechung grundsätzlich nicht unverschuldet i.S. von § 110 Abs. 1 AO sein kann (vgl. etwa , BFHE 214, 145, BStBl II 2006, 833, m.w.N.), im Streitfall klärungsfähig sein soll. Das FG hat das Verschulden des A nicht abstrakt aus einer Gleichsetzung des Vergessens der Einspruchsbedürftigkeit mit einem Irrtum über materielles Recht abgeleitet. Vielmehr hat es eine konkrete Verschuldensprüfung vorgenommen und eine Sorgfaltspflichtverletzung des A darin gesehen, dass dieser die Einspruchsbedürftigkeit nicht hinreichend geprüft habe.
c) Ebenso wenig erschließt sich, warum klärungsfähig sein soll, ob eine Erkrankung geeignet sein kann, einen Irrtum über die Einspruchsbedürftigkeit zu entschuldigen. Das FG hat eine solche Entschuldigungsmöglichkeit grundsätzlich bejaht, die Entschuldigung indes auf Tatsachenebene nicht als ausreichend erachtet, weil die Klägerin die behauptete Erkrankung des A nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat.
3. Nicht hinreichend dargelegt hat die Klägerin auch den behaupteten Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) der unzureichenden Sachaufklärung im Hinblick auf die behauptete Erkrankung des A. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Rechtsgrund in diesem Punkt eine Sachaufklärungspflicht des FG bestanden haben soll. Die tatsächlichen Voraussetzungen des fehlenden Verschuldens an der Fristversäumnis sind gemäß § 110 Abs. 2 Satz 2 AO vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Für Amtsermittlungen ist in diesem Verfahren grundsätzlich kein Raum (Senatsbeschluss vom I B 108/03, juris; , III R 210-211/84, BFH/NV 1989, 370; Stöcker in Beermann/Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Rz 33.1; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Rz 47).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1290 Nr. 8
PAAAC-81872