Leitsatz
Will ein Verfügungsberechtigter erstmals im gerichtlichen Verfahren die zugunsten eines Restitutionsantragstellers getroffene Berechtigtenfeststellung angreifen, darf er sich nicht auf entsprechenden Vortrag beschränken, sondern muss einen Sachantrag stellen.
Instanzenzug: VG Dresden, VG 1 A 945/02 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein
Gründe
I
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Erlösauskehr für ein ehemals in ihrem Eigentum stehendes Grundstück geltend. Die Beklagte stellte fest, dass die Klägerin Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes ist, lehnte den Antrag auf Erlösauskehr aber ab, weil ein Rückübertragungsanspruch ausgeschlossen sei. Die von der Klägerin mit dem Ziel der Erlösauskehr erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit der Begründung ab, das streitgegenständliche Flurstück habe schon keiner Maßnahme im Sinne des § 1 VermG unterlegen. Das Gericht sei gehalten, auch diese Frage zu prüfen, weil zwar grundsätzlich die Berechtigtenfeststellung in einem Bescheid als selbstständige Teilentscheidung in Bestandskraft erwachsen könne. Hier sei sie aber von der Beigeladenen erstmals im Klageverfahren in zulässiger Weise in Frage gestellt worden. Damit sei sie von der Beigeladenen zum Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung gemacht worden.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichts rügt die Klägerin einen Verfahrensfehler gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil das Verwaltungsgericht entgegen dem Gebot des § 88 VwGO über das Klagebegehren hinausgegangen sei. Die Feststellung der Berechtigung der Klägerin sei nicht zur Überprüfung des Verwaltungsgerichtes gestellt gewesen, es habe diese Frage deshalb auch nicht prüfen dürfen. Dass die Beigeladene gerügt habe, dass ein Schädigungstatbestand nicht gegeben sei, ändere daran nichts, denn sie habe keinen Sachantrag gestellt. Im Übrigen dürften gemäß § 66 Satz 2 VwGO nur notwendig Beigeladene abweichende Sachanträge stellen. Es liege aber kein Fall der notwendigen Beiladung vor.
II
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Es liegt ein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hätte ohne einen entsprechenden Sachantrag der Beigeladenen nicht prüfen dürfen, ob eine schädigende Maßnahme im Sinne des § 1 VermG vorgelegen hat.
Gemäß § 88 VwGO ist das Gericht zwar nicht an die Fassung der Anträge gebunden, es darf aber nicht über das Klagebegehren hinausgehen. Das Klagebegehren ergibt sich nicht nur aus dem Klageantrag, sondern ist anhand des im gesamten Parteivorbringen zum Ausdruck kommenden Rechtsschutzziels zu ermitteln (vgl. BVerwG 2 C 30.78 - BVerwGE 60, 144 <149> = Buchholz 232 § 26 BBG Nr. 20).
Die Klägerin hat den Bescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen nur insoweit angegriffen, als er sie beschwert, also nur, soweit die Auskehr des Erlöses wegen eines Ausschlusstatbestandes verweigert wurde, so dass die im Bescheid gleichzeitig enthaltene Feststellung der vermögensrechtlichen Berechtigung nicht Gegenstand des Rechtsbehelfs und damit zunächst auch nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war (zur Selbstständigkeit solcher Teilentscheidungen vgl. BVerwG 7 C 32.97 - BVerwGE 106, 310 <312> = Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 9 m.w.N., vom - BVerwG 7 C 39.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 159, vom - BVerwG 7 C 35.97 - ZfB 1999, S. 23 und vom - BVerwG 8 C 4.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 17 m.w.N.). Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht in der Prüfung der Berechtigung von Klägern durch das Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen das in § 88 VwGO bestimmte Gebot gesehen, über das Klagebegehren nicht hinauszugehen (Urteil vom a.a.O. S. 313). Ein im Sinne des § 65 Abs. 2 VwGO notwendig beigeladener Dritter kann aber die behördliche Feststellung der Berechtigung im Rahmen einer vom Berechtigten erhobenen, auf Rückübertragung gerichteten Klage angreifen und sie damit zum Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung machen (stRspr, vgl. Urteil vom a.a.O. m.w.N.). Diese einem Anschlussrechtsmittel vergleichbare Befugnis des Beigeladenen (vgl. § 66 Satz 2 VwGO) besteht auch dann, wenn der Angriff auf die Berechtigtenfeststellung noch nicht im Widerspruchsverfahren, sondern erstmals im gerichtlichen Verfahren erfolgt. Nur in dieser Weise kann der verfassungsrechtlich gebotene Rechtsschutz des Dritten in den Fällen gewahrt werden, in denen ihn die behördlichen Teilentscheidungen der Ausgangs- und/oder Widerspruchsbehörde über die Berechtigung des Anmelders wegen der Verweigerung der Restitution im Ergebnis zunächst nicht belasten. Solange der Dritte aufgrund eines von der Behörde angenommenen Ausschlussgrundes die Rückgabe des umstrittenen Vermögenswerts nicht zu befürchten hat, darf er sich nicht nur auf die Verteidigung des angegriffenen Bescheides beschränken, er ist sogar mangels Beschwer gehindert, die den Anmelder begünstigende Berechtigtenfeststellung anzugreifen (stRspr, vgl. Urteil vom a.a.O.).
Verfolgt wie hier der Anmelder in einem derartigen Fall sein Restitutionsbegehren vor Gericht weiter, muss dem Drittbetroffenen die Möglichkeit eingeräumt werden, in umfassender Weise sämtliche in Betracht kommenden Einwendungen gegen den beim Erfolg der Klage zu erwartenden Rechtsverlust zu erheben. Der klagende Anmelder muss aber erst dann gewärtig sein, die bis dahin sicher geglaubte Rechtsposition der Berechtigtenfeststellung verlieren zu können, wenn der Drittbetroffene sie in Form eines zulässigen Angriffs hinreichend deutlich in Frage stellt (Urteil vom a.a.O.). Daran fehlt es hier, so dass das Verwaltungsgericht gehindert war, die Berechtigtenfeststellung der Klägerin zu überprüfen.
Allein das schriftsätzliche Vorbringen der Beigeladenen, mit dem sie das Vorliegen eines Schädigungstatbestandes verneinte, reicht als "zulässiger Angriff" im Sinne dieser Rechtsprechung nicht aus. Sie hätte, um die Rechtsposition der Klägerin in Frage zu stellen, einen eigenen Sachantrag stellen müssen.
Zwar ist die prozessuale Position eines Beigeladenen in der Verwaltungsgerichtsordnung grundsätzlich so ausgestaltet, dass er einen Antrag stellen kann, aber keinen Antrag stellen muss (vgl. § 66 VwGO). Dieser prozessualen Stellung liegt der Gedanke zu Grunde, dass sich der Beigeladene im Rahmen des vom Kläger vorgegebenen (§ 88 VwGO) Streitgegenstandes hält. Abweichende Sachanträge darf gemäß § 66 Satz 2 VwGO nur der notwendig Beigeladene stellen. Der Konstellation des abweichenden Sachantrages vergleichbar ist aber die Besonderheit im Bereich der Rückerstattungsverfahren nach dem Vermögensgesetz, dass selbstständige, der Bestandskraft fähige Teilentscheidungen zur Frage des Vorliegens eines Schädigungstatbestandes, d.h. zur Feststellung der Berechtigung eines Anmelders, möglich sind, die nachträglich von dem Beigeladenen zur Überprüfung gestellt werden können. Wird in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren diese behördliche Teilentscheidung erstmals angegriffen, so führt das dazu, dass der Beigeladene den vom Kläger vorgegebenen Streitgegenstand um die Frage der Berechtigtenfeststellung erweitern kann. Damit gehen die prozessualen Möglichkeiten des Beigeladenen über seine normale Stellung im Verfahren deutlich hinaus. Es ist deshalb erforderlich, dass dieser Angriff des Beigeladenen gegen eine vom Kläger bis dahin als sicher geglaubte Rechtsposition hinreichend deutlich wird. Das ist nur möglich, wenn der Beigeladene einen Sachantrag stellt und diesen mit dem entsprechenden Sachverhalt begründet. Nur dann handelt es sich um einen "zulässigen Angriff" im Sinne der Rechtsprechung. Dass der Beigeladene damit gemäß § 154 Abs. 3 VwGO auch ein Kostenrisiko eingehen muss, findet seine Rechtfertigung in der Geltendmachung seines Sachbegehrens.
Da die Beigeladene im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keinen Sachantrag gestellt hatte, war das Gericht an das von der Klägerin bestimmte Klagebegehren gebunden (§ 88 VwGO). Es hätte deshalb das Vorliegen eines Schädigungstatbestandes im Sinne des § 1 VermG nicht prüfen dürfen. Auf diesem Verfahrensfehler kann die Entscheidung auch beruhen, weil das Gericht Feststellungen zum Vorliegen eines Restitutionsausschlussgrundes nicht mehr getroffen hat. Allein diese waren aber Streitgegenstand.
Wenn die Beigeladene in dem zurückverwiesenen Verfahren einen Klageabweisungsantrag stellen sollte, der (auch) auf das Fehlen einer vermögensrechtlichen Berechtigung gestützt ist, wird das Verwaltungsgericht zu prüfen haben, ob es sich um einen Fall der notwendigen Beiladung handelt. Denn nur der notwendig Beigeladene kann gemäß § 66 Satz 2 VwGO Sachanträge stellen, die von den Anträgen der übrigen Beteiligten abweichen, nach denen (bisher) die Berechtigtenfeststellung nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist. In seinem Beschluss vom hat das Verwaltungsgericht die Beiladung lediglich damit begründet, dass "die rechtlichen Interessen der Beigeladenen durch die Entscheidung berührt werden (§ 65 Abs. 1 und 2 VwGO)".
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 4 GKG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
WAAAC-81780