BFH Beschluss v. - X B 231/07

Ordnungsgemäße Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Entgegen der von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) vertretenen Auffassung erfordert die Fortbildung des Rechts i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) keine Entscheidung des Bundesfinanzhofs —BFH— (vgl. unten 1.). Die von der Klägerin geltend gemachte Divergenz des Urteils des Finanzgerichts (FG) von verschiedenen Entscheidungen des BFH liegt nicht vor (vgl. unten 2.). Dem FG ist auch kein Verfahrensfehler unterlaufen (vgl. unten 3.).

1. Macht der Beschwerdeführer geltend, dass die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des BFH gebiete (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO), so muss er zunächst —ebenso wie bei einer auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) gestützten Nichtzulassungsbeschwerde— eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen. Des Weiteren muss er substantiiert darauf eingehen, weshalb die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Zur schlüssigen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage muss er außerdem begründen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und streitig ist. Dazu gehört auch, dass sich der Beschwerdeführer mit der zu dieser Rechtsfrage bereits vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinandersetzt und substantiiert darlegt, weshalb nach seiner Ansicht diese Rechtsprechung keine Klärung herbeigeführt habe (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 38 i.V.m. Rz 32, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Handelt es sich bei der zu beurteilenden Rechtsfrage um ausgelaufenes Recht, muss der Beschwerdeführer überdies darlegen, dass sich die Frage für einen nicht überschaubaren Personenkreis auch in Zukunft weiterhin stellen kann (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 33 a.E., m.w.N.).

Diesen Erfordernissen genügt die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht. Zur Begründung ihrer Beschwerde hat sie im Wesentlichen vorgetragen, dass in der Entscheidung des FG offengeblieben sei, wann eine wesentliche Erweiterung einer Apotheke vorläge und in diesem Zusammenhang Kritik an dem (BStBl II 2007, 957) geübt, das die unterschiedlichen Zielrichtungen von § 269 des Handelsgesetzbuchs und des § 7g des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht beachtet habe. Ungeklärt sei auch, ob und wann die Erweiterung des Absatzmarktes eines Betriebs im Zeitraum der Existenzgründung i.S. des § 7g Abs. 7 EStG ohne eine damit zusammenhängende Erweiterung der angebotenen Produktpalette eine wesentliche Erweiterung im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung darstelle. Zudem liege keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage vor, ob der Hinzurechnungsbetrag nach § 4 Abs. 4a EStG den Gewinn und damit das Entnahmevolumen erhöhe. Der durch das Steueränderungsgesetz 2001 in § 4 Abs. 4a EStG eingefügten Regelung, wonach bei der Ermittlung der Überentnahme vom Gewinn ohne Berücksichtigung der nach Maßgabe dieses Absatzes nicht abziehbaren Schuldzinsen auszugehen sei, komme zwar nach der Vorstellung des Gesetzgebers (BTDrucks 14/6788, S. 24 f.) lediglich klarstellende Wirkung zu. Diese Interpretation sei indessen nicht zwingend.

Zu Recht weist der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) darauf hin, dass die Frage, ob eine Erweiterung des Absatzmarktes (Kapazitätserweiterung) eine wesentliche Erweiterung des Betriebs darstellt, durch die Rechtsprechung bereits geklärt ist (vgl. z.B. Senatsentscheidungen vom X R 51/00, BFHE 200, 343, BStBl II 2004, 184; vom X R 38/02, BFH/NV 2005, 846, und vom X B 51/07, BFH/NV 2007, 2284). Eine ins Auge gefasste beträchtliche Expansion des Betriebs setzt —wie auch der Streitfall zeigt— neben anderen Maßnahmen sächliche Investitionen (auch betreffend wesentlicher Betriebsgrundlagen) in einer Größenordnung voraus, die denen bei der Neugründung von Betrieben durchaus vergleichbar sind oder zumindest nahe kommen. Darüber hinaus hat die Klägerin auch nicht aufzeigen können, weshalb die Frage, ob der Hinzurechnungsbetrag gemäß § 4 Abs. 4a EStG den Gewinn und damit das Entnahmepotential erhöht, —obwohl ausgelaufenes Recht— auch noch in Zukunft für eine nicht überschaubare Zahl von Bedeutung sein kann.

2. Eine Entscheidung des BFH ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).

a) Die Zulassung der Revision wegen des Erfordernisses einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist insbesondere dann geboten, wenn das angefochtene Urteil des FG in seinen tragenden Gründen von einer Entscheidung des BFH oder eines anderen Gerichts abweicht (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 41). Zur schlüssigen Darlegung einer solchen Abweichungsrüge muss der Beschwerdeführer u.a. tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus den behaupteten (genau —mit Datum sowie Aktenzeichen und/oder Fundstelle— bezeichneten) Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (vgl. z.B. , BFH/NV 2002, 1484; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 42, m.w.N.).

b) Es kann dahinstehen, ob es der Klägerin gelungen ist, bestimmte abstrakte und tragende Rechtssätze aus den von ihr erwähnten BFH-Entscheidungen herauszuarbeiten, die von dem von ihr herausgestellten Rechtssatz des angefochtenen FG-Urteils abweichen sollen. Die von ihr gerügten Abweichungen liegen jedenfalls nicht vor. Vielmehr hat das FG —anders als in der Beschwerdebegründungsschrift ausgeführt— ausdrücklich offen gelassen, ob bei der geplanten Anschaffung von Wirtschaftsgütern die Bezeichnung mit einem Sammelbegriff genügt und ob eine detaillierte Bezeichnung der geplanten einzelnen Investitionsvorhaben in einer Anlage oder in den Erläuterungen zum Jahresabschluss ausreicht. Das FG hat vielmehr darauf abgestellt, dass solche Erläuterungen nicht dem Jahresabschluss beigelegt waren.

3. Die Klägerin rügt weiter, das FG-Urteil beruhe auf einem Verfahrensmangel. Das Gericht gehe in seiner Urteilsbegründung davon aus, dass die von der Klägerin geplante Anschaffung einer Kleinkomponenten-Kommissionierungsanlage zu einer wesentlichen Erweiterung des Betriebs führen würde und eine Ansparrücklage nach § 7g EStG deshalb nur hätte gebildet werden dürfen, wenn diese Anlage verbindlich bestellt worden wäre. Dieser die Entscheidung tragende Gesichtspunkt sei weder im Schriftwechsel noch in der mündlichen Verhandlung erörtert oder überhaupt erwähnt worden. Der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör sei damit verletzt.

Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes sowie gegen § 96 Abs. 2 FGO liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf Tatsachen stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Dies ist dann der Fall, wenn das FG eine Überraschungsentscheidung trifft. Eine solche ist gegeben, wenn das FG seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht hat rechnen müssen (, BFH/NV 2007, 262).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Auch wenn die Frage der Kapazitätserweiterung zwischen den Beteiligten zu keiner Zeit in Frage gestanden haben sollte, hätte die —auch im finanzgerichtlichen Verfahren durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten vertretene— Klägerin damit rechnen müssen, dass sich das FG nicht nur wegen der Höhe der geplanten Investitionen, sondern auch wegen des Umstands, dass sie eine elektronisch gesteuerte Kommissionierungsanlage für den geplanten Internethandel anschaffen wollte, mit der Frage einer Kapazitätserweiterung befassen wird. Zudem ist die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs nur dann ordnungsgemäß vorgebracht, wenn der Beschwerdeführer darlegt, was er vorgetragen hätte, wenn sein Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt worden wäre und dass bei Berücksichtigung dieses zusätzlichen Vortrags eine andere Entscheidung des FG in der Sache möglich gewesen wäre (Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 14, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Auch daran hat es die Klägerin fehlen lassen.

Fundstelle(n):
RAAAC-81397