BFH Beschluss v. - VI B 126/07

Entgeltliche Einräumung einer Rechtsposition ist nicht Voraussetzung einer doppelten Haushaltsführung; Anspruch der Verfahrensbeteiligten, dass das Gericht sie in rechtlicher Hinsicht auf entscheidungserhebliche Erwägungen hinweist

Gesetze: EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5, FGO § 76, FGO § 96, FGO § 115

Instanzenzug:

Gründe

I. Der ledige Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) studierte im Streitjahr 2004 als Angehöriger der Bundeswehr an der Bundeswehrhochschule in X. Der geldwerte Vorteil der unentgeltlichen Unterbringung in der Kaserne belief sich auf monatlich 162,94 €. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger Unterkunftskosten (1 956 €) (162,94 € x 12) und Aufwendungen für 28 Familienheimfahrten nach A (5 065,20 €) als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Streitjahres geltend. Nach seinen Angaben nutzte er in A eine im Haus seiner Mutter gelegene Dachgeschosswohnung zu eigenen Wohnzwecken.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) ließ lediglich die Fahrtkosten zum Abzug zu. Die Klage blieb ohne Erfolg.

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, dass die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.

Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG). Dieses hat dem Kläger nicht in ausreichender Form rechtliches Gehör gewährt.

1. Nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes hat vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Hieraus folgt für das finanzgerichtliche Verfahren zum einen, dass das FG sein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen darf, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (§ 96 Abs. 2 FGO). Darüber hinaus haben die Verfahrensbeteiligten Anspruch darauf, dass das Gericht sie auch in rechtlicher Hinsicht auf entscheidungserhebliche Erwägungen und Gesichtspunkte hinweist, mit denen sie erkennbar nicht gerechnet haben und auch nicht rechnen mussten (, BFH/NV 2006, 795, m.w.N.).

2. Das FG hat angenommen, dass sich der Lebensmittelpunkt des Klägers im Streitjahr nicht (mehr) in A befand. Mit dieser Würdigung des FG konnte der Kläger nicht rechnen. Nach Aktenlage gingen nämlich die Beteiligten einvernehmlich vom Gegenteil aus. Das ergibt sich für das FA schon daraus, dass es die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 6 EStG als gegeben erachtete. Außerdem heißt es in der Einspruchsentscheidung, dass der Kläger am Lebensmittelpunkt in A im Haus seiner Mutter über eine eigene Wohnung verfügt. Auch im Klageverfahren hat das FA die Ansicht nicht in Frage gestellt. Der Kläger hat in der Klagebegründung seinerseits ausgeführt, es sei „unstrittig”, dass A der Lebensmittelpunkt sei.

Wie die Einspruchsentscheidung und die im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze verdeutlichen, war vielmehr allein streitig, ob der Kläger im Haus seiner Mutter einen eigenen Hausstand führte bzw. unterhielt. Nach Auffassung des FA war dies zu verneinen, weil der Kläger die Wohnung im Wesentlichen unentgeltlich nutzen durfte. Der Kläger vertrat demgegenüber die Ansicht, dass die Frage der Entgeltlichkeit der Nutzung nicht entscheidungserheblich sei. Im Hinblick auf das seinerzeit beim Senat anhängige Verfahren VI R 60/05 beantragte er deshalb das Ruhen des streitigen Verfahrens. Mit diesem Antrag hat sich das FG, soweit ersichtlich, nicht ausdrücklich auseinandergesetzt. Vielmehr hat es nach Bekanntwerden des (BStBl II 2007, 890) gemäß § 90 Abs. 2 FGO entschieden, ohne den Sachverhalt weiter aufzuklären und den Beteiligten rechtliche Hinweise zu geben.

Bei dieser Ausgangslage durfte das FG den bis dahin nicht umstrittenen Gesichtspunkt „Lebensmittelpunkt” nur dann zur Grundlage seiner Entscheidung machen, nachdem es dem Kläger auf einen entsprechenden Hinweis Gelegenheit zur Äußerung gegeben hatte. Dies ist jedoch nicht geschehen. Der Kläger musste deshalb von der erstmals in den Entscheidungsgründen niedergelegten Rechtsauffassung des FG überrascht sein.

3. Auch soweit das FG angenommen hat, dass der Kläger einen Haushalt nicht selbst führte (vgl. 3.a. der Entscheidungsgründe) und auch über keinen „eigenen” Hausstand verfügte (vgl. 3.c. der Entscheidungsgründe), war dies für den Kläger nicht erkennbar. Denn auch diese Gesichtspunkte hatten bis zur Entscheidung weder im außergerichtlichen Vorverfahren noch im Klageverfahren eine nennenswerte Rolle gespielt. Nach Aktenlage gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Kläger in den Haushalt seiner Mutter eingegliedert war. Es war auch nicht ausdrücklich im Streit, dass der Kläger die ihm überlassene Wohnung aufgrund einer mit seiner Mutter getroffenen Absprache dauerhaft zu eigenen Wohnzwecken nutzen konnte. Soweit das FA in der Einspruchsentscheidung ausgeführt hat, mangels mietvertraglicher Regelung handele es sich nicht um eine Nutzung aufgrund eigenen Rechts, ist diese Auffassung zum einen rechtsirrig. Zum anderen hat das FA damit die Überlassung der Wohnung zur dauerhaften Nutzung in anderer Form nicht in Abrede gestellt.

Nachdem der BFH während des Klageverfahrens entschieden hatte, dass die entgeltliche Einräumung einer Rechtsposition nicht Voraussetzung einer doppelten Haushaltsführung ist (vgl. Urteil in BStBl II 2007, 890), konnte der Kläger aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs mangels eines gegenteiligen Hinweises davon ausgehen, dass das FG diesen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung machte. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs hätte das FG den Kläger darauf hinweisen müssen, dass weitere, bis dahin nicht angesprochene und aufklärungsbedürftige (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) Gesichtspunkte entscheidungserheblich sein könnten. Ein solcher Hinweis ist jedoch unterblieben.

4. Im Ergebnis hat das FG eine Überraschungsentscheidung getroffen, worin ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt. Auf diesem Fehler beruht das angefochtene Urteil. Das folgt aus § 119 Nr. 3 FGO. Der Senat hält es für angezeigt, die Streitsache an den Vollsenat zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1154 Nr. 7
AAAAC-80276