BGH Urteil v. - I ZR 174/04

Leitsatz

[1] Allein aufgrund des Umstands, dass ein Transportfahrzeug mit besonderen technischen Verladevorrichtungen einschließlich einer Hebebühne zum Einsatz kommt und die Parteien des Beförderungsvertrags keine Bedienung der Verladevorrichtung durch den Absender vereinbart haben, kann nicht angenommen werden, dass die beförderungssichere Verladung des Transportguts abweichend von § 412 Abs. 1 Satz 1 HGB dem Frachtführer obliegt.

Der Frachtführer kann aber dann zur beförderungssicheren Verladung des Gutes verpflichtet sein, wenn er im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen die Verladetätigkeit übernommen hatte, so dass der Absender nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Frachtführer werde auch weiterhin so verfahren.

Gesetze: HGB § 412 Abs. 1 Satz 1

Instanzenzug: LG Darmstadt, 14 O 475/01 vom OLG Frankfurt, 22 U 95/02 vom

Tatbestand

Die Klägerin ist Transportversicherer der DV GmbH in M. (im Weiteren: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin wegen Beschädigung von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Beklagte am mit dem Transport von Computerhardware von ihrem Sitz in L. nach H. . Beim Verladen des Gutes stürzte ein Festplattenturm von der Hebebühne des Transportfahrzeugs auf die Straße und wurde beschädigt.

Die Klägerin hat vorgetragen, es habe zwischen ihrer Versicherungsnehmerin und der Beklagten eine Vereinbarung bestanden, dass das zu befördernde Gut von dem Verlader "ab Rampe" bereitgestellt werde. Es sei dann Sache des Fahrers der Beklagten gewesen, das Transportgut sachgerecht auf das Fahrzeug zu verbringen und dort beförderungssicher zu stauen. Auf diese Weise seien die der Beklagten erteilten Transportaufträge bis zu dem hier in Rede stehenden Auftrag auch stets abgewickelt worden. Die Beschädigung des Gutes sei daher in der Obhut der Beklagten beim Beladen des Transportfahrzeugs entstanden. Eine Beladepflicht der Beklagten ergebe sich im Übrigen auch aus dem Umstand, dass sie für den Transport ein Spezialfahrzeug eingesetzt habe, das wegen seiner Ausstattung mit einer Hebebühne in besonderem Maße für den Transport von hochempfindlicher Computerhardware geeignet gewesen sei.

Die Klägerin hat behauptet, der an dem Festplattenturm entstandene Schaden belaufe sich einschließlich der für die Schadensfeststellung aufgewandten Kosten auf 189.380,84 DM. Diesen Betrag habe sie abzüglich eines Selbstbehalts in Höhe von 250 DM an ihre Versicherungsnehmerin ausgezahlt.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 96.701,06 € (= 189.130,84 DM) nebst Zinsen zu zahlen.

Nach Darstellung der Beklagten hat sie sich nicht verpflichtet, das Beladen des LKW zu übernehmen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den unstreitigen Umständen des Falles. Der Schaden sei von einem Mitarbeiter der Versicherungsnehmerin verursacht worden, der den Computerschrank auf die herabgelassene Hebebühne des LKW gerollt und dort ungesichert abgestellt habe mit der Folge, dass der Schrank von der Hebebühne heruntergerollt und auf den Hof gestürzt sei. Die Beklagte hat ferner die Höhe des behaupteten Schadens bestritten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Gründe

I. Das Berufungsgericht hat - in Übereinstimmung mit dem Landgericht - eine Haftung der Beklagten für den in Rede stehenden Schaden verneint, weil dieser nicht während der Obhutszeit der Beklagten eingetreten sei. Dazu hat es ausgeführt:

Die Verpflichtung zur Verladung des Transportgutes obliege gemäß § 412 Abs. 1 Satz 1 HGB grundsätzlich dem Absender der Ware. Den Frachtführer treffe eine Beladungspflicht nur dann, wenn dies zwischen den Parteien des Beförderungsvertrags ausdrücklich oder konkludent vereinbart sei oder sich aus den besonderen Umständen des konkreten Einzelfalls ergebe. Eine ausdrückliche Vereinbarung habe die Klägerin selbst nicht vorgetragen. Von einer konkludent zustande gekommenen Vereinbarung zwischen der Beklagten und der Versicherungsnehmerin könne ebenfalls nicht ausgegangen werden, weil die Klägerin hierzu keinerlei Tatsachen vorgetragen habe. Ebenso wenig könne eine Beladungspflicht der Beklagten aus den Umständen des vorliegenden Falls hergeleitet werden. Der Umstand, dass das Transportfahrzeug mit einer Hebebühne ausgerüstet gewesen sei, reiche dafür nicht aus. An dieser Beurteilung ändere sich auch dann nichts, wenn die Behauptung der Klägerin zutreffe, die Hebebühne sei von dem Fahrer der Unterfrachtführerin bedient worden. Eine solche Tätigkeit stelle lediglich eine bloße Gefälligkeit dar.

Eine Verpflichtung der Beklagten zum Beladen des bereitgestellten Transportfahrzeugs könne schließlich auch nicht auf eine zwischen der Beklagten bzw. ihrem Unterfrachtführer und der Versicherungsnehmerin wiederholt praktizierte Art und Weise der Verladung gestützt werden. Die Klägerin habe zwar behauptet, die Abwicklung der Transportaufträge sei stets in der Weise gehandhabt worden, dass die Absenderin die Ware an einem dafür bestimmten Ort abgestellt und der jeweilige Fahrer sie sodann auf das Transportfahrzeug verbracht und dort verstaut habe. Für diesen von der Beklagten bestrittenen Vortrag habe die Klägerin jedoch keinen Beweis angetreten. Ihr Beweisangebot auf Seite 3 der Klageschrift beziehe sich ganz offensichtlich nicht auf die von ihr behaupteten Verlademodalitäten. Gleiches gelte für den in der Berufungsbegründung auf Seite 4 enthaltenen Beweisantritt.

II. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, da das Berufungsgericht einem erheblichen Beweisantrag der Klägerin rechtsfehlerhaft nicht nachgegangen ist.

1. Das Berufungsgericht ist im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass die beförderungssichere Verladung des Transportgutes gemäß § 412 Abs. 1 Satz 1 HGB grundsätzlich dem Warenversender obliegt, sofern sich aus den Umständen oder der Verkehrssitte nicht etwas anderes ergibt. Richtig ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass es sich bei § 412 Abs. 1 Satz 1 HGB um eine dispositive Norm handelt, von der durch ausdrückliche oder konkludente Parteivereinbarung abgewichen werden kann (vgl. nur Koller, Transportrecht, 6. Aufl., § 412 HGB Rdn. 7).

2. Die Revision wendet sich erfolglos dagegen, dass das Berufungsgericht aus den unstreitigen Umständen des Streitfalls nicht auf einen Übergang der Beladungspflicht von der Versicherungsnehmerin auf die Beklagte geschlossen hat.

Das Berufungsgericht hat angenommen, der Einsatz eines mit einer Hebebühne ausgerüsteten Transportfahrzeugs rechtfertige für sich allein nicht den Schluss auf eine Verlagerung der Beladungsverpflichtung vom Warenversender auf den Frachtführer, da die Bedienung einer solchen Einrichtung keinerlei konkrete Vorkenntnisse erfordere und von jedermann per Knopfdruck vorgenommen werden könne. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand. Entgegen der Auffassung der Revision kann nicht allein aufgrund des Umstands, dass im Streitfall ein Transportfahrzeug mit besonderen technischen Verladevorrichtungen einschließlich einer Hebebühne zum Einsatz gekommen ist und die Parteien keine Bedienung der Verladevorrichtung durch den Absender vereinbart haben, angenommen werden, die beförderungssichere Verladung des Transportguts habe der Beklagten oblegen.

Wie die vertraglichen Pflichten verteilt sind, ergibt sich - vorbehaltlich einer späteren (einvernehmlichen) Änderung - zunächst grundsätzlich aus den von den Parteien bei Abschluss des Frachtvertrages getroffenen Abreden. Zu den "Umständen" i.S. des § 412 Abs. 1 Satz 1 HGB zählen daher in erster Linie solche Gegebenheiten, die bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgelegen haben. Dementsprechend kommt es im Streitfall darauf an, ob nach der Vorstellung der Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses besondere technische Verladevorrichtungen zum Einsatz kommen sollten (vgl. Koller aaO § 412 HGB Rdn. 9). Im Streitfall fehlt es jedoch an Feststellungen, dass die Versicherungsnehmerin und die Beklagte bereits bei Abschluss des Frachtvertrages davon ausgegangen sind, wegen der Art der zu befördernden Güter oder aus anderen Gründen sei der Einsatz eines Transportfahrzeugs mit einer Hebebühne erforderlich.

3. Mit Erfolg beanstandet die Revision aber die Annahme des Berufungsgerichts, eine Verpflichtung der Beklagten zum Beladen des Transportfahrzeugs könne auch nicht auf eine vor dem streitgegenständlichen Schadensfall zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten bzw. deren Unterfrachtführer wiederholt praktizierte Art und Weise der Verladung von Transportgut gestützt werden.

Das Berufungsgericht ist im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der Frachtführer abweichend von § 412 Abs. 1 Satz 1 HGB zur beförderungssicheren Verladung des Gutes verpflichtet sein kann, wenn er im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen die Verladetätigkeit übernommen hatte, so dass der Absender nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Frachtführer werde auch weiterhin so verfahren (vgl. Koller aaO § 412 HGB Rdn. 7). Rechtsfehlerhaft ist jedoch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe für eine derartige von ihr behauptete Abwicklung der Transportaufträge zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten keinen Beweis angetreten. Die Revision rügt mit Erfolg, dass die Beurteilung des Berufungsgerichts gegen § 286 ZPO verstößt.

a) Die Klägerin hat in der Klageschrift vorgetragen, ihre Versicherungsnehmerin habe die Beklagte regelmäßig mit der Beförderung von hochempfindlicher Computerware beauftragt. Die Aufträge seien stets in der Weise abgewickelt worden, dass die Versenderin die Ware jeweils "ab Rampe" bereitgestellt habe. Es sei dann Sache des Fahrers der Beklagten gewesen, das Gut sachgerecht auf das Transportfahrzeug zu bringen und dort beförderungssicher zu stauen. In ihrer Berufungsbegründung hat die Klägerin ausdrücklich erklärt, dass sie an ihrem Vortrag hinsichtlich der Verlademodalitäten festhalte. Darüber hinaus hat sie dargelegt, dass die geübte Praxis der Beklagten bekannt gewesen sei und deshalb in den schriftlichen Transportaufträgen der Versicherungsnehmerin an die Beklagte nicht habe gesondert erwähnt werden müssen.

Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass der Vortrag der Klägerin zu den Verlademodalitäten den Schluss auf eine zumindest konkludente Vereinbarung hinsichtlich einer Verlagerung der Verladepflicht von der Versenderin (= Versicherungsnehmerin der Klägerin) auf die Beklagte zulässt. Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang geltend gemacht, ihre Versicherungsnehmerin habe die Beklagte gerade deshalb laufend mit Transporten von hochempfindlicher Computerware beauftragt, weil sie auf Computertransporte spezialisiert gewesen sei. Die Beklagte ist diesem Vorbringen nicht substantiiert entgegengetreten.

b) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hat die Klägerin diesen Vortrag unter Beweis gestellt. Sie hat hierzu bereits in der Klageschrift (GA 3) den Zeugen T. benannt. Mit der Berufungsbegründung hat die Klägerin gerügt, das Landgericht habe "den gesamten Sachvortrag auf Seite 3 der Klageschrift einschließlich des dortigen Beweisantrittes übergangen, wonach im Rahmen der von der Beklagten abgewickelten Transportaufträge die zu befördernde Ware vom Verlader 'ab Rampe' bereitgestellt wurde und es dann Sache des Fahrers der Beklagten war, die Ware sachgerecht auf das Fahrzeug zu verbringen und dort beförderungssicher zu stauen". Zudem enthält die Berufungsbegründung zusammenhängenden Vortrag der Klägerin zu den Verlademodalitäten und dazu, dass der Beklagten diese Umstände bekannt gewesen seien. Am Ende des Absatzes folgt erneut das Beweisangebot Zeugnis T. . Das Berufungsgericht konnte nicht davon ausgehen, dass sich dieses Beweisangebot lediglich auf den unmittelbar vorangegangenen Satz und nicht auf den gesamten Absatz bezog.

Das Berufungsgericht durfte das Beweisangebot (Zeugnis T. ) auch nicht mit der Begründung unberücksichtigt lassen, der Zeuge sei als Leiter der Vertriebsabteilung der Versicherungsnehmerin nicht mit der tatsächlichen Abwicklung von Transportaufträgen befasst gewesen und könne daher keine Angaben dazu machen, wie die Beladung in früheren Fällen und insbesondere im konkreten Fall vor sich gegangen sei. Die Ablehnung eines Beweisantrages wegen Ungeeignetheit des Beweismittels kommt nur ganz ausnahmsweise in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass das Beweismittel zu dem Beweisthema sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann (vgl. BVerfG NJW 1993, 254, 255; , NJW 2004, 767, 769).

Hiervon kann im Streitfall schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil der Zeuge T. zur maßgeblichen Zeit nicht nur Vertriebsleiter, sondern auch Geschäftsführer der Versicherungsnehmerin der Klägerin war. Unter diesen Umständen durfte es das Berufungsgericht nicht von vornherein als ausgeschlossen erachten, dass er zu den praktizierten Verlademodalitäten Angaben machen kann.

III. Danach ist das Berufungsurteil auf die Revision der Klägerin aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
NJW-RR 2008 S. 1209 Nr. 17
KAAAC-80212

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja