BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 2680/07

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BVerfGG § 90 Abs. 2 Satz 1; BVerfGG § 93a; BVerfGG § 93a Abs. 2; BVerfGG § 93b; BVerfGG § 93d Abs. 1 Satz 3; StGB § 284; StGB § 287; BGB § 665; BGB § 675 Abs. 1; LottStV § 4 Abs. 1; LottStV § 12 Abs. 1; LottStV § 14; LottStV § 14 Abs. 2; LottStV § 14 Abs. 3; GWB § 20 Abs. 1; ZPO § 543; ZPO § 543 Abs. 2; ZPO § 543 Abs. 2 Nr. 1; StLottG Art. 3; StLottG Art. 3 Abs. 1; StLottG Art. 3 Abs. 2; GG Art. 12 Abs. 1; GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2; EG Art. 10 Abs. 2; EG Art. 43; EG Art. 49; EG Art. 49 Abs. 1; EG Art. 234; EG Art. 234 Abs. 3

Instanzenzug: BGH, KZR 37/06 vom OLG München, U (K) 3416/05 vom

Gründe

1. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf den gesetzlichen Richter durch das Urteil des Oberlandesgerichts München und den Beschluss des Bundesgerichtshofs geltend machen, ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig.

a) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht insoweit der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Danach müssen die Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung hinaus alle im Rahmen des fachgerichtlichen Verfahrens gegebenen Möglichkeiten nutzen, um der Rechtsverletzung abzuhelfen (vgl. BVerfGE 73, 322 <325>; 81, 22 <27>; 95, 163 <171>). Eine Abhilfemöglichkeit im Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes besteht nicht nur dann, wenn der Erfolg vorher feststeht; vielmehr ist jede Möglichkeit, der Grundrechtsverletzung im fachgerichtlichen Verfahren abzuhelfen, zu nutzen, wenn ihr Erfolg zumindest möglich erscheint (vgl. BVerfGE 68, 376 <380 f.>; 70, 180 <185 f.>).

b) Daran fehlt es vorliegend. Die Beschwerdeführer haben nicht alle Möglichkeiten genutzt, um der Rechtsverletzung abzuhelfen. Sie hätten in ihrer Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde darauf hinweisen müssen, dass sich aus ihrer Sicht die Notwendigkeit einer Revisionszulassung auch beziehungsweise gerade aus der Pflicht des Bundesgerichtshofs ergab, dem EuGH Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts vorzulegen.

Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, die Nichtzulassung der Revision durch das Oberlandesgericht und den Bundesgerichtshof verstoße gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, weil entscheidungserhebliche Auslegungsfragen des Gemeinschaftsrechts vorgelegen hätten, die als grundsätzliche Rechtsfragen im Sinne von § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hätten behandelt werden müssen. Der Bundesgerichtshof habe als letztinstanzliches Hauptsachegericht die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG grundsätzlich verkannt. Dem ist insoweit zuzustimmen, als sich die "grundsätzliche Bedeutung" der Rechtssache im Sinne des Revisionsrechts auch aus der Notwendigkeit einer Vorlage an den EuGH nach Art. 234 EG ergeben kann (vgl. für das verwaltungsgerichtliche Verfahren BVerfGE 82, 159 <196>; -, NVwZ 1997, S. 178; -, NVwZ-RR 1998, S. 752 <754>; für das finanzgerichtliche Verfahren BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 557/88 -, JURIS, Rn. 4; für das zivilgerichtliche Verfahren -, BeckRS 2003, S. 1439). Zutreffend ist ebenfalls, dass die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG in Fällen der zulassungsgebundenen Revision, in denen die Nichtzulassung der Revision durch das Instanzgericht mit dem Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbar ist, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH nur bei dem Gericht eintreten kann, das über die Nichtzulassungsbeschwerde entscheidet, vorliegend also dem Bundesgerichtshof (BVerfGE 82, 159 <196>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom , a.a.O., Rn. 4; , Slg. 2002, I-4839, Rn. 16 - Lyckeskog).

Jedoch haben die Beschwerdeführer in der Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde weder auf eine sich aus der Unvereinbarkeit von Art. 3 StLottG mit Gemeinschaftsrecht ergebende Vorlagepflicht des Bundesgerichtshofs nach Art. 234 Abs. 3 EG noch auf den Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit einer Vorlage an den EuGH und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hingewiesen. Sie haben lediglich dargelegt, dass sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus ihren Auswirkungen auf die Allgemeinheit ergeben könne, und vorgebracht, dass die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Mitwirkung gewerblicher Spielvermittler an der Herbeiführung von Spielverträgen zwischen Spielteilnehmern und dem Veranstalter von Lotterien rechtswidrig sei, über den Streitfall hinaus Bedeutung habe, weil sie Gegenstand anderer gerichtlicher und kartellbehördlicher Verfahren sei. In diesem Zusammenhang haben die Beschwerdeführer darauf verwiesen, dass die Vereinbarkeit von Art. 3 StLottG im Besonderen und nationaler Beschränkungen gewerblicher Spielvermittlung im Allgemeinen mit dem Gemeinschaftsrecht umstritten und Gegenstand von Verfahren vor nationalen Gerichten und dem EuGH sei. Solche materiellrechtlichen Probleme führen aber nur dann zu einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, wenn der die Revisionszulassung Begehrende hinreichend substantiiert jedenfalls die Möglichkeit einer Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG darlegt.

2. Soweit sich die Beschwerdeführer durch das Urteil des Oberlandesgerichts München und den Beschluss des Bundesgerichtshofs in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt sehen, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.

a) Die vorliegend in Rede stehende Beschränkung der Berufsfreiheit folgt vorrangig aus den Geschäftsbeziehungen, welche die Beschwerdeführer als Betreiber von Postwettannahmestellen für die vom Freistaat Bayern veranstalteten Lotterien und Wetten mit der für deren Durchführung zuständigen bayerischen Staatlichen Lotterieverwaltung rechtlich verbindet und die nach fachgerichtlicher Einschätzung im Ausgangsverfahren als Handelsvertreterverhältnisse anzusehen sind. Die im Ausgangsverfahren insoweit erfolgten fachgerichtlichen Feststellungen der Modalitäten der im Rahmen dieser vertraglichen Rechtsverhältnisse zulässigen Vertriebstätigkeit, die die Beschwerdeführer hinsichtlich der vom Freistaat Bayern veranstalteten Lotterien und Wetten mit Wirkung für und gegen diesen vornehmen, stellen sich weder als willkürlich, noch als grundsätzliche Verkennung von Geltung und Umfang der grundrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 12 Abs. 1 GG dar.

Die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Normen können vom Bundesverfassungsgericht - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Normen die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 85, 248 <258 f.>; 87, 287 <323>).

b) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Soweit sich Art und Umfang der Geschäftstätigkeit der Beschwerdeführer nach der dieser zugrunde liegenden vertraglichen Rechtsbeziehung anhand des Kriteriums der "lotterierechtlichen Zulässigkeit" bestimmen, stellt die Anwendung des für den Vertrieb der vom Freistaat Bayern veranstalteten Lotterien und Wetten in Art. 3 Abs. 1 StLottG niedergelegten Erfordernisses einer schriftlichen Vereinbarung unmittelbar mit der bayerischen Staatlichen Lotterieverwaltung auch auf die gewerbliche Spielvermittlung jenseits der dem Bereich des Veranstalters zuzuordnenden Annahmestellen eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Auslegung des einfachen Rechts dar, die insbesondere mit der von den Beschwerdeführern insoweit als verletzt gerügten Berufsfreiheit vereinbar ist. Denn diese fachgerichtliche Auslegung des Art. 3 Abs. 1 StLottG erfolgt unter Rückgriff auf gesetzgeberische Regelungsziele, welche die damit einhergehende Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführer verfassungsrechtlich rechtfertigen.

Obwohl eine restriktivere, am Wortlaut des mit "Annahmestellen" überschriebenen Art. 3 Abs. 1 StLottG orientierte Auslegung des Art. 3 Abs. 1 StLottG möglich ist, die das Erfordernis einer schriftlichen Vereinbarung unmittelbar mit der bayerischen Staatlichen Lotterieverwaltung lediglich auf die dem Bereich des Veranstalters zuzuordnenden Annahmestellen anwendet, stellt die Erstreckung dieses Erfordernisses auch auf die gewerbliche Spielvermittlung jenseits der Annahmestellen eine vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 1 GG vertretbare fachgerichtliche Auslegung des Art. 3 Abs. 1 StLottG dar. Anders als von den Beschwerdeführern behauptet, führt sie im Ergebnis nicht zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer Berufsausübungsfreiheit.

So steht der fachgerichtlichen Auslegung des Art. 3 Abs. 1 StLottG nicht von vornherein das entgegen, in dem das in Bayern bestehende Wettmonopol für unvereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG erklärt wurde (BVerfGE 115, 276 <317>). Denn das Urteil trifft gerade keine Aussagen über den Vertrieb der vom Freistaat Bayern veranstalteten Lotterien und Wetten und die Modalitäten der Vertriebsstruktur.

Die Anwendung des für den Vertrieb der vom Freistaat Bayern veranstalteten Lotterien und Wetten in Art. 3 Abs. 1 StLottG niedergelegten Erfordernisses einer schriftlichen Vereinbarung unmittelbar mit der bayerischen Staatlichen Lotterieverwaltung auch auf die gewerbliche Spielvermittlung jenseits der Annahmestellen ist auch geeignet, die gesetzgeberischen Regelungsziele des Art. 3 Abs. 1 StLottG zu fördern, wonach der Freistaat Bayern die Ausführung seiner Glücksspiele in vollem Umfang kontrollieren soll (BayLTDrucks 14/219 vom , S. 5 f.). Anders als von den Beschwerdeführern geltend gemacht entfällt die Eignung nicht bereits deshalb, weil ein sicherheitsrechtlicher Zweck wie der der Kontrolle gewerblicher Spielvermittler nur mit Mitteln des öffentlichen Rechts, insbesondere mit einer Genehmigungspflicht, nicht aber mit dem Abschluss einer privatrechtlichen Vereinbarung verfolgt werden könne. Dieser Zusammenhang wird von den Beschwerdeführern lediglich behauptet, aber nicht näher dargelegt. Darüber hinaus weist die in Art. 3 Abs. 1 StLottG gewählte Form der schriftlichen Vereinbarung für die Kontrolle gewerblicher Spielvermittler, anders als die Beschwerdeführer meinen, nicht zwingend auf ein rein privatrechtliches Verhältnis hin. Wie sich insbesondere aus der in Art. 3 Abs. 2 StLottG geregelten Ordnungswidrigkeit und der durch die Formulierung "ohne unmittelbare Beauftragung" hergestellten Anknüpfung ergibt, dient das Erfordernis der schriftlichen Vereinbarung unmittelbar mit der bayerischen Staatlichen Lotterieverwaltung einem ordnungsrechtlichen Belang.

Von Verfassungs wegen ist ebenfalls nicht zu kritisieren, dass die Fachgerichte die Regelung der gewerblichen Spielvermittlung in § 14 LottStV nicht wie von den Beschwerdeführern vorgebracht als gleichermaßen wirksam ansehen. Denn die fachgerichtliche Auslegung des Art. 3 Abs. 1 StLottG ermöglicht es der bayerischen Staatlichen Lotterieverwaltung, auch gegenüber den Annahmestellen selbst tätig zu werden. Die Beschwerdeführer sind der Einschätzung des Oberlandesgerichts, gegenüber im Ausland ansässigen gewerblichen Spielvermittlern jenseits der dem Bereich des Veranstalters zuzuordnenden Annahmestellen liefen die öffentlichrechtlichen Eingriffsbefugnisse nach § 14 Abs. 3 in Verbindung mit § 12 Abs. 1 LottStV weitgehend leer, nicht entgegengetreten.

Anders als von den Beschwerdeführern behauptet, entfällt die Erforderlichkeit der fachgerichtlichen Auslegung des Art. 3 Abs. 1 StLottG schließlich nicht deshalb, weil diese Regelung nach Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages zum nicht beibehalten wurde. Zwar hat der Freistaat Bayern das Staatslotteriegesetz durch das Gesetz zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland vom (BayGVBl 2007 S. 922) aufgehoben. Der Grund hierfür ist jedoch nicht in der Redundanz von Art. 3 Abs. 1 StLottG beziehungsweise seiner fachgerichtlichen Auslegung zu sehen, sondern darin, dass der Glücksspielstaatsvertrag in seinem § 4 Abs. 1 über § 14 LottStV hinausgegangen ist und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele unter Erlaubnisvorbehalt gestellt hat.

c) Von vornherein werden die Beschwerdeführer von dem aus Art. 3 Abs. 1 StLottG abgeleiteten Erfordernis einer schriftlichen Vereinbarung auch für die gewerbliche Spielvermittlung jenseits der Annahmestellen nur insoweit betroffen, als ihnen ein Entgegennehmen von Spielbeteiligungen, die über einen gewerblichen Spielvermittler vermittelt werden, als lotterierechtlich unzulässig untersagt ist. Die grundrechtsbeschränkende Wirkung, die mit diesem Erfordernis für die Tätigkeit der gewerblichen Spielvermittler einhergeht, betrifft sie indessen nicht unmittelbar. Abgesehen davon, dass aus Art. 3 StLottG weder unmittelbar (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1896/99 -, JURIS, Rn. 92) noch nach verwaltungsgerichtlicher Auslegung (vgl. Verwaltungsgericht München, Urteil vom - M 16 K 05.6154 -, JURIS, Rn. 125) ein allgemeines Verbot der gewerblichen Spielvermittlung in Bayern folgt, sind die Beschwerdeführer allein im Hinblick auf die dem Bereich des Veranstalters zuzuordnende Annahmestelle betroffen. Soweit sie sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde - wie schon im Ausgangsverfahren - gegen ein "faktisches Verbot" der gewerblichen Spielvermittlung wenden, können sie eine Verletzung eigener Rechte damit nicht begründen.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
WM 2008 S. 1089 Nr. 23
TAAAC-79199