BGH Urteil v. - 5 StR 357/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GVG § 24 Abs. 1 Nr. 3; GVG § 32; GVG § 54 Abs. 1; GVG § 77; StPO § 222a; StPO § 222b; StPO § 222b Abs. 2 Satz 1; StPO § 222b Abs. 2 Satz 2; StPO § 222b Abs. 2 Satz 3; StPO § 338 Nr. 1; StPO § 344 Abs. 2 Satz 2; StGB § 21; StGB § 49 Abs. 1; StGB § 177 Abs. 2 Satz 1

Instanzenzug: LG Hamburg, vom 14.03.2007

Gründe

Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten erkannt und ihn unter Einbeziehung anderweit rechtskräftig verhängter Einzelgeldstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die mit Verfahrensrügen und der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg; allerdings ist die überlange Dauer des Revisionsverfahrens zu kompensieren.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen schloss der Angeklagte die Nebenklägerin in einem abgelegenen Raum der von ihm betriebenen Discothek ein. Nachdem er sie gewaltsam zu Boden gebracht hatte, öffnete er gegen ihren Willen ihre Kleidung und führte einen Finger in ihre Scheide ein. Der vom Angeklagten angestrebte Geschlechtsverkehr konnte durch das Eintreffen der inzwischen alarmierten Polizei verhindert werden.

1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

a) Die Annahme der Zuständigkeit des Landgerichts war nicht willkürlich (vgl. zum Maßstab Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 269 Rdn. 8), beruhte vielmehr auf sachgerechter Anwendung des § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG (1. Variante).

b) Die - vom Generalbundesanwalt für durchgreifend erachtete - Besetzungsrüge nach § 338 Nr. 1 StPO dringt nicht durch.

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass das erkennende Gericht mit dem ursprünglich vom Vorsitzenden der Strafkammer von der Dienstleistung entbundenen und später von der Strafkammer erneut herangezogenen Hauptschöffen nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Die ursprüngliche Befreiung des Schöffen von der Dienstleistung am Hauptverhandlungstag sei nicht willkürlich gewesen und habe deshalb nicht mehr widerrufen werden können.

Der Schöffe hatte vor Sitzungsbeginn mitgeteilt, dass er an der Wahrnehmung des Termins verhindert sei, weil er selbst Angeklagter in einem zwei Wochen vorher stattfindenden Strafverfahren wegen Verdachts der Eingehung einer Scheinehe sei. Der Vorsitzende der Strafkammer hatte ihn daraufhin für die Sitzung gemäß §§ 77, 54 Abs. 1 GVG von der Dienstleistung befreit und die Heranziehung einer Hilfsschöffin angeordnet. Im Hauptverhandlungstermin rügte der Beschwerdeführer, dass das Gericht mit der herangezogenen Hilfsschöffin nicht vorschriftsmäßig besetzt sei. Die Entpflichtung des Schöffen sei willkürlich erfolgt, weil das Strafverfahren gegen den Schöffen vor Beginn der Hauptverhandlung rechtskräftig beendet worden sei und die Unfähigkeitsgründe des § 32 GVG nicht vorgelegen hätten. Daraufhin stellte das Landgericht - ohne Mitwirkung des in Urlaub befindlichen geschäftsplanmäßigen Vorsitzenden - gemäß § 222b Abs. 2 Satz 2 StPO fest, dass es nicht vorschriftsmäßig besetzt sei, zog wieder den Hauptschöffen hinzu und begann anschließend sofort unter dessen Mitwirkung erneut mit der Hauptverhandlung.

aa) Der Senat lässt offen, ob die Zulässigkeit der Rüge - was nicht fern liegt - bereits an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO scheitert, weil der auf den Besetzungseinwand ergangene Gerichtsbeschluss in der Revisionsbegründung nicht ganz vollständig mitgeteilt worden ist (vgl. die Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 5. Juli 2007 zu 2).

bb) Die Rüge ist jedenfalls als widersprüchliches Prozessverhalten nicht statthaft (vgl. hierzu BGHR StPO § 218 Ladung 5, § 247 Ausschließungsgrund 1, § 344 Abs. 2 Satz 2 Missbrauch 1 und § 349 Abs. 1 Unzulässigkeit 2; BGH NStZ 1997, 451; ). Zur Begründung der Besetzungsrüge beruft sich der Beschwerdeführer im Revisionsverfahren auf die Willkürfreiheit der Entbindung des Hauptschöffen und die sich daraus ergebende Bindungswirkung jener Vorsitzendenentscheidung (§§ 77, 54 Abs. 1 und Abs. 3 GVG), wohingegen er seinen Besetzungseinwand in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht gerade auf die Willkür derselben Entscheidung gestützt hatte. Das Landgericht ist dem Besetzungseinwand gefolgt und hat dabei mit dem zulässigen sofortigen Neubeginn der Verhandlung (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 222b Rdn. 34; Meyer-Goßner aaO § 222b Rdn. 12) im Sinne einer sofort möglichen Heilung des geltend gemachten Besetzungsfehlers dem erklärten Wunsch des Beschwerdeführers entsprochen. Damit ist dieser insoweit in der Besetzungsfrage, zu welcher er einen etwaigen revisionsrechtlichen Einwand nach dem Normengefüge aus §§ 222a, 222b, 338 Nr. 1 StPO bereits zu Beginn der Hauptverhandlung zu erheben gehalten war, klaglos gestellt worden. Danach kann er im Revisionsverfahren mit einer seinem Besetzungseinwand direkt entgegenstehenden Besetzungsrüge kein Gehör mehr finden.

Widersprüchliches Verhalten verdient keinen Rechtsschutz (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Missbrauch 1). Eine Statthaftigkeit derart spezifisch widersprüchlichen Prozessverhaltens lässt sich auch nicht etwa aus § 222b Abs. 2 Satz 3 StPO ableiten. Soweit aus dieser Vorschrift tatsächlich ein genereller Ausschluss der Präklusion nach Besetzungsänderung (h. M., vgl. nur Gollwitzer aaO Rdn. 35) herzuleiten sein sollte, kann dieses in dem vorliegenden Sonderfall einer sofortigen Weiterverhandlung in einer dem Besetzungseinwand entsprechenden Besetzung nur für den Bereich der geänderten Besetzung und, soweit einem Besetzungseinwand - wie hier - entsprochen wurde, nur für andere Prozessbeteiligte gelten, die den Einwand ihrerseits nicht erhoben haben.

Die Unstatthaftigkeit solch widersprüchlichen Revisionsvorbringens drängt sich namentlich bei einer Besetzungsrüge aus einem Erst-Recht-Schluss auf: Wenn ein Revisionsführer allein aufgrund der passiven Hinnahme einer Gerichtsbesetzung vor dem Tatgericht mangels Erhebung eines Besetzungseinwands nach §§ 222a, 222b, 338 Nr. 1 StPO mit einer Besetzungsrüge ausgeschlossen sein kann, so muss solches erst recht gelten, wenn er - wie hier - mit einer Besetzungsrüge bei unveränderter Kenntnis der die Rüge begründenden Tatsachen just die Gerichtsbesetzung beanstanden will, die er im Rahmen des Verfahrens nach §§ 222a, 222b StPO ausdrücklich gewünscht hat.

cc) Ob die Rüge auch daran scheitern müsste, dass die Annahme einer unvertretbaren und daher als willkürlich zu wertenden Entbindungsentscheidung des Vorsitzenden in dem Beschluss des Landgerichts nach § 222b Abs. 2 Satz 1 StPO ihrerseits vertretbar und daher mit der Besetzungsrüge nicht angreifbar ist (vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 338 Rdn. 46), bedarf danach keiner Entscheidung. Allein der Umstand, dass in jenem Beschluss der Willkürmaßstab nicht ausdrücklich benannt worden ist, stünde dem nicht entgegen.

c) Die Aufklärungsrüge zu Beweiserhebungen über das Alter von Verletzungen der Nebenklägerin ist unbegründet. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Frage nicht durch die als sachverständige Zeugin vernommene untersuchende Ärztin zuverlässig aufgeklärt worden wäre (s. UA S. 24 f.). Eben diese Beweiserhebung hatte der Verteidiger in seinem Beweisantrag hilfsweise beantragt; der gerichtlichen Feststellung der Erledigung dieses Antrags hatte er nicht widersprochen (Revisionsgegenerklärung zu 3 a. E.).

2. Die Sachrüge bleibt ebenfalls erfolglos. Die Feststellungen der Strafkammer zum Tatablauf und zu weitergehenden Absichten des Angeklagten beruhen auf einer fehlerfreien Beweiswürdigung. Die Beurteilung der alkoholbedingten Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten, dem die Voraussetzungen des § 21 StGB zugebilligt worden sind, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Auch die Strafzumessung aus dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB ist nicht zu beanstanden. Die rechtsfehlerfrei festgestellten physischen und psychischen Beeinträchtigungen der Nebenklägerin durch die Tat durften dem Angeklagten angelastet werden.

3. Das Revisionsverfahren hat nach Eingang des Beschlussaufhebungsantrags des Generalbundesanwalts bis zum Urteil des Senats rund siebeneinhalb Monate gedauert. Angesichts des begrenzten Umfangs der Sache liegt hierin, auch wenn der Angeklagte nicht inhaftiert war, eine unvertretbare Verfahrensverzögerung jedenfalls um vier Monate, welcher der Senat nach dem Maßstab des Beschlusses des Großen Senats für Strafsachen vom 17. Januar 2008 (NJW 2008, 860, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) durch Anrechnung von zwei Monaten Freiheitsstrafe Rechnung trägt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
wistra 2008 S. 273 Nr. 7
GAAAC-78713

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