BGH Beschluss v. - XII ZB 116/07

Leitsatz

[1] Wird eine Protokollfälschung behauptet, dürfen selbst bei Anlegung eines strengen Maßstabs an die Darlegungslast die Anforderungen an die Prozesspartei insoweit nicht überspannt werden. Denn die Partei, die in aller Regel keinen hinreichenden Einblick in die internen Geschäftsabläufe des Gerichts und die Arbeitsweise des Richters hat, ist in derartigen Fällen durchweg auf bloße Indizien für den objektiven Tatbestand und auf Schlussfolgerungen für dessen subjektive Seite angewiesen (im Anschluss an - NJW 1985, 1782 und - BGH-Report 2004, 979, 980).

Gesetze: ZPO § 165

Instanzenzug: AG Demmin, 20 F 160/03 vom OLG Rostock, 11 UF 126/06 vom

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Durchführung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs.

Mit wurde die Ehe der Parteien geschieden und der öffentlich-rechtliche Versorgungsausgleich durchgeführt. Auf die Beschwerde des Antragstellers hob das Oberlandesgericht das angefochtene Urteil hinsichtlich des Versorgungsausgleichs auf und setzte das Verfahren insoweit aus.

Auf Antrag der Antragsgegnerin nahm das Amtsgericht das Verfahren hinsichtlich des Versorgungsausgleichs wieder auf und verhandelte am mit den Parteivertretern. Das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung lautet nach dem Hinweis auf die Erörterung der Sach- und Rechtslage und die Antragstellung wie folgt:

"beschlossen und verkündet

Eine Entscheidung ergeht am Ende der Sitzung.

Nach Wiederaufruf der Sache erscheint: Niemand

Es wird anliegender Beschluss verkündet."

Das Protokoll ist von dem Abteilungsrichter, der von der Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgesehen hatte, unterschrieben. Ein nachfolgender Vermerk, der die Richtigkeit der Übertragung vom Tonträger bestätigen soll, ist von der dort genannten Justizobersekretärin nicht unterzeichnet.

Am , also rund 15 Monate nach der mündlichen Verhandlung, wurden dem Antragsteller das Protokoll sowie ein Beschluss zugestellt, in dem es eingangs heißt: "... hat das Amtsgericht - Familiengericht ... - durch ... nach Anhörung der Beteiligten am beschlossen". Auch den übrigen Verfahrensbeteiligten sind Protokoll und Beschluss erst am 31. Juli bzw. zugestellt worden.

Gegen diesen Beschluss legte der Antragsteller am mit dem Antrag Beschwerde ein, die Durchführung des Versorgungsausgleichs nach § 1587 c BGB auszuschließen, hilfsweise den Versorgungsausgleich unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses "durchzuführen, wie es rechtens ist".

Nachdem das Oberlandesgericht den Antragsteller darauf hingewiesen hatte, dass seine Beschwerde nicht vor Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des angefochtenen Beschlusses eingegangen und somit verfristet sei, beantragte er mit einem am eingegangenen Schriftsatz vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zugleich zog er die Richtigkeit des übersandten gerichtlichen Protokolls in Zweifel und beantragte Akteneinsicht. Während der Verhandlung sei weder ein konkreter Verkündungstermin benannt worden noch ein Hinweis darauf erfolgt, dass eine Entscheidung am Schluss der Sitzung ergehen werde. Wenn das Gericht "die Verkündung einer Entscheidung am Schluss der Sitzung beabsichtigt hätte und dies auch tatsächlich erfolgt wäre", stelle sich die Frage, aus welchen Gründen die Zustellung erst nach 15 Monaten erfolgt sei.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag und das Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers zurück und verwarf seine Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts, ohne ihm zuvor Akteneinsicht bewilligt zu haben. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist unstatthaft, soweit sie sich gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe richtet (§ 574 Abs. 1 ZPO).

Im Übrigen ist sie nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 621 e Abs. 3 Satz 2, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Insoweit ist sie auch zulässig, weil die angefochtene Entscheidung den Antragsteller in seinen Verfahrensgrundrechten verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG), was eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

2. Insoweit ist die Rechtsbeschwerde auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

a) Im Ansatz zu Recht geht das Oberlandesgericht allerdings davon aus, dass die Beschwerde des Antragstellers verspätet eingegangen wäre, wenn der angefochtene Beschluss am verkündet worden wäre.

Nach §§ 621 e Abs. 3 Satz 2, 517 ZPO beginnt die einmonatige Beschwerdefrist mit Zustellung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach ihrer Verkündung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es nicht darauf an, dass sich dem Verkündungsprotokoll genau entnehmen lässt, ob die Entscheidung durch Bezugnahme auf die Beschlussformel oder durch Verlesen der Formel verkündet wurde und ob der Beschluss zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig abgefasst war (BGH Beschlüsse vom - IVa ZB 2/88 - NJW 1988, 2046 und vom - VIII ZB 121/03 - BGH-Report 2004, 979, 980). Entscheidend ist allein, ob die angefochtene Entscheidung tatsächlich verkündet worden ist (vgl. auch Senatsbeschluss vom - XII ZB 12/03 - FamRZ 2004, 1478, 1479).

b) Ebenfalls zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass die Beachtung der für die Verhandlung - einschließlich der Verkündung (§ 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO) - vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden kann. Gegen seinen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig (§ 165 ZPO).

aa) Das Beschwerdegericht verkennt jedoch, dass der Antragsteller - soweit ihm dies zunächst überhaupt möglich war - eine solche Fälschung des Protokolls behauptet. Denn er hat geltend gemacht, zum Schluss der mündlichen Verhandlung sei weder ein konkreter Verkündungstermin noch ein Hinweis auf eine Verkündung am Schluss der mündlichen Verhandlung beschlossen worden. Mit der weiteren Behauptung, die verspätete Zustellung des Beschlusses sei nicht erklärbar, wenn der Beschluss tatsächlich schon am verkündet worden wäre, zieht der Antragsteller zugleich die Verkündung selbst und somit die diese dokumentierende Aussage des Protokolls in Zweifel. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs selbst bei Anlegung eines strengen Maßstabs an die Darlegungslast hinsichtlich einer behaupteten Protokollfälschung die Anforderungen an die Prozesspartei insoweit nicht überspannt werden dürfen. Denn die Partei, die in aller Regel keinen hinreichenden Einblick in die internen Geschäftsabläufe des Gerichts und die Arbeitsweise des Richters hat, ist in derartigen Fällen durchweg auf bloße Indizien für den objektiven Tatbestand und auf Schlussfolgerungen für dessen subjektive Seite angewiesen ( - NJW 1985, 1782 und - BGH-Report 2004, 979, 980).

Ob der Antragsteller insoweit schon in der Beschwerdebegründung und dem Wiedereinsetzungsgesuch hinreichend vorgetragen hatte, kann dahinstehen. Er hatte jedenfalls zusätzlich Akteneinsicht verlangt, um seinen Vortrag weiter konkretisieren zu können. Da das Beschwerdegericht dem Antragsteller die begehrte Akteneinsicht versagt hat, hat es gegen dessen Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör verstoßen. Im Verfahren der Rechtsbeschwerde ist deswegen davon auszugehen, dass der Antragsteller zur Begründung seines Vorwurfs der Protokollfälschung das vorgetragen hätte, was er nunmehr - nach Akteneinsicht - im Verfahren der Rechtsbeschwerde vorbringt. Diese Tatsachen sind hinreichend substantiiert, um die Beweiskraft des Protokolls, nach dessen Inhalt der angefochtene Beschluss am verkündet wurde, ernsthaft in Zweifel zu ziehen.

Nach dem Vermerk des Geschäftsstellenbeamten sind sowohl das Protokoll "vom " als auch der angefochtene Beschluss erst am , also annähernd 15 Monate nach dem Verhandlungstermin, zur Geschäftsstelle gelangt. Dafür spricht auch die Foliierung des Sonderhefts, nach der mehrere Anfragen der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin bezüglich der ausstehenden Entscheidung und der Kostenabrechnung aus der Zeit vom bis zum vor dem Protokoll und dem Beschluss des Amtsgerichts abgeheftet sind. Gleiches gilt für einen Rentenbescheid vom , den die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom nachgereicht hatte. Auch die Verfügung des Richters zur Zustellung des angefochtenen Beschlusses datiert erst vom und befindet sich auf der Rückseite einer erneuten Anfrage der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin, die erst am beim Amtsgericht eingegangen war.

Schon dieser zeitliche Ablauf spricht dafür, dass der Beschluss deutlich später abgesetzt wurde und am jedenfalls keine vollständig abgesetzte Entscheidung verkündet worden ist. Denn wenn die Entscheidung schon in diesem Zeitpunkt abgesetzt gewesen wäre, hätte nichts näher gelegen, als sie - spätestens auf die ausdrücklichen Nachfragen der Antragsgegnervertreterin - an die Parteien und die Verfahrensbeteiligten zuzustellen. Bei den Akten befindet sich aber auch kein isolierter Beschlusstenor, obwohl der Wortlaut des Protokolls auf die Verkündung eines "anliegenden" Beschlusses hinweist. Soweit die Rechtsbeschwerde allerdings darauf hinweist, dass die Verkündung einer noch nicht vollständig abgesetzten Entscheidung im Hinblick auf die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs und die Berechnung des konkret durchzuführenden Ausgleichs eher fern liegt, ist hier zu berücksichtigen, dass die Entscheidung annähernd inhaltsgleich mit der - vom Oberlandesgericht aufgehobenen - früheren Entscheidung zum Versorgungsausgleich in dem Verbundurteil vom ist. Danach spricht viel dafür, dass seinerzeit auch kein isoliert vorliegender Beschlusstenor verkündet wurde und das Protokoll deswegen insoweit falsch im Sinne von § 165 ZPO ist.

Gegen eine Verkündung des Beschlusses am spricht schließlich, dass sich sowohl auf dem Original als auch auf den an die Parteien versandten Ausfertigungen des Beschlusses keine Verkündungsvermerke befinden. Der aus den Akten ersichtliche zeitliche Ablauf legt es somit nahe, dass die Entscheidung erst auf die erneute Anfrage der Antragsgegnervertreterin vom abgesetzt und mit der richterlichen Verfügung vom zur Geschäftsstelle gelangt ist.

bb) Das Oberlandesgericht hätte deswegen dem unter Zeugenbeweis gestellten Vortrag der Protokollfälschung im Sinne des § 165 Satz 2 ZPO nachgehen müssen. Selbst wenn diese nicht schon anhand des Akteninhalts hinreichend nachgewiesen ist, hätte es jedenfalls die vom Antragsteller gegen eine Verkündung des Beschlusses benannten Zeugen, nämlich den Abteilungsrichter, den Geschäftsstellenbeamten und die für das Protokoll zuständige Schreibkraft, zu der behaupteten Fälschung des Protokolls vernehmen müssen.

3. Weil der Antragsteller die von ihm behauptete Fälschung des Protokolls hinreichend substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt hat, wird das Beschwerdegericht den angebotenen Zeugenbeweis erheben müssen.

Ergibt die Beweisaufnahme, dass der Beschluss nicht am verkündet wurde, lief die Beschwerdefrist des Antragstellers nach § 621 e Abs. 3 Satz 2, 517 ZPO erst am ab und war durch die am eingegangene und begründete Beschwerde gewahrt.

Unter diesen Umständen kann auch die Zurückweisung des nur vorsorglich gestellten Antrags auf Wiedereinsetzung keinen Bestand haben. Erweist sich die Beschwerde als rechtzeitig eingelegt und begründet, ist dieser Antrag gegenstandslos; über ihn ist dann nicht zu entscheiden (Senatsbeschluss BGHZ 165, 318, 324).

4. Die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sind gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG nicht zu erheben, weil sie bei richtiger Entscheidung des Berufungsgerichts nicht angefallen wären (Senatsbeschluss BGHZ 165, 318, 325).

Fundstelle(n):
NJW-RR 2008 S. 804 Nr. 11
AAAAC-77581

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja